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II

Die Gäste des Hauses und Frau Wilhelmine saßen bereits bei Tische und hatten mit dem warmen Gericht begonnen, als der Jägermeister erschien, mit Augen, die noch rot vom Schlaf waren. Er hatte sein ernsthaftestes Gesicht aufgesetzt. Namentlich dem Bruder gegenüber war er feierlich zugeknöpft. Asmus sollte fühlen, daß er ihm eine Kränkung zugefügt hatte, die er nicht so leicht vergessen würde. Höflich, aber streng formell.

Nachdem er ein Glas Portwein zu der kalten Küche getrunken hatte, wurde er jedoch lebhafter, und beim Kaffee fing er an, Unsinn zu schwatzen.

Asmus hatte an der einen Seite das alte Fräulein Söholm, an der andern saß Jytte, aus der fast kein Wort herauszubekommen war.

Jytte hatte einen Widerwillen gegen ihren Vetter, seit sie ihn einmal in einer Zeitung, den bekannten Frauenarzt hatte nennen sehen. Sie konnte namentlich nicht den Anblick seiner Hände mit den schamlos kurzgeschnittenen Nägeln ertragen. Jetzt hatte sie außerdem ihn und die Mutter zusammen unten im Garten sitzen sehen und sogleich den Verdacht geschöpft, daß sie über sie und Dihmer sprachen.

Fräulein Söholm rührte während der ganzen Mahlzeit das Essen nicht an. Sie löste ein Pulver in einem Glas Wasser auf und sprach über den Tisch hinüber mit Frau Wilhelmine von den verschiedenen Badeorten, die sie besucht hatte, alles in der Hoffnung, sich dem Professor mit ihrer Krankheit interessant zu machen. Schließlich wandte sie sich an ihn selbst und fragte, was er von der neuen Petroleumkur halte.

»Ich habe nicht die Ehre, sie zu kennen,« antwortete er.

Aber nun wurde der Jägermeister boshaft. Um den Bruder in Verlegenheit zu setzen, behauptete er, daß er in wissenschaftlichen Zeitschriften von der Kur gelesen habe, und daß einige der ersten Autoritäten Europas auf medizinischem Gebiet sich mit der größten Anerkennung darüber geäußert hätten.

Die Augen des Professors sandten ihm einen geschärften Pfeil über den Tisch zu.

»Was für eine Kur ist das?« fragte Frau Berta, deren Interesse rege geworden war.

»Es war in diesem Frühling,« erklärte Fräulein Söholm. »Ich war auf der Heimkehr von meiner Kur in Schwalbach begriffen und reiste in einem Abteil mit einem jungen Ehepaar. Ich glaube, es waren Norweger, aber trotzdem wirklich nette und angenehme Menschen, alle beide. Wir kamen dann auf mein Leiden zu sprechen, und Herr Akselsen fragte mich – denn sie hießen Akselsen, dessen erinnere ich mich jetzt –, er fragte mich, ob ich die Petroleumkur versucht hätte. Er sei selbst kürzlich ganz schrecklich krank und von den Ärzten aufgegeben gewesen. Aber da habe einer seiner Freunde ihm den Rat gegeben, sechs Wochen lang täglich einen Viertelliter Petroleum zu trinken – zurzeit ein Likörglas voll –, und nun sei er vollkommen gesund und befände sich auf der Hochzeitsreise mit seiner Frau.«

Frau Wilhelmine, die merkte, wie sich Verlegenheit um den Tisch herum ausbreitete, beeilte sich zu sagen: »Du kannst mir glauben, Tantchen, der Herr hat dir was aufbinden wollen.«

»Mir was aufbinden? Ich hab doch Augen im Kopf! Und ich kann dir sagen, er war vollkommen gesund geworden, war ganz rotwangig und so munter und frisch, als wenn ihm nie etwas gefehlt hätte. Nee, das glaub ich nich, Wilhelmine! Aber einen Viertelliter täglich – das ist freilich eine Menge! Glauben Sie nicht auch, Herr Professor, daß man sich mit weniger begnügen kann?«

»Ich weiß es wirklich nicht; aber ich möchte Ihnen empfehlen, einen Tierarzt um Rat zu fragen.«

Die alte Dame wurde blutrot im Gesicht vor Wut und wollte etwas entgegnen, Frau Wilhelmine aber verhinderte das, indem sie sich erhob und »Gesegnete Mahlzeit« sagte.

Unter allgemeiner Verstimmtheit ging die Gesellschaft in den Garten hinab. –

Am Nachmittag, als der Professor abgereist war, kam ein Reiter auf den Hof geritten. Es war ein jüngerer Herr mit einem kleinen gestutzten Schnurrbart, steifem Hut, strammem Figurrock und lehmfarbenen Beinkleidern. Er hielt vor der Freitreppe, die Hand in die Seite gestemmt, bis sich schließlich ein Stallknecht blicken ließ. Als er erfuhr, daß sich die Damen im Garten aufhielten, begab er sich da hinaus, ohne sich melden zu lassen.

Die vier Damen saßen unter den Kastanien bei einer Tasse Tee.

Als Jytte den elegant gekleideten Herrn mit der Reitpeitsche in der Hand kommen sah, schweifte ihr Blick ganz unwillkürlich zu Frau Wilhelmine hinüber. Und obwohl das Gesicht der Schwägerin nicht die allergeringste Gemütsbewegung verriet, sagte sie sich: »Hier haben wir den Liebhaber!«

»Herr Waldtaxator Frandsen,« stellte Frau Wilhelmine vor. Herr Frandsen verneigte sich korrekt, indem er die Hacken zusammenschlug. Er hatte ein ganz schönes, aber fades, Gesicht und ein verlegen-zierliches Wesen.

Der Jägermeister, der sich nach seines Bruders Abreist zurückgezogen hatte, »um im Laboratorium zu arbeiten«, lag in diesem Augenblick ausgestreckt auf dem Sofa in seinem Zimmer, mit einer Schlummerdecke zugedeckt, und schlief fest. Ein Fenster stand nach dem Garten hinaus auf, wo eine Schar Krähen Generalversammlung abhielt, ohne daß er sich dadurch in seinen Studien hätte stören lassen.

Der Klang der Stimme des fremden Herrn weckte ihn dahingegen augenblicklich. Er warf die Decke von sich, richtete sich auf und starrte mit weit aufgerissenen, schlafroten Augen in die Luft hinaus.

»Frandsen!« flüsterte er vor sich hin.

Als er nach einer Weile vor dem Pfeilerspiegel stand, um seine Kleidung zu ordnen, ermahnte er sich selbst zur Ruhe. Er band seinen Schlips, der aufgegangen war, zog mit einem Taschenkamm den Scheitel seiner dünnen Haare, die ebenfalls in Unordnung geraten waren, nach und gelobte sich selbst, vollkommen beherrscht zu sein. Selbst Wilhelmine sollte ihm nichts anmerken können.

Was ihn fast am meisten empörte, war, daß er selbst Frandsen an Graf Rabenfeldt empfohlen hatte, als dieser einmal im Winter davon geredet hatte, daß er seine Wälder taxieren lassen wolle. Jetzt erntete er den Lohn für seinen Freundschaftsdienst! Aber das war die alte Geschichte. Undankbarkeit war überhaupt der Lohn, den ihm die Welt bisher gespendet hatte.

Eine frisch angezündete Zigarre im Munde, kam er nach einer Weile, in seinem weißen Laboratoriumskittel die Verandatreppe herunter.

»Ei, ei – Frandsen! Du hier!... Und im Reitanzug! Hat dir Rabenfeldt wieder ein Pferd geliehen?«

Herr Frandsen wurde dunkelrot bis an den Hutrand und antwortete verwirrt: »Geliehen? Du weißt doch sehr wohl, das ich mir ausdrücklich ein Reitpferd ausbedungen habe, solang ich mich auf Rabenseje aufhalte.«

»Mußt du zu einer bestimmten Zeit mit dem Pferd zurück sein?«

Der Freund strich den Schnurrbart mit zwei Fingerspitzen während er sich vor Wut in die Lippe biß. Plötzlich aber kam ihm ein lichter Gedanke.

»Ich glaube, das Kindermädchen kommt und holt mich ab, sagte er.

Sowohl Frau Wilhelmine als auch Fräulein Söholm lachte herzlich über seine schlagfertige Entgegnung. Fräulein Söholm gurrte förmlich vor Wonne.

Dem Jägermeister war das Blut zu Kopf gestiegen. Aber aus Angst, sich zu verraten und sich lächerlich zu machen, beschloß er, mit den andern zu lachen.

»Bravo, Frandsen!« sagte er anerkennend.

Herr Frandsen, der selbst erstaunt über seinen Witz war, dankte geschmeichelt mit einer tiefen Verbeugung für den Beifall.

»Wir sprachen gerade davon, daß wir das schöne Wetter zu einem Ausflug benutzen wollten, John,« sagte Frau Berta »Wilhelmine hat eine Fahrt nach Follebro vorgeschlagen, um die Ausgrabungen zu besichtigen, von denen in der Zeitung gestanden hat. Herr Frandsen weiß, wo es ist, und erbietet sich unser Führer zu sein.«

»Du denkst wohl nicht daran, daß der Landauer mit meinem Bruder in Odense ist,« sagte der Jägermeister zu seiner Frau.

»Und der Kremser ist leider beim Schmied.«

»Ist der noch da? ... Dann können wir ja den Jagdwagen nehmen.«

»Da ist nur Platz für vier.«

»Das ist auch genug, wenn du selbst fährst. Ich ziehe doch vor zu reiten.«

»Das kannst du nicht.«

»Warum denn nicht?«

»Du weißt doch, daß ›Kora‹ lahmt.«

»Mein Gott, dann nehme ich das rote Kutschpferd, das habe ich schon früher geritten. Mach doch nicht so viel Aufhebens!«

»Was meinst du, Tante Berta? Glaubst du wirklich, daß die Ausgrabungen das geringste Interesse haben?«

»Das weiß ich nicht. Aber der Vorschlag, eine Ausfahrt zu machen, sagt mir auf alle Fälle zu. Es ist so hübsch bei Follebro.«

Der Jägermeister hatte die Augen zu Boden geschlagen. So stand er eine kleine Weile, dann wandte er sich um und kehrte in seine Stube zurück, um im Stall Bescheid zu sagen.

Bald darauf brachen die Damen auf, um sich fertigzumachen.

Als Frau Wilhelmine in ihr Schlafzimmer kam, stand ihr Mann dort. Sein Aussehen erschreckte sie. Die Hände auf dem Rücken, kam er auf sie zu und drängte sie mit seinem Blick bis an die Wand. Schließlich rief sie voller Angst: »Was willst du von mir? Hier drinnen hast du nichts zu schaffen!«

»Du willst mit Frandsen zusammen reiten?« sagte er. »Gut! ... Aber wenn du dich mehr als zehn Schritt vom Wagen entfernst, wirst du noch heute abend mit dieser hier vom Hof heruntergejagt!«

Er erhob eine zusammengerollte Hundepeitsche, die er auf dem Rücken verborgen gehalten hatte, in die Höhe.

»Bist du verrückt? Bist du von Sinnen? Willst du augenblicklich hinausgehen? Sonst klingele ich nach den Mädchen.«

»Das würde zur Folge haben, daß du sofort zum Tor hinauskommst. Ich hoffe, du verstehst jetzt, daß es diesmal Ernst ist!«

Er ging in sein Zimmer. Frau Wilhelmine stürzte auf die Tür zu, die sie verschloß. – »Du Lump!« schleuderte sie ihm nach und brach in ein lautes, dirnenhaftes Gelächter aus.

Der Jägermeister fuhr zusammen.

Eine plötzliche Angst befiel ihn und machte ihn unschlüssig.

Amüsierte sie sich wirklich über ihn? Fand sie ihn komisch? ... Plötzlich beantwortete er das Lachen mit einem Pfeifen. Mitten in seiner Erregung und wahnsinnigen Verliebtheit ging er im Schlafzimmer umher und pfiff, so laut er konnte, die Melodie zu: »Da haben wir sie ja, die alte Wachtparade!«

Eine Viertelstunde später befanden sich das Ehepaar und die Gäste auf dem Wege nach Follebro.


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