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In einer Aprilnacht, wohl zehn Tage früher, als sie erwartet, wurde sie von den Wehen überrascht. Sie 139 sprang aus dem Bett, klopfte an die Türe der Frau Nebling, die aber noch nicht zu Hause war, dachte daran, die Stiegen hinunterzueilen oder wenigstens im Treppenhaus nach der Hausbesorgerin zu rufen; aber an der Wohnungstüre hielt sie inne; die Schmerzen hatten nachgelassen; sie begab sich in ihr Zimmer zurück und legte sich zu Bett. Doch nach wenigen Minuten schon setzten die Schmerzen wieder ein. Ob nicht noch Zeit wäre, ins Krankenhaus zu fahren – ob sie nicht vom Fenster aus nach einem Wagen rufen sollte? Konnte sie nicht auch zu Fuß hingehen? Es war ja nicht gar weit. Wieder erhob sie sich, öffnete den Schrank, begann Kleidungsstücke und Wäsche herauszunehmen, dann, ermüdet, ließ sie die Hände sinken und setzte sich wieder hin. Nach kurzer Zeit, in neuen, immer furchtbareren Schmerzen, lief sie im Zimmer hin und her, dann in den Vorraum, ins Zimmer zurück, legte sich hin, stöhnte, schrie; sie ließ es darauf ankommen, daß man sie hörte. Warum sollte man sie nicht hören? War es denn eine Schande, was ihr geschah? Niemand im Hause wußte, wer sie war. Der Name selbst bedeutete ja nicht viel. Warum aber hatte sie den richtigen angegeben? Warum war sie überhaupt in Wien geblieben? Hätte sie sich nicht irgendwo auf dem Land verbergen können? War es denn möglich!? Sie bekam ein Kind? Sie, Therese Fabiani, die Tochter eines Oberstleutnants und einer Adeligen, bekam ein Kind? Nun sollte es wirklich wahr werden, daß sie ein uneheliches Kind bekam?
Frau Nebling stand plötzlich in der offenen Tür mit erschrockenen Augen. Nun ja, bis ins Stiegenhaus hatte sie Therese schreien gehört. Wie, sie hatte geschrien? 140 Oh, es war nichts. Es konnte ja auch noch nichts sein. Frühestens in zehn Tagen. Sie war nur aus einem bösen Traum aufgefahren. Frau Nebling entfernte sich wieder. Therese hörte das Möbelrücken, das Huschen im Nebenzimmer, wie sie es allnächtlich gewohnt war; ein Fenster wurde aufgemacht und wieder geschlossen. Sie begann einzuschlafen. Plötzlich weckte der Schmerz sie von neuem auf. Sie verbiß ihn in ungeheuerer Überwindung, preßte ihr Taschentuch zwischen die Zähne, krampfte die Hände in die Bettkissen. Bin ich verrückt? fragte sie sich. Was tu' ich denn, was will ich denn? Ach, könnte ich sterben. Vielleicht sterbe ich, dann wäre alles gut. – Was soll ich mit einem Kinde anfangen? Was würde mein Bruder dazu sagen? Alle Scham ihrer Mädchenjahre war in ihr erwacht. Es kam ihr unfaßbar vor, wie ein böser Traum, daß es dahin mit ihr gelangt war, daß so schreckliche Dinge, wie sie doch sonst nur andern passierten, wie man sie manchmal in der Zeitung oder in Romanen las –, daß sich die an ihr, an Therese Fabiani erfüllen sollten. War es nicht jetzt noch Zeit, allem ein Ende zu machen? »Hilfe! Hilfe!« schrie sie plötzlich auf. Wieder sprang sie aus dem Bett, schleppte sich durch das Nebenzimmer vor die Türe der Frau Nebling, horchte, klopfte, alles blieb still. Sie erholte sich wieder. Was wollte sie denn von Frau Nebling? Sie brauchte sie nicht. Niemanden brauchte sie. Allein wollte sie sein, auch weiterhin, wie sie es die ganze Zeit über gewesen war. Es war besser so. Dann, auf ihrem Bett, lag sie wieder still, bis die Schmerzen plötzlich mit einer so ungeheueren Macht über sie kamen, daß sie nicht einmal mehr zu schreien vermochte. Nun war es wohl auch zu spät, irgendeine 141 Hilfe zu holen. Nein, keine Hilfe, nein. Sie wollte ja zugrunde gehen. Es war das beste, wenn sie zugrunde ginge, – sie und das Kind und mit ihr die ganze Welt.