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Kühl und scheu kam die Märzsonne ins Zimmer. Vergrämt saß Frau Lisbeth und sah mit erschreckten Augen auf Vater Gideon, der mit schleppenden Füßen auf und nieder schritt und aus Gutmütigkeit die bittere Nachricht in tiefsinnige, langatmige Reden wickelte.
Er begann mit der Kinderseele, die sich an den rauhen Ecken dieser Welt wundstoße und doch in aller Armseligkeit in einem Märchen lebe, gelangte sodann auf die schnöde Habgier der heutigen Tage, die jede Schönheit sofort in Geld ummünze, und endete beim Mutterherzen.
Als er so weit war, blickte er Frau Lisbeth hilfesuchend an und raufte seinen schönen braunen Prophetenbart: »Eine Zeit der Heimsuchung ist gekommen, liebe Frau, es geschehen üble Zeichen in der Welt.«
So trieb er das arme Weib fast zur Verzweiflung und wollte doch nur vorbereitenden Trost spenden, ehe er mit der grausamen Wahrheit herausrückte.
Frau Lisbeth strich über die angegrauten Schläfen. »Was hat denn mein Bub verbrochen?«
Vater Gideon aber zog die Brauen hoch und schüttelte das philosophische Haupt. »Er hat nichts getan. Gott, was kann das arme Kind dafür?«
Pathetisch reckte er die Arme und zwinkerte in hilfloser Sorge mit den Augen.
»Ich rat' Ihnen zu Gutem, liebe Frau, halten Sie die Augen offen! Lassen Sie den Karl Maria ja nicht mehr nachts – –«
»Um Gotteswillen, was ist geschehen?«
Sie klammerte sich an ihn. »Wenn mein Bub – nein, Herr Italiener, ich kann ihm die Geige nicht wegnehmen. Sein Leben hängt daran.«
»Es geht nicht um seine Geige,« stotterte der arme Gideon, dem aller Mut entsank. Dann lief ihn die Wut an, daß er alle Selbstbeherrschung über Bord warf. Zornig ruderte er mit den langen Armen in der Luft und wäre am liebsten fortgelaufen. Doch er hatte Furcht vor seiner Charlotte und dachte an seine sieben Kinder, denen er die Hände unter die Füße legte. Dieser Frau sollte nicht ihr einziges Kind genommen werden. Ganz still und behutsam beugte er sich zu Lisbeths Ohr und flüsterte, was er wußte und in seiner unbeholfenen Gutmütigkeit nicht laut zu sagen wagte: »In ein Freudenhaus hat er das Kind geschleppt.«
Zwei Mutteraugen starrten ihn an.
Dann gellte ein krampfhaftes Lachen.