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Zehntes Kapitel.

Es hat sich Etwas unter uns begeben!

Der Malteserritter.

In der zweiten oder dritten Nacht nach seinem merkwürdigen Gespräch mit Beaufort sagte Lord Lilburne beim Auskleiden zu seinem Kammerdiener:

»Dykeman, ich werde wieder wohl.«

»In der That, mein Lord, ich sah Euer Lordschaft nie besser aussehen.«

»Da lügt Ihr. Ich sah besser aus im vorigen Jahr – ich sah besser aus das Jahr vorher – und so fort besser jedes Jahr rückwärts bis zu meinem einundzwanzigsten Jahre. Aber ich spreche jetzt nicht vom Aussehen; kein Mann mit Geld braucht gutes Aussehen. Ich spreche vom Gefühl. Ich fühle mich besser, das Podagra ist beinahe weg. Ich habe mich jetzt beinahe einen Monat ruhig gehalten – das ist eine lange Zeit – eine verschwendete Zeit bei meinem Alter, wo ich so wenig Zeit mehr zu verschwenden habe. Zudem, wie Ihr wißt, bin ich sehr verliebt!«

»Verliebt, mein Lord! Ich glaubte, Ihr habet mir verboten, je zu sprechen von –«

»Holzkopf! was Henkers nützte es, davon zu sprechen, als ich ganz in Flanell eingewickelt war! Ich bin nie verliebt, wenn ich krank bin, – Wer wäre es auch? Ich bin jetzt gesund, oder doch beinahe; und ich habe Sachen erlebt, die mich quälten, die mir diesen Aufenthalt sehr unangenehm machten; ich werde in die Stadt gehen, und vielleicht ehe acht Tage herum sind, belebt jenes reizende Gesicht die Einsamkeit von Fernside. Ich sehe, Ihr wollt Etwas sagen. Spart Euch die Mühe? Nichts läuft je schlecht ab, was ich selbst in meine Hand nehme!«

Am nächsten Tag schickte Lord Lilburne, der sich in der That in Vaudemonts Nähe unbehaglich und beengt fühlte, der so Viel gewonnen hatte, als die Gäste in Beaufort-Court Lust gehabt hatten zu verlieren, und der es zum Grundsatz seines Lebens machte, vor Allem seine eigene Annehmlichkeit und Unterhaltung zu Rathe zu ziehen, nach seinen Postpferden, und kündigte seinem Schwager seine Abreise an.

»Und Ihr laßt mich allein mit diesem Mann, gerade wo ich überzeugt bin, daß er derjenige ist, den wir in ihm vermuthet! Mein lieber Lilburne, bleibt, bis er geht!«

»Unmöglich! Ich bin zwischen Fünfzig und Sechszig – jeder Augenblick ist kostbar in diesem Alter. Ueberdies habe ich Alles gesagt, was ich vermag – verhaltet Euch ruhig – bleibt auf der Defensive – verwickelt diesen verfluchten Vaudemont, oder Morton, oder Wer er ist, in die Maschen von Eurer Tochter Netzen, und dann befreit Euch von ihm, früher nicht. Das kann Nichts schaden, wende sich die Sache, wie sie wolle. Lest die Zeitungen, und schickt nach Blackwell, wenn Ihr Rath oder neue Anweisungen wünscht. Ich sehe nicht, wie für den Augenblick Etwas weiter geschehen könnte. Ihr könnt mir schreiben; ich werde in Park Lane oder Fernside seyn. Nehmt Euch in Acht. Ihr seyd ein glücklicher Kamerad – Ihr habt nie das Podagra! Lebt wohl!«

Und in einer halben Stunde befand sich Lord Lilburne auf der Straße nach London.

Der Aufbruch Lilburnes war ein Signal für mehrere Andere, besonders und natürlich für diejenigen, die er selbst eingeladen. Er hatte diesen Gästen sein Vorhaben, abzureisen, nicht kund gethan, bis sein Wagen vor der Thüre stand. Dies mochte Zartgefühl oder Gleichgültigkeit seyn, wie die Leute es nehmen wollten; und wie sie es nahmen, darum kümmerte sich Lord Lilburne, viel zu selbstsüchtig um artig zu seyn, keinen Strohhalm. Am nächsten Tage war wenigstens die Hälfte der Gäste fort; und selbst Mr. Marsden, der ausdrücklich Arthur zu lieb war eingeladen worden, kündigte an, daß er nach dem Essen gehen werde; – er reiste immer bei Nacht – schlief gut unterwegs – und verlor so keinen Tag.

»Und es ist doch so lange, daß Ihr Arthur nicht mehr gesehen,« sagte Mr. Beaufort, ihm Gegenvorstellungen machend, »und ich erwarte ihn jeden Tag.«

»Thut mir sehr leid – der beste Mensch von der Welt – aber die Sache ist die, daß ich selbst nicht ganz wohl bin. Ich bedarf etwas Seeluft; ich werde nach Dover oder Brighton gehen. Aber ich denke, Ihr werdet das Hans wieder voll haben um Weihnachten; in diesem Falle werde ich mit Vergnügen meinen Besuch wiederholen.«

Die Sache war die, daß Mr. Marsden, ohne Lilburnes Verstand einerseits, und seine Laster andererseits, wie jener adelige Sensualist eines der zerbrochenen Stücke des großen Spiegels – das eigene Ich – war. Man bemerkte in der Gesellschaft, daß er immer die Plätze besuchte, wo Lilburne Karten spielte, sorgfältig sich dann einen andern Spieltisch wählte, und ebenso sorgfältig immer auf Lilburne wettete. Die Spieltische waren jetzt abgebrochen; Vaudemonts Ueberlegenheit im Schießen, und die Art, wie er das Gespräch der Waidmänner in Anspruch nahm, verdroß ihn. Er fühlte sich gelangweilt – bekam Lust zu gehen – und ging. Vaudemont fühlte, daß auch für ihn der Zeitpunkt zum Aufbruch gekommen; aber Robert Beaufort – der in seiner Gesellschaft die peinliche Bezauberung des Vogels gegenüber der Boa empfand, der ihn mit Haß da sah, und doch fürchtete, ihn abreisen zu sehen, und der noch nicht alle die Bestätigungen seiner Vermuthungen, die er wünschte, herausgebracht hatte, denn Vaudemont parirte leicht genug die nicht eben listigen Fragen Camillas, – drang mit so lebhafter Gastlichkeit in ihn, zu bleiben, und ließ selbst Camilla, gegen ihren Willen und selbst trotz ihren Gegenvorstellungen – (sie hatte solche nie zuvor gegen Vater noch Mutter zu machen gewagt) die Worte herausstammeln: »Könntet Ihr nicht noch einige Tage bleiben?« Daß Vaudemont nur zu vergnügt war, seiner eigenen Neigung folgen zu können – und so bewegte er sich noch einige Zeit vor den Augen des Mr. Beaufort – finster, unheildrohend, schweigsam, räthselhaft – wie ein aus den Rahmen herausgetretenes Familiengemälde.

Vaudemont schrieb jedoch an Fanny und entschuldigte sein längeres Ausbleiben; und verlangend, von ihr Nachrichten über ihr und Simons Befinden zu erhalten, bat er sie, ihren Brief nach seiner Wohnung in London zu adressiren, die er ihr bezeichnete, von wo er ihm, falls er seine Abreise noch länger aufschöbe, übermacht werden würde. Er that dies jedoch erst, als er nach Lilburnes Abreise mehrere Tage noch in Beaufort-Court verweilt hatte, und zwei Tage vor dem ereignißreichen Tage, der seinen Besuch schloss.

 

Die jetzt sehr verminderte Gesellschaft war beim Frühstück, als der Diener, wie gewöhnlich, mit dem Briefsack eintrat. Mr. Beaufort, der in dem kleinen Ceremoniell des Lebens immer wichtig thuend und abgemessen sich benahm, eröffnete den kostbaren Schatz mit langsamer Würde, zog die Zeitungen heraus, die er auf den Tisch warf und nach welchen die Herren in der Gesellschaft begierig griffen; dann zog er der Reihe nach zuerst einen Brief an Camilla, dann einen an Vaudemont, und drittens einen an ihn selbst heraus.

»Ich wünsche, daß keine Umstände gemacht werden, Monsieur de Vaudemont; bitte, entschuldigt mich und folgt meinem Beispiel; ich sehe, dieser Brief ist von meinem Sohn;« und er erbrach das Siegel.

Der Brief lautete so:

»Mein lieber Vater, –

beinahe gleichzeitig mit diesem Brief werde ich bei Euch eintreffen. So krank ich bin, habe ich doch keine Ruhe, als bis ich Euch sehe, mich mit Euch berathe. Die überraschendste die peinlichste Kunde ist mir soeben mitgetheilt worden. Es ist mir wie ein Traum! Sie ist von der Art, daß sie nur mündliche Mittheilung zuläßt.

Euer zärtlicher Sohn

Arthur Beaufort.

Boulogne.

Nachschrift. Dieser Brief geht mit demselben Packboot, das ich selbst besteigen werde, und kann Euch nur ein paar Stunden vor meiner Ankunft zukommen.«

Mr. Beauforts zitternde Hand ließ den Brief fallen – er griff nach der Armlehne des Stuhls, um sich selbst des Fallens zu erwehren. Es war klar, derselbe Besuch, der ihn verfolgt, hatte jetzt seinen Sohn ausgesucht. Es überfiel ihn die Angst, sein Sohn möchte den Zeugen gehört haben – möchte überzeugt seyn. Sein Sohn selbst erschien ihm jetzt als ein Feind – denn der Vater fürchtete des Sohnes Ehrenhaftigkeit! Er warf einen verstohlenen Blick rings über den Tisch, bis sein Auge auf Vaudemont haftete, und seine Angst verdoppelte sich, denn Vaudemonts Gesicht, gewöhnlich so ruhig, war in einem außerordentlichen Grad aufgeregt, als er es von dem eben gelesenen Brief erhob.

Ihre Blicke begegneten sich. Robert Beaufort sah ihn an, wie der Angeklagte vor den Schranken den Ankläger anblickt, wenn dieser seine Rede beginnt.

»Mr. Beaufort,« sagte der Gast, »der Brief, den Ihr mir eingehändigt, fordert mich nach London wegen wichtiger Angelegenheiten und ohne Verzug. Erlaubt, daß ich, sobald es Euch bequem ist, nach Postpferden schicke.«

»Was gibt es denn?« sagte die schwache, selten gehörte Stimme der Mrs. Beaufort. »Was gibt es denn, Robert? Kommt Arthur?«

»Er kommt heute noch,« sagte der Vater mit einem tiefen Seufzer; und Vaudemont stand in diesem Augenblick von seinem erst halb abgemachten Frühstück auf, und verließ mit einer Verbeugung, welche der ganzen Gesellschaft galt, und mit einem Blick, welcher auf Camilla haftete, die auf ihren noch nicht geöffneten Brief niedersah (einen Brief von Winandermere, dessen Siegel sie noch nicht zu öffnen gewagt) das Zimmer. Er eilte auf sein Zimmer, und schritt mit stattlichem Schritt – dem Schritt des Herrn und Meisters – auf und ab; dann nahm er den Brief, und überlief noch einmal seinen Inhalt. Er lautete so:

»Werther Sir –

Endlich hat sich der vermißte Zeuge bei mir eingefunden. Es ist wirklich, wie Ihr vermuthet habt, derselbe Mann, welcher Mr. Roger Morton aufgesucht; aber wegen verschiedener Umstände, über welche ich ohne den mindesten Verzug Eure Verhaltungsbefehle wünschte, werde ich London mit der Eilpost verlassen und Euch in D*** (im ersten Gasthof) erwarten, das, wie ich höre, zwanzig Meilen von Beaufort-Court an der Landstraße liegt.

Ich habe die Ehre, Sir, zu seyn

Euer u. s. w.

John Barlow.

Essex Street.«

Vaudemont war noch in die Gemüthsaufregungen versunken, die dieser Brief veranlaßte, als man kam ihm zu melden, daß sein Wagen angekommen. Wie er die Treppen hinunterging, begegnete er Camilla, die auf dem Wege nach ihrem Zimmer war.

»Miß Beaufort,« sagte er mit leiser, zitternder Stimme; »indem ich Euch Lebewohl wünsche, enthalte ich mich jetzt, Mehr zu sagen. Ich verlasse Euch, und, so seltsam es klingt, ich bedaure es nicht, denn ich trete eine Fahrt an, die mich vielleicht berechtigt, wieder zu kommen, und die Gedanken auszusprechen, welche auch in diesem Augenblick meine Seele beherrschen.«

Er führte, wie er so sprach, ihre Hand an seinen Mund, und in diesem Augenblick schaute Mr. Beaufort aus der Thüre seines Zimmers heraus und rief: »Camilla!« Sie war froh, so zu entkommen. Philipp sah ihrer leichten Gestalt einen Augenblick nach, und eilte dann die Treppen hinab.



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