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Am folgenden Vormittag saßen Frau Berta und Jytte allein unter den Kastanien im Garten. Sie hatten sich wegen der Unruhe im Hause schon so früh hierher zurückgezogen. Es war ein unaufhörliches Kommen und Gehen von Leuten, die mit Enslev sprechen wollten. Auch Balduin Hansen war dagewesen. Er war mit marmorbleichem Gesicht und einem verstörten Ausdruck aus dem Empfangszimmer herausgekommen. Zu diesem Augenblick waren der Vorsitzende des Wahlvereins und einige andere Vorstandsmitglieder da drinnen versammelt, um eine Entscheidung über Müller Jensens Nachfolger zu treffen.
Frau Berta hatte ein Strickzeug mitgenommen, um ihr Gemüt zu beruhigen. Es hatte am vorhergehenden Abend etwas Grimmiges in Enslevs Blick gelegen. Was hatte er vor? Sie kannte den Ausdruck aus alten Zeiten, wenn er Widerwärtigkeiten gehabt hatte. »Enslev ist blutdürstig,« pflegte ihr Mann zu sagen. Seine Rede am vorhergehenden Tage fand sie auch sonderbar unüberlegt. Sie begriff nicht, was für einen Zweck er mit dieser groben Herausforderung haben konnte.
»Glaubst du, daß John Reichstagsabgeordneter wird?« fragte Jytte, die auch eine Handarbeit mitgenommen hatte.
»Nein, das kann ich nicht glauben. Das will ich nicht glauben.«
»Dann glaube ich es doch für uns beide. Wilhelmine hat ja heute auch eine Miene aufgesetzt, als wenn John bereits Minister wäre. Du sollst sehen, liebste Mutter, du bleibst nicht die letzte Geheimrätin in der Familie.«
»Ach Unsinn! Das kann Enslev doch nicht tun. Nein, ich habe eine Ahnung, daß eher Pastor Gaardbo den Sieg davontragen wird.«
»Pastor Gaardbo? Wie kommst du nur darauf? Es ist ja noch nicht einmal abgemacht, daß er sich aufstellen lassen will!«
»Das wird er schon tun. Nach dem, was sich gestern zugetragen hat, muß er es beinahe tun, finde ich. Aber das geschieht nicht mit Enslevs gutem Willen.«
»Wie kann er dann da gewählt werden?«
»Ich denke mir, er wird sich selbst helfen. Er zeigte sich ja auf der Versammlung als ein furchtloser Mann.«
»Aber er hatte doch gar keinen Erfolg.«
»Wer hat das gesagt?«
»John sagte, die Leute hätten ihn schließlich nicht mehr anhören wollen. Es wurde ja fast ein Skandal.«
»Unsinn! Freilich waren da einige Spektakelmacher, aber das läßt sich bei dergleichen Versammlungen nicht vermeiden. Pastor Gaardbo sprach sowohl schön als auch kräftig, fand ich. Und das war gewiß die allgemeine Ansicht.«
Jytte, die aufgesehen hatte, beugte sich wieder über ihre Stickerei und errötete leicht. So sehr ihr Pastor Gaardbo zuzeiten zuwider war – und sie konnte ihn in einzelnen Augenblicken beinahe hassen –, war sie der Mutter doch dankbar für die Worte. Sie ärgerte sich jetzt nur darüber, daß sie sofort den boshaften Verleumdungen des Vetters über ihn geglaubt, was sie auch ein paar Stunden ihres nächtlichen Schlafes gekostet hatte. Es war ihr so töricht nahegegangen, daß er eine Niederlage erlitten hatte.
Um nun nicht mehr zu hören, rollte sie ihre Arbeit zusammen und ging ins Haus.
Auf dem Wege dorthin begegnete sie Enslev. Er stand auf der Verandatreppe und sah so wütend aus, daß sie ihn am liebsten gemieden hätte, so gute Freunde sie sonst auch waren. Aber als er sie gewahrte, erhellte sich sein Gesicht ein wenig. Er zog die dunklen, buschigen Brauen in die Höhe und streckte die Hand aus.
»Du ewig flüchtende Diana!... Dich Hab ich fast noch gar nicht gesehen. Willst du dafür sorgen, daß du beim Frühstück einen Platz neben mir bekommst! Dann sollst du mir beichten!«
»Eine so große Ehre wird mir wohl kaum zuteil werden.«
»Es ist ein Befehl – verstehst du! Ich will hören, was für Schelmenstreiche du begangen hast, seit wir uns zuletzt sahen. – Wo ist deine Mutter?«
»Sie sitzt dort.«
»Gut. Also auf Wiedersehen!«
Er kam mit einiger Mühe die Treppe hinab. Jytte wagte nicht, ihm Hilfe anzubieten. Nichts ärgerte den alten Mann mehr, als wenn die Leute sich merken ließen, daß sie an sein Alter oder an seinen schwachen Fuß dachten.
»Also da sitzt die Frau Justitia und strickt! Das ist eine Beschäftigung, um die ich die Frauen oft beneidet habe. Ich habe einmal eine alte Dame gekannt, die behauptete, daß es kein Glückseligkeitsgefühl gebe, was man sich nicht erstricken könne. Der Strickstrumpf war ihr Universalmittel. Zu dem nahm sie ihre Zuflucht bei allen Sorgen und Kümmernissen, so wie andere zu Andachtsbüchern oder beruhigenden Pulvern. Können Sie mich die Kunst nicht lehren?«
»Ich glaubte, Ihr Landsitz, Ihr Garten, Ihre Hühner und Enten täten denselben Nutzen! Als ich das letztemal mit Ihnen sprach, erzählten Sie mir, daß Sie jetzt ganz und gar Landmann geworden seien, Sie hätten Ihren eigentlichen Lebenszweck gefunden, Sie interessierten sich nur für Viehrassen, Hühnerfutter, Obstzucht und dergleichen, und ich würde Sie nie wieder auf einer Rednertribüne erblicken.«
Enslev stand da, den Stock vor sich, und betrachtete sie mit einem lauernden Blick unter den gesenkten Brauen.
»Finden Sie, daß die Zeit danach angetan ist, sich aufs Altenteil zurückzuziehen? ... Ich glaubte das freilich selbst. Ich bildete mir ein, die Zukunft sei so ziemlich gesichert. Ich meinte ja auch, ich hätte verdient, meine letzten Jahre für mich selbst zu haben. Aber es ging so, wie das alte Sprichwort sagt: Wenn die Katze nicht zu Hause ist usw... Wenn Sie mir Fredsholm für einen annehmbaren Preis abkaufen wollen, können wir den Handel sofort abschließen.«
»Das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein, Enslev?«
»Freilich. Das Ganze war ein Mißverständnis. Wir Kinder vom Lande bewahren allesamt in unserm innersten Herzen einen Schäfertraum, unsere Tage in einem friedlichen Kohlgarten, mit Holzschuhen an den Füßen und einer Gießkanne in der Hand, zu beschließen. Und dann ergeht es uns in der Regel wie den Auswanderern, die nach einem langen, in Heimweh verbrachten Leben in ihr Vaterland zurückkehren und sich dort rettungslos fremd fühlen!«
Er sprach weiter über die Schläfrigkeit des Landlebens, über den Basilisk der Langenweile, der sich in den langen Winterabenden einem gegenüber setzte und gähnte wie ein Flußpferd. Als Frau Berta einwandte, daß man sich die Zeit doch immer mit Lektüre vertreiben könne, widersprach er und antwortete, für einen Menschen, der gewohnt gewesen, seine Lebenskraft in Handlung umzusetzen, seien Bücher die denkbar schlechteste Gesellschaft.
»Geben Sie einem Kriegsinvaliden die Geschichte der Schlachtfelder zu lesen! Er wird bald das Buch wegwerfen aus Arger darüber, in einem Krankenstuhl sitzen zu müssen und von den Heidentaten anderer zu lesen. Da zieht er es doch vor, sich mit einer Spachtel Zinnsoldaten zu unterhalten.«
Sein bitterer Ton veranlaßte Frau Berta, zu fragen, ob das Ergebnis der Verhandlungen mit den Vertrauensmännern des Wahlvereins nicht nach Wunsch ausgefallen sei.
»Es liegt noch gar kein Ergebnis vor. Wir wollen die Verhandlungen in zwei Stunden wiederaufnehmen, aber ich zweifle fast daran, daß es mir gelingen wird, eine Einigung zuwege zu bringen. Hier wie überall im Lande heulen die Eulen. Balduin Hansen hat sich übrigens mit lobenswerter Resignation erboten, sich zugunsten eines neutralen Dritten, über den sich beide Teile einigen können, zurückzuziehen. Aber die Herren von der Pfarrerpartei wollen offenbar ihren Krieg durchführen. Ich habe den bestimmtesten Eindruck, daß auf eine Sprengung hingearbeitet wird.«
»Die Pfarrerpartei?« sagte Frau Berta. »Wollen Sie mir nicht sagen, Enslev, warum Sie Ihren Neffen uns gegenüber niemals erwähnt haben? Ich glaube Sie so zu verstehen, daß Sie auch jetzt Pastor Gaardbo nicht als Verwandten anerkennen wollen.«
»Habe ich etwa nicht allen Grund dazu? ... Aber darüber wollen wir nicht reden. Ich kam, um Ihnen einen kleinen Spaziergang durch den Garten vorzuschlagen. Ich habe zehn Minuten zur Verfügung. Lassen Sie sich überreden?«
»Ja, sehr leicht,« sagte sie und rollte schnell ihr Strickzeug zusammen.
In Enslevs Haltung Frau Berta gegenüber waren Überreste der Galanterie, die aus der frühesten Zeit ihrer Bekanntschaft stammten, als sie und ihr Mann noch drüben in der Amtsrichterwohnung auf Samsö saßen. Enslev war zu einer Volksversammlung da hinüber gekommen, und in Wirklichkeit war es mehr die Schönheit der jungen Frau als die politische Tüchtigkeit des Mannes, die ihn veranlaßte, sich für die Wahl des Amtsrichters in den Reichstag und die Übersiedelung der Familie nach Kopenhagen zu interessieren. Zum Glück für ihre Freundschaft hatte Frau Berta das jedoch niemals begriffen. Mit der frischen Unmittelbarkeit ihres Wesens hatte sie seine Courmacherei hingenommen, ohne ihn ernstlich in Verdacht zu haben, zumal er schon damals kein Jüngling mehr war. Daher war sie jetzt auch eine der wenigen Damen, für die er eine wirkliche Achtung empfand. Wenn er sie Frau Justitia nannte, geschah das nicht nur, wie die Leute glaubten, weil ihr Mann einer seiner Justizminister gewesen war. Es war die Huldigung eines Menschen, der bei aller seiner tyrannischen Willenskraft viel Weibisches in seiner Natur hatte, der eine geheime Schwäche für alles empfand, was er nicht hatte bezwingen können, wohingegen er seine Werkzeuge gering schätzte.
Sie sprachen ein wenig von dem Waldfest, auch von Mads Vestrups Auftreten, das einen recht starken Eindruck auf Frau Berta gemacht hatte.
»Ja, den Mann kann man vielleicht gebrauchen,« sagte Enslev und begann wieder von der Wahl zu reden.
»Die Verhältnisse hier im Kreise sind typisch. Vor nur drei, vier Jahren würde Balduin Hansens Kandidatur etwas Selbstverständliches gewesen sein. So, wie die Sachen jetzt liegen, sehe ich sie völlig hoffnungslos an. Und wissen Sie, wer ihm entgegenarbeitet? Tyrstrup. Ich weiß das ganz bestimmt. Er wünscht, daß der Pfarrer gewählt wird. Balduin Hansen soll einmal einen Zusammenstoß mit seinen geistlichen Vorgesetzten gehabt haben, und diese alte Angelegenheit hat die Pfarrerparte ausgegraben, um sie bei der Wahlagitation gegen ihn zu benutzen. Darum will Tyrstrup ihn nicht haben. Das ist bezeichnend für den Mann! Das ist der neue Kurs, nach dem man sich richten muß!... Aber ich bin mir lange klar darüber gewesen. Ich sehe auch, wo das alles hinaus will! Die Freiheitsfreude ist bei einem Volk wie dem dänischen ein Sonntagsgefühl, das sich zur Not bis zum Montag halten kann. Schon am Dienstag fangen die meisten an, sich nach der Zucht und dem Zwang und der Demütigung zurückzusehnen. Ich muß oft daran denken, was ich von lebenslänglichen Gefangenen gehört habe, die als alte Leute aus dem Gefängnis entlassen werden. Sie tragen den ganzen Überrest ihres Lebens eine heimliche Sehnsucht nach der Zelle und den Handeisen mit sich herum.«
»Wollen Sie mir aufrichtig sagen, Enslev, ist es Ihre Absicht, zu versuchen, meinen Neffen an Balduin Hansens Stelle wählen zu lassen?«
»Ihn oder einen andern völlig zuverlässigen Mann, dessen Wahl sich durchsetzen läßt. Aus Balduin Hansen habe ich mir selbst, offen gestanden, nicht sonderlich viel gemacht. Er ist so voll von weitläufigen Ideen und hat so viele Sonderinteressen. Und ich lege keinen Wert auf Politiker mit Sonderinteressen.«
»Aber ich begreife nicht, daß Sie daran denken, daß mein Neffe gewählt werden könnte. Ich glaube nicht, daß die allergeringste Stimmung für ihn vorhanden ist.«
»Die Stimmung kann während der Wahlkampagne kommen. Das ist eine Erfahrung, die Sie selber seinerzeit gemacht haben müssen. Ich habe in Redakteur Danielsen bei ›Fyns Venstre‹ einen sehr brauchbaren Mann. Außerdem hat Balduin Hansen der guten Sache halber aus alter Freundschaft für mich versprochen, für die Wahl des Jägermeisters zu arbeiten. Die aufgewärmte Redensart von der ›Hydra des Anarchismus‹, die wahrscheinlich Tyrstrups großer Wahltrumpf sein wird, kann ja auch nicht sonderlich wirkungsvoll werden als abschreckendes Bild, wenn sie auf einen Gutsbesitzer und Jägermeister angewendet werden soll.«
»Ja, ja,« sagte Frau Berta. »Sie haben wohl schon Ihre Pläne in bezug auf die Sache, und darüber schweigen Sie. Aber wissen Sie, daß die ökonomischen Verhältnisse meines Neffen alles andere als gut sind?«
»Er hat ja einen reichen Schwiegervater.«
»Ach – der! Die Hilfe, die von der Seite kommt, fürchte ich fast mehr als alles andere. – – Enslev!« sagte sie, als er nichts erwiderte, »ich entsinne mich, daß Sie sich einmal den Vormund der Toren nannten. Seien Sie das auch in diesem Fall! Mein leichtsinniger Neffe hat schon ohnedem eine hinreichend hohe Meinung von sich. Das Reichstagsleben, fürchte ich, wird ihn noch tiefer ins Unglück hineinführen.«
Enslev machte eine ungeduldige Bewegung mit dem Kopf und wollte sich nicht auf die Sache einlassen. Die Privatangelegenheiten der Leute interessierten ihn nicht. Er hatte seine Entscheidung einzig und allein von der Betrachtung aus getroffen, daß der Jägermeister in der gegebenen Sachlage derjenige war, der die vielen neutralen Stimmen des Kreises am besten einen konnte, und der außerdem durch seinen bloßen Namen und seine soziale Stellung Aufmerksamkeit im ganzes Lande erregen würde. Sie hatten jetzt einen Rundgang um den großen Rasenplatz hinten im Garten beendet. Enslev fühlte sich müde, und sie nahmen Platz auf einer Bank.
»Sie sprachen vorhin über meine Absichten. Damit beschäftigt sich ja zurzeit alle Welt. Als könnte ich andere Ziele haben als die, zu denen ich mich immer bekannt habe! Merkwürdigerweise fragt man nicht danach, was Tyrstrup damit beabsichtigt, wenn er sich hinter dem Rücken der Partei mit dem unzuverlässigsten aller Bundesgenossen alliiert. Wie geht das zu? Ich will es Ihnen sagen. Er geht die geheimen Botengänge des Volkes. Er bereitet den Schritt vor, den zu tun sich verschiedene noch sträuben – den Gänsemarsch nach Kanossa. Er versteht es gewiß selbst nicht. Er fabelt davon, ein tausendjähriges Reich der Jovialität zu gründen, in dem die Menschen, der eine am Halse des andern hängend, umhergehen. Aber es ist keine Beruhigung für mich, daß er selbst an seine schlechten und verräterischen Helfer glaubt. Mit seiner erstaunlichen Sorglosigkeit redet er davon, daß ich am hellen Tage Gespenster sehe. Und das ists auch gerade, was ich tue! Die Henker, die wir vor einem Menschenalter knebelten, die leben jetzt in Söhnen und Enkeln wieder auf und lauern auf Rache. Weil Tyrstrup es nicht sieht – soll ich mich da blind machen? Soll ich gleichgültig zusehen, wie die mühsam errungenen Ergebnisse des Kampfes zweier Generationen wieder so leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden?«
»Die Ergebnisse?« sagte Frau Berta nach einer Pause. »Sind sie es nicht gerade, die abschreckend wirken?«
»Was meinen Sie damit?«
»Ach – ich finde oft selbst, daß das Ganze hoffnungslos aussieht. Es ist ja alles so ganz anders geworden, als wir einmal glaubten.«
Enslev hatte sich mit einem scharfen Blick nach ihr umgewandt. Er hielt seine beiden Adlerklauen um den Griff des Stockes gepreßt. So saß er lange, ohne etwas zu sagen, während sich eine tiefe Finsternis über sein Gesicht legte.
»Wir Menschen haben ein kurzes Gedächtnis. Die Vergangenheit liegt für uns immer in einer falschen Beleuchtung. Daher verkennen wir den Augenblick. – Es kann vielleicht für den einzelnen ein Glück sein, daß es uns so leicht wird, entschwundene Leiden zu vergessen und Entbehrungen zu verleugnen, wenn sie erst gestillt sind. Für die Gesellschaft, für die Menschheit ist das ein großes Unglück. Ein Politiker hat daher in erster Linie die Aufgabe, das stets wache Gedächtnis seines Volkes zu sein, und in diesem Punkt versündigt sich Tyrstrup am allermeisten. Die Jugend unserer Zeit hat die Freiheit als Wiegengabe erhalten. Aus dem Grunde erscheint sie ihnen als etwas Selbstverständliches und Unverlierbares. Sie begreifen nicht einmal, daß da etwas zu bewachen sein kann. Und in einem solchen Augenblick schmuggelt Tyrstrup einen talarbekleideten Verräter nach dem andern in repräsentative Stellungen hinein. Er liefert unserm ärgsten Feind Waffen aus! ... Sollte ich mir in meinem politischen Leben irgendwelche Vorwürfe machen, so wäre es in erster Linie darüber, daß ich nicht viel früher die Notwendigkeit eines entscheidenden Vorgehens gegen die Kirche eingesehen habe. Ich tröstete mich damit, daß es uns gelingen würde, die unersättlichen Schmarotzer, die an der Kraft des Volkes gezehrt und seit Jahrtausenden sein Leben verdunkelt haben, gründlich auszuhungern. Wir fühlen uns ja alle miteinander beruhigt, wenn wir sahen, wie der lange Bandwurm allmählich selbst einige abgestorbene Glieder von sich gab. Wir bildeten uns ein, daß das Ungeheuer jetzt in seinen letzten Kampfzuckungen liege, und dann bedeutete das nur, daß eine neue Brut in der Finsternis gezeugt war. Wir bekommen keinen Frieden, ehe wir nicht den Kopf der Schlange zertreten. Will Tyrstrup mich auch diesmal nicht verstehen, so müssen wir miteinander kämpfen!«
Frau Berta legte flehend die Hand auf seinen Arm.
»Enslev! Sie haben in Ihrem Leben so viele strahlende Siege errungen, deren man sich mit Dankbarkeit erinnern wird, solange Dänemark steht. Warum wollen Sie einen neuen, endlosen Streit beginnen und sich der Gefahr aussetzen, Ihre erste Niederlage zu erleben? Bedenken Sie, daß Sie nicht mehr jung sind!«
Er hatte sich ihr wieder zugewandt.
»Sie trösten gut!« sagte er mit einem verbitterten Blick.
Und plötzlich erhob er sich und ging ohne Gruß von dannen.