Magnus Gottfried Lichtwer
Fabeln
Magnus Gottfried Lichtwer

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Die Tulipane.

              Ein Beet, der Farben Wunderspiel,
In dem der Lenz sich selbst gefiel,
Trug eine Tulipane,
Ihr Schmuck wies Iris Farbenstrich,
Und ihr erhöhter Purpur glich
Dem Mund der Mariane.

    Der West hielt selbst den Hauch zurück,
So oft er dieses Meisterstück
Zu küssen sich erkühnte,
Sie stahl des Gärtners Herz und Sinn,
Der sie als seine Königin
Mit Zärtlichkeit bediente.

    Nichts mag so schön, so kostbar seyn,
Das Schicksal reißt es wieder ein;
Warum? das ist die Frage.
Die Tulpe war kaum aufgeblüht,
Als sich der Himmel schwarz umzieht
An einem heißen Tage.

    Der Nordost brüllt und mehrt die Nacht,
Das Wetter rauscht, der Donner kracht;
Kaum aber schweigt er wieder,
So fällt ein Hagel, scharf, wie Glas,
Schlägt Zweig' und Pflanze, Laub und Gras,
Und auch die Tulpe nieder.

    Der Gärtner läuft nunmehr herbei,
Und findet Graus und Wüstenei,
Den Grund gerechten Schmerzens;
Er sieht sein Unglück ein und schweigt,
Bis sich der Tulpe Leichnam zeigt,
Der Blume seines Herzens.

    Hilf, Flora! hilf, wie lärmt der Mann,
Und thut die Schlossen in den Bann,
Daß sie die Tulp' erschlagen,
Grimm und Verzweiflung zeigt sein Blick,
Er schilt halb kindisch auf das Glück,
Und hört nicht auf, zu klagen.

    Ein Birnbaum, den des Wetters Macht
Um Knospen, Blüth' und Laub gebracht,
Konnt' es nicht mehr verdauen.
Ein Blümchen, rief er, bricht dein Herz,
Wie? rührt dich nicht ein größ'rer Schmerz,
Uns Bäum' entblößt zu schauen?

Wie? daß du nicht in Thränen rinnst,
Daß uns're Knospen, dein Gewinnst,
Dein Brod zu Wasser worden?
Uns klagst du nicht, und hast es Fug;
Um eine Blume, die nichts trug,
Willst du dich gar ermorden.

* * *

      So war der Mensch zu allen Zeiten,
So ist er jung, so bleibt er alt:
Heiß ist er gegen Kleinigkeiten,
Und gegen große Dinge kalt.

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