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Als Karl Maria am nächsten Morgen ins Graue Gymnasium eilte, schien die Sonne viel schöner als sonst am Himmel, und die Welt war überhaupt eine einzige Wonne, was auch griesgrämige Menschen darüber sagen mochten. Zwar konnte er die schlaftrunkenen Augen kaum offen halten, und in seinen Schläfen saß wie ein boshafter Affe grimmiger Kopfschmerz, aber er lachte doch den alten Lateinprofessor, als dieser, leider ganz ohne Erfolg, eine kniffliche Frage an Karl Maria stellte, so seelenvergnügt an, daß der knurrige Alte ganz verblüfft mitlachte und erst nachher einen greulichen Fluch folgen ließ. Der junge Ruhm war doch ein lieb Ding, das warm und herzfroh machte. Fast mitleidig betrachtete der Junge seine Mitschüler, die nur an Noten, Lob oder Hiebe der Eltern, Tauschen von Federn und Marken und ähnlichen Kleinkram dachten, während er – – –, hier mußte er gewaltsam abbrechen, sonst hätte er sein Glück laut hinausgekräht.
Dann rannte er mit seiner Seligkeit justament in das Mittagessen der Familie Italiener hinein.
Frau Charlotte blickte unwillig auf, sie liebte es nicht, in der Bewältigung ihrer leiblichen Genüsse gestört zu werden. Sie brummte sogar ein klein wenig, als sie sah, wie die herrliche braune Tunke zum Pfefferfisch steif und kalt wurde.
Karl Maria aber stellte seinen Stolz gar possierlich wie ein goldenes Schaustück auf und ließ in kluger Berechnung alles Herzeleid aus, das ihm auf seiner Wanderschaft zum Ruhm widerfahren.
Der rote Joseph strahlte und legte vor Freude sogar Messer und Gabel hin, was seine wohlgenährte, ebenfalls rothaarige Schwester Johanna, genannt »Der dicke Hans«, zu einem glücklichen Raubzug auf den verwaisten Teller veranlaßte.
»Eß, Karl Maria,« ermunterte sie, mit vollen Backen kauend, und schob ihm schnell Besteck und Teller zu, »der Fisch ist prima.«
»Gott der Gerechte,« seufzte die gute Frau Charlotte, »so'n kleiner Jung', und geigt bei Ministern und Grafen. Nimm dir ein Beispiel, Miriam.«
Nur der Schlemihl Gideon fragte vorsichtig: »Wird sich das Geigenspiel mit deiner Schule –?«
Miriam fiel ihm ins Wort: »Gott, Vater, sei nicht so komisch! Ich tanze doch auch und bin alleweil die Erste unter meinen Schafsköpfen in der Klasse.«
»Du, Miriam, du bist eben ein geniales Goldkind,« entschied der väterliche Stolz, »das kann man nicht vergleichen.«
Die Miriam aber hing sich an Karl Maria, bis sie jedes Wort wußte, das Franziska Ermattinger über sie, ihr Tanzen und ihr neu begonnenes Singen gesagt hatte.
Am Nachmittag lief Karl Maria wieder davon, in die prächtigsten Viertel der großen Stadt, bis zum Hotel Imperial. Er wollte unverzagt zu Hans Geßner treten und mit einigen glücklichen Worten sein gebrochenes Versprechen einfach verschwinden lassen. Sein Herz klopfte zwar etwas schuldbewußt, und er fühlte auf einmal eine übergroße Müdigkeit, daß er kaum den Geigenkasten schleppen konnte. Keck aber trat er in die Halle und fragte nach Herrn Hans Geßner. Der kleine Junge mit den zahllosen Metallknöpfen an dem kurzen engen Jäckchen und der galonierten Kappe wandte sich an den stattlichen Portier, der wieder den eleganten Zimmerkellner anrief. Da erfuhr der eitle Karl Maria die niederschmetternde Kunde, daß der berühmte Geiger vor zwei Stunden die Stadt verlassen habe.
Mit gesenktem Kopf trabte er davon. Sein goldenes Luftschloß bekam auf einmal einen häßlichen Riß mittendurch. Und sein Trotz, den er zu Hilfe rief, vermochte diesen Riß nicht zu flicken. Vergebens suchte er sich mit dem schlimmen Wort des Grafen Rothenwolff zu trösten: »Das ist einfach Neid!« Karl Maria war kein Dummkopf und glaubte nicht, daß Meister Geßner auf ihn eifersüchtig sein könne.
In seiner erbärmlichen Katzenjammerstimmung wandelte er einige Male den Platz am Wasserturm auf und nieder und hoffte, die Trix irgendwo zu erspähen. Aber das Haus lag hochmütig und still. Kleinlaut mußte er an den Heimweg denken.
Am Abend erst ward ihm ein karger Trost, als der Vater, den Karl Maria seit dem Abenteuer noch gar nicht gesehen hatte, weil er von seinen Bierreisen weder gestern noch heute überhaupt heimgekommen war, sich von Martha Bericht erstatten ließ und dann mit den höchsten Lobesworten nicht sparte. Befriedigt las er ein kleines Kärtchen, das für Karl Maria abgegeben wurde, von der Hand der alten boshaften Gräfin, die den lieben kleinen Tredenius für Freitag zu einem musikalischen Tee bat, – samt seiner Geige, wie sie schrieb.
»Schau nur, daß du jetzt in Mode kommst,« ermahnte Vater Tredenius und blickte patriarchalisch von einem zum anderen.
Frau Lisbeth zog die Brauen zusammen: »Geh jetzt schlafen, Karl Maria!«
Da beschloß der Knabe, seiner Mutter nichts von Hans Geßner zu erzählen.
Als er schon im Bett lag, kam die Schwester, fütterte ihn mit glasierten Kastanien, küßte ihn und lispelte: »Gelt, Bubi, ich habe doch riesig gefallen?«