Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Der geschundene Bär

Möge die Republik zusehn, daß die
Konsuln keinen Schaden leiden!

Wieder große Konjunktur für Enthüller. Die meisten Redakteure kennen die geschäftigen Gestalten, die von Zeit zu Zeit auftauchen, die Mappen vollgestopft mit »Material«, aus dem sich exaktest ergibt, daß X ein korruptes Subjekt ist, Y dickere Zigarren raucht, als ihm vor Gott und den Menschen zukommt. Ein paar Geldscheine heizen den Eifer der gekränkten Tugend, sie entfernt sich mit dem frommen Vorsatz, noch mehr Sünden ans Licht zu fördern und überläßt den Abnehmer der bittern Betrachtung, was abscheulicher ist: die Korruption oder diese nur auf Barzahlung reagierenden Savonarolas.

So oder ähnlich mag sich auch der Prolog der Affäre Sklarek abgespielt haben. Daß dieses Geschwür, das sich nach Anschwellung und Geruch schon lange nicht mehr Augen und Nasen entziehen konnte, grade ein paar Wochen vor den Kommunalwahlen platzen mußte – nur ein Fanatiker des Zufallsglaubens wird hier die Wahlmache zu übersehen vermögen. Die Entrüstung hat jedenfalls für ihren Ausbruch den wirkungsvollsten Moment gewählt. Aber wer die Sache auch angedreht hat, der Erfolg ist weit über die Spekulationen hinausgewachsen und hat sie, soweit sie parteipolitischer Natur waren, vielleicht selbst zerstört. Denn nicht eine Parteiclique ist entlarvt worden – das ganze Stadtregiment von Berlin ist zweideutig geworden, steht plötzlich in häßlichem Licht da, im fauligen Schimmer der Depraviertheit. Gerechte und Ungerechte, Tolerante und Geschäftemacher, alle stehen sie mit einem Mal in der einen unsaubern Geruchszone, und selbst die Redlichen tragen den Makel der Dummheit, weil sie nichts gemerkt haben. Das ganze Stadtregiment ist rettungslos kompromittiert. Der Mann auf der Straße hält die Lenker seiner Stadt allesamt für Spitzbuben. Das ist übertrieben, aber was geschehen, schlimm genug.

Nach Barmat, nach Kutisker leistet sich die Stadtbank noch immer die Fehler der ollen ehrlichen Seehandlung, ein paar zugelaufenen Industrierittern bis zu zehn Millionen zu kreditieren, nur weil sie ein großes Haus und einen Rennstall unterhalten. Die Verantwortlichen vom Magistrat aber, die einen Monopolvertrag abgeschlossen haben, für dessen Ausfertigung sie mit der Klopfpeitsche traktiert zu werden verdienten, schlossen beide Augen vor der betrügerischen Ausführung des Vertrages und vor der offenkundigen Tatsache, daß man an die Allerärmsten statt der pflichtgemäß zu liefernden soliden Ware elende Lumpen verteilte, die kein Geschäft, das nicht straffällig werden will, sonst zu bieten wagt. Ein Netz von Gefälligkeiten umspannt dafür die Hochmögenden. Der Eine bekommt einen Anzug weit unter Preis, die Andern werden in der westender Schiebervilla mit Burgunder vollgepumpt, der Herr Oberbürgermeister bezieht einen Luxuspelz von der noblen Firma zu einem Preis wie geschenkt – nach seiner Erklärung leistet er an eine wohltätige Stiftung eine Zahlung von 1000 Mark. Warum? Fühlte er selbst, daß man mit Sklareks kein Geschäft machen kann, ohne seine Seele salvieren zu müssen? Dafür läßt er einen eingeschriebenen Brief unbeachtet, einen Brief, in dem die Monopolwirtschaft in ihrer ganzen Verschmuddelung abgebildet ist, nur um sich die Fahrt ins indianische Land nicht stören zu lassen. Niemand hat was gesehn, was gerochen. Mit jener überfraktionellen Weitherzigkeit, die den deutschen Politiker auszeichnet, wenn er aus dem rohen Tagwerk ins private Sein tritt, becherte und tafelte alles draußen bei dem Sklarekgelichter, das nicht erst das Stigma grober Kriminalität brauchte, um von Menschen, die auf sich halten, gemieden zu werden. So kamen sie alle an die Kette, alle. Ein paar Sozialdemokraten sind dabei, ein Kommunist und schließlich auch etliche von rechts. Ein Völkischer, der den ihm zukommenden Namen Honnette führt. Nicht zu vergessen der alte professionelle Judenfresser Bruhn. Jeder Antisemit hat bekanntlich seinen Juden, auf den er nichts kommen läßt. Herr Bruhn, ein im Lebenskampf abgeklärter politischer Charakter, hat gleich drei. Und damit auch die richtige Balance gewahrt bleibt, damit nicht zum Schaden echter Volksgemeinschaft das Schwergewicht auf die extremen Flügelparteien fällt, fungiert auch hier wie überall, seiner Verantwortung vollbewußt, ein einsamer Demokrat als Zünglein an der Wage. Eine jämmerliche Koalition.

Und doch stutzt man bei einigem Nachdenken vor dem schweren Wort: Korruption. Das ist zu tönend, das ist zu groß für die hier vorliegende Summe kleiner Schmierigkeiten. Korruption, das bedeutet Panama, bedeutet Kauf einflußreicher Personen. Hier ist kaum jemand gekauft worden. Es ist schlimmer, denn alle diese kommunalen Repräsentanten fühlten sich einfach verpflichtet, weil ihnen ein paar Kerle mit dickem Bauch und dicker Uhrkette kleine Aufmerksamkeiten hatten zuteil werden lassen. Eigentlich wäre der Aufwand gar nicht nötig gewesen bei der innern Unsicherheit der Herren vor einer ihnen fremden Abundanz. Das Aroma des Reichtums allein genügte, um sie zu betäuben. Sie hätten ganz von selbst funktioniert – auch ohne die mysteriös billigen Anzüge.

Es ist notwendig, hier ein paar offene Worte zu sagen, auf die Gefahr hin, von den Dummen mißverstanden, von den Böswilligen mißbraucht zu werden. Die Sozialisten haben mit den Würdenträgern, die sie in zehn Jahren Republik hier und anderswo Staat und Gemeinde beschert haben, zum Teil nicht sehr erhebend abgeschnitten. Black horses, über Nacht zu Rang und Einfluß gekommen, warfen sich mit dem unbändigen Appetit von Freigelassenen über den so plötzlich vor ihnen gedeckten Tisch des Lebens. In all den leidigen Affären von Sklarz bis Sklarek mußte auf den Zeugenbänken immer eine bunte Kollektion von sozialistischen Gratisessern Platz nehmen. Gewiß hatten es die Ersten, die vor zehn Jahren unvorbereitet in schwindelhafte Höhen stiegen, sehr schwer, denn sie standen mit dem Amt plötzlich in fremder sozialer Welt. Sie hatten nicht den Schliff alter bürgerlicher Kultur, andrerseits war das proletarische Bewußtsein, in tausend Versammlungen stolz verkündet, plötzlich wie weggewischt. Es war eine Übergangszeit, sie ist vorüber, und auch ihre Exponenten sind entbehrlich geworden. Viele unsrer Politikertypen sind schwer tragbar geworden, aber sie sind da und kleben, und Gott wird sie wohl zur Strafe über uns verhängt haben. Aber was wir absolut nicht mehr sehen möchten, das ist der vollgefressene Magistratssozi, der an der Tafel des reichen Mannes nicht wie ein netter leichter Glücksritter Fortuna zuprostet sondern die Demokratie segnet, die dem Tüchtigen freie Bahn schafft, und der sein Weinglas schwenkt wie mit einer gnädigen Gebärde gegen die Klasse, die er hinter sich gelassen hat, so als ob er sagen wollte: »Ich trinke für euch alle!« Was nützt so ein doppeltes Kalbslendenstück von Stadtvater denen, die er vertreten soll? Er manscht in den städtischen Gesellschaften herum, man grinst hinter seinem Rücken, aber er ist Herr Stadtrat Soundso, ein hohes Tier.

Hier soll keiner grauen Kopfhängerei das Wort geredet werden. Starke Naturen rechtfertigen einen ausladenden Lebensstil. Der schwelgende Danton war der Sohn eines epikuräischen Jahrhunderts, und wenn Ferdinand Lassalle wie ein Fürst auftrat, so war das nicht nur dieser Persönlichkeit angemessen sondern nobilitierte auch eine Sache, um die sich niemand gekümmert hatte. Um die armen magern Schultern einer von Hungermalen gezeichneten Klasse warf Lassalle in stolzem Faltenwurf den Mantel des großen Herrn. Aber die ungezählten Mittelmäßigkeiten –? Sie haben nicht viel Reiz aufzuweisen, sie sollen aber wenigstens ihr Amt treu erfüllen und die Würde ihrer Klasse nicht durch jährlich hundert Bankette schleifen. Jede junge Republik braucht etwas Puritanismus, und die junge Arbeiterbewegung, die heute überall in die Ratssäle der bürgerlichen Gesellschaft eindringt, muß für die Lebensformen der verdrängten Schicht schon ein Gran Verachtung mitbringen, wenn sie sich Respekt sichern will – nicht wahr? Was ist schon von einer Klasse zu fürchten, deren Vorkämpfer bei einem fetten Diner weich werden und ihre Prinzipien zu revidieren beginnen –?

Vielleicht hätte dieser ganze Skandal nicht die gefährliche Ausdehnung angenommen, wenn nicht allgemein das Gefühl vorherrschte, daß der Aufwand der Ära Böß nicht halbwegs den Leistungen entspricht. Der Vergleich mit den Schöpfungen der Gemeinde Wien kommt schon überhaupt nicht in Frage, nein, das Allereinfachste ist nicht geschehen, das Allerselbstverständlichste ganz und gar vernachlässigt worden. Die Stadtfinanzen sind verwahrlost, die städtische Bautätigkeit ist minimal und droht jetzt wegen leerer Kassen ganz zu versickern. Zwar zeigte Herr Böß in seinen Anfängen eine harte Hand, als es galt, die in der Kommune verbliebenen Reste der Revolution zu beseitigen. Zu seinen ersten Taten gehörte der Sturz des Stadtrats Horten, das war der Mann mit den Sozialisierungsplänen. Der andre Verschwörer gegen das Eigentum, Herr Doktor Adler, flüchtete darauf schreckerfüllt von der USP. nach dort, wo Sicherheit ist und das Mandat wie eine ewige Lampe glüht: ins Zentrum. Seitdem bedeutet die Amtszeit des Herrn Böß im Grunde nur ein in Permanenz erklärtes Pressefrühstück, Weltstadtklimbim, leere Repräsentanz, falsches Amerika. Es gab immer was zu feiern, immer was zu empfangen. Wie die Affäre verlaufen und welches Maß von Schuld im einzelnen auch festgestellt werden mag, der fleißige Festredner Böß ist unmöglich geworden. Ironie des Schicksals fügte es, daß ihn sein Unglück ereilte mitten in der Ausübung der einzigen Pflicht, die er schließlich wirklich ernst genommen hat: während einer Repräsentationstour von Jimmy Walker zum Goldenen Tor. Berlins Amerikataumel ist zu Ende, das Metropolisfieber hat ausgerast. Was bleibt, ist eine riesengroße Stadt in heillos zerrütteten Verhältnissen, die jetzt das Notwendigste in Ordnung bringen muß und nicht weiß, woher sie die Mittel nehmen soll. Vor der zerbröckelten Fassade sitzt der berliner Bär und leckt sich das zerschundene Fell.

Wirkliche Nutznießerin des Unglücks wird die Wirtschaftspartei sein nebst ähnlichen Gebilden, die von der Dummheit des verängstigten und ewig unter Steuerdruck ächzenden Kleinbürgertums leben. Die Serviette, mit der Herr Brolat sich den Mund gewischt hat, wird zur Sturmfahne der Käsehöckerparteien gegen den roten Magistrat werden. In diesem allgemeinen Wirbel verschwinden die Gestalten der unfreiwilligen Demiurgen, der drei Herren Sklarek. Die haben einstweilen den berühmten Verteidiger geheuert, der erst neulich den kleinen halbdunklen Herrn Stinnes in einen strahlenden jungen Sonnengott verwandelt hat. Keine Sorge, es wird ihm schon gelingen, aus den Sklareks, wenn nicht ehrbare Kaufleute, so doch trutzige Wikinger zu machen, die ihre Gebote aus eignem Sittengesetz schöpfen. Er wird den Enthusiasmus für diese Aufgabe, wie er kürzlich in seinem tiefbohrenden rechtsphilosophischen Referat auf dem Anwaltstag ausführte, dem Bewußtsein der stets akuten Spannung zwischen Sozialethik und Individualethik entnehmen, und diese beiden konträren Begriffe werden wahrscheinlich in den Taten seiner Klienten jubelnd Hochzeit feiern. Hoffentlich vergißt er nicht, die beträchtliche Verringerung der Spannung in seiner Rechnung entsprechend zu bewerten, so daß der Anwalt diesmal nicht nur – wie es sein natürlicher Anspruch ist – als Organ der Rechtspflege wirkt sondern auch als Organ der strafenden Gerechtigkeit, womit wieder eine gelegentlich akute Spannung ausgeglichen wäre.

Die Weltbühne, 15. Oktober 1929


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