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Constance. Kind wo bleibst Du?
Was wird aus mir?
König Johann.
Es war drei Tage nach dem Tode Philipp Beauforts – denn der Wundarzt kam nur, um das Urtheil des Reitknechts zu bestätigen. – In dem Gesellschaftszimmer des Landhauses, bei verschlossenen Fenstern, lag der Leichnam in seinem Sarge, dessen Deckel noch nicht aufgenagelt war. Auf dem Fußboden davor lag thränenlos, sprachlos die unglückselige Katharine, der arme Sidney, zu jung noch um seinen ganzen Verlust zu begreifen, neben ihr; während Philipp beiseite, neben dem Sarg sitzend, starr und irr auf das kalte, regungslose Antlitz schaute, das nie durch ein Stirnrunzeln Mißfallen über seine jugendlichen Thorheiten gezeigt hatte.
In einem andern Zimmer, das dem verstorbnen Besitzer unter dem Namen eines Arbeitszimmers angehört hatte, saß Robert Beaufort. Alles in diesem Zimmer erinnerte lebhaft an den Verstorbenen. Theilweise getrennt von dem übrigen Hause, stand es durch eine Wendeltreppe in Verbindung mit einem obern Gemach, in welches sich Philipp zu begeben pflegte, so oft er spät und übermäßig lustig von einem ländlichen Gelage zurückkehrte, womit ein harter Jagdtag gekrönt worden war. Ueber einem hübschen altmodischen Schreibtisch von holländischer Arbeit (welchen Philipp in den frühern Jahren seiner Ehe einmal bei einer Versteigerung aufgegriffen,) hing ein Porträt Katharinens, in der Blüthe der Jugend gemalt. An einem Pflock an der Thüre die zu der Treppe führte, hing noch sein grober Reitmantel. Das Fenster hatte die Aussicht auf das Gehege, wo das ermüdete Jagdpferd, oder das noch nicht diensttüchtige Füllen behaglich grasten. An den Wänden des Studirzimmers (ein sonderbarer Mißname!) herum hingen Kupferstiche von berühmten Fuchsjagden und gefeierten Kirchthurmrennen; Gewehre, Angelruthen und Fuchsschwänze, mit der Zierlichkeit eines Waidmanns geordnet, vertraten die Stelle von Büchern. Auf dem Kaminstück stand ein Cigarrenkästchen, ein abgegriffenes Buch über Veterinärkunst, und die neueste Nummer des Sporting Magazine.
Und in diesem Zimmer, das so Zeugniß ablegte von dem derben, männlichen, abgehärteten ländlichen Leben, das nun dahin war – da saß, gelb, gebückt, vom Stadtleben verzehrt, Robert Beaufort, der Intestaterbe Im Original: »heir-at-law«, d. h. diejenige Person, die berechtigt ist, das tatsächliche Eigentum einer Person zu übernehmen, die ohne Testament gestorben ist. – Anm.d.Hrsg., – allein; denn noch am Tage von seines Bruders Tod hatte er seinen Sohn nach Hause geschickt mit einem Brief, worin er seiner Frau den Wechsel in ihren Glücksumständen verkündete und ihr auftrug, seinen Advokaten mit schnellster Extrapost in das Haus des Todes zu schicken. Der Schreibtisch und die Schiebladen und die Schränke, welche die Papiere des Verstorbenen enthalten hatten, waren offen;z ihr Inhalt war durchwühlt worden; kein Certifikat der heimlichen Trauung, keine Hindeutung auf ein solches Ereigniß, kein Papier fand sich, das die letzten Wünsche des todten reichen Mannes angedeutet hätte. Er war gestorben und hatte kein Zeichen, keinen Wink gegeben. Mr. Robert Beauforts Gesicht war ruhig und gefaßt.
Ein Pochen ward an der Thüre gehört; der Advokat trat ein.
»Sir, die Leichenbesorger sind da, und Mr. Greaves hat befohlen, daß die Glocken geläutet werden sollen; um drei Uhr will er die Gebete lesen.«
»Ich bin Euch verbunden, Blackwell, daß Ihr diese traurigen Obliegenheiten besorgt: Mein armer Bruder! – Es kam so plötzlich! Aber das Leichenbegängniß, sagt Ihr, soll heute stattfinden?«
»Das Wetter ist so warm,« sagte der Rechtsgelehrte, sich die Stirne wischend. Während er dies sagte, hörte man die Todtenglocke.
Eine Pause trat ein.
»Es wäre ein entsetzlicher Schlag für Mrs. Morton gewesen, wenn sie seine Gattin gewesen wäre,« bemerkte Mr. Blackwell. »Aber ich denke mir, Personen von dieser Gattung haben sehr wenig Gefühl. Ich muß sagen, es war ein Glück für die Familie, daß der Vorfall sich zutrug, ehe Mr. Beaufort sich zu einer so unschicklichen Heirath beschwatzen ließ.«
»Es war ein Glück, Blackwell. Habt Ihr die Postpferde bestellt? Ich werde unmittelbar nach dem Leichenbegängniß abreisen.«
»Was soll mit dem Landhaus geschehen, Sir?«
»Ihr könnt es zum Verkauf ausschreiben.«
»Und Mrs. Morton und die Knaben?«
»Hm – wir wollen es überlegen. Sie war die Tochter eines Gewerbsmanns. Ich denke, ich muß demgemäß für ihr Fortkommen sorgen, he?«
»Es ist mehr, als die Welt von Euch erwarten könnte, Sir; es ist etwas ganz Anderes ,als wenn sie die Frau wäre.«
»Ja wohl, etwas ganz, ganz Anderes! Klingelt doch um eine angezündete Kerze, wir wollen diese Kästchen versiegeln, und ich glaube – ich könnte auch ein Fleischbutterbrod essen. – Der arme Philipp!« –
Das Leichenbegängniß war vorüber, der Todte verscharrt. Wie seltsam erscheint es doch, daß eben die Gestalt, die wir so sorgsam hochhielten, welche sanft zu berühren wir die Lüfte baten, die wir vor der Kälte in unsern Armen schützten, aus deren Weg wir gern jeden Stein weggeräumt hätten, auf einmal so uns aus den Augen geschafft wird, ein Greuel, den die Erde nicht mehr schauen soll, eine widrige, ekelhafte Masse, die man versteckt und vergißt! Und dieses Gebilde ans Knochen und Muskeln, das gestern so kräftig war, das Männer achteten und Frauen liebten, und an das sich Kinder drängten – heute so kläglich ohnmächtig, unfähig diejenigen, die seinem Herzen die Nächsten waren, zu vertheidigen oder zu schützen; seine Reichthümer ihm entrissen! seine Wünsche verhöhnt! sein Einfluß mit seinem letzten Seufzer erloschen! Und ein Athem seines Mundes macht diesen ganzen mächtigen Unterschied zwischen dem, was war und was ist!
Die Postpferde standen vor der Thüre; als der Leichenzug zum Hause zurückkehrte.
Mr. Robert Beaufort verbeugte sich leicht gegen Mrs. Morton, und sagte, das Taschentuch noch vor den Augen:
»Ich werde Euch in wenigen Tagen schreiben, Madame; Ihr werdet finden, daß ich Euch nicht vergesse. Das Landhaus wird verkauft, aber wir werden Euch nicht drängen. Lebt wohl Madame; lebt wohl meine Jungen!« und er tätschelte seine Neffen auf den Kopf.
Philipp stampfte bei Seite mit dem Fuß, und sah seinen Oheim finster und hochmüthig an, der vor sich hin murmelte: »Mit dem Jungen wird es ein schlechtes Ende nehmen!« Der kleine Sidney legte seine Hand in die des reichen Mannes und sah ihm flehentlich ins Gesicht: »Könnt Ihr nicht der armen Mama etwas Tröstliches sagen, Onkel Robert?«
Mr. Beaufort räusperte sich trocken und stieg in die Britschke – sie hatte seinem Bruder gehört; der Advokat folgte und sie fuhren weg.
Eine Woche nach dem Leichenbegängniß schlich Philipp aus dem Hause in das Gewächshaus, um einige Früchte für seine Mutter zu pflücken; sie hatte seit Beauforts Tod kaum eine Speise berührt. Sie war zu einem Schatten abgezehrt – ihr Haar war grau geworden. Jetzt hatte sie endlich Thränen gefunden, und sie weinte still aber unausgesetzt.
Der Knabe hatte einige Trauben abgebrochen und legte sie sorgsam in sein Körbchen; er war eben im Begriff, eine Aprikosenpflaume zu brechen, welche reifer schien als die übrigen, als seine Hand derb gefaßt wurde, und die rauhe Stimme John Greens, des Gärtners rief:
»Was wollt Ihr da machen, Junker Philipp? Ihr dürft diese Frucht nicht anrühren!«
»Was fällt Euch ein, Mensch!« schrie der junge Gentleman in einem ebenso erstaunten als zornigen Ton.
»Macht mir keine Faxen, Junker Philipp! Was ich meine, ist, daß morgen vornehme Leute kommen sollen, das Gut zu besichtigen, und ich möchte nicht haben, daß meine schöne Obstzucht verwüstet würde, indem Einer Euresgleichen sie ausplündert; so, das ist einfach, Junker Philipp!«
Der Knabe wurde ganz blaß, blieb aber stumm. Der Gärtner, hocherfreut die erlittenen Unbilden vergelten zu können, fuhr fort:
»Ihr braucht gar kein so verächtliches Gesicht zu machen, Junker; Ihr seyd nicht der vornehme Herr, der zu seyn Ihr Euch eingebildet; Ihr seyd jetzt gar Nichts mehr, und das werdet Ihr über kurz oder lang merken. So marschirt Euch jetzt, wenn's beliebt, ich muß jetzt die Glasthüren schließen.«
Mit diesen Worten faßte er den jungen Menschen rauh beim Arm; aber Philipp, der Jähzornigste der Sterblichen, war stark für seine Jahre und furchtlos wie ein junger Löwe. Er ergriff eine Gießkanne, welche der Gärtner niedergesetzt hatte, während er mit seinem bisherigen Tyrannen rechtete, und schlug damit den Mann so heftig und so plötzlich ins Gesicht, daß er über die Beete rücklings stürzte, und das Glas unter ihm klirrend zerbrach. Philipp wartete nicht ab, bis der Feind sich wieder aufraffte, sondern er nahm seine Trauben auf, nahm ruhig Besitz von der ihm streitig gemachten Aprikosenpflaume, und verließ den Ort; und der Gärtner fand es nicht gerathen ihn zu verfolgen.
Für Knaben in gewöhnlichen Verhältnissen, Knaben, die den Weg durch eine an Scheltworten reiche Kindsstube, eine zankende Familie, oder eine öffentliche Schule gemacht, würde dieser Hader eben Nichts gehabt haben, was in ihrer Erinnerung gehaftet oder ihre Nerven in lange heftige Bewegung gesetzt hätte, nachdem die erste Aufwallung der Leidenschaft vorüber; aber für Philipp Beaufort bildete der Vorfall eine Epoche im Leben; es war die erste grobe Beleidigung, die er erfahren; es war seine Einweihung in die veränderte, unfreundliche und schreckliche Lebensbahn, zu welcher das verzogene Kind der Eitelkeit und Liebe fortan verurtheilt war. Sein Stolz und seine Selbstachtung hatten einen entsetzlichen Stoß erlitten.
Er trat in das Hans, und ein plötzliches Gefühl von Krankheit überfiel ihn; seine Glieder zitterten, er setzte sich in der Halle nieder, legte die Früchte neben sich hin, bedeckte sich das Gesicht mit den Händen und weinte. Es waren nicht die Thränen eines Knaben, aus einer bald versiegenden, seichten Quelle fließend; es waren die brennenden, peinvollen, widerstrebenden Thränen, welche Männer vergießen, dem Herzen ausgepreßt, als wären sie sein Blut.
Er war nie in die Schule geschickt worden, damit er keinen Kränkungen ausgesetzt wäre. Er hatte verschiedene Lehrmeister gehabt, die angewiesen waren, eher ihm Achtung zu bezeigen als von ihm zu verlangen; Einer folgte auf den Andern nach des Knaben Laune und Einfällen. Seine natürliche Lebhaftigkeit jedoch, und ein sehr kräftiger, tüchtiger und scharfeindringender Geist hatten ihn befähigt, mehr Kenntnisse zusammenzuraffen, obwohl von unzusammenhängender und buntscheckiger Art, als Knaben seines Alters gewöhnlich besitzen, und seine umschweifende, unabhängige Lebensweise außer dem Hause hatte beigetragen, seinen Verstand reifer zu machen. Sicher hatte er, trotz aller Vorsicht, eine, wiewohl nicht sehr klare Vorstellung oder Ahnung von seiner eigenthümlichen Stellung bekommen, aber bis auf diesen Tag hatte er noch keine ihrer Unannehmlichkeiten zu fühlen gehabt. Jetzt fing er an seinen Blick auf die Zukunft zu richten; – und unbestimmte, dunkle Besorgnisse – ein Bewußtseyn, welchen Anhalt, welchen Schutz, welche Stellung er mit dem Tode seines Vaters verloren – beschlichen ihn schaudrig kalt.
Während er so brütete, hörte man die Glocke ziehen; er erhob das Haupt; es war der Postbote mit einem Brief. Philipp stand rasch auf und nahm den Brief, das Gesicht abwendend, auf welchem die Thränen noch nicht getrocknet waren; und dann, sein Obstkörbchen ergreifend, trat er in seiner Mutter Zimmer.
Die Läden waren halb geschlossen gegen die Tageshelle – oh! welch ein Hohn liegt in dem Lächeln der glücklichen Sonne, wenn sie auf Unglückliche scheint! Mrs. Morton saß, oder vielmehr kauerte, in einer fernen Ecke, die strömenden Augen starr ins Leere hinausschauend, – empfindungslos, zusammengesunken – das Bild des trostlosen Jammers; und Sidney flocht zu ihren Füßen Blumenkränze.
»Mama! Mutter!« flüsterte Philipp, indem er seine Arme um ihren Hals schlang; »sieh auf! sieh auf! das Herz bricht mir, wenn ich Dich so sehe. Koste diese Früchte! Du wirst auch sterben, wenn Du es so fort treibst; und was wird aus uns werden – aus Sidney!«
Mrs. Morton schaute ihm halb abwesend ins Gesicht und versuchte zu lächeln.
»Sieh, ich habe Dir auch einen Brief gebracht; vielleicht gute Botschaften; soll ich das Siegel erbrechen?«
Mrs. Morton schüttelte leicht das Haupt und nahm den Brief – ach! wie ganz anders war er als derjenige, welchen Sidney vor noch nicht vierzehn Tagen ihr eingehändigt! Es war Mr. Robert Beauforts Handschrift. Sie schauderte und legte ihn weg, und jetzt zuckte ihr plötzlich, zum erstenmal, wie ein Blitz das Gefühl ihrer seltsamen Lage durch den Sinn – die Furcht vor der Zukunft. Was sollte fortan aus ihren Söhnen werden? Was aus ihr selbst? Wie geweiht und heilig auch ihre Ehe gewesen, das Gesetz konnte ihr doch entstehen. Von der Verfügung des Mr. Robert Beaufort konnte das Schicksal von drei Leben abhängen! Sie rang nach Athem, sie nahm den Brief wieder auf und überflog den Inhalt; er lautete so:
»Liebe Madame, – wohl einsehend, daß Ihr natürlich besorgt seyn müßt wegen der künftigen Aussichten für Eure Kinder und Euch selbst, da mein armer Bruder Euch zurückließ, ohne irgend eine Vorsorge getroffen zu haben, ergreife ich so frühe, als nur immer Schicklichkeit und Anstand es mir zu gestatten scheinen, die Gelegenheit, Euch von meinen Absichten in Kenntniß zu setzen. Ich brauche nicht zu sagen, daß, streng genommen, Ihr keinerlei Ansprüche an die Verwandten meines verstorbenen Bruders machen könnt; auch will ich Euren Gefühlen nicht wehe thun durch moralische Betrachtungen, die, so hoffe ich, in dieser Zeit des Kummers sich Euch unwillkürlich von selbst aufdrängen müssen. Ohne weiter auf Euer eigenthümliches Verhältniß zu meinem Bruder hinzuweisen, darf ich doch vielleicht mir erlauben beizufügen, daß diese Verbindung sehr wesentlich dazu beitrug, ihn von den rechtmäßigen Gliedern seiner Familie zu trennen; und bei der Berathung mit ihnen über eine Versorgung für Euch und Eure Kinder fand ich, daß außer Bedenklichkeiten, welche geachtet werden müssen, auch eine gewisse, sehr erklärliche Bitterkeit in ihren Gemüthern haftet. Aus Achtung jedoch für meinen armen Bruder, (obgleich ich ihn in den letzten Jahren sehr wenig sah,) bin ich bereit, diesen Gefühlen Stillschweigen aufzuerlegen, die ich, wie Ihr Euch wohl denken könnt, als Vater und Gatte mit den übrigen Gliedern meiner Familie theile. Ihr werdet Euch vermuthlich jetzt dafür entscheiden, bei Verwandten von Euch zu leben; und damit Ihr ihnen nicht ganz zur Last fallet, will ich Euch erklären, daß ich Euch hundert Pfund jährlich bewilligen werde, vierteljährlich zahlbar, wenn es Euch lieber ist. Auch könnt Ihr gewisse Artikel von Leinwand und Silber auswählen, wovon ich eine Liste beilege. Was Eure Söhne betrifft, so habe ich nichts dagegen, sie in eine lateinische Schule zu schicken, und sie im passenden Alter irgend ein für ihre künftige Stellung angemessenes Gewerbe erlernen zu lassen, bei dessen Wahl Eure Familie Euch den besten Rath wird ertheilen können. Wenn sie sich gut aufführen, können sie immer auf meine Protektion rechnen. Ich wünschte nicht, Euch zu treiben und zu drängen; aber vermuthlich wird es für Euch nur schmerzlich seyn, länger als durchaus nöthig an einem Ort zu verweilen, an den sich so viel leidige Erinnerungen knüpfen; und da das Landhaus verkauft werden soll – mein Schwager, Lord Lilburne, meint wirklich, es würde ihm anstehen, – werdet Ihr den störenden Besuchen von Fremden, die es besehen wollen, ausgesetzt seyn; und in der That ist, wie Ihr selbst fühlen müßt, Euer längerer Aufenthalt in Fernside eigentlich ein Hinderniß für den Verkauf. Ich erlaube mir, Euch einen Wechsel von 100 Pfund einzuschließen, zur Bestreitung augenblicklicher Ausgaben, und erbitte mir, wenn Ihr fest eingerichtet seyd, Nachricht, wohin das erste Quartal soll bezahlt werden.
Ich werde an Mr. Jackson schreiben, (so heißt, glaub' ich, der Bailiff Gerichtsvollzieher. – Anm.d.Hrsg,) und ihm meine genauern Anweisungen mittheilen in Betreff des Verlaufs der Gäule u. s. w, und der Entlassung der Dienerschaft, damit Ihr keine weitere Mühe habt.
Ich bin, Madame,
Euer gehorsamer Diener
Robert Beaufort.
Berkeley Square, 12. September 18**.«
Der Brief entfiel Katharinens Händen. Ihr Schmerz war in Entrüstung und Abscheu verwandelt. »Der Uebermüthige!« rief sie mit stammenden Augen. »Das mir! – mir! dem Weibe, dem rechtmäßigen Weibe seines Bruders! Der vermählten Mutter von seines Bruders Kindern!«
»Sage das noch einmal Mutter! noch einmal!« rief Philipp mit lauter Stimme. »Seinem Weibe! Vermählt!«
»Ich schwöre es,« sagte Katharine feierlich. »Ich bewahrte das Geheimniß Eurem Vater zulieb. Jetzt, um Euretwillen, muß die Wahrheit bekannt werden.«
»Gott sey Dank! Gott sey Dank!« murmelte Philipp mit bebender Stimme, indem er seine Arme um seinen Bruder schlang. »Wir haben kein Brandmal auf unserm Namen, Sidney.«
Bei diesen Worten, so voll von unterdrückter Freude und Stolz, empfand die Mutter auf einmal, was Alles ihr Sohn geargwohnt und verheimlicht hatte. Sie fühlte, daß unter seinem hochfahrenden und eigensinnigen Charakter zarte und großmüthige Nachsicht gegen sie gekeimt und sich erhalten hatte; daß seine Fehler selbst vielleicht aus seiner zweideutigen Stellung möchten entsprungen seyn; und ein Stachel der Reue wegen der langen Aufopferung der Kinder für das Interesse des Vaters drang plötzlich in ihr Herz.
Darauf folgte eine Angst, eine entsetzliche Angst, peinlicher noch als die Reue. Die Beweise, welche Mutter und Kinder reinigen sollten! Die Worte ihres Gatten an jenem letzten, entsetzlichen Morgen klangen ihr im Ohr. Der Geistliche todt! Der Zeuge fern abwesend! Das Register verloren! Aber die Abschrift aus jenem Register! Die Abschrift! konnte die nicht genügen?
Sie stöhnte und schloß die Augen, als wollte sie sich gegen die Zukunft verblenden; dann fuhr sie plötzlich auf, eilte aus dem Zimmer und flog geradenwegs nach Beauforts Studirzimmer. Als sie die Hand auf die Thürschnalle Süddeutsch bzw. österreichisch. – »Handle of the door«: Türklinke. – Anm.d.Hrsg. legte, zitterte sie und bebte zurück. Aber die Sorge für die Lebenden war in diesem Augenblick stärker als selbst der Gram um den Todten; sie trat in das Gemach; sie trat mit festem Schritt auf den Schreibtisch zu. Er war verschlossen; Robert Beauforts Siegel auf dem Schloß; – auf jedem Wandschrank, jedem Schrein, jeder Schieblade dasselbe Siegel, welches von Rechten zeugte, gültiger als die ihrigen.
Aber Katharine ließ sich nicht abschrecken; sie wandte sich um und sah Philipp an ihrer Seite; sie deutete stumm auf den Schreibtisch; der Knabe verstand die Aufforderung. Er verließ das Zimmer und kehrte nach wenigen Augenblicken mit einem Meisel zurück. Das Schloß ward aufgebrochen; zitternd und begierig durchwühlte Katharine den Inhalt, sie öffnete Papier um Papier, Brief um Brief, umsonst! kein Certifikat, kein Testament, keine Denkschrift. Konnte der Bruder den verhängnißvollen Beweis entfremdet haben?
Ein Wort genügte Philipp zu erklären, was sie suchte, und sein Suchen war noch pünktlicher als das ihrige. Jedes Behältniß, wo nur immer Papiere seyn konnten, in diesem Zimmer, im ganzen Hause wurde durchforscht, und doch blieb alles Suchen fruchtlos.
Drei Stunden nachher waren sie in demselben Zimmer, in welches Philipp seiner Mutter den Brief von Robert Beaufort gebracht hatte. Katharine saß da, ohne Thränen, aber todtesblaß vor Kummer und Jammer.
»Mutter,« sagte Philipp, »darf ich den Brief jetzt lesen?«
»Ja, Knabe; und entscheide Du für uns Alle.«
Sie schwieg, und betrachtete sein Gesicht, während er las. Er fühlte daß ihr Auge auf ihm ruhte, und beherrschte seine Gemüthsbewegung, als er weiter las. Als er zu Ende war, erhob er sein dunkles Auge gegen Katharinens ihn beobachtendes Antlitz.
»Mutter, ob wir nun unsre Rechte durchsetzen oder nicht, jedenfalls wirst Du die Barmherzigkeit dieses Mannes ablehnen. Ich bin jung – ein Knabe; aber ich bin stark und tüchtig. Ich will Tag und Nacht für Dich arbeiten. Ich habe die Kraft dazu in mir – ich fühle es; Alles lieber als sein Brod essen!«
»Philipp! Philipp! Du bist in Wahrheit mein Sohn; Deines Vaters Sohn! Und machst Du keine Vorwürfe Deiner Mutter, die so schwach, so pflichtvergessen war, die Rechtmäßigkeit Deiner Geburt zu verheimlichen, bis die Entdeckung ach! vielleicht zu spät kommt? Oh! mach' mir Vorwürfe, mach' mir Vorwürfe! sie werden mir wohl thun! Nein! küsse mich nicht! ich kann es nicht ertragen. Knabe! Knabe! wenn uns, wie mein Herz mir sagt, der Beweis nicht gelingt, verstehst Du, was dann ich, in den Augen der Welt, bin; was Ihr seyd?«
»Ja!« sagte Philipp fest; und er fiel vor ihr auf die Kniee. »Wie auch Andere Dich nennen, Du bist meine Mutter und ich Dein Sohn. Du bist, nach dem Urtheil des Himmels, meines Vaters Weib, und ich sein Erbe!«
Katharine beugte ihr Haupt herab und sank mit einem Thränenstrom in seine Arme. Sidney schlich zu ihr heran und drückte seine Lippen auf ihre kalte Wange. »Mama, was quält Dich? Mama, Mama!«
»Oh! Sidney, Sidney! Wie er seinem Vater gleicht! Sieh ihn an, Philipp! Thun wir recht, auch dies Almosen auszuschlagen? Soll auch er ein Bettler seyn?«
»Niemals ein Bettler!« sagte Philipp mit einem Stolz, der zeigte, welche harte Schule er noch durchzumachen hatte. »Die rechtmäßigen Söhne eines Beaufort sind nicht dazu geboren, ihr Brod zu erbetteln!«