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Achtundvierzigstes Kapitel

Die Schiff' sind Bretter nur, Matrosen Menschen;
's gibt, wie Landratten, Wasserratten auch,
Zu Land und Meer ein diebisch Volk ich mein'
Piraten.

Shakspeare.

Newton Forsters Bemerkung gegen Isabel vor dem Beginn des Kampfes, daß nämlich derselbe sein Glück oder seinen Untergang herbeiführen werde, hatte sich als prophetisch erwiesen. Der Tod des Kapitän Oughton und die muthige Vertheidigung des Windsor-Castle machte sein Glück. Als untergeordneter Offizier hätte er sich vielleicht noch viele Jahre abmühen müssen, ehe es ihm gelang, die oberste Sprosse der Beförderungsleiter zu erreichen, und wie hätte er es in einer abhängigen Stellung wagen dürfen, sich um Isabel Revel's Hand zu bewerben? Jetzt aber war er durch eine Kette von eigenthümlich günstigen Umständen der Kommandeur eines Indienfahrers, hatte ein Schiff von gleicher, wo nicht überlegener, Streitkraft abgeschlagen und kehrte mit einer geretteten, höchst werthvollen Ladung nach Hause zurück; er fühlte sich daher überzeugt, daß der Rang, den er annehmen mußte, nicht nur bestätigt werden würde, sondern auch daß alle Aussicht auf fernere Verwendung vorhanden war. Als Kapitän eines Indienfahrers hatte er eine angenehme Stellung in der Gesellschaft, Berücksichtigung und Reichthum zu erwarten; was aber sein Herz am meisten mit dankbarer Freude erfüllte, war das Bewußtsein, bald um die Hand eines Wesens werben zu können, dem er längst mit glühender Liebe zugethan gewesen.

Während das Windsor-Castle durch die brausende See pflügte, strahlten Newtons Augen hoffnungsvoll, obgleich sein Benehmen gegen Isabel in Folge der eigentümlichen Umstände, von welchen ihre Lage begleitet war, noch zarter und zurückhaltender war, als zuvor.

Vor St. Helena angelangt, war Newton so glücklich, sein Schiff mit tüchtigen Seeleuten mehr als hinreichend bemannen zu können. Sie waren von einem französischen Kaper, der viele Schiffe genommen hatte und mit der Ueberzahl seiner Gefangenen nichts anzufangen wußte, in einer leeren Brigg nach dieser Insel geschickt worden, und sobald unser Held die nöthigen Vorräthe eingenommen hatte, zögerte er keinen Augenblick, die Fahrt nach England fortzusetzen. Etwa vierzehn Tage, nachdem sie St. Helena verlassen hatten, wurde ein fremdes Segel am Steuerbordbug gemeldet. Als sich das Windsor-Castle demselben näherte, stellte sich heraus, daß das fremde Schiff seinen Fockmast verloren hatte und sich noch außerdem in einem ganz kläglichen Zustande befand. Letzteres zog, als der Indienfahrer noch eine Meile entfernt war, neutrale Farben auf und gab ein Nothsignal. Newton ließ das Schiff abhalten, fuhr heran, setzte ein Boot aus und schickte den ersten Maten an Bord, damit er sich überzeuge, welchen Beistand man den Verunglückten leisten könne. Bei Matrosen ist, Gott sei Dank! die Noth hinreichend, um sie zur Hülfe aufzufordern, und sie im Augenblicke der Theilnahme für das Unglück allen Nationalhaß vergessen zu lassen, der vielleicht nach einer Stunde schon wieder auftaucht. Das Boot kehrte zurück, und der Mate meldete unsern Helden, daß das Schiff von der Insel Bourbon komme und nach Hamburg bestimmt sei; es habe in einem Sturme auf der Höhe des Kaps der guten Hoffnung seinen Mast verloren und noch weitere ernstliche Beschädigungen erlitten; auch sei, als der Mast über die Seite ging, die eine Hälfte der Mannschaft, welche sich auf der Fockraa befunden, über Bord geworfen worden und ertrunken; der Mangel an Leuten und an Material habe es ihnen unmöglich gemacht, einen brauchbaren Nothmast zu errichten, weßhalb sie sich so lange auf dem Meere umhergetrieben hätten, daß ihr Mundvorrath und Wasser beinahe völlig erschöpft sei. Der Mate schloß mit der Angabe, daß sich auch eine französische Dame und zwei Herren sammt Dienerschaft, welche auf dem Schiffe nach Hause fahren wollten, an Bord befänden; Newton stieg alsbald in's Boot und ruderte nach dem Schiff, um selbst nachzusehen, welchen Beistand er leisten könne. An Bord angelangt, wurde er von dem flämischen Kapitän empfangen, welcher eben sein Klagelied begonnen hatte, als die französische Dame, welche, ohne von Newton bemerkt zu werden, die Hüttenleiter heruntergekommen war, laut aufschrie und in seine Arme eilte.

» Ah, mon Dieu, c'est monsieur Nu-tong!«

Newton sah die Dame an, welche unter Thränen ihr Antlitz auf seine Schulter legte, und erkannte augenblicklich seine frühere wohlwollende Freundin, Madame de Fontanges. Neben ihr stand, die Hand ausgestreckt, ihr edelmüthiger Gatte. Es war ein frohes Wiedersehen, und unser Held fühlte sich glücklich, daß er durch die Umstände in die Lage gesetzt war, denen Beistand zu leisten, die sich in seinem frühem Unglück so gütig gegen ihn benommen hatten.

» Oh! monsieur Nu-toug, nous avons tant souffert! Ah! mon Dieu! – point eau – rien à manger!« rief Madame de Fontanges durch ihre Thränen lächelnd; » mais cette rencontre est charmante – n'est-ce pas, mon ami?« fuhr sie gegen ihren Gatten fort.

»Es scheint, daß Ihr den Herrn Marquis nicht mehr kennt?« sagte Monsieur de Fontanges zu Newton.

Newton wandte den Kopf um und erkannte den Gouverneur von Guadeloupe, der so viel Theilnahme gegen seinen Schiffbruch erwiesen und ihn mit dem Kartelschiff entlassen hatte, statt ihn als einen Gefangenen zu behandeln.

Das Schiff befand sich in einem wahrhaft kläglichen Zustand und wäre wahrscheinlich, hätte es nicht in so gelegener Zeit Beistand erhalten, bald ein Schauplatz der Noth und des Entsetzens geworden. Sie hatten nur noch für drei Tage Wasser und kaum für zehn Tage Mundvorrath an Bord. Newton beeilte sich, das Boot zurückzuschicken und Auftrag zu ertheilen, daß alles Nöthige herbeigeschafft werde, im Falle schlechtes Wetter einen weiteren Verkehr verhindern sollte. Zufrieden, daß dem augenblicklichen Mangel abgeholfen war, verabschiedete sich unser Held vor der Hand von seinen Freunden und kehrte an Bord des Windsor-Castle zurück, wo er den Zimmerleuten und einem Theil der Mannschaft befahl, das schadhafte Schiff so viel möglich auszubessern; auch trat er den Passagieren des neutralen Fahrzeugs alle auf dem eigenen Schiffe entbehrlichen Bequemlichkeiten und Luxusartikel ab.

Nach zwei Stunden schwelgten diejenigen, die kurz zuvor noch dem Hungertode nahe gewesen waren, im Ueberflusse, und noch ehe die Nacht einbrach, hatten die englischen Matrosen einen Nothmast ausgerüstet und die Segel gesetzt. Die an Bord befindlichen Holländer wollten auch mithelfen, erhielten aber die Weisung, auf dem Decke zu bleiben und die verlorene Zeit einzubringen, was sie auch sehr bereitwillig thaten, indem sie aßen und tranken, als seien sie entschlossen, sich für den ganzen Rest der Reise einen Grundstock anzulegen. Newton, welcher wieder an Bord des neutralen Schiffes zurückgekehrt war, um die Ausbesserung zu überwachen und sich in der Gesellschaft seiner alten Freunde gütlich zu thun, erhielt von letztern einen ausführlichen Bericht über Alles, was seit ihrer Trennung vorgefallen war. Mit Einbruch der Nacht verabschiedete er sich mit dem Versprechen, gemach weiter zu segeln und ein paar Tage mit ihnen zu reisen, bis sie überzeugt wären, daß Alles recht sei und sie nicht länger seines Beistands bedürften.

Den Bericht der Passagiere können wir zu Gunsten unseres Lesers in wenige Worte zusammendrängen. Der Marquis de Fontanges war von Guadeloupe aus zum Gouverneur der Insel Bourbon ernannt worden, da der letztere Posten für bedeutender gehalten wurde. Monsieur und Madame de Fontanges übersiedelten mit ihm, und der Gouverneur behauptete seine Stelle zwei Jahre lang, bis es der Regierung beliebte, ihm dieselbe wieder abzunehmen, und zwar aus seinem anderen Grunde, als weil er seine Bestallung von dem vorigen Gouvernement erhalten hatte. Die Fregatten waren nicht in solcher Menge vorhanden, daß man ein derartiges Fahrzeug für die Rückkehr eines Exgouverneurs hätte entbehren können, und der Marquis, dem es überlassen blieb, so gut wie möglich seinen Heimweg zu finden, hatte die Gelegenheit der Ausfahrt eines Hamburgers benutzt, um nach Europa überhaupt oder Frankreich, je nachdem es ihm räthlich schiene, zurückzukehren.

Zwei Tage lang, während welcher Zeit das Wetter so schön war, daß Madame de Fontanges und die Gentlemen an Bord des Windsor-Castle gingen und den daselbst befindlichen Damen vorgestellt wurden, segelte unser Held nur langsam vorwärts und versah das neutrale Schiff mit Allem, wozu ihn das Gefühl der Dankbarkeit ermächtigte; da ihm jedoch daran gelegen sein mußte, seine Reise bald zu beendigen, so wurde beschlossen, daß sie sich am dritten Tage trennen sollten. Am Abende zeigte sich ein fremdes Segel auf dem Luvbug; da es jedoch kein Fockbramsegel führte und augenscheinlich denselben Kurs, wie das Windsor-Castle steuerte, so erregte es nur augenblickliche Aufmerksamkeit, weil man annahm, es sei ein heimkehrendes neutrales Schiff oder ein Kauffahrer, der sich von seinem Convoy getrennt habe.

Während der dunkeln Nacht (denn der Mond stand in seinem ersten Viertel) verlor der Offizier der Mittelwache das gerettete Schiff aus dem Gesichte, was übrigens Niemand wundern durfte, da es kein Licht führte. Vor Morgen legte sich die Brise, und als die Sonne aufging, herrschte vollkommene Windstille. Der wachhabende Offizier begab sich mit dem Grauen des Tages auf die Hütte und spähete an dem Horizont nach dem verlorenen Fahrzeuge, das er sechs oder sieben Meilen im Sterne an der Seite des fremden Schiffes, welches sie Tags zuvor gesehen hatten, liegen sah; die beiden, wie auch das Windsor-Castle, waren von Windstille befallen.

Er ging augenblicklich zu Newton hinunter und theilte ihm den Umstand mit, der sehr verdächtig zu sein schien. Newton eilte auf das Deck und konnte nun mit seinem Fernrohr deutlich unterscheiden, daß der Fremde ein niedriges, überhängendes Fahrzeug, und augenscheinlich kein Kauffahrer, sondern für schnelles Segeln gebaut war – vermuthlich also ein Kaper. Der Ausluger an dem Stengenkopfe berichtete, daß ohne Unterlaß Boote zwischen den zwei Schiffen hin- und hergingen. Newton, dem es um die Sicherheit seiner Freunde bange wurde, nahm das Erbieten des zweiten Maten an, welcher das Gig bemannen und rekognosciren wollte. In wenig mehr als einer Stunde sah man von dem Stengenkopfe aus das Gig sich den Schiffen auf eine halbe Meile nähern, bald nachher aber den Rauch einer Kanone aufsteigen, welchem ein dumpfer Knall folgte. Das Beischiff wandte nun um und ruderte nach dem Windsor-Castle zurück, wo Newton seiner Ankunft in ängstlicher Spannung entgegensah. Der zweite Mate berichtete nun, er habe bei seiner Annäherung entdeckt, daß das fremde Schiff auf vierzehn Kanonen gebohrt, schwarz bemalt und, soviel sich erkennen lasse, gut bemannt sei; augenscheinlich stehe es im Begriffe, das neutrale Fahrzeug zu plündern, und habe, als das Boot in Schußweite kam, eine Kartätschenlage gegeben, welche zum Glücke nicht getroffen. Der Fremde zeige keine Farben und sei, seinem Aussehen und Benehmen nach zu urtheilen, da alle Kaper neutrale Schiffe respektirten, ohne Zweifel das Piratenschiff, welches, wie sie zu St. Helena vernommen hätten, in diesen Breiten kreuze.

Newton war derselben Ansicht und kehrte mit schwerem Herzen nach der Kajüte zurück, um Mrs. Enderby und Isabel die betrübende Kunde mitzutheilen.

Nichts auf der Welt ist ärgerlicher, als der Wille ohne die Macht. So oft ein Schiff in einer Windstille liegt, glaubt man, das Fluchen der Mannschaft entschuldigen zu können, und denke man sich nun erst Newtons Gefühle, der unthätig auf dem Wasser liegen bleiben mußte, während seine Freunde geplündert und vielleicht vor seinen Augen von einer Schurkenrotte ermordet wurden! Wie oft und eifrig spähte er nicht an dem Horizonte hin, ob nicht eine Brise aufbreche! Wie froh erhob nicht die Hoffnung ihr Haupt bei der leichtesten Katzenpfote, welche die Oberfläche des ruhigen Wassers kräuselte! Drei hinter einander folgende Stürme sind schlimm genug, aber drei Böen, die sogar im Stande wären, dem Teufel die Hörner abzublasen, sind mir immer noch unendlich lieber, als eine träge, regungslose, verwünschte Windstille, die Einen so sehr mit Grillen plagt, daß man vor Aerger fast toll werden möchte. Endlich, als sich die Sonne am Himmel neigte, sprang der Wind auf, anfangs nur launenhaft und neckisch auf dem Wasser spielend, als sei er noch ungewiß, nach welchem Kompaßstrich er seinen jugendlichen Lauf nehmen sollte. Das Schiff sprach wieder auf das Steuer an, der Schnabel wurde gerichtet und die Leinwand so gesetzt, daß die größte Schnelligkeit erzielt werden konnte. In einer Viertelstunde war Alles bereinigt, und da das Windsor-Castle windwärts war, so kam es bis auf zwei Meilen auf den Fremden und das neutrale Schiff hinunter, die noch immer in der Windstille dalagen. Als jedoch die Brise auffrischte, kam sie von der Seite und fegte das Schiff auf dem sich verdunkelnden Wasser in's Lee der beiden Fahrzeuge hinunter, von denen das eine, auf welches es Newton besonders abgesehen hatte, alsbald seinen Vortheil ersah, seine Segel ausbreitete und mit großer Schnelligkeit von hinnen schoß. Als das Windsor-Castle vor dem neutralen Schiffe anlangte, befand sich der Fremde schon mehr als zwei Meilen im Lee. Jetzt wurde eine kleine Zögerung nöthig, um zu erfahren, was vorgefallen war. Newton sah Monsieur de Fontanges, der ihm händeringend zurief, auf dem Decke stehen, weßhalb er umholte, ein Boot niederließ und an Bord des neutralen Fahrzeugs ruderte. Hier erhielt er eine sehr betrübende Kunde. Das fremde Schiff war ein Seeräuber, der sie völlig ausgeplündert und auch Madame de Fontanges, nebst ihren beiden Dienerinnen Mimi und Charlotte, mit fortgenommen hatte. Monsieur de Fontanges, welcher der Entführung seiner Gattin Widerstand entgegensetzte, war von dem Piratenkapitän schwer verwundet worden. Außerdem hatten die Seeräuber alles stehende Tackelwerk zerschnitten, die Masten mit den Aexten beinahe abgehauen und ihr Werk damit beendigt, daß sie Löcher in das Heck des Schiffes bohrten; wenn daher Newton nicht im Stande gewesen wäre, heranzukommen, so hätten sie Alle im Laufe der Nacht elend zu Grunde gehen müssen.

Es war keine Zeit zu verlieren. Der Marquis de Fontanges, Monsieur de Fontanges und die Schiffsmannschaft wurden eilig auf das Windsor-Castle gebracht (die Seeräuber hatten dafür Sorge getragen, daß ihnen das Umladen ihres Gepäckes nicht viele Mühe machte), und Newton setzte, sobald er sein Boot aufgezogen hatte, jeden Stich Tuch aus, um das Piratenschiff zu verfolgen, das jetzt mehr als vier Meilen entfernt stand. Aber obgleich sich der Wind allmählig steigerte und soweit ihnen günstig war, als sie den ersten Vortheil desselben hatten, entschwanden doch mit dem Untergang der Sonne auch ihre Hoffnungen. Bei Einbruch der Nacht hatte der Pirat seine Entfernung bis auf sieben Meilen vergrößert, und Newton verfolgte ihn, das Nachtglas in der Hand, bis er ihn nicht länger unterscheiden konnte. Demungeachtet war die Spannung an Bord des Windsor-Castle so groß, daß Niemand zu Bette ging; aber mit Anbruch des Tages war das Piratenschiff in keiner Richtung des Horizontes mehr sichtbar.


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