Arthur Schnitzler
Therese
Arthur Schnitzler

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Bis zu Pfingsten war es noch lang, drei Monate beinahe. Daß Herr Wohlschein die Hochzeit so weit hinausschob, hatte seine Ursache darin, daß er vorher zwei Geschäftsreisen zu erledigen hatte, nach Polen und nach Tirol; und auch darin, daß gewisse bauliche Veränderungen in der Wohnung vorgenommen werden mußten. Überdies gab es allerlei mit dem Anwalt zu besprechen, da gewisse, testamentarische Bestimmungen – »wir sind alle sterblich«, bemerkte Wohlschein – 343 besser schon vor der Hochzeit getroffen werden sollten. Therese hatte gegen den Aufschub nichts einzuwenden; es war ihr nicht unlieb, daß sie nicht alle ihre Lehrverpflichtungen kurzerhand lösen mußte, die ihr um so mehr Zerstreuung bereiteten, je weniger sie nun als eigentliche Verpflichtungen erschienen.

Die Tage von Wohlscheins Abwesenheit, eine Woche im Februar, eine andere im März, in denen sie keine seiner plötzlichen Morgenbesuche befürchten mußte, empfand sie als Erholung; trotzdem verspürte sie zuweilen einige Sehnsucht nach ihm. Sie hatte sich doch im Laufe der letzten Monate an eine Art von Eheleben gewöhnt, das, wie sie sich nicht verhehlen konnte, in jeder Art günstig auf sie wirkte. Und an manchen Anzeichen, äußeren und inneren, spürte sie, daß ihr Dasein, auch ihr Frauendasein, noch lange nicht zu Ende war. Zu ihrer angenehmen Stimmung trug es auch bei, daß sie sich besser kleiden konnte als jemals vorher, und sie freute sich darauf, zusammen mit Wohlschein, wie er ihr versprochen, allerlei noch notwendige Neuanschaffungen zu besorgen.

Die Osterfeiertage, bald nach Wohlscheins Rückkehr von der zweiten Reise, verbrachte sie mit ihm in einem behaglichen kleinen Gasthof der Wiener Umgebung. Es waren noch recht kühle Tage, aber die Bäume schlugen schon aus, und die ersten Sträucher blühten. Und Abende gab es in ihrem gemütlichen Zimmer, wo die beiden sich ganz als Liebespaar fühlten, so daß es ihr, als sie nach der Rückkehr viele Stunden allein in ihrer Wohnung verbrachte, manchmal vorkam, als werde sie sich in einem gemeinsamen Heim als verehelichte Wohlschein sehr gut zu behagen wissen. Köstlicher als alles 344 aber wirkte eine Karte von Thilda in ihr nach, die ihr Wohlschein gezeigt hatte: »Mit tausend Ostergrüßen für Dich und Therese« – ja, so stand es geschrieben, einfach: Therese.

Zu einem Besuch im Gefängnis hatte sich Therese noch immer nicht entschließen können. Ihre Scheu vor diesem Wiedersehen, das doch zugleich ein Abschied auf immer sein sollte, blieb unüberwindlich. Wohlschein hatte die ganze letzte Zeit über kein Wort von Franz gesprochen, Therese nahm an, daß er sie erst verständigen wollte, bis alles erledigt sein würde. Und wirklich teilte er ihr bald nach ihrem Osterausflug mit, daß er seinen Anwalt zu Franz ins Gefängnis geschickt, daß dieser sich aber dem Amerikaplan gegenüber vorläufig unzugänglich erwiesen und erklärt habe, er sei ja nicht zur Deportation verurteilt; trotzdem war Wohlschein überzeugt, daß sich Franz durch die verbriefte Zusage eines größeren Geldbetrages, der ihm erst in Amerika ausbezahlt werden sollte, – noch umstimmen lassen würde.


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