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Paladore.
Ich las und hörte schon
Von Mähren, ungeheuer und erfunden,
Der Menschen Brust mit Staunen zu erfüllen
Und darzuthun, wie gräßlich unser Wesen;
Doch solche Schandthat trotzt des Dichters Kunst.
Lombardenrecht.
Wir müssen nun berichten, wie es auf dem Decke zuging, während Newton aus seinem Gefängniß zu entkommen bemüht war. Nach Jacksons Berechnung mußte die Brigg in weniger als einer Stunde auf das Riff treffen. Er nahm dem Steuermann das Ruder ab und bedeutete ihm, er könne jetzt hinuntergehen. Vorher war er in aller Stille beschäftigt gewesen, das Tau vor Newtons Kajütenthüre aufzurollen, denn er beabsichtigte, mit den Matrosen sich in das Langboot zu retten und Newton dem Untergange preiszugeben. Die Brigg stürzte mit großer Gewalt auf das Riff und die Mannschaft eilte nach dem Deck. Jackson, der ganz ruhig war, schickte sich augenblicklich an, die Befehle, die er sich längst ausgedacht hatte, zu erlassen, und seine Besonnenheit beruhigte die erschrockenen Matrosen so weit, daß sie sich wieder zu sammeln vermochten. Dies war jedoch gerade ein Unglück für Jackson. Wären sie alle miteinander in das Boot geeilt und abgefahren, so hätten sie ihm wahrscheinlich erlaubt, mitzugehen, und Newton wäre ob dem Gedanken an die eigene Rettung vergessen geblieben. Aber das ruhige Benehmen des Kapitäns stellte ihre Zuversicht wieder her und ließ zu seinem Schaden den Matrosen Zeit, zu überlegen.
Alle waren nun für das Boot bereit, denn Jackson hatte mit großer Besonnenheit sämmtliche Bedürfnisse hinein schaffen lassen, als mit einemmale ein Matrose nach Newton rief.
»Zum Henker mit Newton! – rettet euer eigenes Leben, ihr Jungen. Hurtig hinein – ihr Alle.«
»Nicht ohne Mr. Newton!« riefen die Matrosen einstimmig. »Eile hinauf, Tom Williams, und sieh, wo er ist; er muß einen verteufelt gesunden Schlaf haben.«
Der Matrose stürzte die Hüttenluke hinunter, wo er das Tau gegen die Thüre aufgeschlagen fand und Newton innen sich abkämpfen hörte. Dies war genug. Er eilte auf das Deck und theilte den Thatbestand seinen Kameraden mit, indem er beifügte, es würde eine halbe Stunde Zeit brauchen, um den armen Menschen herauszuschaffen, und dies sei länger, als sie bleiben könnten, da das Schiff in zehn Minuten zertrümmert sein werde.
»Das hast du gethan, du mordgieriger Schurke!« rief der Matrose Jackson zu. »Ich will euch was sagen, meine Jungen, wenn der arme Mr. Newton sterben soll, so wollen wir ihm diesen Galgenstrick zur Gesellschaft beigeben.«
Ein allgemeines Geschrei bekundete, daß die übrigen Matrosen in diesen Akt der vergeltenden Gerechtigkeit einstimmten. Jackson versuchte mit einem lauten Fluche in das Boot zu springen, wurde aber von den Leuten zurückgetrieben; abermals wollte er unter furchtbaren Verwünschungen eindringen. Er befand sich auf der Glattscheere der Brigg und war im Begriff, einen Sprung zu thun, als ein Schlag mit einem Merlpfriem (demselben, mit welchem er den unglücklichen Matrosen ermordet hatte) ihn niederstreckte, so daß er besinnungslos in die Leespeigaten zurücksank. Das Boot fuhr sodann ab und stand noch keine zwei Kabellängen von dem Schiffe ab, als es Newton in der vorn berührten Weise gelungen war, seine Flucht zu bewerkstelligen und auf dem Decke zu erscheinen.
Die Brigg war so hoch auf das Riff geworfen worden, daß sie fest sitzen blieb. Da es beträchtlich ebbte, so war sie nunmehr weniger den schlagenden Wellen ausgesetzt. Die Sonne ging jetzt auf und es war bereits heller Tag, als Jackson wieder zur Besinnung kam. Sein Gehirn wirbelte, seine Gedanken waren verwirrt, und er hatte nur eine schwache Erinnerung des Vorgefallenen. Er fühlte, daß das Wasser seine Füße bespülte, und erhob sich mit einer Art von Instinkt, um windwärts zu wanken. Bei dieser Gelegenheit stolperte er über den hingestreckten Newton, der durch die Erschütterung gleichfalls geweckt wurde. Eine Weile entschwand, ehe irgend einer seine zerstreuten Sinne zu sammeln vermochte; sie saßen ungefähr einen Schritt von einander auf dem Decke und erkannten sich endlich gleichzeitig.
Newton war der Besonnenere von beiden, denn Jacksons Betäubung war die Folge eines körperlichen Leidens, die seinige aber nur ein geistiges Ergriffensein. Jackson fühlte noch die Wirkung des Schlages, aber obgleich er sich aus seinem Taumel erholt hatte, bedrückte noch ein Gefühl von Schwere seine Augen und verwirrte seine Gedanken.
Newton's Anblick reichte zu, auch Jackson zur Besinnung zu bringen, der nun aufsprang, als wolle er mit dem Gegenstand seines Hasses handgemein werden. Newton war im gleichen Augenblick auf den Beinen, wich zurück, griff nach dem Merlpfriem, der noch immer auf der Decke lag und setzte sich in Vertheidigungszustand. Kein Wort wurde zwischen ihnen gewechselt. Sie blieben eine Sekunde in dieser Stellung, worauf Jackson, dessen Gehirn wieder von dem Sturme seiner Gefühle ergriffen wurde, abermals in einem Zustande von Besinnungslosigkeit zusammenbrach.
Newton hatte nun Zeit, umherzublicken, aber die Sachlage war nichts weniger als ermuthigend. Wohin er schaute, seichtes Wasser, Riffe von Korallenfelsen und große Sandbänke mit tiefen Einschnitten, durch welche das Wasser rasch abfluthete. Die Brigg hatte aus einem scharfen Korallenfelsen gestrandet, und in dem tieferen Theil ließen sich Zoophytenbäume unterscheiden, welche einen unterseeischen Wald von Zweigen bildeten; es war jedoch augenscheinlich, daß das Riff, auf welchem das Fahrzeug lag, wie die meisten übrigen, zur Zeit der Fluth unter Wasser stand. Als Rettungsmittel war noch ein kleines Boot vorhanden, das über dem Sterne hing, und Newton konnte dasselbe nach dem Bedürfniß entweder mit den Segeln oder mit den Rudern lenken.
Da keine Zeit zu verlieren war und die einzige Hoffnung des Entkommens in dem Boote lag, so begann Newton seine Maßregeln. Er fand Mast und Segel auf, machte letztere fest, füllte ein Faß mit Wasser, nahm einen Compaß aus dem Binnakel und schaffte einige Stücke Fleisch sammt dem Brodabfalle, der in einen Sack gesammelt worden war, in das Boot. Dann holte er einige Flaschen Wein und Cider aus der Kajüte, die er sorgfältig in den kleinen Schrank unter den Sternbänken des Bootes stauete. Nach einer Stunde war Alles bereit. Er versah sich noch mit einigen Stücken Tau nebst einem kleinen Anker, und da neben Bord noch hinreichend Wasser war, um den Nachen flott zu erhalten, so ließ unser Held allmälig ein Takel, dann das andere nieder, bis das Boot wohlbehalten auf dem Wasser lag. Nun legte er es an einer Fangleine an und setzte den Mast auf.
Alles war jetzt bereit – aber sollte Jackson zurückbleiben, um von der wiederkehrenden Fluth weggespült zu werden, da dann die Brigg ohne Zweifel in Stücke gehen mußte? Nein! Newton konnte dies nicht über sich gewinnen. Allerdings hatte ihm der Schiffsmeister nach dem Leben getrachtet und zeigte sogar jetzt noch einen tiefgewurzelten Groll gegen ihn; auch fühlte sich Newton überzeugt, daß sein Feind in Zukunft keine Gelegenheit unbenutzt lassen würde, um ihn zu verderben – aber ihn jetzt zu verlassen – einen Mörder! – mit allen seinen Sünden aus der Seele – den Wogen preiszugeben, die ihn unvorbereitet vor den Richterstuhl eines beleidigten Schöpfers führten! – es war unmöglich, stand im Widerspruche mit seinem Wesen und der Religion, zu welcher er sich bekannte. Wie konnte er in seinem gefährlichen Unternehmen auf göttlichen Beistand hoffen, wenn er es antrat, uneingedenk der heiligen Vorschrift: ›vergib deinem Feinde?‹
Newton stieg nach der Thüre des Deckes hinaus, wo Jackson lag, und weckte ihn. Jackson erwachte aus einem tiefen Schlummer und stierte dann unsern Helden mit großen Augen an, der zur Vorsicht den Merlpfriem mitgenommen hatte.
»Mr. Jackson,« sagte Newton, »ich habe Euch geweckt, um Euch kund zu thun, daß das Boot jetzt bereit ist und ich im Begriffe stehe, abzufahren.«
Jackson, der sich der Scene von der vorigen Nacht erinnerte und unsern Helden mit dem Merlpfriem in der Hand vor sich stehen sah, schien ganz gelähmt zu sein. Newton war ihm schon vorweg, abgesehen von der in seinem Besitze befindlichen Waffe, an körperlicher Kraft überlegen.
»Nicht ohne mich! – nicht ohne mich!« rief Jackson, sich auf seine Kniee aufrichtend. »Um aller Barmherzigkeit willen, Mr. Newton, gebt mich nicht einem so schrecklichen Tode preis!«
»Ihr wolltet mich einem noch schrecklicheren überliefern,« versetzte Newton.
»Ich bitte Euch um Verzeihung! – vergebt mir, Mr. Newton; ich war damals betrunken – ja, wahrhaftig. Ich weiß nicht was ich thue, wenn ich unter dem Einflusse des Branntweins stehe. – Verlaßt mich nicht. – Ich will Euren Befehlen gehorchen und Alles thun, was Ihr wollt. Ich will Euch wie ein Knecht bedienen – ja, das will ich, Mr. Newton.«
»Ich verlange von Euch weder Gehorsam noch Bedienung,« entgegnete Newton, »sondern blos, daß Ihr Eure grundlose Feindseligkeit ablegt und Euch zu Rettung Eures Lebens anstrengt. Das, was Ihr bereits gegen mich versucht habt, möge Euch Gott vergeben, wie ich Euch verzeihe; gegen zukünftige Angriffe werdet Ihr mich übrigens vorbereitet finden. Folgt mir jetzt in das Boot.«
Ohne weitere Gegenrede begaben sie sich nun in das Fahrzeug und stießen ab. Das Wetter war mild und der Wind leicht. Ungefähr zehn Meilen in der muthmaßlichen Landrichtung (denn Newton hatte die Lokalität des Riffs wohl errathen) befanden sich zwei Inseln, die sich unser Held gemerkt hatte, und die augenscheinlich über dem Hochwasserstande lagen. Die eine war etwa zwei Meilen von der andern entfernt und bis an den Wassersaum mit Bäumen bewachsen. Nach dieser wollte Newton hinrudern, um daselbst den nächsten Morgen zu erwarten. Als sie in dem Boot saßen, fand unser Held, daß der Wind conträr ging, weshalb er den Mast beseitigte und das vorderste Ruder ergriff, damit Jackson, den er das andere aufnehmen hieß, nicht hinter ihn zu sitzen komme. Die Fluth fegte gen Süden und nöthigte sie, in einem Winkel zu rudern, um ihren Bestimmungsort zu erreichen. Erst gegen Sonnenuntergang gelang es ihnen, die nächste Insel, nicht die mit Bäumen bewachsene zu erreichen. Sobald das Boot festgemacht war, streckten sich beide, von Ermattung überwältigt, auf den Sand, wo sie einige Zeit liegen blieben. Dann holte Newton aus dem Boote einige Mundvorräthe, worauf sie schweigend ihren Hunger stillten und sich zur Ruhe niederlegten. Newton fürchtete sich noch immer vor Jacksons teuflischer Feindschaft, die aus dessen Stillschweigen zu entnehmen war, und schloß daher seine Augen nur zu einem scheinbaren Schlafe. Sobald es dunkel war, stand er auf, lauschte zuerst auf den Athem seines Begleiters, der augenscheinlich in tiefem Schlummer lag, und ging dann etwa hundert Schritte nach einer Stelle, wo er nicht leicht gefunden werden konnte. Hier legte er den Merlpfriem statt eines Kissens unter den Kopf und befand sich bald, erschöpft von körperlicher und geistiger Anstrengung in einem Zustände des Selbstvergessens.
Sein Schlaf war ungefähr drei oder vier Stunden tief, nachher aber unruhig. Der aufgeregte Geist wacht für den Körper und weckt ihn zu der Zeit, in welcher er thätig sein soll. Newton erwachte; es war noch nicht Tag und Alles stille. Er drehte sich, um aufzustehen, gab aber doch dem Drange einer erschöpften Natur nach und schlummerte wieder ein. Abermals glaubte er einen Fußtritt zu hören; er erwachte und lauschte – doch Alles war ruhig und still, ausgenommen das leichte Anschlagen der Wellen auf dem Sande. Auf's Neue wurde er durch eine Art scharrenden Getöses geweckt; er horchte – aber Alles blieb ruhig. Endlich erwachte er zum viertenmale an einem Tone, gleich dem Schlagen eines Segels; er lauschte – nein, es war keine Täuschung – er sprang auf. Der Morgen dämmerte und wie er seine Blicke nach dem Ufer entsandte, bemerkte er zu seinem Entsetzen, daß das Boot in der That unter Segel war. Jackson, der drinnen saß, hatte eben die große Schoote nach hinten geholt und steuerte von der Insel weg. Newton eilte nach dem Ufer, stürzte in die See und suchte das Boot einzuholen; aber er kam bald in das tiefe Wasser und das Boot schoß schnell dahin. Er rief Jackson zu – als letzten Versuch. Der Schurke winkte ihm mit der Hand ein ironisches Adieu und setzte seine Fahrt fort.
»Verrätherischer Schuft!« rief Newton in seinem Geiste aus, während seine Augen dem Boote folgten. »Ist das der Dank, daß ich dein Leben rettete, nachdem du mir das meinige zu nehmen versucht hattest? So soll ich denn hier Hungers sterben – doch Gottes Wille geschehe!« rief er laut, während er sich am Ufer niedersetzte und das Gesicht mit seinen Händen bedeckte.