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Während so im »Blauen Herrgott« mancherlei kleine Wandlungen die alte Behaglichkeit störten, blieb beim Grafen Achaz Rothenwolff alles in guter Fahrt. Er freute sich wie ein Kind, wenn Karl Maria seine Fortschritte bei Hans Geßner vorwies, und verbannte allmählich die altmodischen Italiener. Es waren Feiertage, wenn der junge Tredenius seine Geige hören ließ, und sie entschädigten den alten Herrn für anderes Mißgeschick.

Denn über den blonden Dionys hatte er alle Macht verloren. Der richtete irgendwo draußen eine hübsche kleine Villa ein, und jeder wußte, wer Herrin in dem Häuschen sein sollte. Das war ein bitterer Wermutstropfen im Freudenbecher. Und der Diplomatenstolz des alten Grafen litt schlimm darunter. Hatte er ja doch die Dummheit auf dem Gewissen, den leichtsinnigen Sohn selbst nach Weimar geschickt zu haben. Da auch Herr Achaz in seiner Jugend nicht allzu fromm gewesen, mußte er jetzt voll Zorn und Scham schweigen. Denn Nisi war nicht auf den Kopf gefallen und zog, wenn man ihn in die Enge trieb, unangenehme Vergleiche.

Da war die Musik eine liebe Trösterin. Manchmal zog er auch mit seinen Getreuen in die Adlerburg, die Hans Geßner vor einiger Zeit als Ruheplätzchen gekauft hatte, unverdrossen kratzte dann Achaz auf seiner Geige, hielt aber den Kopf gesenkt, um nicht Geßners Blick zu begegnen. Denn der Musikselige fühlte wohl, was für ein Stümper er war. Und Joseph Italiener wäre am liebsten zu einem Nichts zusammengeschrumpft, wenn dies bei seiner umfangreichen Leiblichkeit tunlich gewesen wäre. Jacopo Rossi aber wuchs in eine neue Jugend, weil seine Musikerseele in dem alten Schlößchen frohe Auferstehung feierte. Oft schüttelte er Hans Geßner die Sand: »Die Deutschen haben viel von uns Italienern gelernt.«

Meister Geßner lächelte und verneigte sich dankend. An Karl Maria hatte er mancherlei Freude. Da geschah ein stetiges Ineinanderfinden, ganz unmerklich, nach und nach. Karl Maria hatte nicht umsonst aus neugierigen Augen in die Welt geblickt und allerlei Helles und Dunkles sich ins Herz geguckt.

Manchmal freilich sprang der frühere Trotz auf, wenn die Virtuosenfertigkeit ihm in die Quere kam. Dann gab es heißen Wortstreit, bis der Junge sich fügte und die stillere Wirkung anerkannte.

Denn Hans Geßner war ein Meister der fügsamen Stille, die gelassen und andächtig nachschuf und nicht an sich selbst dachte. So pflegte er in letzter Zeit fast nur mehr das Quartettspiel. Alles Grelle und Laute, das andere Geiger bevorzugten, war ihm zuwider. Karl Maria erntete jetzt die Furcht von Graf Achaz' Hausmusik. Wie er allgemach selbst, wenn auch widerwillig, in das breite Leben der Mitwelt zurückgefunden hatte, seine Träume in Zucht nahm und nicht gleich mit den Fäusten gegen ein Hindernis schlug, wie vordem, sondern behutsam Stein nach Stein abtrug, so lernte nun auch seine Geige in Demut dienen, nicht mehr als eigenwilliger König, sondern als gleicher unter gleichen. Dies geschah freilich nur Schritt um Schritt.

Hans Geßner lächelte, wenn der Junge oft rücksichtslos unter den Takten hauste, ganz in dem wilden Flackersinn Andreas Katzenkopfs. Unmerklich übte er das Abschleifen und Abhobeln, just so, als täte es Tredenius selbst.

An einem Oktoberabend, der braun und silbern der Welt enge Grenzen steckte, brachte der alte Geiger ein Zeitungsblatt und ließ Karl Maria damit allein. Der las, zuerst gleichgültig, dann mit brennenden Wangen. Eine Spezialitätengesellschaft, Komiker und Sänger, so hieß es, durchziehe die deutschen Provinzen Rußlands. Ein einst bekannter Klavierspieler namens Katzenkopf sei das Oberhaupt, jetzt aber in Dorpat gestorben.

Karl Maria stützte den Kopf in die Sand. Alte Bilder kamen wieder zu ihm. Das also war das Ende.

Karl Maria aber hatte keine Tränen, nur ein seltsames Weh um den wunderlichen Alten, der ihm so viel geschenkt und der jetzt in fremder Erde lag.

Irgendwo flammte ein Licht auf. Karl Maria sah hinüber. Und da wußte er, auch Andreas Katzenkopf hatte sein Leben erfüllt, wie er es haben wollte.

Später sagte er zu Hans Geßner: »Er hat Mozart so lieb gehabt.«

Sie spielten Mozart manchen Tag, bis das Leid in milde Erinnerung sich verwandelte.

 


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