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Rüblinger Streiche.

I. Warum bis Rüblinger keine Kirche haben.

Rüblingen, das heute ein kleines Dorf im Hohenloheschen ist, scheint in früherer Zeit größer und der Mittelpunkt einer weiten Umgegend gewesen zu sein. Die Kirche trug die Jahreszahl 1452 und war die Mutterkirche der umliegenden Weiler und Höfe. Die Einwohner zeichneten sich durch besonderen Verstand und Frömmigkeit aus, so daß der Segen von oben nicht ausblieb und sogar auf dem Dach der Kirche Gras wuchs. Die Rüblinger wollten die edle Gottesgabe nicht zugrund gehen lassen und machten's nun so, wie's die Gansloser gemacht haben (s. W. Volksbücher III, 65): sie zogen den Gemeindehummel an einem Seil hinauf, damit er das Gras abweide. »Dös Groos mooch er gäre, er schleckt scho dernoch!« jubelten sie in ihrer kindlichen Freude, als das Tier beim Ersticken die Zunge heraushängte.

Durch das Hinaufziehen des Hummels kamen die Rüblinger aber in großen Schaden. Turm und Kirchendach trennten sich voneinander, so daß das ganze Gebäude im vorigen Jahrhundert abgebrochen werden mußte. Rüblingen ist seitdem nach Eschental eingepfarrt. Böse Leute sagen den Rüblingern nach, ihre Kirche sei nicht abgebrochen worden, sondern abgebrannt. Und zwar habe sich die Sache folgendermaßen zugetragen. In der Rüblinger Kirche hatten sich so viele Ratten eingenistet, daß man kaum noch Gottesdienst darin halten konnte. Da versammelte sich der Rat des Dorfes, und die »Herren« zerbrachen sich die Köpfe, wie dem Übel abzuhelfen sei. Es wurde beschlossen, einen Rattenfänger anzuschaffen und in die Kirche zu sperren. Und glücklicherweise kam eben ein Schirmflicker durch das Dorf, der einen solchen Hund besaß. Der Handel kam zustande; die Rüblinger hatten ihren Rattenfänger, den sie sofort in die Kirche einsperrten. Der Schirmflicker zog pfeifend seines Weges. Da fiel es plötzlich den Ratsherren ein, daß sie vergessen hatten, den Mann zu fragen, was man dem Hunde zu fressen geben müsse. Rasch wurde der Büttel dem Fremden nachgeschickt. Der Schirmflicker war schon eine weite Strecke Kupferzell zu gegangen; da vernahm er hinter sich die Stimme des Rüblingers: »He! guter Mann; Ihr sollt mir sagen, was der Hund denn frißt.« – »Alles frißt er, was m'r em geit (= gibt),« rief der Fahrende zurück und schritt davon. Der Büttel, in hellem Lauf, eilt ins Dorf zurück, stürmt aufs Rathaus, wo die »Herren« seiner Antwort harren. »Was hat er gesagt?« ruft ihm der Schultheiß entgegen. »O weh,« stammelt atemlos der Bote; »alles frißt er, Tier und Leut'!« (Denn so hatte er die Worte des Schirmflickers verstanden.) Die Männer waren starr vor Schrecken. Unerhört! Ein so gefährliches Tier zu kaufen! Wer war da in Rüblingen noch seines Lebens sicher? Von dem schlimmen Rattenfänger mußte das Dorf befreit werden – um jeden Preis ... Aber wie? Wer wollte es tun? Wer sich der Gefahr aussetzen, von ihm gefressen zu werden? Lange rieten die Männer hin und her. Da dämmerte es in einem der Köpfe auf. »Ich weiß Rat! Wir legen Feuer an die Kirche, so wird das böse Tier nicht entrinnen können.« Das war ein Gedanke! Sofort ans Werk! Ganz Rüblingen kam auf die Beine, Männer und Weiber, Kleine und Große eilten mit Reisigbüscheln und Holzscheiten herbei, die sie um die Kirche aufhäuften und in Brand steckten. So verbrannte die Kirche und mit ihr der schreckliche Rattenfänger – und die Ratten wohl auch. Fortan hatten die Rüblinger keine Kirche mehr.

II. Der pfiffige Büttel

In Rüblingen war ein Brand ausgebrochen. Rasch war die Feuerwehr auf dem Platze. Die Spritze trat in Tätigkeit. Aber die Schläuche waren so trocken und dürr und so wenig wasserdicht, daß sie nicht zu benützen waren. Darüber machte der Schultheiß dem Büttel heftige Vorwürfe; er hätte die Schläuche verwahrlosen lassen, sagte er. Trotzig erwiderte der gekränkte Mann: »Da seid Ihr selber schuld; hättet Ihr mir's beizeiten g'sagt, daß es brennt, so hätt' ich die Schläuch' ein paar Tag vorher eingeweicht.«

III. Der Gemeindegaul

Um bequem in die Kirche des Mutterortes kommen zu können, wurde ein langer Gaul angeschafft, der jeden Sonntag die Gläubigen nach Eschental brachte. Seinen Platz auf der Schwanzwurzel dieses Gaules erhielt derjenige, der als der leichteste galt, nämlich der Schneider. Daher kam jeden Sonntag das Schneiderlein zuletzt in die Kirche, und dieses wurde infolgedessen häufig der Gegenstand des allgemeinen Spottes. Das listige Schneiderlein wußte sich aber zu helfen. Bei den späteren Kirchenbesuchen nahm der Schneider seine Nadel mit. Wenn der Gemeindegaul in der Nähe der Kirche war, stach ihn der Nadelheld wacker unter den Schwanz, wo es übel wehe tat. Vor Schmerz drehte sich das Tier mit raschem Ruck herum, so daß es immer mit dem Hinterteil zuerst an der Kirche ankam und der Schneider stets der erste war, der ins Gotteshaus eintrat.

In der Waldabteilung Egel stand am Rande, da wo der Abfall ins Kochertal beginnt, eine Eiche, deren Stamm infolge hohen Alters hohl geworden war. Der schadhafte Baum sollte gefällt werden. Er wurde abgeästet, die meisten Wurzeln wurden freigelegt und abgehauen. Damit der lockerstehende Stamm auf die Rüblinger Ebene und nicht in eine fremde Markung den Berg hinunter falle, wurde er mit einem Seil angebunden. Dann wurde der Gemeindegaul darangespannt, der den Stamm vor versammelter Gemeinde nach oben ziehen sollte. Aber o weh! Der altersschwache Gaul hatte dazu nicht Kraft genug. Der Baum stürzte, den Gaul mit sich reißend, und zwar talabwärts. Das arme Rößlein wurde dabei in einem großen Bogen über das ganze Kochertal geschleudert und fiel in dem Garten der Schalhofbäuerin nieder, wo es sich nochmals gehörig sattfraß und dann jämmerlich verendete.

Der Stamm blieb liegen, wo er hingefallen war. Nun hatte man keine andere Wahl, als ihn vollends ins Tal hinabzulassen. Man wollte aber auch wissen, wie lang der Weg dort hinab ins Tal sei. Daher sollte der, der am besten zählen konnte, in den hohlen Stamm hineinliegen und die Umdrehungen zählen, die der Stamm mache, bis er unten ankomme. Der Mann schlüpfte ein, und der Stamm wurde ins Rollen gebracht. Nachdem der Baum etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, wurde dem Insassen die Zeit und das Zählen zu lange. Er streckte den Kopf heraus, um zu sehen, wie lange die Fahrt noch dauere. In demselben Augenblick sauste der Stamm an einem Baumstumpf vorbei; der Kopf machte Bekanntschaft mit dem Stumpf und blieb daran hängen. Der Stamm dagegen kam glücklich unten an. Als die Leute hinabgestiegen waren, um das Ergebnis ihres klugen Meßverfahrens zu erkunden, sahen sie in der Baumhöhle einen kopflosen Rüblinger liegen. »Als er hineinschlüpfte, hat er doch einen Kopf gehabt,« sagten sie. Die anwesende Frau des Verunglückten wurde gefragt, ob ihr Mann, als er zu Hause weggegangen, auch seinen Kopf bei sich gehabt habe. Sie antwortete: »I will waale waale = rasch, schnell. hamm un seecha, seecha = sehen. ob meim Mou sei Koupf net in sanner Sunntichskappa drinn steckt!«

IV. Der Fußhaber.

An der Rüblinger Ortswette stand ein Weidenbaum, dessen Gipfel dürr zu werden schien. Um ihn vor dem Untergang zu bewahren, versammelten sich die Gemeindeväter an Ort und Stelle. Nach langen Beratungen wurde endlich ein Beschluß gefaßt. Der Burgermeister mußte zu dem kranken Baumgipfel sich erheben, ihn mit den Händen umfassen und sich an ihn hängen. Da aber das Gewicht des Ortsgewaltigen doch nicht ausreichte, den Gipfel soweit abwärts zu ziehen, daß dieser mit dem Wasser der Wette in Berührung kam, mußten auch noch die Gemeinderäte ihr Gewicht hergeben, indem sie sich an die Beine des Schultheißen anklammerten. Die also angehängte Last war aber zu schwer, die Hände des Schulzen drohten auszurutschen, und so rief er aus Leibeskräften seinem Gemeindekollegium zu: »Paßt uff, i muaß in d'Händ spucka!« und plötzlich ließ er los. Der Baumgipfel schnellte in die Höhe, und der weise Rat lag samt Oberhaupt als lebendiger Knäuel unter dem Baum.

Als die Gemeindeväter sich nun wieder erheben wollten, konnten sie nicht, denn ihre Glieder hatten sich zu sehr ineinander verwickelt. Kein einziger fand mehr die Beine, die zu seinem Körper gehörten. Da war guter Rat teuer; doch bald fand sich ein Ausweg. Schnell wurde nach Döttingen geschickt und der dortige Rentamtmann geholt, der als welterfahrener und praktischer Mann bekannt war. In aller Eile kam er auf seinem Roß dahergesprengt. Und da er die wogende Menschenmasse sah, ergriff er kräftig seine Reitpeitsche, schwang sie und ließ sie auf das nächste Bein niedersausen mit dem Ausruf: »Wem gehört der Fuß?« Einer der sich Wälzenden, der einen Schmerz verspürte, rief: »Mei!« – »Nehm ihn zu dir!« befahl der Amtmann. Und so fuhr er fort, bis jedes Bein seinen Mann und jeder Mann seine Beine gefunden hatte. Nachdem alle Beine glücklich verteilt waren, wurde beim Amtmann nach der Schuldigkeit gefragt. Der Amtmann, ein dienstgefälliger Herr, verlangte für sich und seine Bemühungen nichts. Aber für sein Pferd, das in der größten Eile die steinige Steige hatte heraufrennen müssen, forderte er ein Simri Haber. Der Haber aber sollte nicht bloß einmal, sondern jedes Jahr bei der Wiederkehr des Rettungstages gereicht werden. Und daher kam es, daß die Rüblinger lange Zeit hindurch nach Döttingen an das dortige Schloß eine Steuer in Form von Haber entrichten mußten) unter dem Namen Fußhaber.

V. Der Rüblinger Kuckuck.

Ein Rüblinger mußte einmal wegen Vermehrung seiner Familie seinen Gevatterleuten ein Festessen veranstalten. Er wollte seinen Gästen zur Ankunft des ersten Stammhalters einen ganz besonderen Genuß bereiten und ging deshalb nach Künzelsau, um einen Kalbsbraten zu erwerben. Weil aber die Bäuerin noch niemals ein derartiges Gericht zubereitet hatte, befragte sich der junge Vater beim Metzger über die Zubereitung des Bratens und ließ sich die erhaltene Anweisung auf ein mitgebrachtes Papier aufschreiben und steckte es sorgfältig zu sich in die Tasche. Auf dem Heimweg hörte er den Etzlinsweiler Kuckuck rufen, der auf einer Eiche saß. Da dieser Vogel dem Bauern nicht laut genug seine Stimme erschallen ließ, wollte der Rüblinger ihm helfen. Der Bauer legte sein Säckchen mit dem Fleisch unten am Stamm nieder und kletterte auf die Eiche. Als der »Rüblinger Kuckuck« in den Ästen verschwunden war und nach Herzenslust kuckuckte, kam ein Fuchs vorbei, fand das Fleischsäckchen und trug es samt Inhalt davon. Der Bestohlene sah von oben herab und rief dem davonlaufenden Fuchse nach: »Dös Flasch hatt for di kann Wert, du kausts doch net kocha, 's Rezeept hob i in mam Mutza!« Mutza = schwarzer Rock mit langen Flügeln, den die Männer beim Kirchenbesuch oder bei Beerdigungen trugen.

(Mündlich. Fr. Hummel.)

Schlußvignette

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