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Drittes Buch.

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Berge lagen mir im Wege;
Ströme hemmten meinen Fuß;
Ueber Schlünde baut' ich Stege,
Brücken durch den wilden Fluß.

Schiller. Der Pilgrim.

 

Erstes Kapitel.

»Der Ritter schlauer Industrie
    Von Thaten rasch und keck.«

Thomsons Schloß des Müßiggangs.
Vorwort zum zweiten Gesang. 

In einem beliebten und angesehenen, aber nicht sehr fashionabeln Stadttheil in Paris, in der erträglich breiten und nicht unschönen Straße *** war zu der Zeit, von welcher unsere Erzählung berichtet, ein seltsam aussehender Bau zu schauen, welcher im Halbkreis vor den benachbarten Läden vorsprang, mit Pilastern von Stuck und Ornamenten in zusammengesetztem Geschmack. Die Kunstkenner des Quartiers hatten entdeckt, daß das Gebäude nach einem alten Tempel in Rom konstruirt sey; dieser Bau, damals frisch und neu, reichte nur bis zum entresol. Die Pilaster waren hellgrün angestrichen und in den Karnießen vergoldet, während über dem Architrav Karnies und Architrav sind Bestandteile antiker Baukunst; das Architrav ist der auf den Säulen ruhende, den Oberbau tragende Hauptbalken; zwischen ihn und die Säulen sind die (steigenden) Karniese eingefügt, Schmuckelement mit S-förmigem Profil, auch Glockenleiste genannt. – Anm.d.Hrsg. drei kleine Statuen sich zeigten – die eine hielt eine Fackel, die zweite einen Bogen, die dritte eine Tasche; es ging daher das Gerücht, mit welchem Recht ist mir unbekannt, es seyen künstlerische Darstellungen von Hymen, Amor und von der Fortuna.

Ueber der Thüre war auf einer Metallplatte folgende Inschrift, sauber gravirt:

Monsieur Love, Anglais.
A l'Entresol.

Und wenn man die Schwelle überschritt und die Treppen hinaufstieg, und das geheimnißvolle Stockwerk erreichte, welches Monsieur Love bewohnte, so fand man über einer andern Thüre rechts wieder eine Inschrift, welche denen, die hier Etwas zu suchen hatten, die Nachricht gab, daß das Bureau von Mr. Love täglich von neun Uhr Morgens bis vier Uhr Abends offen sey.

Das Geschäftszimmer des Mr. Love – denn das war es, und zwar einem Gegenstande gewidmet, der nicht selten in den petites affiches von Paris zur Sprache kommt – bestand seit etwa einem halben Jahre, und – ob es die Folge der Beliebtheit dieser Profession, oder des Aeußeren des Bureaus, oder des Benehmens des Mr. Love selbst war, kann ich nicht sagen – so viel ist gewiß – daß der Tempel Hymens, wie Mr. Love ihn mit klassischem Ausdruck benannte, im Faubourg St. *** ausnehmend in Aufnahme und Gunst gekommen war. Es ging das Gerücht, daß nicht weniger als neun Heirathen in der unmittelbaren Nachbarschaft auf diesem glücklichen Bureau zu Stande gebracht worden und alle glücklich ausgefallen seyen, außer Einer, wo die Braut sechszig und der Bräutigam vierundzwanzig Jahre gezählt; hier hatten sich Gerüchte von häuslichem Unfrieden verbreitet, aber da die Lady erlöst worden war – das heißt von ihrem Gatten, der sich etwa einen Monat nach der Trauung in der Seine ertränkt hatte – war die Sache am Ende noch besser abgegangen, als man hätte erwarten sollen, und die Wittwe war so wenig entmuthigt, daß man sie schon wieder hatte das Bureau besuchen sehen – ein Umstand, der nicht wenig zur Empfehlung von Mr. Love gereichte.

Vielleicht beruhte das Geheimniß von Mr. Love's Glück und von der auffallenden Ueberlegenheit, welche sein Etablissement vor andern dieser Art an Ansehen und Popularität behauptete, auf dem Geist und der Liberalität, womit das Geschäft behandelt wurde. Er schien entschlossen, alle Formalitäten zu vernichten zwischen Parteien, welche sich einander näher zu kommen wünschten, und er kam auf den glücklichen Einfall einer table d'hôte in bestem Styl, die er wöchentlich zweimal gab, und worauf öfters eine soirée dansante folgte, so daß die Lusttragenden zu ehelicher Glückseligkeit, wenn sie wollten ganz ohne gêne mit einander bekannt werden konnten. Da er selbst ein lustiger, lebensfroher, geselliger Mann war, von vielem savoir vivre, wußte er diese Unterhaltungen zum Erstaunen zweckdienlich einzurichten. Personen, welche bei der ersten entfernten Zusammenkunft einander gar nicht annehmen zu wollen schienen, wurden ungemein verliebt, wenn die Pfröpfe des Champagners – natürlich ein Extra-Artikel neben dem Abonnement – an die Wand flogen.

Zu diesem kam, daß Mr. Love sich große Mühe gab, mit den Kaufleuten und Krämern in seiner Nachbarschaft Bekanntschaft zu machen, und mit seinen Späßen, bei dem Anschein guter Umstände und bei der Geläufigkeit, womit er Französisch sprach, wurde er der allgemeine Liebling. Viele Personen, welche im Ganzen ungemein steif und streng waren, und welche sich die Miene gaben, das Bureau lächerlich zu finden, sahen nichts Unschickliches daran, dort an der table d'hôte zu speisen. In Betreff derer, welche Verschwiegenheit wünschten, sollte er ausnehmend discret seyn; Andere aber gab es, welche ihren Ueberdruß am ledigen Stand nicht zu verhehlen beflissen waren; im Uebrigen waren die Unterhaltungen so eingerichtet, daß sie nie das Zartgefühl beleidigten, während sie immer Bewerbungen förderten.

Es war etwa acht Uhr Abends und Mr. Love saß noch beim Essen, oder vielmehr beim Nachtisch, mit einer Anzahl von Gästen. Seine Appartements, obwohl klein, waren ziemlich auffallend und bunt gemalt und eingerichtet, und sein Speisezimmer namentlich war à la Turque dekorirt. Die Gesellschaft bestand: erstens aus einem reichen épicier, einem Wittwer, Monsieur Goupille mit Namen, – ein höchst angesehener Mann im Faubourg; er stand in dem großen Wendepunkt des Alters, war aber noch ein bel homme; er trug eine sehr schön gearbeitete hellbraune perruque, mit enganliegenden, straffen Pantalons, welche ein Paar sehr ansehnliche Waden enthielten; und sein weißes Halstuch und breite Krause waren sehr sorgfältig gewaschen und gesteift.

Neben Monsieur Goupille saß eine sehr sittsame und sehr schmächtige junge Dame von etwa zweiunddreißig Jahren, die sich, wie man sagte, ein Vermögen erspart hatte, – Gott weiß, wie? – in der Familie eines reichen englischen Mylord, wo sie als Gouvernante functionirte; sie nannte sich Mademoiselle Adèle de Courval, und war sehr erpicht auf das de, und sprach sehr wehmüthig von ihren Ahnen. Monsieur Goupille strich sich gewöhnlich mit dem Finger durch die Perrücke, und drehte sich ein wenig auf seinen linken Pantalon, wenn er mit Mademoiselle de Courval sprach; und Mademoiselle de Courval senkte den Kopf auf ihr bouquet herunter, wenn sie dem Monsieur Goupille antwortete.

Auf der andern Seite dieser jungen Dame saß ein hübschaussehender, stattlicher Mann – Mr. de Sovolofski, ein Pole, bis ans Kinn zugeknöpft, etwas fadenscheinig, aber äußerst sauber und zierlich. Ihm zur Seite saß eine kleine, fette Dame, die sehr hübsch gewesen war, und die ein Kosthaus, oder eine pension, für Engländer hielt, da sie selbst eine Engländerin, doch längst in Paris ansäßig war. Das Gerücht sagte, sie sey in ihrer Jugend etwas locker gewesen, und sey von einem russischen Edelmann in Paris zurückgelassen worden mit einem sehr hübschen – Witthum; sie selbst und das Witthum hatten sich binnen Jahr und Tag ausgedehnt und vergrößert: sie hieß Madame Beavor.

Auf der andern Seite des Tisches saß ein rothköpfiger Engländer, der sehr wenig Französisch sprach, er hatte sagen hören, die französischen Frauenzimmer seyen leidenschaftliche Liebhaberinnen von hellen Haaren, und da er selbst 2000 Pfund besaß, hatte er die Absicht, diese Summe durch eine kluge Heirath zu vervierfachen. Niemand wußte, was seine Familie war, sein Name aber war Higgins. Sein Nachbar war ein außerordentlich großer, starkknochiger Franzose, mit einer langen Nase und einem rothen Bande, den man viel in Frascati sah, und der unter Napoleon gedient hatte. Dann kam eine andere Dame, äußerst hübsch, sehr piquante und sehr munter, aber über die première jeunesse hinaus, die mehr nach Mr. Love selbst, als nach irgend einem seiner Gäste äugelte: sie nannte sich Rosalie Coumartin, und stand an der Spitze eines großen Bonbonetablissements, verheirathet, – aber ihr Gatte war vor vier Jahren nach Isle de France gegangen, und sie war halb und halb im Zweifel, ob sie nicht das Recht hätte, sich als Wittwe zu betrachten und so zu handeln.

Neben Mr. Love, am Ehrenplatz, saß keine geringere Person als der Vicomte de Vaudemont, ein französischer Edelmann, in der That von guter Geburt, aber dessen mannigfaltige Excesse, neben seiner Armuth, eben nicht dazu gedient hatten, die Achtung vor seiner Geburt aufrecht zu erhalten, die er dafür fordern zu dürfen glaubte. Er war schon zweimal vermählt gewesen, einmal mit einer Engländerin, die durch den Titel war angeködert worden; von dieser Dame, die im Wochenbett starb, hatte er Einen Sohn; ein Umstand, den er vor der Pariser Welt beflissentlich verhehlte, indem er den unglücklichen Jungen, der jetzt etwa achtzehn oder neunzehn Jahre alt war, in beständiger Verbannung in England hielt. Monsieur de Vaudemont wünschte für nicht älter als dreißig Jahre zu gelten; und er war der Ansicht: einen Sohn von achtzehn Jahren zu produciren, hieße den Jungen zu einem Ungeheuer von Undankbarkeit machen, sofern er allstündlich seinen eignen Vater Lügen strafte. Trotz dieser Vorsicht fand der Vicomte große Schwierigkeiten, eine dritte Frau zu finden – vorzüglich weil er kein wirkliches und sichtbares Einkommen hatte, weil er von den Blattern nicht nur geschrammt, sondern durchpflügt, sehr klein war, und für mehr als un peu bête galt. Er war indeß ein unglaublicher Stutzer und trug Spitzenmanschetten und eine gestickte Weste.

Mr. Love's vis-à-vis war Mr. Birnie, ein Engländer, ein Gehülfe des Etablissements, mit einem harten, trocknen Pergamentgesicht, und einem ausnehmenden Talent zum Schweigen.

Der Wirth selbst war ein prächtiges Geschöpf; seine breite Brust schien mehr Raum am Tisch einzunehmen, als seine vier Gäste, und doch war er nicht fett noch ungefüge; er war schwarz gekleidet, trug eine sehr hohe Halsbinde von Sammt, und vier goldene Hemdknöpfe glänzten auf seiner Brust; er war kahl bis zur Mitte des Kopfes, was seine Stirne ausnehmend hoch erscheinen machte, und was er noch von Haaren hatte, war etwas kraus und gräulich; sein Gesicht war sehr glatt geschoren, bis auf einen kurz geschnittenen Schnauzbart, und seine Augen, obwohl klein, waren glänzend und durchdringend.

So war die Tischgesellschaft.

»Das sind die besten Bonbons, die ich je gegessen,« sagte Mr. Love mit einem Blick nach der Madame Coumartin. »Meine schöne Freundinnen haben Mitleid mit dem Tische eines armen Junggesellen.«

»Aber Ihr solltet kein Junggesell seyn, Monsieur Lofe,« versetzte die schöne Rosalie mit einem schlauen Blick; »Ihr, der Ihr Anderen zum Heirathen helft, solltet selbst das Beispiel geben.«

»Alles zu seiner Zeit,« versetzte Mr. Love kopfnickend; »man verhilft seinen Kunden zu so viel Glück, daß man für sich selbst Nichts übrig behält.«

Hier hörte man eine laute Explosion. Monsieur Goupille hatte eines von den Krachbonbons mit Mademoiselle Adèle entzwei gezogen.

»Ich habe das Motto! – nein! – Monsieur hat es; ich habe immer Unglück!« sagte die zarte Adèle.

Der épicier rollte bedächtlich den kleinen Papierstreifen auf; der Druck war sehr klein, und er hatte Lust, seine Brille herauszuholen, aber er dachte, das würde ihn alt aussehen machen.

Indeß buchstabirte er doch mit einiger Schwierigkeit das Motto zusammen:

Comme elle sait sommettes un c?ur,
En refusant son doux hommage,
On peut traiter la coquette en vainqueur:
De la beauté modeste on chérit l'esclavage.«

»Ich mache Mademoiselle ein Geschenk damit,« sagte er, und legte das Motto feierlich auf Adèlens Teller, auf einen kleinen Berg von Kastanienschaalen.

»Es ist sehr artig,« sagte sie, unter sich sehend.

»Es ist sehr à propos,« flüsterte der épicier und rückte in seiner Bewegung etwas zu lebhaft an seiner Perücke. Mr. Love gab ihm unter dem Tisch einen gelinden Tritt und legte bedeutsam den Finger auf sein eigenes kahles Haupt und dann an seine Nase. Der intelligente épicier rückte die in Unordnung gerathene Perücke wieder zurecht.

»Seyd Ihr eine Freundin von Bonbons, Mademoiselle Adèle? Ich habe einen sehr hübschen Vorrath zu Hause,« sagte Monsieur Goupille.

Mademoiselle Adèle de Courval seufzte – » Hélas! Sie erinnern mich an glücklichere Tage; Als ich eine petite war, und meine gute Großmama mich auf ihren Schoos nahm und mir erzählte, wie sie der Guillotine entging; sie war eine émigrée, und Ihr wißt, ihr Vater war ein Marquis.«

Der épicier verbeugte sich und sah verdutzt drein. Er sah den Zusammenhang zwischen den Bonbons und der Guillotine nicht recht ein.

»Ihr seyd triste, Monsieur!« bemerkte Madame Beavor in etwas pikirtem Tone, gegen den Polen, der seit dem rôti noch kein Wort gesprochen.

» Madame, ein Verbannter ist immer triste; ich denke an mein pauvre pays.«,

»Bah!« rief Mr. Love; »denkt, daß es an der Seite – einer belle dame kein Exil gibt!«

Der Pole lächelte kummervoll.

»Zieht!« sagte Madame Beavor, dem Patrioten ein Krachbonbon hinhaltend und das Gesicht abwendend.

»Ja, Madame; ich wollte, es wäre eine Kanone zur Vertheidigung Polens.«

Mit diesem volltönenden Wunsche zog der galante Sovolofski tüchtig und rieb sich dann mit einer kleinen Grimasse die Finger, indem er bemerkte, die Krachbonbons seyen manchmal gefährlich und das vorliegende Knallsilber sey d'une force immense.

»Helas! j'ai cru jusqu' à ce jour
Pouvoir triompher de l'amour,«

sagte Madame Beavor, das Motiv lesend. »Was sagt Ihr dazu.«

»Madame, es gibt keinen Triumph für la Pologne

Madame Beavor stieß ein kleinen mißmuthigen Ausruf aus und blickte in Verzweiflung nach ihrem rothköpfigen Landsmann. »Seid Ihr auch ein großer Politiker, Sir?« sagte sie auf Englisch.

»Nein, Madame! – Ich bin ganz für die Damen!«

»Was sagt er!« fragte Madame Coumartin.

» Monsieur Higgins est tout pour les dames!«

»Gewiß ist er das!« rief Mr. Love; »alle Engländer sind das, zumal mit Haaren von dieser Farbe; eine Dame, die sich einen leidenschaftlichen Anbeter wünscht, sollte immer einen Mann mit goldfarbigen Haaren heirathen – immer. Was sagt Ihr, Mademoiselle Adèle

»Oh! ich liebe die hellen Haare,« sagte Mademoiselle, verschämt nach Monsieur Goupilles perruque seitwärts blickend. »Großmama sagte, ihr Papa, der Marquis, habe sich gelben Puders bedient; es muß sehr hübsch gelassen haben.«

»Ziemlich à la sucre d'orge,« bemerkte der épicier und lächelte auf der rechten Seite seines Mundes, wo seine besten Zähne standen.

Mademoiselle de Courval sah mißvergnügt drein. »Ich fürchte, Ihr seyd ein Republikaner, Monsieur Goupille?«

»Ich, Mademoiselle? Nein, ich bin für die Restauration;« und wieder war der épicier in Verlegenheit, den Zusammenhang zwischen Republikanismus und sucre d'orge zu finden.

»Noch ein Glas Wein. Kommt, noch eins,« sagte Mr. Love, und streckte sich über den Vicomte hin, um Madame Coumartin einzuschenken.

»Sie,« sagte der lange Franzose mit dem Band, den épicier mit sehr verächtlichem Blicke messend, »Ihr sagt, Ihr seyd für die Restauration –«ich bin für das EmpireMoi

»Keine Politik!« rief Mr. Love.»Treten wir in den Salon

Der Vicomte, der während dieses Gespräches äußerst ennuyé geschienen, zupfte beim Aufstehen Mr. Love am Aermel und flüsterte etwas unartig: »Ich sehe hier Keine, die für mich paßte, Monsieur Love, – Keine von meinem Rang.«

» Mon Dieu!« antwortete Love; » point d'argent, point de Suisse. Ich könnte Euch mit einer Herzogin bekannt machen, aber – da sind die Gebühren hoch. Da ist Mademoiselle de Courval – sie stammt von den Carolingern ab.«

»Sie sieht ganz einer gesottenen Meerzunge gleich,« versetzte der Vicomte mit saurem Gesichte. »Indeß – wie viel Heirathgut hat sie?« –

»Vierzigtausend Franks, und kränklich,« antwortete Mr. Love; »aber sie mag einen großgewachsenen Mann, und Monsieur Goupille ist –«

»Große Männer sind nie gut gewachsen,« unterbrach ihn der Vicomte zornig; und er trat auf die Seite, während Mr. Love, galant vortretend, der Madame Beavor seinen Arm reichte, weil der Pole im Aufstehen beide Arme über der Brust übereinander geschlagen.

»Entschuldigt, Madame,« sagte Mr. Love zu Madame Beavor, als sie sich in den Salon begaben. »mich dünkt, Ihr behandelt diesen braven Mann nicht gut.«

» Ma foi, comme il est ennuyeux avec sa Pologne!« versetzte achselzuckend Madame Beavor.

»Wahr! aber er ist ein sehr schön gestalteter Mann; und es ist Trost, zu denken, daß man keine Rivalin haben wird, als seine Heimath. Vertraut mir und ermuthigt ihn etwas mehr; mich dünkt, er würde für Euch passen, wie bestellt!«

Hier meldete der für den Abend gemiethete garçon Monsieur und Madame Giraud an, und hierauf trat herein ein kleines – kleines Paar, sehr hübsch, sehr beleibt und einander sehr ähnlich. Dies war Mr. Loves Staats-Paar – seine Lockenten – sein letztes, bestes Muster von Heirathstiften; sie waren vor zwei Monaten durch das Bureau verheirathet worden und waren die Bewunderung der Nachbarschaft wegen ihrer ehelichen Zärtlichkeit. Da sie jetzt vermählt waren, hatten sie aufgehört, die table d'hôte zu besuchen, aber Mr. Love lud sie oft nach Tisch ein, pour encourager les autres.

»Meine theuren Freunde,« rief Mr. Love Beiden die Hand schüttelnd, »ich bin ganz entzückt, Euch zu sehen. Meine Damen und Herrn, ich stelle Euch vor Monsieur und Madame Giraud, das glücklichste Paar in der Christenheit; – hätte ich Nichts gethan in meinem Leben, als sie zusammengebracht, ich hätte nicht umsonst gelebt.«

Die Gesellschaft betrachtete die Gegenstände seiner Lobeserhebung mit großer Aufmerksamkeit.

»Monsieur, mein Gebet ist, mein bonheur zu verdienen!« sagte Monsieur Giraud.

»Cher ange!« murmelte Madame, und das glückliche Paar setzte sich neben einander.

Mr. Love, ein großer Freund jener unschuldigen Zeitvertreibe, welche konventionelle Förmlichkeit und Zurückhaltung beseitigen, schlug jetzt ein Spiel vor: »Den Pantoffel suchen,« womit die ganze Gesellschaft wohl zufrieden war, den Polen und den Vicomte ausgenommen; obgleich Mademoiselle Adèle etwas prüde dareinsah, und gegen den épicier bemerkte: Monsieur Love sey so schnakisch; aber sie wünschte nicht, daß ihre pauvre grand maman sie sähe.«

Der Vicomte hatte sich der Mademoiselle de Courval gegenüber aufgepflanzt, und hielt seine Augen sehr zärtlich auf sie geheftet.

»Mademoiselle,« sagte er, »liebt, wie ich sehe, solche bürgerliche Divertissements nicht.«

»Nein, Monsieur!« sagte die zarte Adèle; »aber ich glaube, wir müssen unsern Geschmack dem der Gesellschaft opfern.«

»Das ist eine sehr menschenfreundliche Gesinnung,« sagte der Epicier.

»Es war ein Grundsatz, den man dem Papa von grand maman zuschrieb, dem Marquis de Courval. Seither ist es eine abgedroschene Bemerkung geworden,« sagte Adèle.

»Kommt, meine Damen,« sagte die lustige Rosalie, »ich gebe meinen Pantoffel her.«

» Asseyez-vous donc,« sagte Madame Beavor zu dem Polen. »Habt Ihr keine Spiele dieser Art in Polen?«

»Madame, la Pologne ist nicht mehr,« sagte der Pole; »aber mit den Schwertern seiner tapfern –«

»Nichts von Schwertern hier, wenn es Euch beliebt,« sagte Mr. Love, indem er seine breiten Hände auf des Polen Schulter legte und ihn kräftig in den jetzt geschlossenen Kreis niederdrückte.

Das Spiel ging seinen Gang mit vieler Lebendigkeit und großem Gelächter von Seiten Rosaliens, Mr. Loves und der Madame Beavor, zumal wenn die Letztere den Polen mit dem Absatz des Pantoffels klatschte. Monsieur Giraud war immer überzeugt, daß Madame Giraud den Pantoffel habe, eine Ueberzeugung, die zu manchen kleinen Zärtlichkeiten Anlaß gab, welche unter verheiratheten Leuten immer so unschuldig sind. Der Vicomte und der épicier waren gleicherweise überzeugt, daß der Pantoffel bei Mademoiselle Adèle sey, welche sich mit weit mehr Energie vertheidigte, als man von einer so zarten Person hätte erwarten sollen. Der épicier jedoch wurde eifersüchtig über die Aufmerksamkeiten seines adeligen Rivals und sagte ihm, er gênire Mademoiselle; worauf ihn der Vicomte einen impertinent nannte, und der lange Franzose mit dem rothen Band sprang auf und sagte:

»Kann ich Jemand Beistand leisten; meine Herren?«

Hier aber legte sich Mr. Love, der große Friedensstifter ins Mittel, und nachdem er die Nebenbuhler versöhnt, schlug er vor zu spielen Colin Maillard, verdollmetscht: »Blinde Kuh«. Rosalie klatschte in die Hände, und erbot sich sogleich, sich die Augen verbinden zu lassen. Die Tische und Stühle wurden weggeräumt, und Madame Beavor stieß den Polen in Rosaliens Arme, die, nachdem sie ihn einige Augenblicke im Gesicht befühlt, auf den großen Franzosen rieth. Während dieser Zeit versteckten sich Monsieur und Madame Giraud hinter den Fenstervorhang.

»Ermuntern Sie sich doch, mon ami,« sagte Madame Beavor zu dem befreiten Polen.

»Ach, Madame,« seufzte Monsieur Sovolofski, »wir kann ich fröhlich seyn? All mein Vermögen von dem Kaiser von Rußland konfiscirt! Hat la Pologne keinen Brutus?«

»Ich glaube, Ihr seyd verliebt,« sagte der Wirth, ihn auf den Rücken klopfend.

»Seyd Ihr ganz gewiß,« flüsterte der Pole dem Heirathsunterhändler zu, »daß Madame Beavor vingt mille livres de rentes hat?«

»Keinen Sou weniger.«

Der Pole sann nach und sagte mit einem Blick auf Madame Beavor – »Und doch, Madame, tröstet mich Eure bezaubernde Fröhlichkeit unter allen meinen Leiden;« worauf Madame Beavor ihn »Schmeichler« nannte und ihm mit ihrem Fächer auf die Finger klopfte; diese letztere Procedur schien dem tapferen Polen nicht zu behagen, denn er begrub sogleich seine Hände in seinen Hosentaschen

Das Spiel stand jetzt auf seiner Mittagshöhe. Rosalie war ungemein lebendig und flog da und dort herum, zu großer Beängstigung des Polen, der sich wiederholt die Stirne wischte und bemerkte: das sey heiße Arbeit und erinnere ihn an die letzte traurige Schlacht für la Pologne. Monsieur Goupille, der neuestens Unterricht im Tanzen genommen hatte, und eitel war auf seine Behendigkeit, stieg auf die Bänke und Stühle, als Rosalie sich näherte – mit vieler Unmuth und Würde. Es traf sich, daß bei diesen gymnastischen Uebungen er auf einen Stuhl stieg neben dem Vorhang, hinter welchem Monsieur und Madame Giraud versteckt waren. Etwas erschreckt durch ein leises Geräusche hinter den Falten, das ihn in panischem Schrecken auf den Gedanken brachte, Rosalie schleiche hier her, machte der épicier plötzlich eine pirouette, und der Hacken, an welchem die Vorhänge befestigt waren, faßte seinen linken Rockflügel –

»der schlimme Sprung gab seine Seite bloß!«

gerade als er sich wandte, um das Kleidungsstück aus dieser Klemme zu befreien, sprang Rosalie auf ihn zu, und wie natürlich die Hände bis zu der Höhe erhebend, wo sie das göttliche Menschenantlitz vermuthete, bekam sie plötzlich eine sandte Extremität von Monsieur Goupilles stattlichem, so preisgegebenem Körper zu fassen.

»Ich weiß nicht, Wer das ist. Quel drôle de visage!« murmelte Rosalie.

» Mais, Madame,« stammelte Monsieur Goupille, der sehr verstört drein sah.

Die feine Adèle, welche an diesem Abenteuer keinen Geschmack zu finden schien, kam ihrem Anbeter zu Hülfe und zwickte Rosalien heftig in den Arm.

»Das gilt nicht im Spiel! Aber ich will wissen, Wer das ist,« schrie Rosalie zornig; »Ihr sollt nicht entkommen!«

Ein plötzlicher, allgemeiner Ausbruch von Gelächter machte ihren Argwohn rege – sie trat zurück – und mit dem Ausruf: » Mais, quelle mauvaise – plaisanterie!, c'est trop fort!« ließ sie ihre schöne Hand auf die streitige Stelle so tüchtig und ernstgemeint fallen, daß Monsieur Goupille einen schmerzlichen Schrei ausstieß, von dem Stuhle sprang, und den Rockflügel (die Ursache all seines Weh's) an dem Hacken hängen ließ.

Gerade in diesem Augenblick, mitten unter der Aufregung, welche Monsieur Goupilles Mißgeschick erregte, öffnete sich die Thüre, und der garçon erschien wieder gefolgt von einem jungen Mann, in einem großen Mantel.

Der neue Ankömmling blieb auf der Schwelle stehen und stierte in sichtlicher Ueberraschung um sich.

» Diable!« sagte Mr. Love, sich dem Fremden nähernd und ihn scharf betrachtend. »Ist es möglich! Endlich seyd Ihr also doch gekommen! – Seyd willkommen!«

»Aber,« sagte der Fremde sichtlich noch immer verwirrt»hier ist ein Mißverständniß! Ihr seyd nicht –«

»Ja, ich bin Mr. Love! – Love in der ganzen Welt. Was macht unser Freund Gregg? Hat Euch gesagt, Euch an Mr. Love zu wenden, he? – Nun, reinen Mund gehalten! Meine Damen und Herrn, ein Zuwachs zu unserer Gesellschaft. Hübscher Bursch, nicht? Fünf Fuß elf Zoll ohne die Schuhe, – und jung genug, um zu hoffen, dreimal zu heiraten, ehe er stirbt. – Wann seyd Ihr angekommen?«

»Heute.«

Und so fanden sich Philipp Morton und Mr. William Gawtrey wieder.



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