Arthur Schnitzler
Therese
Arthur Schnitzler

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Sie hielten ihr Glück geheim. Niemand in der Stadt wußte, daß Therese Abend für Abend über die dämmerige Treppe in die Wohnung des Leutnants schlich, 54 niemand sah sie ein paar Stunden darauf das Haus wieder verlassen; und wer sie etwa gesehen, erkannte die Verschleierte nicht. Auch die Mutter, in ihre Arbeit völlig eingesponnen, merkte nichts oder wollte nichts merken. Frau Fabiani war von einem großen illustrierten Journal in Deutschland aufgefordert worden, einen Roman zu liefern, was sie Theresen mit stolzer Genugtuung mitteilte, und saß nun ganze Tage und halbe Nächte lang unablässig schreibend hinter versperrter Türe. Die Sorge um die bescheidene, jetzt wieder fast ärmliche Wirtschaft blieb Theresen allein überlassen; doch Mutter und Tochter legten zu dieser Zeit auf die Befriedigung äußerlicher Bedürfnisse noch weniger Wert als sonst.

Von Alfred kamen indes Tag für Tag Briefe voll Zärtlichkeit und Leidenschaft, die Therese auch ihrerseits viel zärtlicher und leidenschaftlicher beantwortete, als sie früher überhaupt fähig gewesen wäre. Sie war sich dabei keiner Lüge bewußt, denn sie liebte Alfred um nichts weniger als vorher, ja, manchmal wollte ihr scheinen, mehr als zur Zeit, da er ihr noch nahe gewesen war. Die Worte, die zwischen ihnen brieflich hin und her gingen, hatten mit dem, was Therese zu gleicher Zeit wirklich erlebte, so gar nichts zu tun, daß sie sich sowohl dem einen als dem anderen Liebenden gegenüber von jeder Schuld frei fühlte.

Im übrigen ließ Therese ihre Tage nicht ungenützt verstreichen und bildete sich, ihrer Zukunftspläne keineswegs vergessend, weiter im Französischen, im Englischen und im Klavierspiel aus. Abends besuchte sie öfters auf Karten, die ihr Max zu schenken pflegte, das Theater, meist in Gesellschaft ihrer Mutter, 55 die sich um die Herkunft der Billetts nicht kümmerte. Max nahm an solchen Abenden gewöhnlich seinen Platz in der ersten Reihe ein, und getreu der getroffenen Abmachung sandte er Theresen, die mit der Mutter weiter rückwärts zu sitzen pflegte, nicht einmal einen Gruß. Nur manchmal lächelte er mit halbgeschlossenen Spitzbubenaugen über sie hin, und sie wußte, daß dieses Lächeln eine Erinnerung an den vorigen oder ein Versprechen für den nächsten Abend zu bedeuten hatte.

Für Therese waren diese Theaterbesuche eine willkommene Zerstreuung, für die Mutter eine Quelle von Anregungen und Erregungen der verschiedensten Art. Es geschah ihr nicht nur, daß sie in den vorgeführten Dramen zufällige Ähnlichkeiten mit eigenen Erlebnissen oder solchen, die sich in ihrer Nähe zugetragen, zu erkennen glaubte; sie entdeckte auch offenbare Anspielungen, die der ihr vollkommen unbekannte oder auch schon verstorbene Autor in sein Werk hatte einfließen lassen oder die vielleicht sogar von der Theaterdirektion mit Rücksicht auf die berühmte Romanschriftstellerin eingefügt worden waren; und sie verfehlte nicht, bei solcher Gelegenheit die neben ihr sitzende Therese durch verständnisheischende Blicke auf solche merkwürdige Zufälle, die es für sie keineswegs waren, aufmerksam zu machen.

Der Graf Benkheim hatte seine Besuche im Hause Fabiani indes vollkommen eingestellt. Es fiel Theresen nicht weiter auf, und sie erinnerte sich seiner erst wieder, als sie ihn eines Abends in der Proszeniumsloge mit einer Dame erblickte, die ihr tags zuvor in einer französischen Posse nicht so sehr durch schauspielerisches Talent als durch die Extravaganz der Toilette aufgefallen war. 56


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