Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel.

Jul. Und welchen Lohn habt Ihr zu bieten?
Meine Liebe muß es seyn.

Die Doppelheirath.

Während diese dunkeln, stürmischen, hastigen Ereignisse die Familie seiner Verlobten betroffen, hatte Sidney Beaufort, wie wir ihn jetzt zu nennen berechtigt sind, sein ruhiges Leben an den Ufern des lieblichen Sees fortgeführt. Nach wenigen Wochen überwog sein Vertrauen zu Camillas Treue alle seine Besorgnisse und Ahnungen. Ihre Briefe, obwohl nicht ohne Zwang wegen der Inspektion, der sie unterworfen wurden, gaben ihm unaussprechlichen Trost und Entzücken.

Bald jedoch glaubte er zu fühlen, daß ihr Ton sich verändere. Die Briefe hatten die gleiche Länge, aber sie schienen den Einen Gegenstand zu vermeiden, gegen welchen alle andere wie Nichts waren – sie beschäftigten sich mehr mit den in Beaufort-Court versammelten Gästen; und ich weiß nicht, wie es kam – denn es war Nichts darin, was Eifersucht hätte erregen und rechtfertigen können – die wenigen Worte, die dem Monsieur de Vaudemont gewidmet waren, erfüllten ihn mit unruhigem und schrecklichem Verdacht.

Er gab diesen Gefühlen Luft, so weit er nur immer zu thun wagte bei dem Bewußstseyn, daß seine Briefe von Andern gelesen würden; und Camilla nannte den Namen Vaudemonts nicht mehr. – Ein langes Schweigen folgte – dann schrieb sie von ihres Bruders Ankunft und Krankheit – dann von Zeit zu Zeit ein paar hastige Zeilen – dann ein völliges, langes, entsetzliches Verstummen – und endlich kam, mit einem kohlschwarzen Rande und einem feierlich schwarzen Siegel folgender Brief von Mr. Beaufort:

»Mein werther Sir, –

mit unaussprechlichem Kummer habe ich Euch und Eurem würdigen Oheim den unersetzlichen Verlust zu melden, den ich durch den Tod meines einzigen Sohnes erlitten. Es ist heute ein Monat, daß er aus diesem Leben schied. Er starb, Sir, wie ein Christ sterben soll, demüthig, ergeben, reuig, – die wenigen Fehler seines kurzen Lebens übertreibend, aber –« (und hier trat die Heuchelei des Schreibenden, so natürlich sie ihm geworden – vielleicht wußte er nicht, daß er ein Heuchler war? – wirklich zurück vor dem wirklichen, menschlichen Schmerz, für den es kein Wörterbuch gibt! –) »aber ich kann diesen Gegenstand nicht weiter verfolgen!

Nur langsam wieder erwachend zum Bewußtseyn der Pflichten, die mir noch zu erfüllen bleiben, kann ich unmöglich die wesentliche Verschiedenheit in den Aussichten meines einzigen noch übrigen Kindes verkennen. Miß Beaufort ist jetzt die Erbin eines alten Namens und eines großen Vermögens. Sie erkennt mit mir die Nothwendigkeit an, diese neuen Rücksichten in Erwägung zu ziehen, welche jener so schmerzliche Fall ihrem Geist aufdrängt. Die kleine Phantasie – oder das Wohlgefallen (die Bekanntschaft war zu kurz für Mehr,) welches sich ganz natürlich erzeugen konnte zwischen zwei jungen, liebenswürdigen Personen, die auf dem Land zusammentrafen, muß aus unsern Gedanken verbannt bleiben. Als Freund werde ich mich immer glücklich schätzen, von Eurem Wohlergehen zu hören; und solltet Ihr je auf einen Beruf denken, wo ich Euch dienen kann, so mögt Ihr über all meinen Einfluß und meine Kräfte gebieten. Ich weiß, mein junger Freund, was Eure ersten Gefühle seyn werden – wie geneigt Ihr seyn werdet, mich habgierig und selbstsüchtig zu nennen. Der Himmel weiß, ob das wirklich mein Charakter ist! Aber in Eurem Alter verwischen sich Eindrücke leicht; und jeder welterfahrene Freund wird Euch versichern, daß ich unter den ganz veränderten Umständen keine andere Wahl habe. Aller Verkehr und Briefwechsel hört natürlich mit diesem Brief auf – wenigstens bis wir uns Alle wieder ohne andere Gefühle, als die der Freundschaft und Achtung sehen können. Ich bitte Eurem würdigen Oheim meine Empfehlungen zu machen, – und Mrs. und Miß Beaufort schließen sich an; gewiß wird es Euch glücklich machen, zu vernehmen, daß meine Frau und Tochter, obwohl noch tief betrübt, in ihrer Gesundheit weniger gelitten haben, als ich zu hoffen gewagt hätte.

Genehmigt die Versicherung, werther Sir, daß ich bin aufrichtig der Eurige

Robert Beaufort.

An Mr. Spencer. Esq. Jun.«

Als Sidney diesen Brief erhielt, war er mit Mr. Spencer zusammen, und der Letztere las ihn über die Schulter des jungen Mannes, auf den er sich zärtlich stützte. Als sie an die letzten Worte kamen, wandte sich Sidney um mit stierem Blick und hohlen Lächeln.

»Ihr seht, Sir,« sagte er, – »Ihr seht –«

»Mein Junge – mein Sohn – Du erträgst dies, wie Du mußt. Verachtung wird bald erlöschen machen –.«

Sidney fuhr auf und sein ganzes Gesicht war verwandelt.

»Verachtung! – ja, gegen ihn! Aber siesie weiß das nicht – sie hat keinen Theil daran – ich kann es – ich will es nicht glauben! Ich – ich –« und, er stürzte aus dem Zimmer. Er blieb aus bis zum Einbruch der Nacht, und bei seiner Rückkehr suchte er ruhig zu scheinen, aber es war vergeblich.

Der nächste Tag brachte ihm einen Brief von Camilla, ohne Wissen ihrer Eltern geschrieben, kurz zwar (und die in ihres Vaters Schreiben ausgesprochene Trennung bestätigend), und die flehende Bitte enthaltend, ihr nicht zu antworten: aber dennoch so voll zarten und bekümmerten Gefühls, so sichtbar diktirt von dem Verlangen, den Schmerz, den sie ihm zufügte, zu lindern, daß er ihn mehr als tröstete – daß er ihm sogar Hoffnung einflößte.

 

Als Mr. Robert wieder seine gewöhnliche Gemüthsstimmung so weit erlangt hatte, um den oben mitgetheilten Brief an Sidney zu schreiben, hatte er vollkommen die Nothwendigkeit empfunden, vor dem öffentlichen Prozeß die Heirath von Philipp und Camilla zu schließen. Die Verhandlung wegen der Vermögensentziehung konnte nicht statthaben vor dem nächsten März oder April. Er wollte die gewöhnliche Etikette der Zeit und der Trauer fallen lassen, um Alles vorher ins Reine zu bringen. Fürs erste konnte er so mittelst des Heirathskontrakts sofort alle Bedingungen am vortheilhaftesten für sich feststellen; und fürs zweite lebte er in stündlicher Angst, Philipp möchte entdecken, daß er an seinem Bruder einen Nebenbuhler habe, und die Verbindung mit den daran für Beaufort hängenden Vortheilen abbrechen. Die erste Nachricht von einem solchen Prozeß in den Zeitungen konnte den Spencers zukommen, und wenn der junge Mann, wie er nicht zweifelte, Sidney Beaufort war, so mußte er auf diese natürlich vortreten und zuverläßig die gefürchtete Aufklärung herbeiführen.

In solcher Angst und beständiger Berechnung sprach Robert Beaufort Philipp so viel, und anscheinend mit solchem Ernst und Eifer, von seinem Wunsche, sobald als nur immer möglich dem letzten Wunsche seines Sohnes durch die eingeleitete Verbindung zu genügen, – er sprach anscheinend mit so viel Besonnenheit und Einsicht von der Vermeidung alles Skandals, und aller Mißdeutungen bei dem Prozeß selbst, dessen gänzlich unfeindselige Beschaffenheit durch die vorangegangene Vermählung des Klägers mit seiner Tochter sofort ins klarste Licht gestellt werden würde, daß Philipp, liebeglühend wie er war, nicht umhin konnte, jeder mit dem Anstand vereinbaren Beschleunigung seines ersehnten Glückes seinen Beifall zu geben. Was eine frühere Veröffentlichung mittelst der Zeitungen betraf, so war er mit Mr. Beaufort eines Sinnes, sie zu verbitten.

Aber nun kam die Frage: Welchen Namen er inzwischen führen sollte?

»Was dies betrifft,« sagte Philipp mit einigem Stolz, »wenn ich nach dem Prozeß meiner Mutter ihr rieth, den ihr zwar gebührenden Namen Beaufort nicht zu führen – und wenn ich, für meinen Theil, ihren bescheidenen Namen werth hielt, der, bei so ungünstigem Schein doch in der That fleckenlos war – so fleckenlos wie der vornehmere, den Ihr führt, und mein Vater führte; – so will ich auch den Namen nicht wieder annehmen, welchen das Gesetz mir absprach, bis ihn das Gesetz mir wieder zuspricht. Das Gesetz allein kann das Unrecht auslöschen, das es mir angethan hat.«

Mr. Beaufort war mit dieser (ob zwar irrigen) Argumentation zufrieden, und hoffte jetzt, es werde sich Alles ungestört abmachen lassen.

 

Daß ein Mädchen in der Lage Camilla's, und von einem weder energischen noch tiefen Charakter, aber unterwürfig, pflichttreu und schüchtern, dem Zureden und den Gründen ihres Vaters, dem Wunsch ihres sterbenden Bruders nachgab – daß sie sich nicht zu weigern getraute, das Mittel der Herstellung des Friedens in einer gespaltenen Familie, das rettende Opfer für ihres Vaters gefährdetes Vermögen zu werden – daß sie endlich, als beinahe einen Monat nach Arthurs Tod, als ihr Vater sie in das Zimmer führte, wo Philipp mit pochendem Herzen auf ihren Schritt lauschte, ihre Hand in die seine legte, und Philipp, auf die Kniee fallend, sagte: »Darf ich hoffen, diese Hand fürs Leben zu besitzen?« daß sie da Worte stammelte, die er als eine nicht widerstrebende Einwilligung deuten konnte – daß Alles dies so geschah, ist so natürlich, daß der Leser schon darauf vorbereitet ist.

Aber dennoch dachte sie mit bittern, reuevollen Gefühlen an ihn, der so überlegt und treulos aufgegeben und zurückgewiesen ward. Sie fühlte, wie innig er sie geliebt – sie wußte, wie fürchterlich sein Kummer seyn würde. Sie sah ernst und traurig aus; aber ihres Bruders Tod genügte in Philipps Augen, dies zu erklären. Das Lob und die Dankbarkeit ihres Vaters, für den sie so plötzlich der Gegenstand sogar noch größeren Stolzes, noch innigerer Zärtlichkeit als selbst Arthur zu werden schien, – der Trost eines großmüthigen Herzens, das selbst in dem Opfer, das es bringt, einen Genuß empfindet – die sie freisprechende Stimme ihres Gewissens hinsichtlich der Beweggründe ihres Handelns – Alles dies äußerte doch allmälig seine Wirkung.

Auch konnte sie, da sie Philipp in neuern Zeiten häufiger gesehen, nicht unempfindlich seyn für seine Neigung – seine vielen edeln Eigenschaften – den Stolz, den die meisten Frauen bei seiner Bewerbung gefühlt haben würden, wenn sein Stand und Rang einmal bekannt war; und da ihr Charakter immer mehr von der Pflicht als von der Leidenschaft geleitet gewesen war, hätte Einer, der sehen konnte, was in ihrer Seele vorging, wenig Besorgnisse haben dürfen wegen Philipps künftigen Glückes, wenn er sie davontrug; – wenig Furcht, es möchten ihre Gefühle, wenn einmal mit ihm vermählt, nicht ganz im Einklang mit ihren Pflichten stehen; er konnte hoffen: wenn sie der ersten Liebe sich noch erinnere, werde es mit einem Seufzer geschehen, der mehr einem romantischen Traum der Vergangenheit, als einer dauernden, schmerzlichen Sehnsucht gelte.

Wenige, von beiden Geschlechtern, werden ja mit dem Gegenstand ihrer ersten Liebe verbunden; aber verheirathete Leute traben mit einander fort und nennen einander »mein Lieber,« und »mein Täubchen,« trotz dem! Zwar wäre vielleicht Philipp kaum mit der Innigkeit geliebt worden, mit welcher er liebte, aber wenn Camilla's Gefühle im Stande waren, den glühenden und leidenschaftlichen dieser starken und heftigen Natur zu entsprechen – so waren solche Gefühle eben noch nicht bei ihr entwickelt – das Herz des Weibes konnte noch halb verhüllt seyn vom Schleier der jungfräulichen Unschuld.

Philipp selbst war zufrieden; er glaubte sich geliebt; denn es ist die Eigenthümlichkeit der Liebe in einem großen und edeln Herzen, sich abzuspiegeln, und ihr eigenes Bild in den Augen zu sehen, in die sie blickt. Wie der Dichter einem gewöhnlichen Evaskind ideale Schönheit und Trefflichkeit leiht, weniger das Wesen vergötternd, welches ist, als dasjenige, das er in seiner Phantasie gestaltet, so wirft die Liebe, die uns Alle eine Zeitlang zu Dichtern macht, ihr himmlisches Licht über ein vielleicht in der That kaltes Herz, und wird verblendet, zu einem wonnevollen, falschen Glauben verleitet eben durch den Glanz, womit sie ihren Gegenstand umgibt.

Je mehr jedoch Camilla Philipp sah, je mehr sie (allmälig ihre frühere geheimnißvolle und abergläubische Scheue vor ihm überwindend), mit seiner eigenthümlichen Charakter- und Denkweise vertraut wurde, um so mißtrauischer begann sie zu werden gegen die Behauptung ihres Vaters: er habe durchaus ihre Hand als Preis – als Ersatz – als Aequivalent für das Opfer einer grimmigen Rache verlangt, und mit diesem Gedanken kam noch ein anderer. War sie dieses Mannes würdig? – täuschte sie ihn nicht? – sollte sie nicht wenigstens ihm bekennen, daß sie eine frühere Neigung gehabt, wie entschlossen sie auch seyn mochte, sie zu bekämpfen?

Oft zitterte das Verlangen, dies billige und ehrenhafte Bekenntniß abzulegen, auf ihrer Lippe, und ebenso oft ward es durch irgend einen zufälligen Umstand, oder durch mädchenhafte Furcht zurückgedrängt. Trotz ihres Verhältnisses bestand zwischen ihnen noch nicht jenes köstliche Vertrauen, welches die Verlobung zweier Herzen und Seelen begleiten sollte. Die Trauer im Hause – der Zwang, den ein noch so frischer und so tief beklagter Todesfall selbst der Sprache der Liebe auferlegte, erklärte großentheils diese Zurückhaltung. Und zudem vergönnte ihnen der vorsichtige Robert Beaufort sehr selten und nur kurz die Gelegenheit allein zu seyn.

Mittlerweile hatte Philipp, nunmehr überzeugt, daß die Beauforts Nichts von seines Bruders Schicksal wüßten, Mr. Barlows Thätigkeit in Anspruch genommen, Sidney auszukundschaften; und sein ängstliches Verlangen, den ihm so Theuern, so geheimnißvoll Verlornen zu entdecken, war das einzige peinliche Gefühl, von welchem die glänzende Zukunft möglicherweise getrübt werden konnte.

Während diese, bisher fruchtlosen Nachforschungen angestellt wurden, geschah es, daß als London sich wieder zu füllen, das Geklatschte wieder aufzuleben begann, ein Gerücht in Umlauf kam. Niemand wußte wie (vermuthlich durch die Dienerschaft), daß Monsieur de Vaudemont, ein ausgezeichneter französischer Offizier, bald die Tochter und einzige Erbin von Robert Beaufort, Esq., M. P., an den Traualtar führen werde; und dies Gerücht fand bald seinen Weg in die Londoner Blätter; aus diesen ging es in die Provinzialblätter über – es kam vor Sidneys Augen in seiner jetzt düstern und verzweiflungsvollen Einsamkeit.

Am Tage, wo er es gelesen, verschwand er.



 << zurück weiter >>