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Am Hochlantsch klafft ein Felsenloch,
Die Heimstatt einstmals eines Drachen;
Das arme Thier, es mußte dort
Ein schönes Jungfräulein bewachen.
Schön Gilda war der Liebe Kind;
Die Mutter hielt, verhext, als Drache
Ob Gilda's Ehr' und Jungfernschaft
Bei Tag und Nacht gestrenge Wache.
Das Amt war gar kein Kinderspiel,
Amanten gab es viel und Freier,
Die zogen her von weit und breit
Und plagten sehr das Ungeheuer.
So kam auch Gottwald von der Straß'
Und stellte sich zum Drachenkriege,
Ein Junker flott und kühn und wild,
Der schon erfochten manche Siege.
Er drückte fest den Eisenschild,
Er schwang mit Macht und Kraft den Degen,
Und auf den Drachen niederbrach
Von Hieben schwer ein dichter Regen.
Der Lindwurm aber, auch nicht faul,
Bot Schach und Matt dem kühnen Junker,
Zerbrach sein Schwert und fraß es auf
Mit Stumpf und Stiel – 's half kein Geflunker.
Schon wollte er denselben Weg
Den armen Gottwald nachspediren
Und klappte weit den Rachen auf,
Da faßte ihn ein menschlich' Rühren.
»Ei merke wohl,« sprach er, »Du Fant,
Ich könnte Dir das Leben nehmen;
Doch schenk' ich Dir's, magst Du sogleich
Zu ernster Heirat Dich bequemen.
Ich hab's genug und bin es satt,
Schön Gilda's Unschuld zu bewachen,
So will zu ihrem Manne denn
Und Tugendschützer ich Dich machen.
Ich werfe ab mein Drachenkleid,
Kein Arg ist mehr an mir zu sehen.
Als Schwiegermutter werd' ich Dir
Mit Rath und That zur Seite stehen.«
Der Junker fügt sich bleich und stumm –
So schnödem Tode zu entrinnen,
Nähm' er noch Schlimm'res in den Kauf –
Und zieht als Ehemann von hinnen.
Der Drache ehrsam, sittiglich
Daneben als Matrone schreitet;
Doch überall, wohin sie zieh'n,
Die selt'ne Mär' sich bald verbreitet:
»Des Ritters Schwiegermutter ist
Kein Weib – ein menschgeword'ner Drache!
Sie keift und zankt, sie schimpft und brummt,
Das Brummen gar ist ihre Sache.«
Vorüber lange ist die Zeit
Der Märchen, Feen und edlen Ritter,
Wir haben keine Drachen mehr,
Doch gibt's – gottlob! – noch Schwiegermütter.