Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

So sticht und windet's seltsam sich
   So lange währt der lust'ge Mai;
Benütz den Mai – wenn er dahin,
   Ist die Zeit der Freude vorbei!

Richard Edwards.

Es war die Zeit des Jahres, wo London für diejenigen, welche die Oberfläche der Geselligkeit und Gesellschaft im Auge haben, das strahlendste Lächeln zeigt, wo die Läden am fröhlichsten geputzt und gefüllt sind, der Verkehr am lebhaftesten geht; wo durch die Straßen und Plätze rollen und schimmern die zahllosen Ströme arbeitslosen und genußgeweihten Lebens; wo die höhere Classe verschwendet und die Mittelclasse erwirbt; wo der Ballsaal der Markt der Schönheit ist, und das Clubbhaus die Lästerschule; wo die Spielhöllen nach ihrem Raube gähnen, – und Opernsänger und Geiger – Geschöpfe, aus Gold ausgebrütet, wie die Mistfliege aus dem Mist – schwärmen und summen und fett werden, um die Haut des günstigen Publikums herum. In der stehenden Phrase: Es war die Londoner Saison.

Und glücklich, wenn man Alles zusammen nimmt, glücklicher als der Rest des Jahres selbst für die vom Glück nicht Begünstigten, ist diese Periode der Gährung und des Fiebers. Es ist nicht die Jahrszeit für Gläubiger, und der Schuldner schleicht mit minder ängstlichem Auge herum; das Wetter ist warm, und der Vagabund schläft ohne zu frieren unter dem Portikus im Sternenschein; der Bettler kommt fort und der Dieb hat gute Zeit, – denn die üppig wuchernde Civilisation hat einen Ueberfluß, nach dem Alle die Krallen ausstrecken, und aus der allgemeinen Verderbniß kriechen schmutzige und elende Wesen hervor, um sich im allgemeinen Sonnenschein zu wärmen – Wesen, welche zu Grunde gehen, wenn die ersten Herbstwinde durch die melancholische Stadt pfeifen.

Es ist die fröhliche Zeit für den Erben und für die Schönheit, für den Staatsmann und den Advokaten, für die Mutter mit ihren jungen Töchtern, für den Künstler mit seinen neuen Gemälden, und für den Dichter mit seinem neuen Buch. Es ist auch die fröhliche Zeit für den Tagelöhner und den zerlumpten Heimathlosen, der mit langen Schritten und geduldigem Auge, auf einen Penny harrend, dem Reiter folgt, welcher ihn umsonst zum Teufel gehen heißt. Es ist eine fröhliche Zeit für die geschminkte Buhlerin in karmoisinrothem Pelzkleid; und eine fröhliche Zeit für die alte Hexe, die um die Schwellen der Branntweinläden sich herumtreibt, um in einem tüchtigen Schluck die Träume der entflohenen Jugend zurückzukaufen.

Kurz, fröhlich ist sie, wie das volle Gewimmel einer ungeheuern Stadt immer fröhlich ist – für das Laster wie für die Unschuld, für die Armuth wie für den Reichthum, und die Räder jedes einzelnen Schicksals drehen sich lustiger, mögen sie nun dem Himmel oder der Hölle zu gerichtet seyn.

 

Arthur Beaufort, der junge Erbe, befand sich in seines Vaters Hause. Er kam frisch von Oxford, wo er schon die Entdeckung gemacht hatte, daß Gelehrsamkeit nicht besser ist als Haus und Land. Seit sich ihm die neuen Aussichten eröffnet, war Arthur Beaufort sehr verändert. Von Natur arbeitsliebend und klug würde er, wären seine Vermögensverhältnisse so geblieben, wie sie vor seines Oheims Tode waren, wahrscheinlich ein fleißiger und ausgezeichneter Mann geworden seyn. Aber obwohl seine Talente gut waren, besaß er doch nicht jenen rastlosen Drang und Eifer, welcher dem Genius eignet – und oft nicht nur sein Ruhm, sondern sein Fluch ist. Der goldne Zauberstab machte seine Kräfte auf einmal in Schlaf sinken. Gutmüthig bis zum Fehlerhaften und etwas schwankend in seinem Charakter nahm er das Benehmen und das Gesetzbuch der reichen, jungen Müßiggänger an, welche im Collegium seine Genossen waren. Er wurde wie sie sorglos, ein Freund von Vergnügungen und ausgelassenem Leben.

Diese Veränderung, nachtheilig für seinen Geist, wirkte vortheilhaft auf sein Aeußeres. Es war eine Veränderung, die nothwendig den Frauen gefallen mußte, und am meisten unter allen Frauen seiner Mutter.

Mrs. Beaufort war eine Dame von hoher Geburt, und Robert, als er sie heirathete, hatte Viel von dem Einfluß ihrer Verwandten gehofft; aber ein Wechsel im Ministerium hatte ihre Verwandten aus dem Besitz der Macht verdrängt; und außer ihrer Mitgift erlangte er keinen weltlichen Vortheil mit der Dame seiner eigennützigen Wahl. Mrs. Beaufort war eine Frau, die mit zwei Worten beschrieben ist. Sie war durch und durch gewöhnlich und alltäglich – weder schlimm noch gut, weder gescheit noch einfältig. Sie war, was man gut erzogen nennt, das heißt langweilig, schweigsam, vollkommen gut gekleidet und ungeschmackt Schriftsprachlich im 18. Jh. bereits veraltet, im süddeutschen Raum, aus dem der Übersetzer stammt, in der gesprochenen Sprache jedoch fortlebend. Hier in der Bedeutung: »fade«. – Anm.d.Hrsg..

Von ihren zwei Kindern war Arthur beinahe der ausschließliche Liebling, zumal seit er der Erbe eines so glänzenden Vermögens geworden. Denn sie war so sehr das blind geleitete Geschöpf der Welt, daß selbst ihre Zärtlichkeit kalt oder warm war in dem Verhältniß, als die Welt darauf schien. Ohne ihren Mann eigentlich zu lieben, hatte sie ihn doch gern – sie paßten zu einander; und trotz aller Versuchungen, welche sie in jüngern Jahren umringt hatten, (denn sie hatte für eine Schönheit gegolten und hatte, wie weltliche Leute müssen, in Kreisen gelebt, wo Beispiele von straflos ausgehender Galanterie zahlreich und ansteckend waren,) war ihr Wandel doch immer streng sittlich gewesen.

Sie hatte wenig oder kein Gefühl für Unglück, mit dem sie nie in Berührung gekommen war; für Unglück solcher Art, das sie in ihrer Nähe gesehen, wie die Bedrängniß jüngerer Söhne, oder Verirrungen fashionabler Frauen, oder das Fehlschlagen eines »gerechten Ehrgeizes,« hatte sie mehr Mitgefühl, als man hätte erwarten können; und sie berührte dergleichen mit all dem Takt gebildeter Menschenliebe und weiblicher Nachsicht. So war sie, obgleich im Punkt des moralischen Decorum als eine strenge Person betrachtet, doch in der Gesellschaft beliebt, wie Frauen, die hübsch und zugleich harmlos sind, es gewöhnlich zu seyn pflegen.

Wir müssen der Mrs. Beaufort die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie nicht in den Brief eingeweiht war, welchen ihr Gatte an Katharine schrieb, obgleich sie nicht ganz unschuldig daran war. Die Wahrheit ist: Robert hatte ihr nie die besondern Umstände auseinander gesetzt, welche bei Katharinen eine Ausnahme von den gewöhnlichen Regeln begründeten – nie die großmüthigen Anerbietungen seines Bruders gegen ihn in der Nacht vor seinem Tode; und nie die vollkommene Ergebenheit und Treue, welche Katharine dem Verstorbenen erwiesen – mochte er auch selbst hinsichtlich der behaupteten Trauung ganz ungläubig seyn; er hatte nur hingeworfen:

»Ich muß, glaube ich, Etwas für dieses Frau thun; sie hätte um ein Haar meinen Bruder beschwätzt, daß er sie heirathe; und dann würde er nach Allem, was ich weiß, Arthur vom Besitz der Güter ausgeschlossen haben. Dennoch muß ich wohl Etwas für sie thun – he?«

»Ja, ich denke so. Was war sie denn? – Von sehr niedrigem Stande?«

»Eines Gewerbsmanns Tochter.«

»Die Kinder sollte man versorgen gemäß dem Stand der Mutter, das ist die gewöhnliche Regel in solchen Fällen; und der Mutter sollte man etwa so viel aussetzen, als sie ungefähr hätte zu erwarten gehabt, wenn sie einen Gewerbsmann geheirathet hätte und Wittwe geworden wäre. Ich glaube wohl, daß sie eine sehr abgefeimte Person gewesen und Nichts verdient; aber es ist immer schöner in den Augen der Welt, sich an die allgemeinen Regeln halten, welche von den Leuten angenommen werden in Geldsachen.«

So sprach Mrs. Beaufort. Sie setzte voraus, ihr Gatte habe die Sache ins Reine gebracht, und kam nie wieder darauf zurück. Sie hatte in der That den verstorbnen Mr. Beaufort nie leiden können, denn sie fand ihn so mauvais ton.

 

Im Frühstückzimmer in Beauforts Hause saßen Mutter und Sohn, Jene mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt, Dieser in ein Fenster sich lehnend; sie waren nicht allein.

In einem großen Ellbogenstuhl saß ein Mann mittleren Alters, der dem Geplauder eines schönen kleinen Mädchens – Arthur Beauforts Schwester – zuhörte, oder zuzuhören schien. Dieser Mann war nicht schön, aber es lag eine gewisse Feinheit in seinem Wesen und ein Ausdruck von Intelligenz in seinem Gesicht, wodurch seine Erscheinung angenehm wurde. Er hatte jene Art Augen, die man oft bei rothen Haaren sieht – Augen von röthlichem Braun mit sehr langen Wimpern; die Augenbrauen waren dunkel und scharf geschnitten; und das kurze Haar zeigte sehr vortheilhaft die Umrisse eines kleinen, schöngeformten Kopfes. Seine Züge waren unregelmäßig, die Gesichtsfarbe war blühend gewesen, war aber jetzt verblichen, und ein gelber Anflug mischte sich mit dem Roth. Sein Gesicht war mehr durchfurcht, besonders um die Augen, die, wenn er lachte, kaum sichtbar waren, als es selbst bei zehn Jahre ältern Männern gewöhnlich ist. Seine Zähne aber waren noch von blendendem Weiß, auch war in seinem Gesicht keine Spur von leidender Gesundheit. Er sah aus wie ein Mann, der tüchtig gelebt, aber der noch Viel in der Lampe hat, um den Docht zu nähren. Auf den ersten Blick erschien er, wie er so nachläßig in seinem Sessel hockte, schmächtig – beinahe gebrechlich. Aber bei näherer Prüfung fand man, daß trotz der kleinen Hände und Füße und der kleinen Knochen sein Körper doch kräftig gebaut war. Ohne breitschulterig zu seyn, hatte er doch eine sehr hohe Brust – eine höhere als Männer, die neben ihm Riesen schienen; und seine Geberden hatten die Leichtigkeit eines an ein ruhiges Leben in der Welt gewöhnten Mannes. In der That war er in seiner Jugend berühmt gewesen wegen seiner Geschicklichkeit in athletischen Uebungen, aber eine Wunde, die er vor Jahren in einem Duell empfangen, hatte ihn auf Lebenszeit lahm gemacht – ein Unglück, das seine frühern Lebensgewohnheiten störte, und sein Gemüth verbittert haben sollte.

Dieser Mann, dessen Stellung und Charakter später geschildert werden wird, war Lord Lilburne, der Bruder der Mrs. Beaufort.

»So, Camilla,« sagte Lord Lilburne zu seiner Nichte, indem er ihr nachläßig, nicht zärtlich, die glänzenden Locken streichelte, »Berkeley-Square gefällt Dir nicht so gut als Dir Gloucester-Place gefiel?«

»Oh nein, nicht halb so gut. Seht Ihr, ich spaziere jetzt nie aufs Feld Das Originals hat hier die Fußnote: » Now the Regent's Park.« – Anm.d.Hrsg. hinaus und flechte Kränze von Maßlieben auf Primrose-Hill. Ich weiß nicht, was Mama meint,« fuhr das Kind flüsternd fort, »wenn sie sagt, wir befänden uns hier besser.«

Lord Lilburne lächelte, aber das Lächeln war halb Hohnlächeln.

»Du wirst es bald genug erfahren, Camilla; der Verstand junger Damen entwickelt sich sehr frühe diesseits von Oxford-Street. – Nun Arthur, und was sind heute Eure Plane?«

»Ha,« sagte Arthur, ein Gähnen unterdrückend, »ich habe versprochen, mit Einem meiner Freunde auszureiten, um ein in der Vorstadt irgendwo zum Verkauf ausgebotenes Pferd zu besehen.«

Unter diesen Worten stand Arthur auf, dehnte und streckte sich, sah in den Spiegel, und sah dann ungeduldig zum Fenster hinaus.

»Er sollte jetzt schon da seyn.«

»Er! Wer?« sagte Lord Lilburne; »der Gaul oder das andere Geschöpf – der Freund, meine ich.«

»Der Freund,« antwortete Arthur lächelnd, aber im Lächeln erröthend, denn er merkte halb den leisen Hohn seines Oheims.

»Wer ist Dein Freund, Arthur?« fragte Mrs. Beaufort von ihrer Arbeit aufsehend.

»Watson, ein Oxfordianer. Es fällt mir ein, ich muß ihn Euch vorstellen.«

»Watson! was für ein Watson? was für eine Familie der Watson? Es gibt gute Watsons und schlimme Watsons,« sagte Mrs. Beaufort nachsinnend.

»Dann sind sie den übrigen Menschenkindern sehr unähnlich,« bemerkte Lord Lilburne trocken.

»Oh! mein Watson ist eine ganz gentlemännische Person, versichre ich Euch,« sagte Arthur halb lachend, »und Ihr braucht Euch seiner nicht zu schämen.« Dann, etwas verlangend, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, fuhr er fort: »Also wird mein Vater heute von Beaufort-Court zurückkommen?«

»Ja, er schreibt in vortrefflicher Laune. Er schreibt, die Pachtrenten werden einen wenigstens zehn Prozent höhern Ertrag liefern, und das Haus erfordere nicht viel Ausbesserung.«

Hier riß Arthur das Fenster auf.

»Ah! Watson! Wie geht's? Was macht Ihr, Marsden? Danvers auch! Das ist herrlich! Je Mehrere, desto lustiger! Ich bin im Augenblicke unten. Aber wollt Ihr nicht herein kommen?«

»Eine angenehme Ueberschwemmung!« murmelte Lord Lilburne. »Drei auf einmal! er hält Euer Hans für Trinity-Collegium.«

Eine laute, klare Stimme jedoch lehnte die Einladung ab; man hörte die Pferde draußen scharren. Arthur ergriff Hut und Reitpeitsche, und warf seiner Mutter und seinem Oheim lächelnd einen Blick zu.

»Lebt wohl! ich werde bis zum Essen ausbleiben. Küste mich, meine artige Milly!«

Und als seine Schwester, die ans Fenster gerannt war, schmachtend nach der frischen Luft und nach der Bewegung, die er im Begriff war sich zu verschaffen, jetzt ihre nachdenklichen und traurigen Augen zu ihm wandte, nahm der gutherzige junge Mann sie in seine Arme, und flüsterte, während er sie küßte:

»Steh morgen früh auf, und dann machen wir solch einen hübschen Spaziergang zusammen!«

Arthur war fort; seiner Mutter Blick hatte seine junge, anmuthige Gestalt bis an die Thüre begleitet.

»Gesteht, daß er schön ist, Lilburne. Darf ich nicht Mehr sagen? hat er nicht ein stattliches Wesen?«

»Meine liebe Schwester, Euer Sohn wird reich. Was sein Wesen betrifft, so ist es stattlich genug, aber es fehlt ihm die Grazie.«

»Nun dann, Wer könnte ihn besser abschleifen als Ihr?«

»Wahrscheinlich Niemand. Aber hätte ich einen Sohn – wovor der Himmel sey! – er sollte mich nicht zum Mentor haben. Stellt einen jungen Mann – (geh' und mach' die Thüre zu, Camilla!) – zwischen zwei Laster – Weiber und Spiel, wenn Ihr ihn zur fashionabeln Glätte abschleifen wollt, unter uns – der Firniß ist etwas kostbar!«

Mrs. Beaufort seufzte. Lord Lilburne lächelte. Er hatte eine ganz eigene Freude daran, Andern wehe zu thun. Ueberdies mochte er die Jugend nicht leiden; in seiner eignen Jugend hatte er so Viel genossen, daß er bitter und sauer wurde, wenn er junge Leute sah.

 

Inzwischen ritten Arthur Beaufort und seine Freunde, aus der Hitze des Tages sich Nichts machend, lustig lachend und fröhlich plaudernd, der Vorstadt H*** zu.

»Es ist ein ungewöhnlicher Ort für ein Pferd, gewiß,« sagte Sir Harry Danvers.

»Aber ich versichre Euch,« versetzte Mr. Watson eifrig, »mein Reitknecht, der ein kapitaler Kenner ist, sagt, es sey der tüchtigste Gaul, den er je bestiegen. Er hat einige Wetten im Traben gewonnen. Er gehörte einem Gewerbsmann, der das Waidwerk und Rennen liebte und jetzt hin ist. Die Ankündigung machte mich aufmerksam.«

»Nun,« sagte Arthur munter, »jedenfalls ist der Ritt köstlich. Welches Wetter! Ihr müßt morgen Alle mit mir in Richmond speisen – wir fahren dann im Schiff zurück.«

»Und nachher machen wir ein kleines Spielchen, bei M***,« sagte Mr. Marsden, der älter, aber nicht eben besser war als die Uebrigen – ein schöner, finstrer Mann, der soeben Oxford verlassen hatte, und schon auf der Rennbahn bekannt war.

»Was Ihr wollt,« sagte Arthur und ließ sein Pferd courbettiren.

Oh! Mr. Robert Beaufort! Mr. Robert Beaufort! könnte doch Euer kluges, planemachendes weltliches Herz ahnen, welche Teufelsstreiche Euer Reichthum spielt bei einem Sohn, der, blieb er arm, der Stolz der Beauforts geworden wäre! Auf der einen Seite unsrer Goldstücke sehen wir den Heiligen den Drachen niedertreten – ein falsches Emblem! Präge man doch das Gegentheil auf die Münzen! Beim wirklichen Gebrauch des Goldes ist es der Drache, der den Heiligen niedertritt! Aber weiter! weiter! der Tag ist schön und unsre Gesellschaft lustig; benutzt aufs Beste Eure grünen Jahre, Arthur Beaufort!

Die jungen Männer hatten eben die Vorstadt H*** erreicht, und spornten jetzt, alle vier nebeneinander reitend, die Pferde zum kurzen Galopp. In diesem Augenblick ging eben ein alter Mann, der mit einem Stock den Weg tastete, denn obgleich nicht ganz blind, sah er doch sehr schwach – über den Weg. Arthur und seine Freunde, in lautem Gespräch, bemerkten den armen Wanderer nicht. Er blieb plötzlich stehen, denn sein Ohr vernahm den Ton einer herannahenden Gefahr – es war zu spät; Mr. Marsdens Pferd, hartmäulig und hoch einherschreitend, rannte mit voller Wucht gegen ihn. Mr. Marsden sah vor sich nieder …

»Zum Henker mit den alten Männern! Immer Einem im Wege!« sagte er verdrüßlich und im Ton Eines, der groß Unrecht erlitten, und damit ritt er weiter. Aber die Andern, welche jünger, welche keine Spieler, welche noch nicht durch die Räder der Welt zu Stein zermahlen waren, die Andern machten Halt. Arthur Beaufort sprang vom Pferde, und der alte Mann lag schon in seinen Armen; aber er war ernstlich beschädigt. Das Blut rieselte von seiner Stirne; er klagte über Schmerz in der Seite und in den Gliedern.

»Lehnt Euch an mich, armer Mensch! Ich will Euch heim führen. Wohnt Ihr weit weg von hier?«

»Nur einige Schritte. Das wäre mir nicht geschehen, hätte ich nur meinen Hund gehabt. Es thut nichts, Sir, geht Eures Wegs. Es ist nur ein alter Mann – was ist das? Ich wollte, ich hätte meinen Hund.«

»Ich will Euch nachkommen,« sagte Arthur zu seinen Freunden; »mein Reitknecht kennt das Haus. Ich will nur den armen alten Mann nach Haus führen und nach einem Wundarzt schicken. Ich komme bald.«

»Das sieht Euch gleich, Beaufort; das beste Gemüth von der Welt!« sagte Mr. Watson mit einiger Bewegung. »Und dort ist Marsden wahrhaftig abgestiegen, und sieht nach seines Pferds Knieen, als ob die hätten können Schaden nehmen! Da habt Ihr eine Guinee, mein Mann.«

»Und da noch eine,« sagte Sir Harry; »so das ist abgemacht. Nun also Ihr wollt uns nachkommen, Beaufort? Ihr seht den Hof dort. Wir wollen zwanzig Minuten auf Euch warten. Kommt weiter, Watson.«

Der alte Mann hatte weder die ihm vor die Füße geworfenen Goldstücke aufgelesen, noch den Gebern gedankt, und auf seinem Gesicht lag ein bitterer, mürrischer, zorniger Ausdruck.

»Muß ein Mann ein Bettler seyn, weil er niedergeritten wird, oder weil er halb blind ist?« sagte er, indem er seine trüben, schweifenden Augen schmerzlich gegen Arthur erhob. »Nun, ich wollte nur, ich hätte meinen Hund!«

»Ich will seine Stelle vertreten,« sagte Arthur begütigend. »Kommt, lehnt Euch an mich – derber; so ist's recht. Es ist Euch nicht so schlimm – he?«

»Uh – – m – die Guineen! es wäre eine Sünde, sie in der Gosse liegen zu lassen.«

Arthur lächelte. »Da sind sie, Freund.«

Der alte Mann ließ die Goldstücke in seine Tasche gleiten, und Arthur fuhr fort mit ihm zu reden, obgleich er nur kurze Antworten erhielt, und nur um ihm den Weg anzugeben, bis endlich der alte Mann vor der Thüre eines kleinen Hauses nahe beim Kirchhof stehen blieb.

Nachdem er zweimal die Glocke gezogen, ward die Thüre geöffnet von einer Frau mittleren Alters, deren Aeußeres besser war als das einer gewöhnlichen Dienerin, denn sie war, – etwas auffallend für ihre Jahre! bekleidet mit einer Haube, die sehr weit zurück auf einer schwarzen toupée saß, und mit rothen Bändern geziert war, mit einer Schürze, aus einem ostindischen seidenen Taschentuch gemacht, einem flohfarbenen Taffetkleid, schwarzseidenen Strümpfen, langen goldnen Ohrringen und einer Uhr im Gürtel.

»Gott schütze und segne uns, Sir! was ist geschehen?« rief die würdige Person und streckte die Hände in die Höhe.

»Psch! ich bin schwach: laßt mich ein. Ich brauche Eure Hülfe nicht mehr, Sir. Dank Euch. Guten Tag!«

Nicht,abgeschreckt durch dies Lebewohl, dessen mürrischer Ton an der unüberwindlichen Gutherzigkeit Arthurs harmlos abprallte, fuhr der junge Mann fort, dem verletzten Alten hülfreich beizustehen in dem schmalen Gang, der in ein kleines altmodisches Wohnzimmer führte; und sobald der Eigenthümer auf seinen wurmzerfressenen Lederstuhl gesetzt war, wurde er ohnmächtig.

Als sie das Haus erreicht, hatte Arthur seinen Diener, der mit den Pferden gefolgt war, nach dem nächsten Wundarzt geschickt: und während die alte Frau noch beschäftigt war, dem Leidenden, dem sie die Halsbinde abgenommen, Federn unter der Nase zu verbrennen, hörte man einen heftigen Ruck und ein scharfes Klingeln. Arthur öffnete die Thüre, und ließ einen flottaufgestutzten kleinen Mann in Nankingbeinkleidern und Kamaschen ein. Er polterte ins Zimmer:

»Was ist's – böser Zufall – überritten? Schlimme Geschichte, sehr schlimm! Oeffnet das Fenster! – Ein Glas Wasser – ein Handtuch. So – so: ich sehe – kein Bruch – nur Contusion. Helft ihm aus seinem Rock. Noch einen Stuhl, Madame; legt seine armen Beine darauf. Wie alt ist er, Madame? – Achtundsechzig! – Zu alt, um Blut, zu lassen. Dank Euch. Wie ist Euch, Sir? Schlecht, glaub's wohl; wird im Augenblick leichter werden – noch schwach? Wird bald Alles ins Reine gebracht seyn.«

»Tray! Tray! Wo ist Tray? Wo ist mein Hund, Mrs. Boxer?«

»Ach Gott, Sir! Was wollt Ihr jetzt mit Eurem Hund? Er ist im Hinterhof.«

»Und was soll mein Hund im Hinterhof?« kreischte beinahe der Leidende in einem Ton, der keine Abnahme der Lebenskraft verrieth. »Dacht' ichs doch, sobald ich den Rücken gewendet, werde mein Hund mißhandelt werden. Warum ging ich doch ohne meinen Hund aus? Laßt meinen Hund sogleich herein, Mrs. Boxer!«

»Alles gut; seht Ihr, Sir,« sagte der Apotheker zu Beaufort sich wendend, »keine Ursache zur Besorgniß – sehr zuträglich diese kleine Leidenschaft – thut ihm gut – bringt das Gemüth in Ordnung. Wie geschah es? Ah, ich verstehe – zu Boden geworfen – hätte können schlimmer ablaufen. Euer Reitknecht (ein scharfsinniger Kerl!) erklärte es in einem Nu, Sir. Dachte gleich nach der Beschreibung, es sey mein alter Freund hier. Würdiger Mann – hier schon manches Jahr seßhaft – sehr eigen – excentrisch (das Letzte in flüsterndem Tone.) Eilte augenblicklich her – war gerade bei Tisch – kaltes Hammelfleisch und Salat. Mr. Perkins, sagte ich, wenn Jemand nach mir fragt, ich werde in Nr. 4. Prospect-Place seyn. Euer Diener merkte sich die Nummer, Sir. Oh, ein sehr scharfsinniger Bursch! Seht, wie der alte Herr an seinem Hund eine Freude hat – hübscher kleiner Hund – welcher Stutzschwanz! Starke Praxis – erwarte jede Stunde zwei Entbindungen. Heiß Wetter für Kindbett. So sagt' ich zu Mrs. Perkins. Wenn Mrs. Plummer ihre Stunde nahen fühlt, oder Mrs. Everat, oder wenn der alte Mr. Grab wieder einen Anfall bekommt, schickt sogleich in Nummer 4. Heilkundige Männer müssen immer zu finden seyn – das ist mein Grundsatz. Jetzt Sir, wo fühlt Ihr Schmerzen?«

»In meinen Ohren, Sir.«

»Guter Himmel; das sieht schlimm aus. Seit wann fühlt Ihr sie?«

»So lang als Ihr im Zimmer seyd.«

»Oh! ich verstehe. Ha, ha! – sehr excentrisch – sehr!« murmelte der Apotheker, etwas aus der Fassung gebracht. »Nun, laßt ihn sich legen, Madame. Ich will ihm einen kleinen beruhigenden Trank schicken, sogleich zu nehmen – Pillen auf die Nacht, den Leib öffnend am Morgen. Wenn man meiner bedarf – schickt nach mir; bin immer zu finden. Ei du mein Himmel, das ist meines Jungen, des Bob, Klingeln! Seyd so gut, öffnet die Thüre, Madame. Kenne sein Klingeln – hat seine ganz eigne Art anzuziehen. Wette zehn gegen eins, es ist Mrs. Plummer, oder vielleicht Mrs. Everat – ihr neuntes Kind in acht Jahren – eine hübsche Orgelpfeifenreihe. Eine Frau wie es unter Tausend nur Eine gibt, Sir!«

Hier stürzte ein magrer Knabe mit sehr kurzen Rockermeln und sehr großen Händen mit offnem Maul in das Zimmer.

»Sir – Mr. Perkins – Sir.«

»Ich weiß – ich weiß – komme. Mrs. Plummer oder Mrs. Everat?«

»Nein, Sir; es ist die arme Dame bei der Mrs. Lacy; sie liegt ganz verzweifelt darnieder. Der Mrs. Lacy Mädchen ist eben im Laden gewesen, und hieß mich zu Euch lauen, Sir.«

»Mrs. Lacy! Ah, ich weiß schon. Die arme Mrs. Morton! Schlimmer Fall – sehr schlimm! Muß fort. Haltet ihn ruhig, Madame. Guten Tag! Sehe morgen nach ihm – um neun Uhr. Legt ihm etwas Charpie mit dem Waschmittel gesättigt auf den Kopf, Madame. Mrs. Morton! Ach, ein schlechter Handel das!«

Hier war der Apotheker an die auf die Straße führende Thüre geschusselt, als Arthur seine Hand auf dessen Arm legte.

»Mrs. Morton! Sagtet Ihr Morton, Sir? Was für eine Art Person? Ist sie sehr krank?«

»Hoffnungsloser Fall, Sir – allgemeine Auflösung. Hübsche Frau – ganz eine Lady – hat bessere Tage erlebt, wollte darauf schwören.«

»Hat sie Kinder – Söhne?«

»Zwei – Beide jetzt fort – hübsche Jungen – ganz vernarrt in sie – besonders den Jüngsten.«

»Guter Himmel! sie muß es seyn – krank, und sterbend und verlassen vielleicht« – rief Arthur mit tiefer und wahrer Empfindung; »Ich will Euch begleiten, Sir. Ich bilde mir ein, daß ich diese Dame kenne, daß ich (fügte er edelmüthig hinzu) mit ihr verwandt bin!«

»Ihr? – erfreut, das zu hören. So kommt denn mit; sie sollte wohl Jemand bei sich haben, außer Dienstboten; nicht als ob nicht Jenny, das Dienstmädchen, ungewöhnlich freundlich wäre. Dr. ***, der sie manchmal besucht, sagte zu mir: Es ist im Gemüth, sagte er, Mr. Perkins; ich wünschte, wir könnten ihr ihre Knaben wieder schaffen.«

»Und wo sind sie?«

»Draußen in der Lehre, denk' ich. Der kleine Sidney –«

»Sidney!«

»Ja, das war sein Name – ein hübscher Name. Wißt Ihr von Sir Sidney Smith? – Ein außerordentlicher Mann, Sir! Sidney war ein schönes Kind – ganz verwöhnt. Sie bildete sich immer ein, es fehle ihm etwas – schickte immer nach mir. Mr. Perkins, sagte sie, meinem Kinde fehlt Etwas; gewiß fehlt ihm Etwas, obgleich es Nichts zugeben will. Es hat den Appetit verloren – hat vorige Nacht Kopfweh gehabt. – Ganz und gar Nichts, Madame, sagt' ich, wünschte nur, daß Ihr mehr auf Euch selbst Acht hättet. – Ja, die Mütter sind einfältige, ängstliche, arme Geschöpfe. Natur, Sir, Natur – wunderlich Ding – die Natur! – da sind wir!«

Und der Apotheker pochte an die Seitenthüre eines Ladens von einer Putzmacherin und einem Strumpfhändler.



 << zurück weiter >>