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Jul. Liebt ihn, edles Fräulein!
Es ist ein edler und rechtschaffener Herr.
Ich fand ihn immer so.
Liebt ihn nicht minder, als ich that, und dient ihm,
Und segn' Euch Gott – Ihr segnet meine Asche!
Beaumont und Fletcher.
Die Doppelheirath.
Wir haben uns zu lange von Fanny entfernt – es ist Zeit, daß wir zu ihr zurückkehren.
Die Freude, die sie empfand, als Philipp ihr begreiflich machte, welche Wohlthaten, welche Segnungen ihr Muth, ja, ihr Verstand ihm gewonnen, – das erröthende Entzücken, womit sie (als sie nach H*** zurückkehrten, an dem ereignißreichen Morgen ihrer Befreiung, Seite an Seite – ihre Hand von der seinigen gefaßt, und oft dankbar an seinen Mund gedrückt,) seine Lobeserhebungen, seinen Dank, seine Angst um ihre Sicherheit, seine Freude über ihre Befreiung anhörte – Alles dies stieg bis zu einer Seligkeit, von der sie bisher nicht gedacht hatte, daß das Leben sie gewähren könne, und als er sie verließ, um mit der entdeckten Urkunde zu seinem Advokaten zu eilen, da dauerte seine Abwesenheit nur eine Stunde. Er kehrte zurück und verließ sie einige Tage nicht.
Und in dieser Zeit bemerkte er ihre erstaunlichen, und wie ihm vorkam, wunderähnlichen Fortschritte in Allem, was den Geist dem Geist ebenbürtig macht, – wunderähnlich, denn er ahnte Nichts von dem Einfluß der Macht, welcher Wunder alltäglich sind, und jetzt hörte er ihr aufmerksam zu, wenn sie sprach; – er las mit ihr (obgleich das Lesen nie sehr seine Sache war), sein nicht verwöhntes Ohr war entzückt von ihrer Stimme, wenn sie jene einfachen Lieder sang; – und sein Benehmen war, vermöge seiner Dankbarkeit sowohl für den wichtigen Dienst, den sie ihm geleistet, als der Entdeckung daß Fanny weder dem Geist noch den Jahren nach mehr ein Kind sey, obwohl nicht minder zart als zuvor, doch minder vertraulich, weniger das einer überlegenen Person, achtungsvoller und ernster. Es war eine Veränderung, die sie in ihrer Selbstachtung hob. Ach! das waren rosenfarbene Tage für Fanny!
Ein minder scharfsinniger Kenner und Beurtheiler der Charaktere als Lilburne, hätte vielleicht Zweifel gefaßt gegen die Beschaffenheit von Philipps Interesse für Fanny. Aber er begriff sogleich die brüderliche Theilnahme, die ein Mann wie Philipp wohl empfinden konnte für ein Geschöpf wie Fanny, wenn sie seiner Sorge empfohlen war von einem Beschützer, dessen Schicksal so entsetzlich gewesen, wie das, welches William Gawtreys Leben verschlungen.
Lilburne hatte zuerst den Gedanken, sie für sich anzusprechen; aber da es nicht in seiner Macht stand, sie zu zwingen, bei ihm ihren Aufenthalt zu nehmen, wünschte er, bei genauerer Ueberlegung, nicht, wieder in Berührung mit Philipp zu kommen auf einem Gebiete voll so demüthigenden Erinnerungen, wie das noch von den Bildern Gawtreys und Marys beschattete. Er begnügte sich damit, an Simon einen schlauen, feinersonnenen Brief zu schreiben, des Inhalts, daß er aus Fannys Aufenthalt bei Mr. Gawtrey und aus ihrer Aehnlichkeit mit ihrer Mutter, die er nur als Kind gesehen, ihre Verwandtschaft mit ihm selbst vermuthet habe; und da er andere Zeugnisse hiefür in die Hand bekommen (welche oder woher, gab er nicht an), habe er keinen Anstand genommen, sie unter sein Dach zu entführen, mit dem Vorsatz, dem Mr. Simon Gawtrey am folgenden Tage Alles zu erklären.
Dieser Brief war von einem zweiten von einem Advokaten begleitet, welcher Simon Gawtrey benachrichtigte, daß Lord Lilburne 200 Pf. jährlich in vierteljährlichen Raten an ihn zahlen wolle; diesem war beigefügt, daß der Lord, wenn das junge Frauenzimmer, das er so wohlwollend auferzogen, volljährig werde, oder heirathe, ihr auch eine genügende Ausstattung zu Theil werden lassen wolle.
Simons Geist flammte auf bei dieser Nachricht, als man sie ihm vorlas, obgleich er weder begriff, noch zu erfahren suchte, warum Lord Lilburne so großmüthig sey, oder was dieses Edelmanns Brief an ihn bewirken sollte. Zwei Tage lang schien er wieder im Besitz kräftiger Besinnung; aber nachdem er einmal die erste vorausgemachte Zahlung in seine Hände bekommen, schien die Berührung des Geldes ihn wieder in seine Lethargie zurückzuversenken; – die Aufregung des Verlangens erstarb im Gefühl des Besitzes.
Und gerade um dieses Zeit erreichte Fannys Glück sein Ende. Philipp erhielt Arthur Beauforts Brief; und jetzt folgten lange und häufige Abwesenheiten; und nach seiner Rückkehr jedesmal nur für eine Stunde oder so sprach er von Gram und Tod; und die Bücher wurden zugemacht und der Gesang verstummte. Alle Besorgniß um Fannys Sicherheit war natürlich – die Bedürfnisse für ihre Arbeiten – für ihre kleine Haushaltung stiegen. Sie ging nie ohne Sarah aus; aber sie hätte gewünscht, es wäre einige Gefahr für sie vorhanden gewesen, daß er davor auf der Hut hätte seyn müssen – oder eine Prüfung, daß sein Lächeln sie getröstet und gestärkt hätte. Seine öftere, lange Abwesenheit begann an ihr zu nagen, die Bücher interessirten sie nicht mehr – kein Lernen füllte die traurige Leere – ihr Schritt wurde unstet – ihre Wange blaß – sie merkte endlich, daß seine Anwesenheit ihr zum Lebensbedürfniß geworden war.
Eines Tages kam er früher als gewöhnlich, und mit einem viel heitreren und glücklicheren Ausdruck, als sein Angesicht in neuern Zeiten zu haben pflegte, nach Hause. Simon schlummerte in seinem Lehnstuhl, und sein alter Hund, jetzt kaum mehr vermögend zu bellen, schmiegte sich zu seinen Füßen. Weder Mann noch Hund konnten als Zeugen dessen, was gesprochen wurde, mehr gelten, als der lederne Stuhl oder der Kaminteppich, worauf der Eine und der Andere ruhten.
Ein Umstand trug in der Wirklichkeit viel bei zu dem Interesse von Fannys sonderbarem Schicksal, den ich aber in der Erzählung, wie ich wohl fühle, dem Leser nicht recht werde verständlich machen können, und dies war ihr Verhältniß zu dem alten Manne und ihr Aufenthalt bei ihm. Ihr Charakter bildete sich, während der seinige dahin war; – hier das weiße Blatt, das sich füllte, – dort das beschriebene, das zum leeren Blatt verbleichte. Es war das gänzliche, völlige Lebendigtodtseyn Simons, was, zum Sehen so ergreifend, es doch unmöglich macht, ihn dem Leser darzustellen in der ganzen Stärke des Contrastes, den er der jungen Psyche gegenüber machte. Er sprach selten – oft vom Morgen bis in die Nacht nicht – er ging jetzt selten mehr aus.
Es wäre vergeblich, das Unbeschreibliche beschreiben zu wollen, – möge der Leser sich selbst das Bild entwerfen, und wenn er (wie ich hoffe, daß er manchmal thun werde, nachdem er dies Buch zugeschlagen) das Bild heraufbeschwört, das sich ihm an den Namen der Heldin knüpft, dann denke er sich vor ihr, während sie durch das dürftige Zimmer schwebte, – während sie der Stimme dessen, den sie liebt, horcht – wenn sie sinnend am Fenster sitzt; von wo gerade noch der Kirchthurmgiebel sichtbar – während Tag für Tag die Seele in ihr sich dehnt und verklärt – der Leser denke sich dann innerhalb derselben Wände, mit grauen Haaren, blind, stumpf gegen jedes Gefühl, eingefroren gegen alles Leben – dies steinerne Bild der Zeit und des Todes! Dann kann er vielleicht begreifen, warum diejenigen, welche, die wirkliche lebendige Fanny in dieser eiskalten und verschatteten Atmosphäre jugendlich blühen sahen, ihre Armuth, ihre Einfalt, ihre bezaubernde Schönheit durch den Contrast gesteigert empfanden, und sie in Verbindung setzten mit Gedanken und Bildern – geheimnisvoll und tiefen Sinnes – die eben so viel Erhabenes als Liebliches hatten.
So saß der alte Mann da; und Philipp, der, obgleich er ihn anwesend wußte, redete, als ob er mit Fanny allein wäre, sprach, nachdem er verschiedene mehr zufällige Gegenstände berührt, also zu ihr:
»Meine wahre, theure Freundin, Euch werde ich nicht nur meine Rechte und mein Vermögen, sondern auch die Wiederherstellung des reinen Namens meiner Mutter zu danken haben. Ihr habt nicht nur Blumen auf jenen Grabstein gestreut, sondern durch Euer Verdienst, unter der Leitung der Vorsehung, wird auch endlich der Name darauf geschrieben werden, der alle Verläumdung niederschlägt. Jung und unschuldig, wie Ihr jetzt seyd, meine holde und geliebte Wohlthäterin, könnt Ihr noch nicht fassen, welch eine Seligkeit es für mich seyn wird, diesen Namen auf den einfachen Stein graben zu lassen. Später, wenn Ihr Gattin, Mutter seyd, werdet Ihr begreifen, welchen Dienst Ihr den Lebenden und Todten geleistet!«
Er hielt inne – kämpfend mit dem Sturm von Gefühlen, die auf sein Herz eindrangen. Ach! den Todten! – welchen Dienst können wir ihnen leisten? – was half es jetzt dem Staub drunten oder der unsterblichen Seele droben, daß die Narren und Schurken dieser Welt den Namen der Catharine, deren Leben dahin, deren Ohr taub war, mit mehr oder weniger Achtung nannten? In der Verläumdung liegt ein solches Gift, daß, auch wenn der Charakter und Ruf den Schimpf abschüttelt, doch das Herz unter den Folgen fortkrankt. Man sagt, die Wahrheit komme früher oder später an den Tag; aber sie kommt selten, ehe die Seele, von der Qual und Pein zur Verachtung übergehend, gleichgültig geworden ist gegen das Urtheil der Menschen. Verläumdet einen Menschen in der Jugend – schmeichelt demselben im Alter; – was lag dazwischen? Wird die Schmeichelei die Qual vergüten, oder die Verhärtung, welche endlich durch die Qual erzeugt wird? Und wenn, wie bei Catharinen (ein wie häufiger Fall!) die Wahrheit zu spät kommt; – wenn das Grab sich geschlossen hat, – wenn das Herz, das Ihr geneigt, nicht mehr gepeinigt werden kann – ha! dann ist die Wahrheit so werthlos wie die Inschrift auf einen vergessenen Namen!
Eine solche geheime Ueberzeugung von der Hohlheit seiner eigenen Worte schnitt Philipp, während er von dem den Todten geleisteten Dienste sprach, ins Herz, und hemmte den Erguß seiner Worte.
Fanny, nur an sein Lob, seinen Dank, und die zärtliche Rührung seiner Stimme denkend, stand noch schweigend da, – mit niedergeschlagenen Augen, gehobener Brust.
Philipp fuhr fort, –
»Und nun Fanny, meine geehrte Schwester, möchte ich Euch meinen Dank sagen für noch mehr als dies, wenn es möglich wäre. Ich verdanke Euch nicht blos Namen und Vermögen, sondern auch mein Glück. In Kraft der Rechte, zu denen Ihr mir verholfen, und welche bald öffentlich werden anerkannt werden, bin ich im Stande, um eine Hand zu bitten, nach der lang mich gesehnt – die Hand eines Wesens, mir so theuer wie Ihr. Mit Einem Wort, heute ist die Zeit festgesetzt worden, wo ich Euch und diesem alten Mann eine Heimath anbieten – wo ich Euch eine Schwester vorstellen kann, die Euch schätzen wird, wie ich; denn ich liebe Euch so innig – ich verdanke Euch so viel – daß selbst diese Heimath ohne Euch nicht die Hälfte ihres Reizes besäße. Versteht Ihr mich, Fanny? die Schwester, von der ich spreche, wird meine Gattin seyn!«
Das arme Mädchen, das diese Rede voll grausamer Zärtlichkeit hatte anhören müssen, fiel nicht zu Boden, ward nicht ohnmächtig, zeigte äußerlich keine Gemüthsbewegung, außer durch tödtliche Blässe. Sie war wie in Stein verwandelt. Selbst der Athem blieb einige Augenblicke aus, und kam dann mit einem langen, tiefen Seufzer wieder.
Sie legte ihre Hand sanft auf seinem« Arm und sagte ruhig:
»Ja – ich verstehe. Wir sahen einmal eine Hochzeit. Ihr werdet heirathen – ich werde die Eurige sehen.«
»Das werdet Ihr; und später vielleicht sehe ich die Eurige. Ich habe einen Bruder. Ach! wenn ich ihn nur finden könnte – jünger als ich – schön beinahe wie Ihr!«
»Ihr werdet glücklich seyn,« sagte Fanny immer noch ruhig.
»Lang habe ich meine Hoffnungen von Glück auf eine solche Verbindung gesetzt. Halt! Wohin geht Ihr?«
»Ich will für Euch beten,« sagte Fanny mit einem Lächeln, worin etwas von der alten Leerheit lag, und sie schritt leise aus dem Zimmer. Philipp folgte ihr mit feuchtem Auge. Er hatte keine Ahnung von ihrem Geheimniß, und ihr Benehmen jetzt hätte auch einen Eitleren täuschen können. Er verließ bald das Haus und kehrte nach London zurück.
Drei Stunden nachher fand Sarah Fanny ausgestreckt auf dem Boden ihres Zimmers liegen – so ruhig – so weiß, daß die Alte einige Augenblicke wähnte, das Leben sey entflohen. Sie erholte sich jedoch allmälig; und nachdem sie die Hände vor die Augen gedrückt und eine Weile vor sich gemurmelt hatte, schien sie wieder so ziemlich wie sonst zu seyn, nur daß sie schweigsamer war, und ihre Lippen farblos blieben, und ihre Hände kalt wie Stein.