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So griff das Schicksal, dem Graf Achaz Rothenwolff einen derben Stoß gegeben, nach dem Wunderknaben Karl Maria Tredenius. Untertags übte er oder lag auf dem Diwan und träumte. Abend für Abend geigte er nun in reichen Privatzirkeln, fand viel Beifall und ungeschickte Lobesworte, die sein Herz eitel machten, daß er verdrossen und grämlich auf die Armut daheim blickte. Er war stolz, daß seine Kindergeige sich in die Herzen der Menschen hineinspielen konnte, und trug schwer, daß er im Elternhaus noch immer ein kleiner Junge sein sollte. Zum ersten Male gab es in der Schule Schwierigkeiten. Aus Müdigkeit und Hochmut wurde er unaufmerksam und geriet langsam ins Hintertreffen. Das leise Mißtrauen, daß dadurch in dem verwöhnten Knaben wach wurde, suchte er durch doppelte Hingabe an seine Geige zu besiegen. Er trieb Joseph Italiener, ihm immer neue technische Kunststücke zu zeigen. Und der Allzugutmütige war schwach genug, dem Drängen nachzugeben. So lernte Maria die Schwierigkeiten der Teufelssonate von Tartini mit unheimlicher Geschicklichkeit besiegen und bekam zu gleicher Zeit im Gymnasium lauter schlechte Noten. Allmählich wurden Abend und Nacht zu leichten Siegen und der langweilige Tag zu einer Kette von verschlafenen Niederlagen. Aus dem Palais der alten Gräfin fand er schnell seinen Weg in andere vornehme Häuser, und schließlich blickte er hochmütig und gelangweilt, wenn er nicht geigte oder kein Beifall um ihn war. Dabei wuchs und streckte sich sein Körper, als käme die Frühreife seiner Seele auch dem leiblichen Wachstum zugute.

Und jetzt fing auch der erste Goldregen zu fließen an. Franz Tredenius verwandelte sich sofort in einen Manager und Kassier. Er führte die Korrespondenz mit all den Herrschaften und war nicht allzu bescheiden. Karl Maria aber kaufte von dem Gelde, das ihm der Vater unklugerweise überließ, wenn er auch den Löwenanteil selbst einsackte, allerlei Geschenke für seine Mutter, in der reinen Kinderfreude, viel schenken zu können. Auch die Miriam bekam einen feinen Winterhut und ein hübsches Ringlein.

»Ach, Karl Maria,« klagte sie, als sie den Ring an den Finger steckte, »wäre ich nur auch schon so weit!«

Der kleine Geiger lebte in seinem ersten Rausch und freute sich, wenn die goldene Frucht seiner durchwachten Nächte in andere Hände fiel. Für sich selbst wollte er nichts als Beifall, viel Beifall, und das glitzernde Sternchen Ruhm, das rot und heiß vor ihm brannte. Und doch liefen allbereits die ersten Schauer der Ermüdung über seine junge Kraft. So sagte er denn zur betrübten Miriam: »Wenn du wüßtest, wie müde ich bin. Weil ich gar so wenig schlafen kann. Oft fallen mir beim Spiel die Augen zu.«

Es sollte ein Trost für die Kleine sein, aber es klang die bittere Wahrheit durch.

Die Kinder saßen wieder einmal beisammen auf dem treuen »Elefanten«, wie in einem Häuschen, in der weiten Behaglichkeit ganz vergraben. Miriam streichelte Karl Marias Hand: »Was du für dünne Finger hast. Du sollst mehr essen.«

Ein befriedigter Blick der jungen Dame streifte ihre eigene Gestalt, die langsam, o, noch viel zu langsam für Miriams ungeduldige Sehnsucht, ihre Vogelscheuchendürre verlor. Ganz langsam verschwanden die Ecken, und die Glieder rundeten sich, leise und zart, wie Knospenansatz an dürrem Ast. Und in ihrer Herzensfreude über diesen, allerdings noch recht bescheidenen Erfolg von Mutter Charlottens Kochkunst erblickte die Miriam nun in reichlichen und guten Bissen ein Allerweltsheilmittel für jedes Leid, auch für Karl Maria, der von Tag zu Tag schmaler und blaßer wurde, wie ein Schatten, der in den Nächten geigt und mit dem Morgengrauen in nichts zerrinnt.

Mitten in der herzguten Tröstung der Miriam fuhr der Junge auf und schüttelte alle Schlaffheit von sich. Die mageren, bleichen Wangen färbten sich, in den Augen funkelte der Ehrgeiz: »Ach, du, ich muß ja geigen, und wenn ich auch darüber sterben soll.«

»Du Glücklicher,« seufzte die dumme Miriam und sah ihren Helden bewundernd an. Dann aber kam wieder der Schalk über sie, daß sie die Beine baumeln ließ und den Freund mit ihrem noch immer spitzen Ellenbogen kräftig in die Rippen stieß. Kokett fragte sie dabei: »Wirst du mich heiraten, wenn ich eine dicke Sängerin bin?«

Mit einem Male lag ein jäher Ernst auf dem unfertigen Mädelgesicht mit der kurzen, kecken Nase und dem breiten Mund.

»Vielleicht,« nickte Karl Maria gnädig und dachte an die schönen Frauen, die ihn abends küßten. Wie im Fieber brannte sein Blut, als wollte ein Lämplein alles Öl auf einmal verbrauchen.

Miriam schürzte trotzig die Lippen: »So, vielleicht? Na warte, da nehme ich einfach einen Fürsten mit hundert Dienern. Und du darfst mir zur Hochzeit aufspielen.«

Wie eine beleidigte Königin sprang sie aus dem traulichen, braun und weiß gestreiften Häuschen und ließ den Träumer allein. Und bald vernahm Karl Maria aus dem Nebenzimmer ein helles Liedlein, das keck aufwärts stieg wie goldiger Abendrauch. So flog ihm die Seele der Miriam davon. Er krampfte die Hände ineinander, als trüge er an einer allzuschweren Last, aber er biß die Zähne zusammen in einer verzweifelten Tapferkeit, die wie ein Krampf durch seine Muskeln lief. Dann stürzte er hinaus auf die Gasse, ließ den eiskalten Winterwind um seine heißen Schläfen wehen und kaufte schließlich für den Rest seiner Barschaft dunkelrote Rosen für die Mutter.

So führten Hoffnung und Mutlosigkeit Karl Maria Tredenius gar wunderliche Wege. An dem Lichtflämmchen aber, an dem ihres kleinen Bruders Seele verbrannte, wärmte Martha Tredenius ihre Selbstsucht, unermüdlich ging sie mit ihm in alle Gesellschaften, als Aufsicht und Obhut und doch nur als flinke Räuberin für sich selbst, biß sich wacker und zäh durch Spott und Zurücksetzung und galt bald als die entzückende Schwester des schönen, interessanten Geigerknaben Tredenius. Und küßten die Frauen den Kleinen, hätten es die Herren sehr gerne mit der hübschen Martha ebenso gehalten. Doch die war viel zu klug und gab sich keine Blöße. Träumte der Bruder von den glänzenden Sternen des Ruhmes, träumte die Schwester von einer glänzenden Heirat, mitten hinein in Reichtum und große Welt.

So spann sich das Dasein der Geschwister hin.

Als Puppenspieler agierte munter Franz Tredenius. Aber sein rotes, schmunzelndes Gesicht mit dem stets bierfeuchten Schnurrbart zuckte die Freude des armen Teufels, der glaubt das Glück erhascht zu haben. Auch er lebte in einem Nebel erfüllter Träume, so sehr sein erdengieriges Wesen an den schönen Dingen dieser Welt hing. In allen Wirts- und Kaffeehäusern blies er die feisten Backen auf und posaunte den Ruhm seines Buben. Im Verkehr gab er sich mehr denn je großmäulig und protzig, ließ viel Geld aufgehen und hielt seine Freundchen überall frei. Vor Karl Marias frühreifem Hochmut aber kroch er jetzt, wie sonst nur vor seinen Vorgesetzten, wenn er sich bedenklicher Amtsversäumnisse schuldig wußte. So handelte er mit den Seelen seiner Kinder und meinte es im Grunde nicht einmal schlimm. Ja, ganz gegen seine sonstige Bücherscheu und Bequemlichkeit fing er sogar an, sich in die Lebensgeschichten von Wunderkindern zu vertiefen. Besonders den Vater Mozarts führte er stets im Munde und zog kühne Vergleich: mit diesem klugen Geschäftsmann.

Seine Frau behandelte Franz Tredenius gönnerhaft, mit leisem Mitleid, wie ein Mann, der am Ziele steht und behaglich auf die müden Wanderer blickt, die ihm nachkeuchen. Hier und da schlug er auch einen Seitenhieb nach seinem Schwager Williguth, der vor Neid bersten müsse.

Frau Lisbeth aber sah mit halbgeschlossenen Augen und kraftlosen Armen dem Schicksal zu, halb geblendet von dem Glanz, der ihre arge Prophezeihung so bitter Lügen strafte. Ihre geheime Angst wollte jedoch nicht schweigen.

»Er wird ihn zugrunde richten.«

Das klang wie eine düstere Litanei in den Ohren.

Vater Tredenius schwamm seelenvergnügt in dem goldenen Strom und ließ es sich wohl sein. Auch sein noch immer jugendliches Herz, das in der freudlosen Ehe widerwillig fasten gelernt, hielt festliche Auferstehung. Wie eine neue und bessere Jugend schien es über den lebenshungrigen Mann gekommen zu sein. In Frau Lisbeths Haar spannen sich die ersten grauen Fäden, von dem bunten Schicksal ihres Kindes still und allmählich hineingeweht.

Manchmal suchte die gequälte Frau Trost beim Bruder im »Blauen Herrgott«. Aber der musikversonnene Johann Sebastian wußte keinen Rat, nur Flüche und pechschwarze Voraussagungen, als säße er als der leibhaftige Prophet Jeremias auf den Trümmern von Jerusalem.

Klarer und heller war das Wort, das Frau Lisbeth bei Gideon Italiener fand, der diesen Fall mit größtem Behagen durch seine philosophische Brille betrachtete. Dem wackeren Schlemihl tat das vereinsamte Weib leid, und so sehr er heimlich das Glück Karl Marias im Gegensatz zu dem noch immer dunklen Schicksal seiner Miriam neidete, hielt er doch die Augen vor den Gefahren offen, die in dieser Hetzjagd sich bargen.

»Wenn es echtes Gold ist, machen es auch die Finger aller dieser Menschen nicht schmutzig.«

So lief seine Rede, und er gab ein herzensgutes Lächeln obendrein. Oder er legte sich in seinen Sitz zurück und strich langsam den braunen Bart, mit derselben liebevollen Bewegung, die einst sein Vater Samuel gehabt.

»Was wollen Sie, Frau Tredenius? Die Kinder, das wächst ins Licht, Und keiner kann sagen, ob gerade oder krumm. Ihr Bub, liebe Frau, geigt, und meine Miriam, das Goldkind, singt. Ach, sie singt alle Tage, Gott sei's geklagt. Wie sollen wir Alten wissen, ob es Gottesgabe ist oder nur Kinderspiel?«

In den braunen Träumeraugen stand ein hilfloses Lächeln: »Hoffen wollen wir. Das ist das Beste.«

 


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