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Achtes Kapitel.

Wohl kannten all durch Uebung diesen Dienst;
           *              *              *              *
Die Einen sangen laut als wie zu klagen,
In andern Tönen thaten Andere schlagen.«

Chaucer. Der Kukuk und die Nachtigall.

Und wieder, süßes Winandermere, sind wir an den Ufern deines glücklichen Sees! – Der sanfteste Strahl der sanften klaren Sonne des Frühherbstes zitterte auf den frischen Wassern und schimmerte durch das Laub der Linden und Weiden, die sich deutlich wie eine Heimath der Najaden, unter der hellen Oberfläche abspiegelten. In den Gebüschen hörte man die jungen Schwarzköpfe ihre ersten uneingeschulten Töne trillern, und die zierliche Libelle, mit den im durchschimmernden Sonnenschein glitzernden Flügeln, schoß hin und her auf dem Schilf, der da und dort sich sammelte in den kleinen Buchten, welche in den abschüssigen Rand des grasbewachsenen Users sich hineinzogen.

Und auf dem grasbewachsenen Ufer, unter den schattigen Linden, saßen die jungen Liebenden. Es war gerade der Platz, wo der junge Spencer Camilla zuerst gesehen hatte, und jetzt trafen sie sich hier, um sich Lebewohl zu sagen.

»Oh, Camilla!« sagte er mit großer Gemüthsbewegung und Augen, die in Thränen schwammen: »sey fest, sey treu! Du weißt, wie mein ganzes Leben in der Liebe zu Dir zusammengedrängt ist. Du gehst Scenen entgegen, wo Alles Dich locken wird, mich zu vergessen. Ich bleibe zurück in den Räumen, die geheiligt sind durch die Erinnerung an Dich, die mir allstündlich von Dir sprechen werden. Camilla, da Du mich liebst – Du liebst mich – oder nicht? – nachdem Du es gestanden – nachdem Deine Eltern in unsere Heirath gewilligt, vorausgesetzt, daß Deine Liebe (denn an der meinigen kann kein Zweifel seyn) Ein Jahr – ein schreckliches Jahr daure: soll ich Dir nicht vertrauen, wie der Wahrheit selbst? Und doch, wie schwarz ist oft meine Verzweiflung!«

Camilla ergriff unschuldig die Hände, die gefaltet sich gegen sie wie stehend erhoben und drückte sie freundlich mit den ihrigen.

»Zweifelt nicht an mir – zweifelt nie an meiner Liebe. Hat nicht mein Vater eingewilligt? Bedenkt, es ist ja nur der Aufschub eines Jahrs!«

»Ein Jahr! – Könnt Ihr so von einem Jahr, einem ganzen Jahr sprechen? Euch ein ganzes Jahr nie sehen – nie hören, außer in meinen Träumen? Und wenn nach Verfluß dieses Jahrs Eure Eltern wankend werden? Euer Vater – ich mißtraue ihm immer noch. Wenn dieser Aufschub nur den Zweck hätte, Euch von mir zu entwöhnen, – wenn am Ende neue Ausreden gefunden würden – wenn sie dann aus irgend einem nicht vorhergesehenen Grunde ihre Zustimmung verweigerten? – Ihr – darf ich nicht dann immer noch auf Euch zählen?«

Camilla seufzte tief auf, und mit ihrem sanften Angesicht den Liebenden anblickend, sagte sie schüchtern: »Denkt doch nicht, daß eine so kurze Zeit mich untreu machen könne, und hegt keinen Verdacht, daß mein Vater seine Zusage brechen werde.«

»Aber wenn er es thut, willst Du doch die Meine bleiben?«

»Ach, Charles, wie könntet Ihr mich achten als Frau, wenn ich Euch erklärte, ich wäre im Stande zu vergessen, daß ich eine Tochter bin?«

Sie sagte dies so rührend, und so gänzlich ohne alle Affektation, daß der Liebende nur damit antworten konnte, daß er ihre Hand mit Küssen bedeckte. – Und erst nach einer Pause, begann er wieder in leidenschaftlichem Tone:

»Ihr zeigt mir nur, wie viel tiefer meine Liebe ist als die Eurige. Ihr habt keine Ahnung davon, wie ich Euch liebe. Aber ich verlange nicht, daß Ihr mich eben so innig liebet – es wäre unmöglich. Ich brachte mein Leben von der frühesten Kindheit an in dieser Einsamkeit zu, – ein glückliches obwohl ruhiges und einförmiges Leben, bis plötzlich Du hereintratest! Du erschienst mir als die lebendige Gestalt eben der Poesie, die ich anbetete – so glänzend – so himmlisch – ich liebte Dich vom ersten Augenblick an, wo wir uns begegneten. Ich bin nicht wie Andere meines Alters. Ich habe keinen Beruf – keine Beschäftigung – Nichts, was mich von den Gedanken an Dich abzöge, und ich liebe Dich so rein – so ergeben, Camilla! Ich habe nie auch nur eine flüchtige Neigung für eine Andere gekannt! Du bist das erste, das einzige Weib, das mir je möglich schien zu lieben. Du bist meine Eva – Deine Gegenwart ist mein Paradies! Denke wie traurig ich seyn werde, wenn Du weg bist – wie ich jede Stelle besuchen werde, die Dein Fuß geheiligt – jeden Augenblick zählen, bis das Jahr herum ist!«

Unter diesen Worten war er aufgestanden in jener rastlosen Unruhe, welche großer Gemüthsbewegung eigen ist; und Camilla stand jetzt auch auf und sagte tröstend, indem sie mit zärtlicher, aber sittsamer Unbefangenheit ihre Hand auf seine Schulter legte:

»Und werde ich nicht auch an Euch denken? Ich bin so traurig bei dem Gedanken, daß Ihr so gar allein seyn werdet – keine Schwester – keinen Bruder!«

»Gräme Dich deßhalb nicht. Der Gedanke an Dich wird mir theurer seyn als Trost von irgend Jemand sonst, und Du willst mir treu seyn!«

Camilla gab keine Antwort darauf, aber ihr Auge und ihr Erröthen sprach deutlich. Und in diesem Augenblick, ewige Treue sich gelobend, vergaßen sie, daß sie sich trennen sollten.

 

Mittlerweile saßen in einem Zimmer des Hauses, das vom Laub versteckt, nur theilweise da, wo die Liebenden standen, sichtbar war, Mr. Robert Beaufort und Mr. Spencer.

»Ich versichere Euch, Sir,« sagte der Erstere, »daß ich nicht unempfindlich bin gegen die Verdienste Eures Neffen, und gegen Eure sehr schönen Anerbietungen; dennoch kann ich nicht in eine Abkürzung der genannten Frist willigen. Beide sind sehr jung. Was ist ein Jahr?«

»Eine lange Zeit, wenn es ein Jahr der Ungewißheit ist,« sagte der Einsiedler kopfschüttelnd.

»Es ist eine noch längere Zeit, wenn es ein Jahr voll häuslicher Uneinigkeit und Reue ist. Und es ist ein sehr wahres Sprüchwort: Heirathen in Eil gibt zur Reue gute Weil. Nein! Wenn mit Ablauf des Jahrs die jungen Leute noch ebenso gesinnt seyn werden, und keine unvorhergesehenen Umstände eintreten –«

»Keine unvorhergesehenen Umstände, Mr. Beaufort? – das ist eine neue Bedingung, und ein sehr unbestimmter Ausdruck!«

»Mein lieber Sir, es ist schwer, Euch zu befriedigen, unvorhergesehene Umstände,« fuhr der schlaue Vater mit hochweiser Miene fort, »heißt: Umstände, die wir im Augenblick nicht vorhersehen. Ich versichere Euch, ich habe nicht die Absicht, ein Spiel mit Euch zu treiben, und ich werde mir von Herzen Glück wünschen zu einer so achtbaren Verbindung.«

»Die jungen Leute dürfen an einander schreiben?«

»Ha, ich will Mrs. Beaufort zu Rathe ziehen. Jedenfalls darf es nicht sehr oft seyn, und Camilla ist gut erzogen und wird alle Briefe ihrer Mutter zeigen. Ich bin eben kein Freund von einer Correspondenz dieser Art. Sie führt oft zu unangenehmen Folgen; wenn zum Beispiel –«

»Wenn was?«

»Nun, wenn die Betheiligten andern Sinnes werden, und mein Mädchen einen Andern heirathen sollte. – Es ist nicht gerathen, mein lieber Sir, in Geschäftssachen Etwas dem Papier anzuvertrauen, was man vermeiden kann.«

Mr. Spencer riß die Augen weit auf. »Geschäftssachen, Mr. Beaufort!«

»Nun, ist nicht eine Heirath eine Geschäftssache, und das eine sehr wichtige? Mehr Prozesse wegen Heirathen und Witthum u. dgl, als ich denken mag. – Doch um auf etwas Anderes zu kommen: Ihr habt nie Etwas weiter von den jungen Leuten gehört, von welchen Ihr sprachet?«

»Nein,« sagte Mr. Spencer kaum hörbar und zu Boden sehend.

»Und es ist Eure feste Ansicht, daß der Aeltere, Philipp, todt ist?«

»Ich zweifle nicht daran.«

»Das war ein sehr widerlicher und ungeeigneter Prozeß, den ihre Mutter gegen mich erhob. Wißt Ihr, daß ein elender Betrüger, ein Verbrecher, wie es scheint, der vor seiner Zeit die Colonieen verließ, mir mit einem zweiten gedroht hat von Seiten Eines der jungen Männer? Ihr habt nie davon gehört – he?«

»Nie, auf meine Ehre!«

»Und natürlich würdet Ihr ein so schurkisches Beginnen nicht unterstützen?«

»Gewiß nicht.«

»Denn freilich würde das unsern Contrakt augenblicklich brechen. Aber Ihr seyd zu sehr ein Gentleman und ein Mann von Ehre. Verzeiht mir eine so ungeschickte Frage. Was den jüngern Mr. Morton betrifft, so hege ich kein Mißwollen gegen ihn. Aber der Aeltere! – oh! durch und durch ein Verworfener! ein ganz entsetzlicher Charakter! Ich könnte Nichts mit einem Mitglied der Familie zu thun haben, so lange der Aeltere lebte; es würde mich nur allen Arten von Beschimpfung und Betrug aussetzen, und jetzt, glaube ich, haben wir unsere jungen Freunde lang genug allein gelassen. Doch halt! um Mißverständnissen für die Zukunft vorzubeugen, kann ich wohl noch die Hauptpunkte der Uebereinkunft überlesen, welche Ihr mir die Ehre anthut, vorzuschlagen. Ihr willigt ein, nach Eurem Ableben Euer Vermögen im Betrag von 23 000 Pf. nebst Eurem Haus, fünfundzwanzig Acres, eine Ruthe, etwas mehr oder weniger, Eurem Neffen und meiner Tochter mit einander zu vermachen – auf ihre Kinder zu vererben – Witthum 500 Pf. jährlich. Gewiß – nehmt es nicht übel – vom weltlichen Standpunkt die Sache angesehen, könnte Camilla ein größeres Glück machen; aber Ihr seyd ein so sehr achtbarer Mann, und, sprecht so edel, daß ich diesen Punkt nicht berühren kann; und ich gestehe, daß, obgleich eine sehr große Pachtliste an Beaufort-Court haftet (es gibt in der That kein schöneres Besitzthum in der Grafschaft,) doch gar manche Lasten darauf ruhen, und baares Geld zu schießen fiele mir schwer. Arthur – der arme Kerl, ein sehr feiner junger Mann, Sir, ist, wie ich Euch im engsten Vertrauen gesagt, ein wenig unbesonnen und verschwenderisch; kurz, Euer Anerbieten, auf jede Mitgift zu verzichten, ist ausnehmend liberal, und beweist, daß Euer Neffe von keinen gewinnsüchtigen Gesinnungen beseelt ist; eine solche Handlungsweise nimmt mich höchlich für ihn und für Euch ein.«

Mr. Spencer verbeugte sich, und der vornehme Mann stand auf, legte mit steifer Affektation, freundlicher Leutseligkeit seinen Arm in den des Oheims! und schlenderte mit ihm über den Rasenplatz zu den Liebenden hin, und so ist das Leben! – Liebe auf dem Rasen, und Contrakte im Wohnzimmer!

Der junge Mann bemerkte zuerst das Herankommen der älteren Männer, und ein Wechsel kam über sein Gesicht, als er das trockene Aussehen und den verstohlenen Schritt seines künftigen Schwiegervaters bemerkte, denn da durchzuckte ihn eine traurige Erinnerung aus seiner frühern Kindheit – der glückliche Abend, wo er dies ernste, unheildrohende Gesicht in Gesellschaft seines fröhlichen Vaters zuerst erblickt, und dann das schmerzliche Begräbniß, das Trauergepränge, der Leichenwagen vor der Thüre – und er selbst sich anklammernd an den kalten Oheim, und ihn bittend, ein Wort des Trostes der Mutter zu sagen, die jetzt an fernem Ort schlummerte.

»Nun, mein junger Freund,« sagte Mr. Beaufort mit einer Gönnermiene, »Euer guter Oheim und ich sind ganz einig – eine kurze Zeit zum Besinnen, das ist Alles. O! ich denke nicht schlimmer von Euch, weil Ihr sie abgekürzt wünscht. Aber ein Papa muß ein Papa seyn.«

Es war so wenig Scherzhaftes an diesem gesetzten Mann, daß dieser Versuch, eine fröhliche Laune zu zeigen, hart und widerlich klang – es fehlte den Angeln dieses schlauen Mundes das Oel zu einem herzlichen Lächeln.

»Kommt, seyd nicht schwachherzig, Mr. Charles. ›Schwache Herzen‹ – Ihr kennt das Sprüchwort. Ihr müßt bleiben und mit uns essen. Wir kehren morgen in die Stadt zurück. Ich muß Euch auch sagen, daß ich diesen Morgen einen Brief von meinem Sohn Arthur erhalten habe, worin er mir seine Rückkehr von Baden angekündigt – so müssen wir also uns einfinden zu seiner Begrüßung – sie wird sehr fröhlich seyn, könnt Ihr Euch denken. Wir haben ihn seit drei Jahren nicht gesehen. Der arme Junge! er schreibt er, sey sehr krank gewesen, und das Wasser habe ihm nichts mehr geholfen. Aber ein wenig Ruhe und Landluft in Beaufort-Court werden ihn auf die Beine bringen, hoffe ich.«

So fortschwatzend von seinem Sohn – dann von seiner Jagd – von Beaufort-Court und seinen Schönheiten – vom Parlament und seinen Mühsalen – von der letzten französischen Revolution und der letzten englischen Wahl, – von Mrs. Beaufort und ihren guten Eigenschaften und schlechter Gesundheit – kurz, von Allem was ihn selbst anging, von einigem, was öffentliche Angelegenheiten betraf, aber von Nichts, was auf die Personen Bezug hatte, an die er seine Worte richtete, brachte Mr. Robert Beaufort eine halbe Stunde hin, wo dann die Spencers sich verabschiedeten, mit dem Versprechen, zum Essen wieder zu kommen.

 

»Charles,« sagte Mr. Spencer, als das von dem jungen Manne geruderte Boot über das Wasser hinglitt, ihrer stillen Heimath zu, »Charles, diese Beauforts mißfallen mir!«

»Doch die Tochter nicht?«

»Nein, sie ist schön und scheint gut; nicht so schön wie Eure arme Mutter; aber Wer war je wie sie?« – Hier seufzte Mr. Spencer und recitirte ein paar Zeilen aus Shenstone.

»Meint Ihr, Mr. Beaufort habe irgend einen Verdacht, Wer ich bin?«

»Ha, das eben macht mich unruhig; ich glaube fast.«

»Und das ist der Grund des Aufschubs? Das dachte ich wohl!«

»Nein, im Gegentheil, ich bin geneigt zu glauben, daß er einiges Wohlwollen gegen Euch hegt, obwohl nicht gegen Euern Bruder, und daß diese Gesinnung ihn zur Einwilligung in die Heirath bewog. Er examinirte mich sehr scharf, was ich von den jungen Mortons wüßte – bemerkte, Ihr seyet recht schön, und er habe im Anfang geglaubt, Euch sonst schon gesehen zu haben.«

»Wirklich?«

»Ja, und er sah mich dabei scharf an, und sagte mehr als einmal bedeutungsvoll: Also Charles ist sein Name? Er sprach von einem Versuch, einen betrügerischen Prozeß gegen ihn anzufangen; aber das war sichtlich blos erdichtet, um mich auszuforschen über Euren Bruder – von dem er natürlich schlecht sprach – und er wiederholte mir drei- oder viermal, er wolle sich nie mit Einem von Der Familie in Etwas einlassen, so lange Philipp lebe.«

»Und Ihr sagtet ihm,« sagte der junge Mann stockend und mit einer heftigen Schaamröthe im Gesicht, »Ihr seyet überzeugt – das heißt, Ihr glaubet, Philipp sey – sey –«

»Sey todt; ja, und ohne Verlegenheit. Denn je mehr, ich es bedenke, desto mehr glaube ich, er muß todt seyn. Jedenfalls könnt Ihr gewiß seyn, daß er für uns todt ist, daß wir nie wieder von ihm hören werden.«

»Armer Philipp!«

»Eure Gefühle sind natürlich, sind Eures trefflichen Herzens würdig; aber bedenkt, was aus Euch geworden seyn würde, wäret Ihr bei ihm geblieben!«

»Wahr!« sagte der Bruder mit einem leichten Schauder – »eine Laufbahn voll Leiden – Verbrechen, vielleicht der Galgen! Ach, was verdank' ich Euch!«

 

Die Mahlzeit bei Mr. Beaufort an diesem Tage war gezwungen und förmlich, obgleich der Wirth in ungewöhnlich guter Laune, angenehm und unterhaltend zu seyn sich bemühte. Mrs. Beaufort, angegriffen und an Kopfweh leidend, sprach wenig. Die beiden Spencers waren noch stiller. Aber der Jüngere saß neben der Geliebten und Beider Herz – war voll; und am Abend wußten sie sich beiseite in eine Ecke am Fenster zu schleichen, durch welches der gestirnte Himmel freundlich auf sie niederschaute. Sie unterhielten sich flüsternd und mit langen stummen Pausen; und zu Zeiten flossen Camilla's Thränen stumm über ihre Wangen, und dann folgte ein erzwungenes Lächeln, das den Geliebten aufheitern sollte.

Die Zeit flog nicht, sondern schlich athemlos und schwerfällig dahin. Und dann kam der letzte Abschied – kalt und förmlich – vor Zeugen. Aber der Liebende konnte seine Bewegung nicht bemeistern, und der harte Vater hörte sein unterdrücktes Schluchzen, als er die Thüre schloß.

 

Es ist jetzt der Ort, die Ursache von Mr. Beauforts heitrer Laune und die Beweggründe seines Benehmens gegen den Freier seiner Tochter zu erläutern.

Dieß geschieht vielleicht am besten, wenn dem Leser folgende Briefe vorgelegt werden, welche zwischen Mr. Beaufort und Lord Lilburne gewechselt wurden.

Von Lord Lilburne an Robert Beaufort. Esq. M. P.

»Lieber Beaufort, –

ich habe Eure Angelegenheit mit dem unwillkommnen Besuch ziemlich befriedigend, denk' ich, ins Reine gebracht. Vor Allem schien mir nothwendig, genau zu erfahren, Was und Wer er wäre, und mit welchen Parteien, die Euch belästigen könnten, er in Verkehr stehe. Ich schickte nach Sharp, dem Beamten in Bow-Street, und stellte ihn in den Vorsaal, um Euren neuen Freund genau zu betrachten, und dann ihn auszuspüren und zu bewachen. Im Augenblick, wo dieser eintrat, erkannte ich im Augenblick aus seinem Anzug und seiner Sprache, daß er ein Gauner war, und erachtete es für höchst unrathsam, ihm durch Geldunterhandlungen eine Macht über Euch einzuräumen. Während ich mit ihm sprach, schickte Sharp ein Billet herein, des Inhalts, daß er in unserm Gentleman einen deportirten Verbrecher erkenne.

Demgemäß handelte ich; ich sah bald aus des Kerls Wesen, daß er vor Ablauf seiner Zeit zurückgekommen, und schickte ihn fort mit einem Versprechen, das, wie er zuverläßig glaubt, gehalten werden soll, daß, falls er Euch weiter belästige, er in die Colonie zurückgeschickt, und falls sein Prozeß begonnen werde, sein Zeuge oder seine Zeugen wegen Complotts oder Meineids sollen angeklagt werden. So weit, könnt Ihr Euch beruhigen. Im Uebrigen gesteh' ich Euch, daß mir, was er sagt, wahrscheinlich genug vorkommt; aber meine Absicht, wenn ich Sharp beauftragte, ein wachsames Auge auf ihn zu haben, ist, zu erfahren, welche andre Leute er sieht. Und wenn wirklich an seinen Beweisen oder Zeugen etwas Besorgnißerregendes seyn sollte, rathe ich Euch, mit diesen andern Leuten zu unterhandeln. Laßt Euch nie in Unterhandlungen mit einem Zwischenträger ein, wenn Ihr es mit der Hauptperson könnt. Vergeßt nicht, die zwei jungen Männer sind am Ende diejenigen, mit welchen man sich auseinanderzusetzen hat. Sie müssen arm seyn, und daher leicht zu behandeln. Denn wenn sie arm sind, wird ihnen ein Vogel in der Hand lieber seyn als zwei im Busch – eines Prozesses.

Wenn Ihr durch Mr. Spencer Etwas über den Einen oder den Andern der jungen Männer in Erfahrung bringen könnt, so versäumt es nicht; und versucht auch, Euch einen Kanal zu eröffnen, durch welchen Ihr im nöthigen Fall immer mit ihnen in Verkehr treten könnt. Vielleicht – wenn Ihr ihre frühere Geschichte erkundet, erfahrt Ihr Etwas, wodurch Ihr sie in Eure Gewalt bekommt.

Ich habe diesen Morgen ein Zwicken von Podagra verspürt, und werde wohl, fürchte ich, einige Wochen ins Haus gebannt werden.

Aufrichtigst der Eurige,
Lilburne.

Nachschrift. Sharp ist soeben bei mir gewesen. Er folgte dem Mann, der sich Kapitän Smith nennt, zu einem Haus in Lambeth, wo er logirt, und das er nicht verließ bis Mitternacht, wo Sharp seine Wache verließ. Als er sie diesen Morgen wieder antrat, erfuhr er, daß der Kapitän auf und davon war, wohin, hat Sharp noch nicht entdeckt. Verbrennt dies unverzüglich.«

 

Von Robert-Beaufort Esq. M. P. an den Lord Lilburne.

»Lieber Lilburne. –

empfangt meinen wärmsten Dank für Eure Güte; Ihr habt die Sache trefflich geführt, und ich sehe nicht ab; daß ich noch irgend Etwas zu fürchten haben sollte. Ich vermuthe, es war eine reine Erdichtung von diesem Manne, und Eure Festigkeit hat seine nichtswürdigen Anschläge vereitelt. Denkt nur, ich habe – ich bin davon fest überzeugt – Einen der Mortons aufgefunden; und zwar ist es, obwohl der jüngere, doch aller Wahrscheinlichkeit nach der Einzige Prätendent, den der Kerl vorschieben könnte. Ihr erinnert Euch, daß das Kind Sidney auf geheimnißvolle Weise verschwunden ist – Ihr erinnert Euch auch, wie sehr sich dieser Mr. Spencer für die Auffindung ebendieses Sidney interessirte. Nun – dieser Gentleman an den Seen ist, wie wir vermutheten, derselbe Mr. Spencer, und sein soi-disant Neffe, Camillas Freier, ist sicherlich kein Andrer, als der verlorne Sidney. Sobald ich den jungen Mann sah, erkannte ich ihn wieder, denn er hat sich sehr wenig verändert, und gleicht überdieß sehr seiner Mutter. Ich verhehlte jedoch meinen mehr als gegründeten Verdacht, suchte den Mr. Spencer sorgfältig auszuholen – eine gar gute Seele! – und sein Benehmen war so verlegen, daß mir kein Zweifel über die Sache blieb; aus meine Fragen aber, was er von den Brüdern wisse, hatte ich die Genugthuung zu vernehmen, daß aller menschlichen Wahrscheinlichkeit nach der Aeltere todt ist; hievon scheint Mr. Spencer überzeugt. Ich versicherte mich auch, daß weder Spencer noch der junge Mann die entfernteste Verbindung mit unsrem Kapitän Smith unterhalten, noch irgend einen Gedanken an einen Rechtsstreit hegen. Das ist, wie Ihr gestehen werdet, sehr befriedigend, und jetzt, hoffe ich, werdet Ihr auch billigen, was ich gethan habe. Ich finde, daß der junge Morton, oder Spencer, wie er sich nennt, wahnsinnig verliebt ist in Camilla; erscheint ein weicher, ordentlicher, wohlwollender junger Mann, schreibt Verse, – kurz ziemlich schwach eigentlich. Ich habe ein Jahr Aufschub verlangt, damit Beide sich prüfen und sich besinnen können. Dies gibt den Kanal zu beständiger Einziehung von Nachrichten ab, den zu eröffnen Ihr mir gerathen; und ich werde Gelegenheit haben zu erfahren, ob der Betrüger ihnen Mittheilungen macht, oder ob es Neuigkeiten von dem Bruder gibt. Wenn durch irgend einen Kniff oder eine Chikane (denn ich will nimmermehr an eine wirkliche Heirath glauben) ein Prozeß aufgewärmt werden sollte, der kritisch oder gefährlich zu werden drohte, so kann ich ganz gewiß mit Sidney, vermöge seiner Liebe zu meiner Tochter, solche Bedingungen machen, die mich für immer und wirksam vor allen ferneren Beunruhigungen und Machinationen hinsichtlich meines Vermögens sicher stellen, und wenn wir uns im Laufe des Jahres überzeugen, daß am Ende doch kein Titelchen eines Gesetzes da ist, auf welches ein Ansprüche Machender fußen kann, so kann ich mich durch andere Umstände bestimmen lassen zur Genehmigung oder Abweisung der Bewerbung. Es muß dies davon abhängen, ob wir bis dahin in Betreff Camillas andre Absichten und Aussichten haben; und ich werde nicht das Mindeste vom Bestehen eines solchen Verhältnisses unter die Leute kommen lassen. Im schlimmsten Falle ist er, als Erbe von Mr. Spencer, keine so ganz schlechte Parthie, in Betracht, daß sie auf alle Mitgift verzichten – ein Beweis, wie leicht sie zu behandeln sind. Ich habe Mr. Spencer nicht merken lassen, daß ich sein Geheimniß entdeckt habe; ich kann das thun oder lassen, je nachdem sich die Umstände später gestalten, auch habe ich von meiner Entdeckung Nichts gegen Mrs. Beaufort noch gegen Camilla geäußert. Vor der Hand, je weniger gesagt, je besser abgeholfen! Ich habe heute Nachrichten von Arthur erhalten. Er ist auf dem Wege nach Haus, und wir eilen, früher als wir im Sinne hatten, in die Stadt ihm entgegen. Er klagt noch immer über seine Gesundheit. Wir werden Alle nach Beaufort-Court gehen. Ich schreibe dieß in der Nacht, nachdem der angebliche Oheim und Neffe eben weggegangen. Aber, obgleich wir morgen aufbrechen, werdet Ihr doch dies Schreiben einen oder zwei Tage, ehe wir ankommen; erhalten, da der Mrs. Beaufort Gesundheit kurze Tagreisen nothwendig macht. Ich hoffe wahrhaftig, Arthur, der arme Junge, werde doch nicht auch invalid seyn! Eines in einer Familie ist ganz genug; und ich finde, daß der Mrs. Beaufort schwache Gesundheit sehr unbequem ist, besonders wenn man herumreist, und Bekanntschaften in der Grafschaft pflegt. Aber eines jungen Mannes Gesundheit ist bald wiederhergestellt. Es thut mir sehr leid, Euch über Podagra klagen zu hören – indeß nimmt es doch alle andere Leiden mit fort. Ich bin Gott sey Dank, sehr wohl; – in der That, meine Gesundheit ist viel besser als früher; Beaufort-Court bekommt mir sehr gut! Je mehr ich nachdenke, desto mehr erstaune ich über die monströse, verruchte Unverschämtheit dieses Kerls – einen Mann durch Betrug um sein Eigenthum zu bringen! Ihr habt ganz Recht, – gewiß eine Verschwörung.

Aufrichtigst der Eurige,

R. B.

»Auf die Spencers werde ich ein wachsames Auge haben. Verbrennt dies sogleich.«

Nachdem Mr. Beaufort diesen Brief geschrieben und gesiegelt, legte er sich nieder und schlief gesund.

 

Und am folgenden Tage stand das Haus leer, und die Tafel auf dem Rasenplatz verkündigte, daß es wieder zu vermiethen sey.

Aber täglich, bei Regen und Sonnenschein, kam herüber der einsame Liebende, wie ein Vogel, der seine Jungen im verlassenen Neste sucht; immer und immer wieder eilte er nach dem Platz, wo er mit der Verlorenen herumgestreift, und murmelte seine leidenschaftlichen Gelübde unter den schnell erbleichenden Linden.

Werden diese Gelübde erfüllt oder vernichtet werden? Wird die Abwesende vergessen, oder wird der Zurückbleibende getröstet werden? Waren die Züge dieses jungen Romans nur leicht der Phantasie aufgedrückt worden, wo sie, einmal unleserlich geworden, für immer ausgelöscht bleiben – oder waren sie tief eingegraben in jene Tafeln, wo die Schrift, selbst wenn sie unsichtbar wird, doch besteht, und ein süßer Buchstabe um den andern wieder lebendig wird, wenn das Licht und die Wärme, der glänzenden Gegenwart des Einen geliebten Wesens entlehnt, auf die treue Urkunde strömen?

Nur Eine Zauberin kann dies Geheimniß, wie alle andere, lösen, – die alte Todtengräberin, deren Kirchhof die Erde, – deren Gewerbe ist, Begräbnißplätze zu finden für Leidenschaften, die unsterblich schienen, – das dunkle Bett zu wühlen für eine neugeknickte Hoffnung; die Alles entscheidet, und Nichts prophezeit, – denn ihre Orakel werden nicht begriffen, bis die Entscheidung besiegelt ist; – die in der Blüthe der schönsten Neigung den zehrenden Wurm entdeckt, der sie zerfrißt, und während der Hymnus am Altar ertönt, mit ihrem freudlosen Auge das Grab des bräutlichen Gelübdes schaut, – Wo immer ein Grab, da ist dein Tempel, o schwermuthsvolle Zeit!



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