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Eines Abends spät kamen Christus und Petrus auf Ihrer Wanderung nach Lindau am Bodensee und suchten eine Herberge, wurden aber von den Bürgern der Stadt überall abgewiesen. Vor der Stadt wohnte ein armer Taglöhner mit seinem Weibe in einem kleinen Häuschen. Diese Leute nahmen die Gäste willig auf, setzen ihnen Speise, wie sie eben versehen waren, vor und bereiteten ihnen ein Lager von Stroh. Als Christus und Petrus das spärliche Mahl genossen hatten, gaben sich den armen Leuten zu erkennen, und der Herr sprach: »Weil ihr so gute Leute seid, so dürft ihr einen Wunsch aussprechen, und der wird euch gewährt werden.« Sie besannen sich nicht lange und meinten, wenn sie um ihre Hütte nur ein Gärtchen und dabei ein kleines Gütchen hätten, so wären sie zufrieden. »Euer Wunsch sei euch gewährt!« sprach der Herr. Ehe noch die armen Leute aus dem Schlafe erwacht waren, hatten die Gäste ihre Wanderung am frühen Morgen angetreten. Als der Taglöhner und sein Weib erwachten, war ihr erstes, sich vor ihrer Haustüre umzusehen. Wie groß war ihr Erstaunen und ihre Freude, als sie um ihre Hütte einen schönen Garten mit fruchttragenden Bäumen und dabei Wiesen und Äcker mit schweren Ähren erblickten! Eben kam einer der reichen Bürger der Stadt, welchem sie alles erzählten. Dieser eilte in die Stadt zurück; der Rat versammelte sich und faßte den Beschluß, den göttlichen Wanderern eine Deputation nachzusenden und den Herrn auch um die Erfüllung eines Wunsches zu bitten. Als die Abgeordneten die Wanderer erreicht hatten, machten sie viele Bücklinge, brachten Entschuldigungen vor und beteuerten, daß sie ihnen gewiß Nachtquartier würden gegeben haben, wenn sie gewußt hätten, wer sie wären. Ihre Gegend sei schön und fruchtbar, wenn sie nur auch Reben hätten. »Sie seien euch gewährt!« sprach der Herr. Als die Abgeordneten mit vielen Bücklingen ihren Rückweg angetreten hatten, fragte Petrus unwillig: »Herr, wie magst du den groben Kerln, die uns kein Nachtlager gönnten, Wein wachsen lassen?« Der Herr aber schmunzelte vor sich hin und sprach: »Beruhige dich nur, Peter, und gib dich zufrieden! Ich habe den Lindauern zwar Reben versprochen, und so wird ihnen Wein wachsen; aber frage mich nur nicht, was für einer!« – Und als die Leute nun im Herbst ihren Wein kelterten und tranken, da nannten sie ihn »die Tränen Petri«; denn Petrus weinte einst in Reue – »bitterlich«.