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Der Klosterstorch zu Großbottwar.

Der Eselsmüller von Großbottwar machte an einem Novembersonntag des Jahres 1672 spät Feierabend im Wirtshaus und durfte nachträglich noch recht froh sein, daß er glücklich heimgekommen war; denn nach Mitternacht fiel ein tiefer Schnee und des Morgens hatte man einen dichten Nebel, so daß man auf zehn Schritte einen Menschen nicht von einem Mehlsack unterscheiden konnte. Um halb Achte steht er auf, guckt zum Fenster hinaus und weiß wirklich nicht, ob's bei ihm noch dunkel sei oder draußen. Er schlupft deshalb vollends in seine Kleider und guckt sich den finsteren Tag noch genauer an. Bei dieser Betrachtung sieht er etwas in seinem Garten auf- und abwandeln, ganz langsam und den Schnee strampfen. »Was ist das für ein Tier?« dachte er; »mein Zaun ist doch gut verwahrt; es muß also ein Vogel sein, der darüber hereingeflogen ist – potz! das ist der Murrhardter Klosterstorch.« – Der geneigte Leser muß nun wissen, daß das Kloster Murrhardt in der Stadt Bottwar einen eigenen Hof mit großem Gebäude hatte, wo früher die Zehntfrüchte und andere Einkünfte aufbewahrt wurden.

»Wart, Storch, du mußt bei uns bleiben! Deine Herrschaft ist unserem Städtlein so nicht hold und tut uns zum Schabernack, was sie kann.« Also sprach der Müller zu sich selber und machte sich schnell auf den Weg zum Stadtschreiber und sagte ihm, was für ein kostbarer Vogel in seinem Garten herumlaufe. Der Stadtschreiber ist herzlich froh, daß er einmal dem Kloster etwas wegfangen kann. Er läßt gleich den Herrn Vogt, den Pfarrer Matthias Hasenreffer und einige Herren vom Magistrat zu sich bitten, um zu ratschlagen, wie man das Ding angreifen solle. Die Herren kommen schnell herbei und werden darüber einig, daß vier gescheite Männer das Tier hinterlistigerweise fangen und ans Tor führen sollen, dort soll es die Schuljugend mit Gesang abholen und bis in die große Ratsstube geleiten, wo ein starkes Lösegeld festgesetzt werde, von dem dann der Müller vorweg 20 Pfund Heller erhalten solle. Der Beschluß ward zur Ausführung gebracht, und die wohlweisen Herren konnten es auf dem Rathaus kaum erwarten, bis der Vogel hergebracht wurde.

Wie freuten sie sich, als der Kindergesang erklang und immer näher und näher kam! Nun war der Zug ins Rathaus eingetreten, und der Gesang verstummte. Auf einmal vernahmen die harrenden Herren einen Schrei von einem Tier, ganz anders schallend, als man es vom klappernden Storch gewöhnt ist. Was soll das sein? Dem Burgermeister wird ganz schrecklich zumute, er schnattert und zittert in der warmen Stube und denkt an den »bösen Feind«. Der Stadtschreiber aber spricht: »Nur nicht verzagt, da hilft kein Bitten und Beten, das Lösegeld ist uns gewiß, das Kloster kann's zahlen.« Nun öffnet sich die Saaltüre und – ein leibhaftiger Esel wird hereingeführt. Der Stadtschreiber fragt erstaunt: »Wo ist denn der Storch?« Da lachen die Sänger aus vollem Hals, und die Herren reißen die Augen weit auf und meinen, es gehe nicht mit rechten Dingen zu, daß aus einem Storch plötzlich ein Esel geworden sei. Der Müller aber spricht, wie aus einem Traum erwachend, das große Wort gelassen aus: »Ja, ja, es ist mein leibhaftiger Esel,« und der Esel bestätigt es mit einem lauten: Iah, iah – dann schweigt er.

Dem Stadtschreiber erscheint der Fall nicht so einfach. Er untersucht ihn gründlich, kann aber zu keinem andern Resultat kommen, als daß der Esel dem Müller gehört und die Störche schon längst in wärmere Länder gezogen sind, also auch keiner mehr in des Müllers Garten spazieren gehen kann. Da er das Gespött der Nachbarn fürchtet, läßt er alle heilig und teuer geloben, von der Geschichte niemand etwas zu sagen; »denn«, sagte er, »sonst bleibt ein großer Schimpf an uns allen und an Kind und Kindeskindern hangen.« Die Schulkinder scheinen aber nicht reinen Mund gehalten zu haben, und so ist die Geschichte bekannt geworden. Doch haben die Großbottwarer keine Freude an ihr und werden sehr böse, wenn man sie daran erinnert.

(Nach mündlicher Überlieferung erweitert aus Nefflens Vetter von Fs.)

Schlußvignette

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