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Kurfürst Friedrich in Reutlingen

Als am 4. August 1803 Kurfürst Friedrich von Württemberg vom Einsiedel aus die Nebelhöhle besuchte, kam er auch durch Reutlingen. Diese ehemalige Reichsstadt war kurz zuvor württembergisch geworden, und nun war jung und alt auf den Beinen, um den neuen Landesherrn, von dessen übergroßen Leibesfülle und merkwürdigen Gepflogenheiten man so vieles schon gehört hatte, mit eigenen Augen zu sehen. Am Tübinger und am obern Tor waren zum würdigen Empfang schöne Ehrenpforten errichtet und mit Musik besetzt worden; die Zünfte bildeten in den Straßen Spalier, und die Behörden samt dem Rat hatten vor dem Tor Aufstellung genommen, um den hohen Herrn zu bewillkommnen. Die Überlieferung aber, es sei am Tor auch ein Sängerchor bereitgestanden, um dem Fürsten ein extra für diesen Zweck gedichtetes und in Musik gesetztes Lied zu singen, dessen Anfang gelautet habe:

»Hängt ihn auf – hängt ihn auf – hängt ihn
auf den Ehrenkranz!«

ist pure Erfindung und den Reutlingern von übelwollenden Nachbarn angehängt worden, um sie zu ärgern.

Endlich donnerten die Kanonen und läuteten die Glocken, und der Kurfürst kam angefahren, den Wagen füllend, an dem sechs Pferde zogen, und begleitet von einer zahlreichen Dienerschaft, sowie von den uniformierten Reitern, die ihm die Reutlinger Zünfte entgegengeschickt hatten. Während nun der Oberamtmann und der Rat den Fürsten begrüßten, traten zwölf junge Weingärtner an den Wagen heran. Sie waren in den Farben ihrer Zunft gekleidet, trugen preußische Hüte auf dem Kopf und rote Schärpen um den Leib, und in den Händen hatten sie lange Stricke von grüner Farbe. Schnell schickten sie sich an, dem Kurfürsten die Pferde auszuspannen, um ihn im Triumphe durch ihre Stadt zu ziehen. Der Kurfürst, der nicht wußte, was da werden sollte, befragte den Oberamtmann, und als ihn dieser über die Absicht der jungen Leute aufgeklärt hatte, sagte er: »Nicht doch! nicht doch! Ich mag es nicht! Auch bin ich so schwer, daß sechs Pferde zu ziehen haben!« Der Oberamtmann geht hin, um es den Burschen zu untersagen, kommt aber sogleich wieder zurück und meldet: »Kurfürstliche Durchlaucht, sie wollen sich nicht abtreiben lassen!« – »Je nun, so mögen sie ihre Stricke an die Pferde befestigen,« erwiderte der Kurfürst. Und so geschah's denn auch. Die jungen Weingärtner banden ihre grünen Stricke an die Pferde des kurfürstlichen Wagens, und mit vereinten Kräften wurde nun der Wagen des neuen Landesvaters durch die Straßen der Stadt gezogen. So oft ein Halt gemacht ward, traten zwölf andere Bursche herbei, um ihre Kameraden abzulösen und teilzunehmen an der großen Ehre. Und alles Volk, das die Straßen füllte, rief: »Vivat! Es lebe unser Kurfürst!« Der Kurfürst aber soll sich geäußert haben, daß er einen solchen Empfang wie in Reutlingen noch nirgends in seinen Landen gefunden habe.

(Nach Gayler, Denkwürdigkeiten.)

Schlußvignette

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