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Als Karl Maria am nächsten Morgen zu dem modrigen alten Saal wanderte, wo er seinen Mädchen musikalische Feinheit eindrillte, und zum Brunnen mit dem Gänsemännlein kam, vor dem das Schicksal mit der Miriam den Anfang genommen, stand dort eine junge Frau in einem weißen Spitzenkleid und betrachtete das arme Haus mit den grünen Läden. Darin hatte Schiller seine Feuerseele verbrannt. Neugierig streckte Karl Maria zuerst den Kopf, dann aber wäre er am liebsten davongerannt. Schritt für Schritt stolperte er vor- und rückwärts, bis er wußte: Die Trix ist da.
Jetzt hörte er ihre Stimme: »Der alte Herrgott ist doch ein Prachtkerl.«
Und sie streckte Karl Maria beide Hände hin.
»So freue dich doch auch, dummer Bub!« sagte sie beinahe ärgerlich, als er kein Wort zum Willkomm fand, weil alles so wunderbar und überraschend über ihn fiel.
Da ward auch die Trix bedrückt, als fühlte sie erst jetzt, was alles dazwischen lag, und daß der verdonnerte Junge auf ihr Schuldkonto zu buchen sei. Langsam ging ihr Blick über ihn hin, bis sie um alle Bitterkeit wußte, die er hatte schlucken müssen, derweil sie selbst sorglos durchs Leben kutschiert war.
So blieben sie eine Weile, nur die Augen grüßten einander.
Da bemerkte Karl Maria, daß die Trix ernster und stiller schien als früher, kleine Falten krochen ihr um Mund und Augen, als hätte der lustige Graf Nisi sie nach und nach dort eingeritzt.
Mit einem Male sagte sie schnell: »Jetzt lasse ich dich nimmer fort.« Nichts weiter.
Noch immer schwieg er und schüttelte nur immerfort den Kopf, als wollte ihm diese Begegnung gar nicht recht einleuchten.
»Es geht alles mit rechten Dingen zu,« tröstete sie endlich.
Und jetzt stammelte er: »Du liebe Frau!«
Schnell brachte sie ihn in die Wirklichkeit zurück und erzählte, daß ihr Mann Pferde in Baden-Baden habe laufen lassen, und zwar wie gewöhnlich ohne Erfolg.
»Damit er es nicht allzutoll treibt, hat Papa Achaz mich mitgeschickt.«
Sie blickte ihn scharf an: »Und jetzt gilt es der Miriam Italiener.«
Da mußte er die Wahrheit zugeben: »Den Grafen habe ich gestern getroffen.«
»Ja, wo denn?«
»Bei der Miriam.«
Nun war das unheimliche Schweigen bei der jungen Frau.
Karl Maria schoß das Blut ins Gesicht und breitete sich heiß und tief über Stirn und Wangen. In verzweifeltem Trotz schaute er vor sich hin.
Sie wollte nicht, daß er die Augen an den Boden senken müßte: »Na, mein Junge, das ist doch ganz einfach. Vom ›Blauen Herrgott‹ bis nach Weimar ist ein weiter Weg. Und wenn einer wie du an der Ilm so lange Rast hält, muß schon irgendein Grund sein.«
Er nagte schweigend an den Lippen, sie aber ging tapfer auf ihr Ziel los: »Aus Augsburg hast du mir das letztemal geschrieben. Damals war noch zuversichtliche Freude in dir. Schneeballen hast du geworfen und die Sylvesternacht durchgegeigt. Siehst du, ich weiß noch alles. Dann allerdings fiel ich in Ungnade.«
Aber auch sie war nur ein Weib, so fragte sie plötzlich: »Hat das Mädel dir wenigstens ein bißchen Glück gegeben?«
»Ja.«
Dann hob er die Augen, als könnte er jetzt wieder aller Welt frei und froh ins Antlitz blicken.
Vertraulich, wie als Kinder an jenem Septembernachmittag, wanderten sie durch alle Schlupfwinkel des Parkes, krochen in alle Grotten, bis die Gräfin mißtrauisch forschte: »Was macht deine Geige?«
Er schlug den Absatz tief in die weiche Erde, als könnte er so diese unbequeme Frage einstampfen.
»Hast sie vielleicht versetzt?«
Er nickte.
»Und das Geld an die Miriam gehängt?«
»Ich war ein Nichtsnutz,« bekannte er reumütig und rollte endlich die ganze Wahrheit auf, Stück um Stück, wie einer, der nur ungern in seine Seele blicken läßt.
Es war ein minutenlanges, stummes Sichwehren.
»Ach, Karl Maria, wenn nur ein wenig von der Klugheit dieser Italienermädel in deinem Musikantenschädel steckte. Um die Guarneri aber ist es schade, die muß wieder her.«
Mit einem halb verlegenen, halb spitzbübischen Schmunzeln setzte sie hinzu: »Meinem Buben sollst du nämlich vorgeigen, daß der Schreihals vor lauter Andacht sein Mäulchen hält. Vier Monate ist der Balg.«
Er drückte die Fingerknöchel an die Stirn: »Alle geht ihr weiter, nur ich bleibe, was ich war.«
Er gab ihr die Hand und stand so eine Weile, ein treuer Kerl, dem nur das Herz allzu locker saß.
Die Fröhlichkeit dieser Stunde wischte schnell die Falten aus dem Gesicht der Trix, daß es wieder hübsch und jung nach dem Gottespreis dieser pudelnärrischen Welt zu fragen schien. Warm und wohl lief es durch das Blut der beiden jungen Menschen.
Karl Maria, der sein Schifflein noch vor dem Sturm weiterstieß, erkannte, daß das wilde Mädel von ehedem sich wohl verwahrt hatte wider Wind und Wetter. Daraus holte er einen kleinen Schmerz, daß er allein noch auf der Wanderschaft war, und zugleich einen herzlichen Trost, daß auch er einmal an ruhigen Ufern landen müsse. Mit inniger Behaglichkeit schaukelte er sich in diesem Geborgensein.
Die Glocken von Weimar ließen ihre metallenen Zungen emsig schwatzen wie treue Gevattern bei einer Kindtaufe, als wären sie bei dieser Einkehr auch ein wenig beteiligt. Sie klangen wie in jener andern Mittagsstunde, als Andreas Katzenkopf in seltsamer Frömmigkeit ein Kreuz über Karl Marias Stirn geschlagen und dazu die Bitte gebrummt hatte: »Alter von Weimar, laß mir den Jungen fromm und gut!«
Karl Maria horchte auf das vertraute Bimbam und blickte glücklich vor sich hin.
Trix schien sonderbar bewegt, als wäre der große Mensch da ihr winziger Achaz, dem sie ein Liebes tun müßte.
»Deine Geige sollst du wieder haben.«