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Schülerrache.

Hoch oben auf den Löwensteiner Bergen, mitten im Wald, liegt der kleine Weiler Stocksberg. Er gehört jetzt zur Schulgemeinde Neulautern, hatte aber früher selber eine Schule und einen Lehrer, der jedoch, wie die Bauern sagten, kein »studierter Schulmeister« war. Er war nämlich seines Zeichens ein Korbmacher und unterrichtete nebenbei die Kinder im Lesen und Schreiben, so wie er's einst selber in der Schule gelernt hatte. Zu diesem alten Schulmeister kam eines Tages der Dekan von Marbach zur Schulvisitation. Dieser Dekan war ein gar strenger Herr und auf den Fortschritt im Schulwesen mit großem Eifer bedacht. Vor kurzem hatte er es durchgesetzt, daß auch in der Stocksberger Schule das Volksschullesebuch eingeführt worden war, und nun wollte er sich bei der Prüfung überzeugen, ob dasselbe auch von den Schülern benutzt und gelesen werde. Er fragte also die Kinder allerlei, was im Lesebuch steht. Aber er mochte fragen, was er wollte: es war weder Stimme noch Antwort zu hören. Nicht einmal von ihrem württembergischen Vaterlande wußten ihm die Schüler etwas zu sagen. Der Herr Dekan ward darüber sehr böse, und er schalt die Kinder wegen ihrer Unkenntnis und ihrer Faulheit tüchtig aus.

Nachdem die Prüfung zu Ende war, ließ sich der Dekan von den Dorfpotentaten und dem Lehrer den Weg nach Löwenstein beschreiben; denn dort wollte er noch auf dem Heimweg einen Besuch machen. Nachdem er sich orientiert hatte, nahm er Abschied und wanderte zum Weiler hinaus. Aber kaum war er in den Wald gekommen, so stand er schon vor einer Wegscheidung, bei der er nicht wußte, wohin er sich wenden solle; denn Wegzeiger waren dort oben noch unbekannte Dinge. Wie er nun ratlos dasteht, hört er im Walde etwas rascheln, und als er sich umschaut, erblickt er einen Schulbuben, der Reisig zusammenliest. »Hör, Kleiner,« redet ihn der Dekan an, »sag' mal, welches der Weg nach Löwenstein ist.« Der Knabe schaut den Herrn Dekan verwundert an, so als ob er ihn nicht recht verstanden hätte. Als aber der Herr Dekan zum zweitenmal und diesmal etwas energischer fragt, da platzt der Bube heraus: »Was? Heute morgen habt Ihr mich geschimpft, weil ich nicht gewußt habe, wo Heidenheim liegt, und jetzt wisset Ihr nicht einmal, wo Löwenstein ist. Euch zeig' ich den Weg nicht!« – sprach's und verschwand im Walde.

Der Herr Dekan war zuerst ganz verdutzt über des Buben Rede. Dann aber brach er in ein herzliches Lachen aus, denn er war auch ein Mann von Humor. Kühnen Mutes nahm er geradeaus den Weg, den ihm die Nase zeigte, und kam glücklich auch nach Löwenstein ohne Wegzeiger. – Aus dem Dekan ist später ein Prälat geworden, in dessen Hände die Leitung des evangelischen Schulwesens im Lande Württemberg gelegt war. Wenn er da im geselligen Kreise weilte, wußte er sich manchmal auch seines Abenteuers im Stocksberger Walde zu erinnern und durch die Erzählung desselben die größte Heiterkeit bei den Zuhörern zu entfesseln.

(Mündlich von K. Rommel-Reutlingen.)

Schlußvignette

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