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Achtes Kapitel.

Don Salluste. (souriant.) Je parie
Que vous ne pensiez pas à moi?

Ruy Blas.

Don Salluste.                            Cousin!
Don César.    »De vos bienfaits je n'aurai nulle anvie,
Tant que je trouverai vivant ma libre vie.«

Ebendaselbst.

Philipps Stellung war ihm, seinen Lebensgewohnheiten nach, angenehm. Seine große Beherztheit und Geschicklichkeit in Behandlung der Pferde waren nicht seine einzigen Eigenschaften, welche für Mr. Stubmore nützlich waren; seine Bildung machte ihn ganz tüchtig, Rechnungen zu führen, und sein Wesen und Benehmen dienten dem Stalle zu nicht geringer Empfehlung. Die Kunden und müßigen Besucher fanden bald Gefallen an Gentleman Philipps, wie er in dem Etablissement hieß. Mr. Stubmore faßte eine wirkliche Zuneigung für ihn.

So verstrichen einige Wochen: und Philipp hätte vielleicht in diesem bescheidnen Beruf sein Schicksal in Frieden und Behagen vollendet, hätte sich nicht in Betreff Sidneys eine neue Anfechtung hervorgethan. Dieser Knabe war seinem Bruder Alles in Allem. Ihm zu Liebe hatte er den herzlichen und fröhlichen Einladungen Gawtreys widerstanden, dessen munteres Benehmen und gute Laune seine Phantasie, wie man gestehen muß, sehr angesprochen hatte, trotz des zweideutigen Geheimnisses, das auf des Mannes Treiben und Leben lag; ihm zu Liebe arbeitete und mühte er sich jetzt, freudig und zufrieden; und ihm suchte er alles das zu ersparen, was er selbst über sich nahm.

Er konnte es nicht ertragen, daß dies sanfte und zarte Kind je dem niedrigen und knechtischen Thun und Treiben sollte preis gegeben werden, das jetzt sein Leben ausmachte – dem unanständigen Rothwälsch der Reit- und Stallknechte – ihren gemeinen Sitten und ihrer groben Berührungen. Er hielt ihn deßwegen allein und abgesondert in ihrer kleinen Wohnung, und hoffte bald so Viel zurückzulegen, daß Sidney am Ende, wenn auch nicht in seine ursprüngliche, glänzende Sphäre, doch wenigstens zu einer höhern Stufe im Leben erhoben werden könnte, als die, zu welcher Philipp selbst verdammt war.

Aber der arme Sidney konnte es nicht ertragen, so allein gelassen zu werden – seinen Bruder von Tagesanbruch bis zum Niederlegen nicht zu sehen – Niemand zur Unterhaltung zu haben; er verzehrte sich in schmachtender Ungeduld, all die kleine unbesonnene Selbstsucht, welche durch seine Leiden in seiner Brust nicht entwurzelt worden, brach nur um so mehr hervor, je mehr er fühlte, daß er für Philipp das Theuerste und Einzige auf Erden war.

Philipp, dem es beifiel, er würde vielleicht vergnügter in einer Schule seyn, machte den Versuch, ihn in eine solche zu bringen, wo die Knaben so ziemlich von seinem Alter waren. Aber am dritten Tage kam Sidney mit einem blauen Auge heim, und wollte nicht mehr in die Schule. Mehrere Male dachte Philipp daran, ihre Wohnung mit einer solchen zu vertauschen, wo junges Volk im Hause wäre. Aber Sidney hatte eine Neigung gefaßt für die gute alte Wittwe, bei der sie sich eingemiethet hatten und weinte bei dem Gedanken auszuziehen, unglücklicherweise litt die alte Frau an Rheumatismus und Taubheit; und obgleich sie sich alles Mögliche gefallen ließ konnte sie doch das Kind nicht lang an Einem fort unterhalten. Zu jung noch um Vernunft anzunehmen, konnte oder wollte Sidney nicht begreifen, warum sein Bruder so lang von ihm fort bleibe, und einmal sagte er mürrisch:

»Wenn ich gewußt hätte, daß ich so eingesperrt werden würde, hätte ich Mrs. Morton nicht verlassen. Tom war ein böser Bube, aber ich hatte an ihm doch Jemand, mit dem ich spielen konnte. Ich wollte ich wäre nicht mit Dir fortgegangen!«

Diese Rede schnitt Philipp ins Herz. Also er hatte dem Kind ein achtbares und sicheres Obdach – eine sichere Lebensversorgung genommen – und das Kind machte ihm jetzt Vorwürfe! Als er dies hören mußte, stürzten ihm die Thränen aus den Augen.

»Gott vergebe es mir, Sidney,« sagte er und wandte sich ab.

Aber wie nun Sidney, der das einschmeichelndste und freundlichste Wesen besaß, seinen Bruder so betrübt sah, sprang er auf, und küßte ihn, und schalt sich selbst unartig und garstig. Aber die Worte waren nun einmal gesprochen, und ihr Sinn wurzelte tief in Philipps Herz. Auch war dieser selbst in seiner übermäßigen Zärtlichkeit für den Knaben beinahe krankhaft.

Es gibt ein gewisses Alter, ehe die Geschlechtsliebe erwacht, wo das Gefühl der Freundschaft beinah Leidenschaft ist. Man sieht dies immer bei Mädchen und Knaben in der Schule. Es ist das erste, unbestimmte Verlangen des Herzens nach der Hauptnahrung des menschlichen Lebens – der Liebe! Sie hat ihre Eifersucht, ihre Launen und Grillen so gut wie die Liebe selbst.

Philipp war von der scharfsichtigsten Empfindlichkeit in Betreff von Sidneys Liebe; er war eifersüchtig auf das kleinste Theilchen derselben. Er fürchtete, sein Bruder könnte ihm doch einmal entrissen werden. Er sprang oft des Nachts aus dem Schlaf auf und ging an Sidneys Bett, um zu sehen,. ob er da sey. Er verließ ihn am Morgen mit trüben Ahnungen – er kehrte beim Dunkel mit Furcht heim.

 

Inzwischen wurde der Charakter dieses jungen Mannes, der gegen Sidney so mild und zärtlich war, Andern gegenüber allmälig härter und herber. Er hatte sich zum Posten des Gebieters in jenem lärmenden Etablissement emporgeschwungen; und frühes Gebieten in irgend einer Sphäre macht leicht die Menschen ungesellig und herrisch.

Eines Tages rief ihn Mr. Stubmore in sein Geschäftszimmer, wo ein Gentleman stand, die eine Hand in der Rocktasche, die andere mit der Reitpeitsche an die Stiefeln schlagend.

»Philipps, zeigt diesem Gentleman die braune Stute. Es ist eine wahre Schönheit im Geschirr, nicht wahr? Dieser Gentleman sucht ein zweites Pferd für seinen Phatëon.«

»Sie muß sehr hoch ausschreiten,« sagte der Gentleman sich umkehrend, und Philipp kannte den Stutzer vom Postwagen.

Das Erkennen war gegenseitig. Der Stutzer nickte, pfiff dann und winkte.

»Kommt, mein Mann, ich bin zu Euren Diensten,« sagte er.

Philipp folgte ihm mit allerlei schlimmen Ahnungen über den Hof. Dann winkte ihm der Gentleman, sich zu nähern.

»Ihr, Sir – merkt's Euch, ich petze nie – hier auf ehrlichen Wegen wandelnd? Langweiliges Zeug, die Ehrlichkeit, he?«

»Sir – ich kenne Euch in der That nicht«

»Erinnert Ihr Euch nicht des alten Gregg, an dem Abend wo Ihr mit dem lustigen Bill Gawtrey kamet. Erinnert Ihr Euch – he?«

Philipp war stumm.

»Ich war unter den Gentlemen in dem Hinterzimmer, die Euch die Hand schüttelten. Bill ist also fort nach Frankreich. Ich nehme für mich die Provinzen. Ich bedarf ein gutes Pferd. – Das beste in den Ställen, merkt's Euch! – Das Gewerbe nimmt hier so überhand! – Mein Name ist Kapitän de Burgh Smith – frage nicht nach dem Eurigen, mein feiner Gesell! Nun denn, heraus mit Euern Kleppern und beherrscht die Zunge in Eurem Mund!«

Philipp befahl mechanisch die braune Stute herauszuführen, welche dem Kapitän Smith nicht sonderlich zu gefallen schien; und nachdem er sich in den Ställen umgesehen, mit großer Geringschätzung der vorräthigen Thiere, schlenderte er aus dem Hof, ohne etwas Weiteres zu Philipp zu sagen; dagegen sprach er mit Mr. Stubmore, beidem er stehen blieb, noch einige Worte. Philipp hoffte, er habe nicht die Absicht zu kaufen, und er sey für den Augenblick eines so peinlichen Kunden los.

Mr. Stubmore trat zu Philipp.

»Führt die Grauschimmel hinüber zu Sir John,« sagte er. »Die Lady will ein Paar erhandeln. Ein sehr hübscher Mann, der Kapitän Smith. Ich wußte nicht, daß Ihr schon in einem Stall gewesen – sagt, Ihr wäret der Liebling gewesen bei Elmore, in London. Ihn manches Mal bedient. Ein hübscher Mann, ganzer Gentleman.«

»J – j – a!« sagte Philipp, kaum wissend was er sagte, und eilte zurück in die Ställe, um die Grauschimmel herausführen zu lassen.

Der Ort wohin er sollte, war einige Meilen entfernt, und es war Abend, als er zurückkehrte. Als er in die Hauptstraße lenkte, beobachteten ihn zwei Männer scharf.

»Das ist er! Ich bin dessen fast gewiß,« sagte der Eine.

»Oh, dann ist es gut segeln!« sagte der Andere.

»Aber, Gott tröste meine Augen! Ihr müßt Euch irren! Seht nur, mit Wem er eben jetzt spricht!«

In diesem Augenblick nämlich hielt Kapitän de Burgh Smith, auf der braunen Stute sitzend, Philipp an.

»Nun, Ihr seht, ich habe sie gekauft, – hoffe sie soll sich gut halten. Wie Viel meint Ihr, daß sie wirklich werth sey? Zum Verkaufen, nicht zum Kaufen meine ich.«

»Sechszig Guineen.« –

»Nun, das ist ein gutes Tagewerk; und dafür bin ich Euch Dank schuldig. Der alte Kerl hätte mir nicht getraut, wenn Ihr mich nicht bei Elmore schon bedient hättet – ha! ha! Wenn er Etwas wittert und Euch falsch ansieht, mein Junge, kommt nur zu mir! Ich wohne in den nächsten paar Tagen im Gasthof zum Stern. Ich brauche einen tüchtigen Burschen wie Ihr, und Ihr sollt schöne Procente haben. Ich bin keiner von den schäbigen Hungerleidern. Ich hoffe dieser Satan ist doch ruhig! Er spitzt verdammt die Ohren!«

»Seht zu, Sir!« sagte Philipp sehr ernst, indem er sich in seinem Fuhrwerk erhob, »ich weiß sehr Wenig von Euch und dies Wenige ist nicht sonderlich zu Eurer Empfehlung. Ich erkläre es Euch offen, daß ich meinen Dienstherrn vor Euch warnen werde!«

»Das wollt Ihr, mein guter Gesell? Dann nehmt Euch selbst in Acht!«

»Halt! und wenn Ihr Euch ein Wort gegen mich erlaubt,« sagte Philipp mit einem finstern Stirnrunzeln, dem seine dunkle Gesichtsfarbe und blitzenden Augen einen Ausdruck trotziger Kraft und Entschlossenheit gaben, der über seine Jahre war, »so sollt Ihr finden, daß, so wenig ich mich um Drohungen kümmere, so sehr doch bereit bin, eine Beleidigung zu ahnden!«

Mit diesen Worten fuhr er fort. Kapitän Smith erheuchelte einen Husten und setzte seine braune Stute in kurzen Galopp.

Die beiden Männer folgten Philipp, als er in den Hof hineinfuhr.

»Was wißt Ihr Nachtheiliges von der Person, mit der er sprach?« sagte Einer von ihnen.

»Nur so Viel, daß es Einer der schlausten Beutelschneider diesseits der Meerenge ist,« versetzte der Andere. »Das sieht schlimm aus für Euern jungen Freund.«

Derjenige, der zuerst gesprochen, schüttelte den Kopf und antwortete nicht.

Philipp, als er den Hof erreicht, erfuhr, daß Mr. Stubmore nicht zu Hause sey und erst am folgenden Tage zurück erwartet werde. Er hatte einige Pächter zu Verwandten, die er oft besuchte; wahrscheinlich war er zu diesen gegangen.

So ging denn Philipp heim, die beabsichtigte Warnung vor dem muntern Kapitän bis morgen verschiebend, und nachsinnend, wie er die Warnung aufs Vorsichtigste einrichten könnte.

Eben war er in die Gasse getreten, die zu seiner Wohnung führte, als er die zwei oben erwähnten Männer auf der andern Seite der Straße sah. Der Größere und Bessergekleidete von Beiden ließ seinen Begleiter stehen, kam zu Philipp herüber, verbeugte sich und redete ihn so an:

»Schönen guten Abend, Mr. Philipp Morton. Es freut mich, Euch endlich zu sehen. Ihr erinnert Euch meiner noch? – Mr. Blackwell, Lincolns-Inn.«

»Was ist Euer Anliegen?« sagte Philipp stehen bleibend, in kurzer, trotziger Art.

»Nun, seyd nur nicht so hitzig, mein lieber Sir – nicht so hitzig! Ich bin hier im Auftrag meiner Clienten, der Herrn Beaufort sen. und jun. Ich habe solche Mühe gehabt, Euch aufzufinden! Ei, ei! aber Ihr seyd ein Schlauer! Ha, ha! Nun, seht Ihr, wir haben die kleine Geschichte mit Plaskwith für Euch abgemacht, (hätte können häßlich ablaufen!) und ich hoffe jetzt, Ihr werdet –«

»Zu Eurem Anliegen, Sir! Was wollt Ihr von mir?«

»Ha, seyd doch nicht so hastig! Das ist nicht die Art, Geschäfte abzumachen. Ich dächte, Ihr kämet in meinen Gasthof. Ein Glas Wein, jetzt, Mr. Philipp! Wir werden einander bald verstehen.«

»Aus dem Wege mir, oder sprecht deutlich und kurz.«

Auf diesen Wink hin kam der Advokat, indem er einen Blick auf seinen kräftigen, derben Genossen warf, welcher den Sonnenuntergang auf der andern Seite zu betrachten schien, sofort auf den Kern und das Mark seines Auftrags.

»Nun denn, mein Auftrag ist bald gesagt. Mr. Arthur Beaufort nimmt höchst lebhaften Antheil an Euch; er hat diese Nachforschung eingeleitet. Er trug mir auf Euch zu sagen, daß er sich höchst glücklich schätzen werde – ja, höchst glücklich, – Euch in irgend Etwas zu dienen; und wenn Ihr ihn nur sehen wollt – er ist in der Stadt – so werdet Ihr gewiß bezaubert von ihm seyn – ein höchst liebenswürdiger junger Mann!«

»Seht Ihr, Sir,« sagte Philipp sich in die Brust werfend, »weder vom Vater, noch vom Sohn, noch von irgend einem Glied dieser Familie, auf welcher der Mutter Tod und der Waisen Fluch lastet, will ich je eine Gnade oder Wohlthat annehmen – mit ihnen will ich, freiwillig, keine Gemeinschaft, keinen Verkehr haben; wenn sie sich in meinen Weg drängen, so mögen sie sich in Acht nehmen! Ich gewinne mein Brod auf die Weise, wie ich es wünsche – ich bin unabhängig – ich brauche sie nicht. Fort!«

Damit stieß Philipp den Advokaten auf die Seite und schritt rasch weiter. Mr. Blackwell kehrte verwirrt und betroffen zu seinem Begleiter zurück.

Philipp erreichte seine Wohnung und fand Sidney allein am Fenster stehen, wie er mit sinnenden Augen den Flug der grauen Motten beobachtete, wie sie hin und her schoßen durch das einförmige Buschwerk, das, abwechselnd mit Waschleinen, das Stück Boden schmückten, das die Hausbesitzerin einen Garten nannte. Der ältere Bruder war früher als gewöhnlich zurückgekehrt und Sidney sah ihn nicht gleich eintreten, aber sobald er ihn sah, klatschte er in die Hände und lief auf ihn zu.

»Das ist so gut von Dir, Philipp. Ich habe solche Langeweile gehabt; jetzt kommst Du und spielst mit mir?«

»Von ganzem Herzen, – wo wollen wir spielen?« sagte Philipp mit freundlichem Lächeln.

»Oh! im Garten! es ist solch eine hübsche Zeit zum Verstecken und Suchen.«

»Aber ist es nicht zu kühl und feucht für Dich?« sagte Philipp.

»So ists, Du hast immer Ausreden. Ich sehe, Du magst eben nicht. Ich habe jetzt keine Lust mehr zum Spielen.«

Sidney setzte sich hin und schmollte.

»Armer Sidney! Du mußt Langeweile haben bei mir. Ja, laß uns spielen; aber zieh dies Tuch an;« und Philipp nahm seine eigene Halsbinde ab und band sie seinem Bruder um den Hals und küßte ihn.

Sidney, dessen Unmuth selten lang dauerte, war versöhnt; und sie gingen in den Garten, zu spielen. Es war ein kleiner Platz, eingefaßt von altem moosbewachsenem Pfahlwerk gegen den benachbarten Garten auf der einen Seite, und auf der andern an ein Gäßchen stoßend. Sie spielten mit großer Lustigkeit, bis die Nacht dunkler wurde und der Thau reichlicher fiel.

»Das muß das letzte Mal seyn!« rief Philipp. »Das Verstecken ist an mir.«

»Ganz recht. Nun also!«

Philipp versteckte sich hinter eine Pappel; und als Sidney ihn suchte und Philipp um den Baum sich herum stahl, sah letzterer, als er zufällig über den Zaun blickte, den dämmernden Umriß der Gestalt eines Mannes in dem Gäßchen, der sie zu belauern schien. Ein Schauder zuckte durch sein Herz. Diese Beauforts, in seinen Gedanken vergesellschaftet mit allen Arten von schlimmen Vorbedeutungen und Vorboten – hatten sie einen Spion aufgestellt, seine Schritte zu beobachten? Er blieb aufrecht die Gestalt betrachtend stehen, als Sidney ihn fand und mit lautem Lachen auf ihn zu lief.

Während das Kind, vor Fröhlichkeit jauchzend, sich an ihn klammerte, rief Philipp, seinen Spielgenossen nicht beachtend, laut und gebieterisch dem Unbekannten zu:

»Nach was gafft Ihr? Warum steht Ihr hin, uns zu belauern?«

Der Mann murmelte Etwas, schritt weiter und verschwand.

»Es sind doch hoffentlich keine Diebe da? Ich fürchte mich so vor Dieben!« sagte Sidney bebend.

Die Angst nagte an Philipps Herz. Wäre er nicht selbst vielleicht als Dieb verurtheilt und behandelt worden? Er sagte Nichts, aber er zog seinen Bruder hinein, und da, in ihrem kleinen Zimmer, bei der Einen dürftigen Kerze, war es rührend und lieblich, diese Knaben zu sehen – die zärtliche Geduld des ältern, der sich zu jedem Einfall des jüngern hergab – wie er ihm jetzt Kartenhäuser baute – jetzt ihm Mährchen von Feen und irrenden Rittern erzählte – die prächtigsten, auf die er sich besinnen oder die er erfinden konnte.

Endlich, als Alles vorüber war, und Sidney sich zum Schlafen entkleidete, sagte Philipp, der bei Seite stand, in traurigem Tone zu ihm:

»Bist Du jetzt traurig, Sidney?«

»Nein – wenn Du bei mir bist, nie, – aber das ist so selten.«

»Liesst Du nicht in den Geschichtenbüchern, die ich Dir gekauft?«

»Manchmal, aber man kann nicht den ganzen Tag lesen.«

»Ach, Sidney, wenn wir uns trennen sollten, vielleicht liebst Du mich dann nicht mehr!«

»Sage doch das nicht,« sagte Sidney. »Aber wir trennen uns nicht, Philipp!«

Philipp seufzte und wandte sich weg, als sein Bruder ins Bett sprang. Etwas in ihm flüsterte ihm zu, daß Gefahr in der Nähe sey; und auch ohne dies: konnte Sidney so vernachläßigt und ohne Erziehung aufwachsen? erfüllte er so die ihm anvertraute Pflicht und Aufgabe?



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