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Johann Sebastian wußte nichts von Gundls Herzweh und hatte ihr häßliches Betragen vor dem Gast unter vier Augen ganz exemplarisch gerügt. Gundl ließ sich ruhig schelten und biß ihren Schmerz tapfer hinunter, daß keiner etwas merkte. Und in der allgemeinen Geschäftigkeit, die diesen Sommer im »Blauen Herrgott« herrschte, hatte niemand Sinn für Liebesgram. Nur einer hätte helle Augen und kampfbereite Fäuste gehabt, der wackere Giacomo. Aber dieser geplagte Jüngling mußte in den Schulferien Herrn Johann Sebastian als Orgelsklave dienen und trug dazu selbst schicksalschwere Gedanken mit sich herum. Seine sonstige Herzhaftigkeit ließ ihn diesmal gründlich im Stiche. Wenn er daran dachte, wie er einst kurzerhand den kleinen Karl Maria Tredenius in den »Blauen Herrgott« gebracht hatte, kam er sich ganz klein und erbärmlich vor. Auch in dem starken Giacomo Williguth ging eine Wandlung vor sich, für seine ungebärdige Kraft ward der »Blaue Herrgott« zu enge. Und die geschickten Worte des Impresarios Lewis saßen fest, daß auch er ein Segel auf sein Schifflein spannte und nun geduldig wartete, bis der nächste Windstoß ihn flottmachen würde.
An einem heißen Augustnachmittag fand er seine Schwester Gundl ganz allein im Musiksaal. Sie hatte den Kopf auf die runden Arme gelegt, und als er das blonde Wirrsal emporhob, sah er, daß sie ganz verweinte Augen hatte.
»Was ist denn mit dir los, Kundry?« fragte er gutmütig und ballte gleichzeitig die Fäuste, als müßte er einem unsichtbaren Feinde zuleibe.
»Ach Gott, Giacomo, mit meinem Singen will und will es nicht werden. Vater war heute wieder so wütend. Und er hat ganz recht.«
»Ach was, das nächstemal geht es wieder besser, Gundl«.
»Nein, Giacomo, es wird nie besser. Ich weiß jetzt, daß ich nichts kann. Die Miriam hat es mir ja gezeigt.«
»Das Judenmädel bringt nur Unheil ins Haus. Ich mag sie nicht. Und ihre Mohntorte war scheußlich. Der Karl Maria ist jetzt auch ganz anders.«
»Nicht wahr, das findest du auch? O, da ließe sich gar viel sagen.« Und mit einem Male warf sie sich dem Bruder an die Brust und flüsterte: »Er hat sie viel lieber als mich.«
Dem Giacomo gab es einen Ruck, als er so in das Herz der Gundl schaute. Langsam strich er mit den Fingern über ihr Haar. Er dachte an die Nacht, da er Karl Maria bei seinem Geigenspiel ertappt und gefragt hatte: »Du dummer Junge, weißt du denn überhaupt, was die Gundl wert ist?«
Die Gundl hatte Karl Maria seiner Geige wiedergegeben, und nun stieß er sie undankbar beiseite.
»Siehst du, Kundry, man muß über so vieles hinwegkommen. Du hast ihm nur Liebes getan. Vielleicht findet er wieder zu dir zurück. Wir alle ziehen einmal die Kinderkleider aus und verkaufen sie für billiges Geld. Und so muß jetzt auch der »Blaue Herrgott« daran glauben.«
Als Giacomo diesen tiefsinnigen Ausspruch getan, nahm er plötzlich die Gundl auf den Schoß und suchte sie in seiner täppischen Art zu trösten. Sie aber blickte traurig in die Sonne, die in plumpen, geschmolzenen Goldmassen im Zimmer lag.
Dann sagte sie leise: »Wenn er nur recht glücklich wird.«
Und nach einer Weile: »Ich will immer bei seiner Mutter bleiben. Die wird ja dann auch allein sein.«
In hart und tapfer errungener Fröhlichkeit sprang sie von seinen Knien und rief: »Hab' ich euch nicht alle herrlich gepflegt, wenn ihr krank war't?«
»Das hast du. Und ich bin ein elender Kerl.«
Dicke Tränen standen ihm in den blauen Augen.
»Willst du vielleicht auch fortlaufen, Giacomo?«
Er nickte traurig. Das blonde Mädel sah ihn groß und ernst an. Da heulte der starke Giacomo laut auf und hieb mit den Fäusten wider seine Brust, als wollte er sein undankbares Herz totschlagen.
»Kann ich dir helfen?« fragte die Kundry, die aus schwesterlichem Mitleid in keckes Lachen fiel über ihres Bruders urkomische Verzweiflung.
»Ich mag nicht mehr Turnlehrer sein. Ich kann etwas Besseres.«
» Steckt da dieser Lewis dahinter?«
»Ja,« seufzte er kläglich.
»O, Giacomo, du willst Ringkämpfer werden!!«
»Ist das sehr gemein von mir, Gundl?«
»Da schwitzt man ja fortwährend und kann Hals und Beine brechen.«
»Ich nicht,« erklärte er stolz. »Wenn ich mich nur nicht so hundemäßig vor Vater fürchten würde.«
Massig und riesengroß stand er vor der hochgewachsenen Schwester.
»Hör' zu, Gundl! Ich war der Maskierte, der vorigen Monat den Türken Ali im Zirkus warf. Die Leute glauben, es sei ein Graf gewesen. Aber es war der arme Giacomo Williguth. O Gott, o Gott, was wird der Vater sagen!«
»Na ja, einmal muß er es wohl erfahren.«
»Freilich, und bald auch noch. Ich soll zwei Monate zu einem tüchtigen Trainer, und dann will mich der Lewis für Paris haben. Dann schicke ich dir alles Geld, das ich bekomme.«
Sie lachte nicht mehr. Hier gab es wieder etwas zu richten und zu wirken für einen anderen.
»Sprich doch gleich mit Vater!«
»In Gottesnamen,« stöhnte der unglückliche Giacomo.