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Zweites Kapitel.

                               Der Mond
Goß Trauer in die feierliche Nacht,
Doch jene Trauer, womit sich der Hauch
Des ungestörten Friedens mischt.

Wilson. Die Peststadt.

            Sagt mir sein Schicksal.
Sagt mir: er lebt, wo nicht, sagt: er ist todt;
Nur sagt mirs, sagt es! –
   *            *            *            *
Ich seh ihn nicht – ihn hüllen Wolken ein.

Ebendaselbst.

Eines Tages, als, beinahe ein Jahr nach ihrer ersten Bekanntschaft, Camilla und Charles Spencer mit einer Gesellschaft von Bekannten durch jene wildromantischen Landschaften ritten, welche zwischen dem sonnigen Winandermere und dem dunkeln und finstern Wastwater liegen, fiel ihr Gespräch auf Gegenstände, die sie mehr persönlich berührten, als bisher der Fall gewesen, denn wenn sie Liebe empfanden, so hatten sie bis jetzt noch nicht davon gesprochen.

Der schmale Pfad gestattete nur, je zu Zweien neben einander zu reiten, und die Beiden, auf welche sich hier unsere Erzählung beschränkt, waren die Letzten des kleinen Zuges.

»Wie sehr wünschte ich, Arthur wäre hier!« sagte Camilla. »Gewiß, Ihr würdet Gefallen an ihm finden.«

»Glaubt Ihr? Er lebt viel in der Welt – der Welt, von der ich Nichts weiß. Sind wir denn Charaktere, die für einander passen würden?« –

»Er ist der freundlichste, der beste der Menschen,« sagte Camilla, etwas ausweichend, aber mit mehr Wärme, als sonst ihre sanfte und leise Stimme verrieth.

»Ist er so freundlich?« versetzte Spencer nachsinnend. »Nun, es mag so seyn, und Wer sollte nicht freundlich seyn gegen Euch? Ach! es ist ein so schönes Band, das zwischen Bruder und Schwester – ich habe nie eine Schwester gehabt!«

»Habt Ihr denn einen Bruder?« fragte Camilla mit einiger Ueberraschung, und heftete ihre offenen Augen voll auf ihren Begleiter.

Spencern stieg die Röthe ins Gesicht – bis an die Schläfe! seine Stimme zitterte, als er antwortete: »Nein, keinen Bruder!« Dann, in schnellem, hastigem Tone sprechend, fuhr er fort: »Mein Leben ist ein seltsames, einsames gewesen. Ich bin eine Waise. Ich bin wenig mit Solchen von meinem Alter umgegangen; meine Knaben- und Jünglingsjahre habe ich in diesen Gegenden verlebt; meine Erziehung war so, wie die Natur und die Bücher sie gewähren können, fast ohne Führer oder Lehrmeister, außer meinem Pflegevater – dem theuren, alten Mann! So erscheinen mir die Welt, der geschäftige Lärm der Städte, Ehrgeiz, Unternehmungsgeist – Alles als Dinge, die einem fernen Land angehören, in das ich nie reisen werde. Doch habe ich meine Träume gehabt, Miß Beaufort, Träume, von welchen diese Einsamkeiten einen Theil bilden – aber diese Einsamkeiten nicht ohne getheilt zu werden von Andern, und neuerlich habe ich gedacht, diese Träume könnten wohl prophetisch seyn, und Ihr – liebt Ihr die Welt?«

»Ich habe, wie Ihr, sie kaum versucht,« sagte Camilla mit holdem Lachen. »Aber ich liebe das Land mehr, oh! weit mehr, als das Wenige, was ich bisher vom Stadtleben kennen gelernt. Aber daß Ihr,« fuhr sie fort mit einem bezaubernden Zögern, – »der Mann ist ja so verschieden von uns – daß Ihr vor der Welt zurückscheut, Ihr, so jung und talentvoll – ja, das muß ich gestehen, scheint mir seltsam!«

»Es mag so seyn, aber ich kann Euch nicht sagen, welche Gefühle von Bangigkeit – welche unbestimmte Ahnungen von Angst mich erfassen, wenn ich mit meinen Gedanken über diese stillen Plätze hinausschweife. Vielleicht mein guter Beschützer –«

»Euer Oheim?« unterbrach ihn Camilla.

»Ja, mein – Oheim mag dazu beigetragen haben, Gefühle in mir zu nähren, die in meinem Alter seltsam erscheinen mögen; aber dennoch –«

»Dennoch was?«

»Meine frühere Kindheit,« fuhr Spencer fort, und athmete schwer und ward blaß, »brachte ich nicht in der glücklichen Heimath zu, deren ich mich jetzt erfreue; sie verfloß mir in einer frühen, schweren Schule des Leidens und der Schmerzen. Die Erinnerungen davon haben einen dunkeln Schatten in meiner Seele zurückgelassen, und dieser Schatten fällt auf jeden Gedanken, der auf das geschäftige und mühevolle Streben und Treiben andrer Menschen gerichtet ist. Aber,« fuhr er nach einer Pause mit tiefer, ernster, beinahe feierlicher Stimme fort, »aber am Ende – ist dies Feigheit oder Weisheit? Ich finde keine Einförmigkeit, keinen Ueberdruß an diesem ruhigen, stillen Leben. Liegt nicht eine gewisse Sittlichkeit – eine gewisse Religion in dem Geist eines abgeschlossenen, ländlichen Lebens? In diesem wissen wir Nichts von den schlimmen Leidenschaften, welche Ehrgeiz und Streit, wie man sagt, entzünden. Ich fühle nie Neid oder Eifersucht gegen andre Menschen; ich weiß nicht, was Hassen heißt; mein Boot, mein Pferd, unser Garten, Musik, Bücher, und, wenn ich so sagen darf, die festliche Heiterkeit und Freude, die aus der Hoffnung eines andern Lebens entspringt – das Alles füllt mir jede Stunde mit friedlichen, glücklichen und wolkenlosen Gedanken und Bestrebungen aus, bis neuestens, wo –«

»Wo was?« fragte Camilla unschuldig.

»Wo ich den Wunsch, aber nicht den Muth hatte, ein andres Wesen zu fragen, ob ein solches Loos mit mir zu theilen sie befriedigen würde?«

Er heftete bei diesen Worten seine sanften blauen Augen voll auf das erröthende Antlitz seiner Begleiterin, und Camilla lächelte halb und halb seufzte sie, –

»Unsre Begleiter sind uns weit voran,« sagte sie, ihr Antlitz abwendend; »und seht, die Straße ist jetzt glatt und gut!« Sie setzte mit diesen Worten ihr Pferd in einen rascheren Schritt; und Spencer, zu wenig bekannt mit den Frauen, um die Art, wie sie seinen Worten und Blicken auswich, günstig zu deuten, versank in ein tiefes Schweigen, das während des ganzen übrigen Ausflugs dauerte.

Als er gegen Abend seinen einsamen Weg nach Haus einschlug, schwoll sein Herz von Bewegungen und Leidenschaften, die seinem Leben bisher fremd geblieben, und von denen, wie er fälschlich gewähnt, ein so ruhiges Leben immerdar hätte verschont bleiben sollen.

»Sie liebt mich nicht,« murmelte er halblaut; »sie wird mich verlassen, und was wird dann all die Schönheit der Landschaft in meinen Augen seyn? Und wie darf ich auch wagen nach ihr empor zu sehen? Selbst wenn ihre kalte, eitle Mutter – ihr Vater, ein Mann der Formen und der Bedenklichkeiten, wie man sagt, einwilligten: würden sie nicht genau nach meiner eigentlichen Herkunft und Geburt sich erkundigen? Und wenn sie über die eine Mackel wegsähen, bliebe dann nicht die andere?· Seine frühen Angewöhungen und Laster –ach! meines eignen Bruders! – seine unbekannte Lebensbahn, die vielleicht einmal mit Schmach, mit Verbrechen, mit öffentlicher Kundmachung, mit dem Galgen endet – werden sie das übersehen?«

Wie er so sprach, stöhnte er laut, und gleichsam ungeduldig, sich selbst zu entfliehen, spornte er sein Pferd, und rastete nicht eher, als bis er den Gürtel von zierlich gestutzten, nüchternen immergrünen Gewächsen erreichte, der seine bisher glückliche Heimath umgab.

Der junge Mann ließ sein Pferd selbst seinen Weg in den Stall suchen, und er schritt durch Zimmer, die er leer fand, auf den Rasenplatz auf der andern Seite, der sich zu den glatten Wassern des Sees herabzog.

Hier fand er unter dem Einen großen Baum, welcher den Stolz des Rasenplatzes ausmachte, über den er seinen Schatten weithin und dicht verbreitete, seinen Pflegevater sitzen, müßig brütend über einem oftgelesenen Buch, einem jener Bücher, für welche literarische Träumer leicht eine fanatische Neigung fassen – den Büchern von alten englischen Schriftstellern voll Phrasen und Einfällen, die halb witzig halb erhaben sind, durchwoben mit Lobpreisungen des Landlebens, getränkt mit einer mehr poetischen als orthodoxen Religion, und geschmückt mit einer sonderbaren Mischung von mönchischer Gelehrsamkeit, und von Aphorismen, die aus der mühseligen Erfahrung des wirklichen Lebens gesammelt sind.

Links, bei einem Gewächshaus, zwischen dem Haus und dem See gebaut, sah man das weiße Kleid und die hagere Gestalt der ältesten ledigen Schwester, der die Pflege der Blumen angewiesen war – denn sie hatte früh eine unglückliche Liebe gehabt; in einer kleinen Entfernung von ihr saßen die andern zwei an ihrer Arbeit, und besprachen sich in flüsterndem Tone, um ihren studirenden Bruder nicht zu stören, ohne Zweifel von ihrem Neffen, der ihr Alles und Alles war. Es war die friedlichste Stunde des Abends, und das Ruhige aller dieser Gestalten, ihre einfachen und harmlosen Beschäftigungen – wenn man es Beschäftigungen nennen konnte– das unbewegte, im vollen Reichthum des Hochsommers prangende Laub; im Hintergrund das altmodische Haus, anspruchlos, aber nicht ärmlich, dessen offene Thüren und Fenster einen Blick auf die behagliche Ruhe im Innern zu werfen gestatteten; im Vorgrund der See, von keiner Welle gekräuselt, und den Glanz der Abendwolken flüchtig spiegelnd – Alles zusammen bildete ein Gemälde jener vollendeten ruhigen, friedlichen Stille, welche uns manchmal erquickt und tröstet, manchmal uns betrübt, je nachdem wir in der Stimmung sind, nach Zufriedenheit zu trachten und zu streben.

Der junge Mann schlich zu seinem Pflegevater hin und berührte seine Schulter.

»Sir! kann ich mit Euch sprechen? Still! sie sollten uns jetzt nicht sehen! Nur mit Euch möchte ich sprechen!«

Der ältere Spencer stand auf; und das Buch noch in der Hand, trat er mit seinem Neffen unter den Schatten des Baumes, und in einen Gang rechts, der eine kurze Strecke weit am Rand des See's hinführte, und die verschlungenen Zweige eines dichten Gehölzes im Rücken hatte.

»Sir!« sagte der junge Mann, der zuerst und mit sichtbarer Anstrengung sprach, »Eure Warnungen sind vergeblich gewesen! Ich liebe dies Mädchen – diese Tochter der hochmüthigen Beauforts! Ich liebe sie – liebe sie mehr als mein Leben!«

»Mein armer Junge,« sagte der Oheim zärtlich und mit unbefangener Zärtlichkeit den Arm über des Jünglings Schulter legend, »glaube nicht, ich sey im Stand Dich zu schelten – ich weiß was es heißt, unerhört zu lieben!«

»Unerhört! – warum denn unerhört?« rief der junge Spencer mit einer Heftigkeit, die ebenso viel Qual als Trotz in sich hatte. »Sie kann mich ja lieben – sie wird mich lieben!« und beinahe zum erstenmal in seinem Leben sprach das stolze Bewußstseyn seiner seltnen persönlichen Vorzüge aus seinem flammenden Auge, seiner aufgerichteten Gestalt. »Sagt man nicht, die Natur sey gütig gegen mich gewesen? Welchen Nebenbuhler hab' ich hier? Ist sie nicht jung? Und (– hier sank seine Stimme, bis sie beinahe wie Musik säuselte,) ist nicht die Liebe ansteckend?«

»Ich zweifle nicht daran, daß sie Dich lieben mag – Wer sollte es nicht? Aber – aber – die Eltern – werden die je einwilligen?«

»Ja!« versetzte der Liebende, der jetzt mit jener, der Leidenschaft eigenen Inconsequenz, hartnäckig die Befürchtungen bei einem Andern bestritt, denen er so eben erst selbst in sich Raum gegeben, – »Ja! – bin ich nicht am Ende doch von ihrem Blut? – Stamme ich nicht vom ältern Zweig ab? Wuchs ich nicht im gleichen Ueberfluß und mit höhern Hoffnungen heran? – Und meine Mutter – meine arme Mutter – behauptete sie nicht bis ans Ende unsere rechtmäßige Geburt, ihre eigene Ehre? – Hat nicht der Zufall oder das Gesetz ungerechterweise uns unseres gebührenden Ranges beraubt? – Ziemt es uns nicht, die Beraubung zu verzeihen? – Bin nicht in Wahrheit ich derjenige, der herabsteigt, – der die Unbilden der Todten – die Erbschaft der Lebenden vergißt?«

Der junge Mann hatte noch nie in diesem Tone gesprochen – hatte noch nie gezeigt, daß er auf die Geschichte seiner Geburt mit den Gefühlen der Erbitterung, mit der Erinnerung erlittenen Unrechts zurückblickte. Es war ein Ton – ganz das Gegentheil seiner gewöhnlichen Ruhe und Zufriedenheit – er machte seinen Pflegevater lebhaft betroffen – und der ältere Spencer schwieg eine Weile ehe er versetzte: »Wenn Ihr so fühlt, (und es ist dies natürlich,) so habt Ihr nur um so mehr Ursache, gegen diese unglückliche Neigung zu kämpfen.«

»Ich habe das selbst gefühlt, Sir,« versetzte Spencer kummervoll – »Ich habe gekämpft – und ich sage noch einmal, es ist umsonst! So biete ich denn den Hindernissen die Stirne! Meine Geburt – laßt uns annehmen, daß die Beauforts darüber hinweg sehen. Sagtet Ihr mir nicht, Mr. Beaufort habe Euch geschrieben von dem plötzlichen, trotzigen Besuch meines Bruders – von seinem Entschluß, dies nie zu vergessen? Ich meine mich dessen zu erinnern, schon vor vielen Jahren.«

»Es ist wahr,« sagte der Pflegevater, »und das Betragen dieses Bruders ist in der That der einzige Grund, warum Ihr nie Euern eignen Namen wieder annehmen dürft! ihn nie kund machen, selbst nicht der Familie, mit der Ihr durch Heirath Euch verbindet; vor Allen aber den Beauforts nicht, die schon aus diesem einzigen Grund Eure Bewerbung zurückweisen würden.«

Der junge Mann seufzte tief – bedeckte sich mit der einen Hand die Augen, und faßte mit der andern krampfhaft seines Pflegevaters Arm, als wollte er ihn abhalten, weiter zu reden; aber der gute Mann, seine Meinung nicht errathend, und ganz in seinen Gegenstand vertieft, fuhr fort, die von ihm berührte Wunde noch mehr zu reizen.

»Bedenkt! Euer Bruder, als Knabe noch – in den Sterbestunden seiner Mutter kaum dem Verbrechen des Diebstahls entgehend, entflieht einer wohlmeinenden Verfolgung in Gesellschaft eines anerkannten Verworfenen; nachher, in einen unehrenhaften Handel mit einem Pferdeverkauf verwickelt, weist er Alles zurück – jede Hand, die ihn hätte retten können, und ergibt sich mit freier Wahl beharrlich der niedrigsten Gesellschaft und der gemeinsten Lebensweise, verschwindet aus dem Lande, und wird zuletzt vor etwa zehn Jahren, ehe noch der Bart an seinem Kinn keimt, in Gesellschaft eben jenes oben genannten Verworfenen in Paris gesehen: ungefähr einen, Tag ehe sein Genosse, ein Falschmünzer – ein Mörder – durch die Hand der Polizei fiel. Ihr erinnert Euch, daß ich, als Ihr in Eurem siebzehnten Jahr einiges Verlangen zeigtet, Euern Namen wieder anzunehmen, ja sogar jenen schuldbelasteten Bruder wieder aufzusuchen, ich Euch – eine traurige und schreckliche Pflicht für mich! – die Zeitungen vorlegte, welche die einzelnen Umstände von dem Tod und den frühern Abenteuern jenes elenden Spießgesellen, des berüchtigten Gawtrey, enthielten; daß ich Euch sagte, Mr. Beaufort habe vor langer Zeit schon mir in einem Briefe gemeldet, daß sein Sohn und Lord Lilburne Euern Bruder mit dem Bösewicht, gerade ehe diesen sein Schicksal ereilte, gesehen – ja, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach eben der in den Berichten beschriebene Jüngling gewesen, welchen man in dem Zimmer gefunden und welcher der Verfolgung sich entzogen – und ich fragte Euch, ob Ihr jetzt diese Maske ablegen, ob Ihr dem Schutz entsagen wolltet, unter dem Ihr für immer sicher seyn würdet vor dem Hohn der Welt, vor der Schande, die früher oder später Euer Bruder auf Euern Namen bringen muß!«

»Es ist wahr! Es ist wahr!« sagte der angebliche Neffe im Ton großer Seelenangst und mit zitterndem blutlosen Lippen. »Entsetzlich, in seine Vergangenheit, wie in seine Zukunft zu sehen! Aber – aber – wir haben nicht weiter von ihm gehört – Niemand hat je sein Schicksal erfahren! Vielleicht – vielleicht – (und er schien freier zu athmen) – lebt mein Bruder nicht mehr!«

Arme Katharine, armer Philipp – war es dahin gekommen? Fühlte der eine Bruder einen Trost, eine Freude bei der Vermuthung von dem Tode – vielleicht dem gewaltsamen, schmachvollen Tode – seines Mitwaisen?

Mr. Spencer schüttelte zweifelnd den Kopf, antwortete aber Nichts. Der junge Mann seufzte tief auf und schritt einige Schritte seinem Beschützer voran; dann, sich plötzlich umwendend, legte er ihm die Hand auf die Schulter.

»Sir!« sagte er mit leiser Stimme und niedergeschlagenen Augen, »Ihr habt Recht! die Maske – dieser falsche Name, muß für immer beibehalten werden! was brauchen denn die Beauforts je zu wissen, Wer und Was ich bin? Warum sollte ich nicht als Euer Neffe – Neffe eines so geachteten und exemplarischen Mannes – meine Bewerbung versuchen und meine Sache führen?«

»Sie sind stolz – sagt man – und weltlich; – Ihr wißt, meine Familie trieb ein Gewerbe; dennoch – aber –« und hier versank Mr. Spencer aus dem Ton des Zweifels in den der Muthlosigkeit, »aber bedenkt, obgleich Mrs. Beaufort sich vielleicht des Umstandes nicht mehr erinnert, haben doch ihr Gemahl und ihr Sohn mich gesehen, kennen meinen Namen. Werden sie, wenn sie einmal Eure Bekanntschaft gemacht, nicht die von uns eingeschlagene Kriegslist argwohnen? – Ja, habt Ihr nicht eben aus Besorgniß hievon gewünscht, daß ich die Bekanntschaft der Familie meide? Mr. Beaufort sowohl als Arthur haben Euch als Kind gesehen, und wenn einmal der Verdacht in ihnen rege geworden, dürften sie Euch sogleich wieder erkennen; Eure Züge sind entwickelt, aber nicht ganz verändert. Kommt, kommt! mein angenommener, mein lieber Sohn! schüttelt bei Zeiten diese Phantasie ab; laßt uns den Aufenthaltsort ändern; ich will mit Euch reisen – mit Euch lesen – gehen, wohin –«

»Sir, Sir!« rief der Liebende, und sein Herz blutete, »Ihr seyd immer gütig, mitleidig, großmüthig; aber raubt – oh! raubt mir nicht die Hoffnung. Ich habe, dank Euch! nie, außer in augenblicklicher Niedergeschlagenheit, den Fluch meiner Geburt empfunden. Jetzt – wie schwer lastet er auf mir! Wo soll ich Trost suchen?«

Wie er so sprach, tönte der Hall einer Glocke über die durchsichtige Luft und den schlummernden See; es war die Glocke, die jeden Abend und Morgen diese unschuldige und fromme Familie zum Gebet rief. Des alten Mannes Angesicht veränderte sich, als er sie hörte – nahm statt seiner gewöhnlichen indolenten, abwesenden, zerstreuten Miene einen Ausdruck von Ernst, sogar von höherer Belebung an.

»Horch!« sagte er aufwärts deutend, »Horch; sie schilt Dich! Wer darf sagen: Wo soll ich Trost suchen? solange Gott im Himmel ist?«

Der junge Mann, an den Glauben und die Uebungen der Religion gewöhnt, bis sie seine ganze Natur durchdrungen, senkte reuig das Haupt; ein paar Thränen stahlen sich aus seinem Auge.

»Ihr habt Recht, Vater!« sagte er zärtlich, und legte einen besondern Nachdruck auf den wohlverdienten, innigen Namen. »Ich fühle mich schon getröstet und gestärkt.«

So schlichen schweigend und geräuschlos neben einander der Jüngling und der Alte in das Haus zurück. Als sie das friedliche Zimmer erreichten, wo die Familie gewöhnlich zusammenkam, waren die Schwestern und das Gesinde schon um den Tisch versammelt. Sie knieten, als die später Kommenden eintraten. Es war die gewohnte Obliegenheit des jüngern Spencer, die Gebete zu lesen; und wie er dies jetzt that – sein liebliches Antlitz etwas umflort, die wohllautvolle Stimme ernster als gewöhnlich in ihrem Ton – Wer, der ihn hörte, hätte geahnt, daß das Herz in seinem Innern von so stürmischen Leidenschaften erschüttert war! Oder ward es nicht in dieser Stunde – in dieser feierlichen Gemeinschaft – erleichtert und getröstet in seinem Leid? O gütiger Schöpfer! du, der du allen Völkern der Erde den Trieb zu beten eingepflanzt, hast du uns nicht, in diesem göttlichsten Instinkt, die beglückendste Gabe verliehen?



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