Arthur Schnitzler
Therese
Arthur Schnitzler

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Wenige Tage später erkrankte Franz unter schweren Allgemeinerscheinungen. Der Arzt stellte Gehirnhautentzündung fest, und beim dritten Besuch schien er den Kranken aufgeben zu wollen. Therese sandte mit einem flehentlichen Brief nach ihrem Bruder. Dieser kam, schüttelte bedenklich den Kopf und verordnete innere und äußere Mittel, die tatsächlich die Gewalt der Krankheit schon nach wenigen Stunden zu brechen schienen. Er kam an den folgenden Tagen wieder, und bald war Franz außer Gefahr. Karl verbat sich jeden Dank. Und nun war es für Therese überraschend und wunderbar, wie Franz sich in dieser Zeit allmählichen Gesundwerdens zu verändern schien. Wenn Therese an seinem Bette saß, hielt er gern ihre Hand in der seinen, sie empfand den Druck seiner Finger wie eine Bitte um Verzeihung und wie ein Versprechen. Zuweilen las sie ihm vor. Mit dankbaren, ja, kindlichen Blicken hörte er zu. Es schien ihr, als wenn er für mancherlei Gegenstände, insbesondere für Geschichten aus dem Tierleben, für Reisen und Entdeckungen, ein gewisses Interesse erkennen ließe, und sie nahm sich vor, sobald als möglich ernsthaft mit ihm über die Zukunft zu reden. Sie träumte sogar davon, daß er das Studium fortsetzen, daß er vielleicht Lehrer oder gar Doktor werden könnte. Aber noch getraute sie sich nicht, ihm von solchen Plänen mehr zu sagen.

274 Doch die Täuschung dauerte nicht lang, und sie wußte bald, daß sie sich Franzens Wandlung im Grunde nur hatte einbilden wollen. Je entschiedener Franz sich erholte, um so rascher wandelte er sich wieder in den, der er früher gewesen war. Der kindlich-dankbare Blick seiner Augen verschwand, seine Sprache nahm den Tonfall, seine Stimme den Klang wieder an, wie ihn Therese aus der Zeit vor seiner Krankheit allzu gut kannte. Anfangs tat er sich noch einigen Zwang an; er gab der Mutter immerhin noch Antworten, doch wurden sie immer ungeduldiger, unwirscher und roher. Kaum durfte er das Bett verlassen, so war er auch nicht mehr im Hause zu halten. Und bald kam eine Nacht, und es blieb nicht die letzte, in der Franz erst gegen Morgen nach Hause kam.

Therese fragte nicht mehr, sie ließ alles geschehen, sie war müde. Es gab Stunden, in denen sie sich ohne jeden Schmerz mit ihrem Leben am Ende fühlte. Sie war kaum dreiunddreißig Jahre alt, doch wenn sie in den Spiegel sah, besonders des Morgens gleich nach dem Erwachen, fühlte sie, daß sie um Jahre älter aussah, als sie war. Solange ihre tiefe Mattigkeit andauerte, nahm sie das ruhig hin. Doch als der Frühling wieder kam und sie sich frischer werden fühlte, lehnte sie sich auf, ohne recht zu wissen, gegen was. Die Lektionen begannen ihr eine peinigende Langeweile zu verursachen. Es kam vor, daß sie ihren Schülerinnen gegenüber, was bisher niemals geschehen war, Ungeduld, ja Unfreundlichkeit zeigte. Sie fühlte sich einsam, doch war ihr niemals schlimmer zumute, als wenn Franz daheim war, was sie zugleich wieder als ein Unrecht gegen ihn empfand. Am liebsten hätte sie mit Sylvie 275 gesprochen, die aber ihre Stellung gewechselt, bei einer Familie auf dem Lande und unerreichbar war. So besuchte sie öfters, um sich von dem manchmal unerträglichen Gefühl der Verlassenheit zu befreien, das Haus ihres Bruders, was, wie sie selbst merkte, von diesem nicht ohne Verwunderung, jedenfalls aber ohne Freude aufgenommen wurde. Um so herzlicher kam ihr die Schwägerin entgegen, die nun das zweite Kind erwartete. Ein und das andere Mal sprach sich Therese ihr gegenüber aus, beichtete ihr mancherlei, war gerührt, bei ihr ein Verständnis, ein Mitgefühl zu finden, das sie nicht erwartet hatte. Es war, als machte die Schwangerschaft sie nicht nur weicher, sondern auch klüger, als sie von Natur aus war. Doch kaum hatte sie das Kind geboren, so verfiel sie wieder in ihre frühere Teilnahmslosigkeit und Beschränktheit, und es war, als wüßte sie überhaupt nichts mehr von den Geheimnissen mancher Art, die die Schwägerin ihr vertraut hatte. Im Grunde war Therese froh darüber.


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