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Der schiefe Turm zu Ulm.

Zu Ulm, der Donaustadt, wurde in alten Tagen über Metzger und Bäcker eine gar strenge Aufsicht geführt, damit sie ihre Waren gut und billig und auch ein volles Gewicht geben sollten. Und wer von den Geschäftsleuten nicht reell war, der wurde ohne Gnad' und Pardon in den Turm geworfen. Einer dieser Türme war das ganze Jahr hindurch fast nur von den Metzgern besetzt. Man nannte ihn deshalb den Metzgerturm. Darob wurden die Ulmer von anderen Reichstädtern gar oft verspottet. Das wurde dem Rat der Stadt aber bald zu bunt. Er beschloß deshalb, daß man sämtliche Metzger der Stadt auf einen bestimmten Tag nach dem Metzgerturme führe. Dort auf der Höhe des Turmes solle ihnen ernstlich angedroht werden, daß sie in die Tiefe gestürzt würden, wenn die Betrügereien nicht aufhören sollten. Aber als nun alle Metzger auf dem Turme standen, siehe, da neigte sich dieser plötzlich ein wenig nach vorn, dahin wo die Metzger stunden, denn diese waren gewichtige Persönlichkeiten und in diesem Stück das gerade Gegenteil vom Schneider von Um. Dieweil sich nun der Turm so vornüber neigte, bekamen die Metzger Angst, schrieen Zeter und Mordio und flohen eilends die Treppe hinunter. Von da an hat aber keiner der Ulmer Metzger mehr die Würste zu früh zugebunden oder das Fleisch zu knapp gewogen, und die Ulmer haben seit dieser Zeit die solidesten und reellsten Metzgermeister im ganzen deutschen Reiche diesseits und jenseits der Donau. Aber als ein Wahrzeichen einer zu leichtwiegenden Vergangenheit steht zu Ulm der Metzgerturm wirklich und wahrhaftig noch schief bis zum heutigen Tag.

(C. Schnerring, Kirchheim u. T.)

Schlußvignette

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