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Fortan verband Karl Maria mit dem Wort »Tod« etwas Wunderschönes. Der Körper erfror, und die Seele flog zum Himmel. Gott schuf dann schnell einen Engel und ließ die Seele in den Engelsleib schlüpfen. Außerdem durfte Großvater Samuel jetzt im Paradies liebliche Musik hören. Karl Maria grübelte, wie solch eine himmlische Geige wohl aussehen mochte, die Saiten aus Silber, der Körper aus Zedernholz. Der Bogen aber war sicher von reinem Gold, mit Engelshaar bespannt. Manchen Abend wartete das Kind mit dem Einschlafen, hielt sich gewaltsam wach, um den Augenblick nicht zu versäumen, wenn der Engel Samuel mit der Geige käme.
Die Miriam glaubte zwar ihren Großvater auch im Paradies, aber nicht als Engel, sondern ganz in seiner irdischen Gestalt, und meinte, Geige werde der alte Herr wohl kaum spielen, eher Karten mit den Wunderrabbis und allen Erzvätern. Und voll Wichtigkeit erklärte sie, Karl Maria könne sich das nicht richtig vorstellen, weil die Juden eben ein anderes Paradies und einen anderen Himmel hätten.
Doch der Kleine schüttelte lächelnd den Kopf, er wußte es besser. Und die gute Frau Charlotte, die er einmal befragte, gab ihm recht und freute sich, daß Großvater Samuel, der sich auf Erden nie recht waschen wollte und die Leibwäsche in Fetzen trug, nun ein in silberner Reinheit strahlender Engel sein sollte.
»Du bist ein gutes Büble, Karl Maria. Und Großvater Samuel wird sicher auch für dich beten.«
Ganz stolz zog er von bannen und gab der Miriam, die Samuel Karten spielen ließ, einen triumphierenden Rippenstoß.
Frau Lisbeth aber erzählte ihm, daß am Allerseelentage alle Verstorbenen für eine Nacht in ihr Grab zurückkehrten und sich dann freuten, wenn sie Blumen und Lichter fänden. So wüßten sie, ob die Hinterbliebenen ihr Andenken in Ehren hielten. Jedesmal nahm ihn die Mutter mit auf den Friedhof, wo ihre Eltern lagen. Karl Maria war dann immer geschäftig mit Blumen und Lichtern und bedauerte nur, daß er bloß zwei Gräber schmücken durfte.
Da faßte er in den letzten Oktobertagen einen abenteuerlichen Plan. Am Vormittage des Allerseelentages wollte er heimlich mit der Miriam zum Grab des alten Samuel ziehen und auch ihm Blumen und Kerzen bringen, damit die Seele bei ihrer Rückkehr in der Totennacht Freude haben sollte. Der Mutter sagte er, er verbringe den schulfreien Vormittag bei einem Kameraden, und Frau Lisbeth war es zufrieden, daß er sich an einen Jungen seines Alters enger anschloß, als es sonst in seiner scheuen Art lag. Freilich, es war und blieb eine Lüge.
Aber Karl Maria hatte vorher seinen Religionslehrer um Rat gefragt, und dieser, ein alter freundlicher Vikar, der nicht Pfarrer wurde, weil er in diesen kampfheißen Sturmtagen eine Friedensschalmei statt einer Lärmtrompete blies, hatte ihm Verzeihung für die Lüge gegeben, als ihm Karl Maria fest versprach, bei seiner Heimkehr vom Friedhof der Mutter alles zu gestehen. Aber eine sichere Begleitung hatte der alte Herr verlangt, weil Karl Maria noch ein so kleiner Junge sei. Ein sehr kluges Mädchen gehe mit ihm, versicherte der Bub, und der gute geistliche Herr nickte befriedigt. Er hatte eine heimliche Scheu, Kinderseelen zu hart anzufassen und ihre Träume in irdische Wirklichkeit umzubiegen.
So leerte Miriam den Bauch ihres grünen Sparaffen, und Karl Maria tat dasselbe mit seiner roten Tonkatze. Die kluge Miriam wußte auch den Weg und ein billiges Wägelchen und hatte heimlich von dem ahnungslosen Joseph den Platz ausgemittelt, wo das Grab des Großvaters in dem riesengroßen Friedhof lag. Alles das stand auf einem Zettel, den sie in der Tasche trug.
Karl Maria aber hatte ein geheimnisvolles Etwas, in schwarzes Wachstuch gehüllt, unter dem Arm.