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Isabel. Ueberall hin, um den Ehestand zu vermeiden. Schon der Gedanke an einen Mann ist mir schrecklich.
Inez. Aber wenn Ihr frei wählen könntet, sollte Euch doch, wie ich meine, eine Heirath nichts so gar Schreckliches sein.
Das Wunder.
Die Boadicea ging mit den Indienfahrern dem Orte ihrer Bestimmung entgegen, und Kapitän Carrington benutzte jede Gelegenheit, die leichter Wind und glattes Wasser boten, den Damen an Bord des Bombay Castle seine Achtung zu beweisen oder sie an Bord der Fregatte einzuladen. Die Sache verhielt sich nämlich so, daß er sich bis über die Ohren in Isabel Revel verliebt hatte, der er die augenfälligste Aufmerksamkeit zollte; aber obgleich er ein angenehmer, leichtherziger Gesellschafter, desgleichen auch ein junger Mann von guter Familie und schönen Aussichten war, erwiederte doch die Dame seine Neigung nicht; sie gefiel sich zwar in seinem Umgange, aber das war Alles.
Nach einem Monat langte das Geschwader vor der Insel St. Helena an, nach welcher Kapitän Carrington die Schiffe zu begleiten beauftragt war; dann sollte er in einer gewissen Breite kreuzen und endlich nach Ostindien segeln, wenn er mit den erwarteten Schiffen nicht zusammentraf. Es war daher nur ein Abschied auf Wiedersehen; aber während der kurzen Zeit, welche auf Ausbesserung der Fahrzeuge und Ergänzung der Wasservorräthe verwendet wurde, bot Kapitän Carrington Isabel Revel seine Hand an, die ihm in aller Höflichkeit einen Korb ertheilte. Ungeduldig, wie ein Knabe, dem sein Spielzeug verweigert wurde, ließ er alles Nöthige unverweilt an Bord schaffen und segelte am andern Tage von der Insel ab. Es mag vielleicht sonderbar erscheinen, daß eine junge Dame, die augenscheinlich auf Spekulation ausgeschickt wurde, ein so vorteilhaftes Anerbieten zurückwies, denn die Spekulation beginnt mit der Reise. Einige Damen finden zu Madeira ihre Abnehmer, und seit das Cap in unserem Besitze ist, haben sich mehrere bewegen lassen, in dieser Kolonie zu bleiben, so daß sehr oft nur die Hefe der Ladung für den beabsichtigten Markt im Osten übrig bleibt. Aber Isabel Revel hatte nur aus kindlicher Pflicht in die Fahrt gewilligt, nicht in der Absicht, einen Mann zu gewinnen, wenn ihr der Freier nicht anstund, und Kapitän Carrington stand zufälligerweise nicht im Einklange mit ihren träumerischen Vorstellungen von der Person, die sie sich zum Bunde für's Leben zu wählen wünschte. Kapitän Carrington theilte die Kunde von seinem üblen Erfolg Niemand mit, als Newton, welchen er beauftragte, seinen Abschied zu überbringen. Das Geheimniß wurde von Beiden treulich bewahrt. Isabel Revel gehörte nicht unter jene jungen Damen, die sich eines derartigen Vortheils bedienen, um ihre Bedeutsamkeit in den Augen Anderer zu erhöhen. Es war übrigens auch ein anderer Grund vorhanden, obschon er damals Isabel selbst noch nicht klar war, der sie verhinderte, auf Kapitän Carringtons Anträge zu hören. Hätte sie ihr eigenes Herz gefragt, so würde sie entdeckt haben, daß es zu Gunsten eines Mannes sprach, der ihr gleichfalls im Geheim zugethan war, aber seine Gefühle im Keime erstickte, weil er wohl wußte, daß er ihr nichts als sich selbst zu bieten habe. Dieser Mann war Newton Forster. Seine vertraute Bekanntschaft mit Kapitän Carrington, die Aufmerksamkeit, welche ihm Kapitän Drawlock erwies (denn dieser vertraute ihm sogar die Chronometer an!), sein vortrefflicher Charakter und seine schöne Persönlichkeit hatten ihm mehr Bedeutsamkeit verliehen, als man aus seiner untergeordneten Stellung hätte vermuthen sollen; dabei war sein Benehmen von der Art, daß er sich die Gunst Aller, welche sich an Bord befanden, sicherte. Sein freimüthiges Wesen und seine allgemeine Bildung gaben Anlaß, daß seine Gesellschaft sogar von solchen aufgesucht wurde, welche andernfalls wohl geneigt gewesen wären, einen dritten Maten von sich fern zu halten.
Als sie vor St. Helena anlangten, nahm der erste Mate – welch' ein Wunder! – kein Bedenken, auf ein paar Stunden an's Land zu gehen, wenn er wußte, daß in seiner Abwesenheit Newton der kommandirende Offizier war; und außerdem hatte unser Held in der guten Meinung des Kapitäns so festen Fuß gefaßt, daß ihm dieser nicht nur die Obhut über die Chronometer überließ, sondern auch, wenn er für eine Weile in's Unterschiff berufen wurde, die Sorge für irgend eine von seinen unverheiratheten Verantwortlichkeiten übertrug, die vielleicht geneigt war, sich der Unterstützung seines Armes zu bedienen.
Da die Indienfahrer sich nun selbst zu beschützen hatten, so erließ Kommodore Bottlecock, der ältere Offizier, eine sehr sorgfältige Vorschrift über die Ordnung im Segeln, über das Exercitium an den Kanonen und in den kleinen Waffen – kurz, über jeden Punkt, der durch gebührende Vorbereitung zu ihrer Sicherheit beitragen konnte. Demungeachtet fuhren die Damen fort, sich auf dem Decke zu zeigen. Mrs. Ferguson machte sich in ihrer Majestät breit und ertheilte den kichernden jungen Damen Verweise; die jungen Gentlemen wurden witzig und erhielten gleichfalls ihre Rüge, und der alte Obrist schwatzte von seinen Abenteuern zu Madeira, wobei er es nicht versäumte, alle Augenblicke die Kugel in der Schlacht von – – zur Sprache zu bringen. Doktor Plausible erwies Miß Tavistock besondere Aufmerksamkeit, da er sich seitdem zur Genüge überzeugt hatte, daß sie Vermögen besaß; die gesammte Reisegesellschaft hatte sich auf einen sehr vertrauten Fuß gesetzt, und Alles war nachgerade der Fahrt herzlich satt geworden, als eines Mittags die Lage des Schiffes auf ungefähr zweihundert Meilen von Point de Galle, der südlichsten Spitze von Ceylon, bestimmt wurde. Der Wind war frisch und günstig, so daß man sich bereits allerseits zu einem baldigen Ende der langen Reise Glück wünschte.
Das Diner wurde in der alten Weise des »Ho! das Rostbeef von Altengland« angekündigt – ein Ruf, der während einer langen Fahrt stets mit Freude bewillkommt wird. Wie gewöhnlich während der ganzen Fahrt, befand sich Miß Charlotte und Miß Laura Revel auf der einen, Miß Tavistock und Miß Isabel Revel auf der andern Seite des Kapitän Drawlock. Rechts und links saßen Mrs. und Mr. Ferguson, so daß die unverheiratheten Damen von jeder ungebührlichen Berührung mit den Herren Passagieren und Offizieren des Schiffes abgeschnitten waren. Der Obrist hatte seinen Platz neben Mrs. Ferguson, während der junge Schriftsteller an der Seite des Geistlichen sein Gedeck hatte. Dann kamen die zwei Kadetten mit dem Doktor und dem Zahlmeister, während der übrige Tisch den Schiffsoffizieren, von denen der erste Mate zu unterst saß, angewiesen wurde. Dies war die Ordnung in Kapitän Drawlocks Tafelarrangement, an dem er so streng haftete, als an der Vorschrift des Kommodore Bottlececk; die einzige Mittheilung, die unter solchen Umständen unter den jungen Damen und den unverheiratheten jungen Herren stattfinden konnte, beschränkte sich deshalb darauf, daß es letzteren belassen blieb, sich von Kapitän Drawlocks Verantwortlichkeiten die Ehre zu erbitten, »ein Glas Wein mit ihnen trinken zu dürfen.«
All' dies mag vielleicht sehr abgeschmackt erscheinen, aber ein Bischen Nachdenken wird den Leser von dem Gegentheil überzeugen. Es ist für den Kapitän eines Indienfahrers eine sehr ernstliche Aufgabe, die Obhut über ein Dutzend junge Frauenzimmer auf sich zu nehmen, die Monate lang mit eben so vielen jungen Männern in ein und demselben Schiffe zusammengesperrt sind. Amor, der allenthalben gewaltig ist, schwingt sogar auf dem Wasser einen noch mächtigeren Scepter, vermuthlich als Erbstück von dem Geburtsorte seiner Mutter. Der Müssiggang ist ein Freund der Liebe, und Reisende haben während der langweiligen Fahrt wenig oder nichts zu thun. In anderer Beziehung erwächst ein großer Vortheil aus der beschränkten Anzahl des schönen Geschlechts. Bei einem Balle oder einer Assemblé kann man Hunderte von Frauen sehen, viele bewundern und doch sich in keine verlieben. Die größere Zahl vermehrt die Schwierigkeiten einer Wahl, und man wird wohl entzückt, aber nicht gefesselt. An Bord eines Schiffes dagegen hat man den Gegenstand seiner Bewunderung, den man nur mit Wenigen vergleichen kann, beharrlich vor sich, und eine Dame, die am Lande in kurzer Zeit von einer andern verdunkelt würde, leuchtet hier ohne Concurrenz – ein Vortheil, der, durch Gelegenheit und Müssiggang unterstützt, ihre Reize erhöht und die Pfeile des Alles besiegenden Gottes schärft. Kapitän Drawlock kannte diese Wahrheit vermuthlich aus Erfahrung, und wußte, daß vielleicht die Verwandten der einen oder gar beiden Partieen nicht sonderlich erfreut darüber sein dürften, wenn unter seiner Aufsicht ein bindender Kontrakt geschlossen würde – ein Umstand, worunter sein Charakter und der seines Schiffes (denn heutzutage haben auch Schiffe Charakter, von dem noch obendrein sehr viel abhängt) gefährden konnte. So streng er deshalb auch erscheinen mochte, that er nur seine Pflicht.
Man hatte Mr. Ferguson ersucht, den Vortrag des Tischgebets über sich zu nehmen, und er pflegte dem Wunsche der Gesellschaft mit einem ziemlich langen, vielleicht zu langen Segen zu entsprechen, wenn man bedenkt, daß das Schiff sehr unstät war und die Damen sich, um der größeren Sicherheit willen, an dem Tische festhalten mußten. Aber Mr. Ferguson war kein Matrose, sonst würde er gewußt haben, daß man ein Gebet in demselben Verhältnisse, wie die Segel, kürzen muß. Wenn die Oberbramsegel gesetzt sind, lassen wir uns eine ganze Predigt gefallen; unter doppelt gerefften Marssegeln reicht ein kurzer Segen zu, aber unter Sturmstagsegeln muß schon ein Ausruf als vollkommen orthodox erscheinen.
»Mrs. Ferguson, wollt Ihr mir erlauben, Euch ein wenig süße Sauce anzubieten?« fragte Kapitän Drawlock. »Oder wenn Ihr's vorzieht, so steht Schaafkopfsbrühe am andern Ende des Tisches.«
»Wenn Ihr erlaubt, so will ich etwas Brühe nehmen, Kapitän Drawlock.«
»Mr. Mathews, Mrs. Ferguson wünscht etwas Brühe. Ich bedaure, Mrs. Ferguson, daß unsere Tafel so übel bestellt ist; aber die lange Fahrt und schlecht Wetter haben gewaltige Verheerungen in unseren Hühnerställen angerichtet.«
»In der That, Kapitän Drawlock, Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen.«
Es war auch wahrhaftig kein Grund dazu vorhanden, denn die Tafel war eigentlich überladen.
»Vielleicht erlaubt mir Miß Laura Revel, ihr ein Stückchen von diesem Schöps vorzulegen?« fragte der dienstfertige Obrist.
»Nein, ich danke Euch; ich habe in der letzten Zeit so viel Schöpsenfleisch gegessen, daß ich fürchte, ich werde zuletzt selbst noch zum Schafe werden,« entgegnete die junge Dame kichernd.
»Ich dächte, das würde wohl sehr gegen Eure Neigung sein, Miß Laura,« bemerkte Mr. Ferguson spitzig.
»Wie so? Wie könnt Ihr das wissen, Mrs. Ferguson?«
»Weil ein Schaf erst nach seinem Tode den Namen ändert. Ich vermuthe fast, daß Euch dies schon früher anstünde.« – (Dies war ein harter Stich.)
»Wie es auch Euch angestanden hat, Mrs. Ferguson,« antwortete Isabel ruhig, um ihrer Schwester zu Hülfe zu kommen.
»Sehr schön von beiden Seiten,« sagte der Obrist, sich gegen die zwei neben einander sitzenden Damen verbeugend. »Bitte, Miß Laura, sprecht nicht vom zum Schaafe werden, sonst sind wir Alle bereit, Euch auf der Stelle aufzuzehren.«
»Was Ihr da sagt,« versetzte die junge Dame selbstgefällig.
»Obrist Ellice,« unterbrach ihn Kapitän Drawlock mit ernster Miene, »mehrere von der Gesellschaft werden es Euch Dank wissen, wenn Ihr diesen Bug vorschneidet, sofern Ihr nämlich mit Euren Komplimenten zu Ende gekommen seid. Miß Tavistock, ich erbitte mir die Ehre, ein Glas Wein mit Euch zu trinken. Wir haben heute noch nicht das Vergnügen gehabt, Euch auf dem Verdecke zu sehen.«
»Nein, Kapitän Drawlock. Ich wollte wohl herauf, blieb aber auf den Rath des Doktor Plausible unten, weil meine Gesundheit von so gar delikater Natur ist.«
»Miß Tavistock, wollt Ihr mir erlauben, Euch etwas Schöpsenbraten vorzulegen?«
»Wenn Ihr so gut sein wollt, Obrist, aber nur ein ganz kleines Stückchen.«
»Mr. Forster, was habt Ihr in jener Schüssel vor Euch?«
»Ein Huhn, Kapitän Drawlock.«
»Miß Isabel Revel, ist Euch etwas davon gefällig?«
»Nein, ich danke Euch, Kapitän Drawlock,« gab Isabel zur Antwort.
»Habt Ihr ja oder nein gesagt?« fragte Newton, dem Blicke ihres Auges begegnend.
»Ich will, glaube ich, meinen Sinn ändern,« sagte Isabel lächelnd.
Nun weiß ich aber gewiß, obschon man mir's nicht nachzusagen braucht, daß Isabel Revel nichts von dem Huhne wünschte, bis sie bemerkte, daß Newton ihr dazu verhelfen wollte. Wenn daher die Liebe hin und wieder den Appetit benimmt, so muß man ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie ihn auch bisweilen weckt.
»Miß Tavistock, erlaubt mir Euch etwas von diesem Truthahn vorzulegen.« sagte Mr. Plausible; »es ist ein sehr leicht verdauliches Fleisch.«
»Wenn Ihr so gut sein wollt, Doktor,« versetzte Miß Tavistock, den letzten Bissen Schöpsenbraten in den Mund steckend und ihren Teller zum Wechseln abgebend.
»Wollt Ihr nicht ein wenig Schinken dazu nehmen, Miß Tavistock,« sagte Kapitän Drawlock.
»Wenn ich bitten darf, Sir.«
»Die Ehre eines Glases Wein, Miß Tavistock,« rief der Obrist.
»Mit Vergnügen, Sir.«
»Miß Charlotte Revel, Ihr habt ja noch gar nichts gegessen,« sagte Kapitän Drawlock.
»Das beweist, daß Ihr mir nicht die mindeste Aufmerksamkeit geschenkt habt,« versetzte die junge Dame. »Hättet Ihr mich während der Mahlzeit nur mit einem einzigen Blicke beehrt, so würde Euch nicht entgangen sein, daß ich recht kräftig zugegriffen habe.«
»Ihr greift mir in der That in's Herz, Miß Charlotte, und ich beuge mich vor Eurem Vorwurfe. Wollen wir zur Versöhnung mit einander ein Glas Wein nehmen?«
»Ich dächte, ein Glas Madeira ist eine sehr ärmliche Bestechung.«
»Wohlan denn, Miß Charlotte, so soll es in Champagner geschehen,« entgegnete der galante Kapitän Drawlock. »Steward – Champagner!«
Ein glücklicher Gedanke für die Gesellschaft, da Champagner in der Regel nur an sogenannten »Reinhemdtagen« auf die Tafel kam – nämlich Sonntags und Donnerstags.
»Wir sind Miß Revel sehr verpflichtet,« bemerkte der Obrist, indem er sich gegen sie verbeugte, »und ich glaube, wir sollten in einem Kelche ihre Gesundheit trinken.«
Wurde zugestanden – nemine contradicente.
Champagner, du Liebling meines Herzens! Sich mit anderen Weinen zu betäuben, ist thierisch, aber sich mit dir bis in den siebenten Himmel erheben, kann wahrhaft ätherisch genannt werden. Die Seele scheint den Körper zu spornen und einen raschen Flug zu nehmen, ohne den langweiligen Begleiter – den – den Erdenklos. Doch, beim Jupiter! Alles, was ich sagen wollte, ist, daß der Champagner an die Stelle des Nektars gesetzt werden könnte, und so dachte auch die Tischgesellschaft, die jetzt gleichfalls verhältnißmäßig lebhafter wurde.
»Ist das orthodox, Mr. Ferguson?« fragte der Obrist, seinen Kelch in die Höhe haltend.
»In so weit orthodox, als er sehr gut ist, und was gut ist, ist orthodox,« versetzte der Geistliche in guter Laune.
»Die Asia hat ein ›fremdes verdächtiges Segel‹ signalisirt,« sagte der zweite Mate zu Kapitän Drawlock, den Kopf in die Kajüte hereinsteckend.
»Ganz gut, Mr. Jones; richtet das Glas auf das Kommodoreschiff.«
»Mrs. Ferguson, wollt Ihr etwas von dieser Torte? – Damaskus Pflaumen, glaube ich,« sagte der erste Mate.
»Wenn Ihr die Güte haben wollt, Mr. Mathews. – Sprach nicht Mr. Jones von einem verdächtigen Schiffe? Was hat das zu bedeuten?«
»Was es zu bedeuten hat, Madame? je nun, daß ihm der Schnitt seines Klüvers nicht gefällt.«
»Wie habe ich dies zu verstehen?«
»Ei, Madame, daß es eben so gut eine französische Fregatte sein kann, als etwas Anderes.«
»Eine französische Fregatte! Eine französische Fregatte! Ach, du gütiger Himmel!« riefen zwei oder drei der Damen in einem Athem.
»Mr. Mathews,« sagte Kapitän Drawlock, »ich kann mich in der That nicht genug wundern über Eure Unbesonnenheit. Ihr habt die Damen in Schrecken gejagt. Ein verdächtiges Segel, Mrs. Ferguson, will bloß so viel heißen – mit einem Worte, man weiß nicht, was es ist.«
»Ist das Alles?« versetzte Mrs. Ferguson mit einem unglaubigen Blicke.
»Weiter nicht, Madame; ich versichere Euch, weiter ganz und gar nicht.«
»Das Kommodoreschiff signalisirt, daß der Fremde ein Kriegsschiff sei, der auf uns abhält,« sagte der zweite Mate, abermals zu der Kajütenthür hereinsprechend.
»Sehr gut, Mr. Jones,« versetzte Kapitän Drawlock mit erkünstelter Gleichgültigkeit, obschon er zu gleicher Zeit unruhig in seinem Stuhle hin- und herrückte.
Der erste Mate und Newton verließen augenblicklich die Kajüte.
»Miß Tavistock, darf ich Euch ein wenig von diesem Pudding anbieten?«
»Wenn ich bitten darf, Sir, ein ganz klein wenig.«
»Ein Kriegsschiff? Ich will doch gehen und mich durch den Augenschein überzeugen,« sagte der Obrist, indem er sich mit einer Verbeugung gegen die Damen erhob und das Speisezimmer verließ.
»Höchst wahrscheinlich einer von unsern Kreuzern,« bemerkte Kapitän Drawlock.
»Der Kommodore hat das Signal gegeben; sich zum Kampfe vorzubereiten, Sir,« sagte der zweite Mate.
»Ganz recht, Mr. Jones,« entgegnete Kapitän Drawlock, der sich nunmehr nicht länger halten konnte. »Ihr müßt mich jetzt für ein paar Augenblicke entschuldigen, meine Damen, aber unser Kommodore ist so ein gar kluger Mann, und ich stehe unter seinen Befehlen. In kurzer Zeit hoffe ich wieder das Vergnügen Eurer Gesellschaft zu haben.«
Dem Kapitän Drawlock folgten bald die übrigen Männer, Doktor Plausible und Mr. Ferguson ausgenommen, obgleich auch diese gerne auf das Deck gegangen wären, um zu sehen, wie die Sachen stünden.
»Ferguson, wohin willst du?« rief seine Gattin in scharfem Tone. »Thu' mir den Gefallen, hier zu bleiben, denn dein Beruf ist, wenn ich nicht irre, ein friedlicher.«
»Oh! Doktor Plausible, ich fühle mich sehr unwohl!« rief Miß Tavistock.
»Ich will bei Euch bleiben, mein theures Fräulein,« versetzte der Doktor.
Jetzt schallte ein Schuß von dem Kommodoreschiff, das dicht windwärts lag, in ihre Ohren; die Kajütenfenster rasselten und jedes Weinglas auf dem Tische tanzte unter der Erschütterung.
»Oh, oh, oh!« kreischte Miß Tavistock, indem sie sich rücklings in ihren Sessel warf und ihre Arme und Finger spreizte.
Doktor Plausible flog herzu, um der Dame Beistand zu leisten.
»Die außerordentliche Zartheit ihrer organischen Struktur – ein wenig Wasser, wenn ich bitten darf, Miß Charlotte Revel.«
Ein Glas Wasser wurde herbeigebracht, und Doktor Plausible tauchte die Spitze seines Zeigefingers hinein, worauf er leicht über die Stirne der Dame fuhr.
»Sie wird im Augenblick besser sein.«
Aber die Dame hielt es nicht für passend, sobald zu sich zu kommen, als der Doktor prophezeit hatte, weshalb Mrs. Ferguson das Glas ergriff und den ganzen Inhalt in Miß Tavistocks Gesicht goß. Dies rief die Miß nicht nur wieder in's Leben, sondern sie sprang auch blasend und sprudelnd von ihrem Stuhle auf.
»Befindet Ihr Euch jetzt besser, Miß Tavistock?« fragte Mrs. Ferguson beschwichtigend, indem sie zugleich den andern Damen, welche ihre Heiterkeit kaum zu zügeln vermochten, einen Blick zuwarf.
»Oh, Doktor Plausible, der Schreck hat meine Nerven so angegriffen – es ist mir in der That, als ob ich wieder ohnmächtig werden müßte – ich will –«
»Stützt Euch auf mich, Miß Tavistock, und erlaubt mir, Euch nach Eurer Kajüte zu führen,« versetzte der Doktor. »Die außerordentliche Zartheit Eurer Konstitution,« fuhr er flüsternd fort, während er mit ihr das Speisezimmer verließ, »kann die gewaltigen Mittel der Mrs. Ferguson nicht ertragen.«
Nachdem sie sich entfernt hatte, kam Newton Forster herein.
»Ihr müßt nicht erschrecken, meine Damen, wenn ich euch im Auftrag des Kapitäns Drawlock mittheile, daß die bedenklichen Manöver des Fremden fast einen Feind vermuthen lassen. Er hat mich aufgefordert, euch zu bitten, daß ihr mein Geleit nach dem unteren Decke annehmt, wo ihr gegen jeden Unfall sicher sein werdet, wenn es je zu einem Gefecht kommen sollte. Mr. Ferguson, der Kapitän vertraut die Damen Eurer Obhut und bittet Euch, ja nicht von denselben zu weichen. Nun, Mrs. Ferguson, wollt Ihr mir gestatten, Euch nach einem sicheren Platze zu geleiten?«
Ueber diese Kunde machte Laura Revel große Augen, Charlotte brach in Thränen aus, und Isabel erblaßte. Mrs. Ferguson nahm Newtons Arm, ohne sich eine Bemerkung darüber zu erlauben, daß er den andern Isabel anbot. Mr. Ferguson bildete mit den beiden andern Schwestern den Nachtrab. Die Damen mußten über das Halbdeck gehen und wurden noch mehr eingeschüchtert, als sie bemerkten, daß man die Kanonen losmachte, Kugeln aufhäufte und den übrigen Zerstörungsapparat zurüstete. Als sie an ihrem geborgenen Plätzchen angelangt waren, wollte Newton wieder nach dem Decke zurückkehren; aber nun faßten ihn Miß Charlotte und Laura Revel am Arme und baten ihn, sie nicht zu verlassen.
»Bleibt bei uns, Mr. Forster; ach, geht doch ja nicht fort,« riefen Beide.
»Ich darf wahrhaftig nicht, meine Damen; aber ihr seid hier vollkommen sicher.«
»Um Gottes willen, geht nicht, Mr. Forster,« rief Laura, auf ihre Kniee niederfallend. »Ich werde sterben vor Angst – Ihr dürft nicht gehen!« kreischte Laura.
Die beiden Schwestern klammerten sich an die Schöße seiner Jacke an und verhinderten in dieser Weise wirksam sein Entkommen, wenn er nicht, gleich dem Patriarchen, gleichfalls sein Gewand zurücklassen wollte.
Newton warf einen flehenden Blick auf Isabel, die sich sogleich in's Mittel legte.
»Charlotte, schäme dich! Wie magst du auch Mr. Forster von seiner Pflicht abhalten. Liebe Laura, sei doch nicht so thöricht. Mr. Forster kann uns hier doch nichts nützen, wohl aber, wenn er auf dem Decke ist. So laß ihn doch los, Laura.«
Newton war erlöst.
»Ich bin Euch sehr verbunden, Miß Isabel,« sagte er, den Fuß aus die Leiter setzend; »aber ich habe keine Zeit, jetzt meinen Dank auszudrücken, da ich auf dem Decke –«
»Ich weiß es, Mr. Forster. Ich bitte, geht hinauf und zögert keinen Augenblick.«
Und Newton eilte die Leiter hinan; aber nicht, ohne zuvor mit Isabel einen Blick gewechselt zu haben, der, wenn es ihm an Muth gefehlt hätte, ihn hinreichend für den bevorstehenden Kampf gekräftigt haben würde.
Wir müssen nun die Damen bei Mr. Ferguson lassen (der eben nicht das angenehmste Geschäft hatte), während wir unsern Helden auf das Deck folgen. Der Fremde hatte sich unter Leesegeln bis auf drei Meilen dem Geschwader genährt, dann aber geviert. Er hielt ein wenig ab, um näher heranzukommen, und musterte augenscheinlich die Streitkräfte, die man ihm möglicher Weise bieten konnte. Die Indienfahrer hatten eine geschlossene Schlachtlinie gebildet, während die Privatsignale, welche englische Kriegsschiffe und Ostindienfahrer mit einander austauschen, an den Stengen flatterten. –
»'s ist doch sehr sonderbar, daß er die Privatsignale nicht beantwortet,« sagte der Obrist zu dem zweiten Maten.
»Keineswegs, wenn er nicht weiß, wie er dies angehen soll.«
»Ihr seid also überzeugt, daß es eine französische Fregatte ist?«
»Nein, nicht positiv; aber doch will ich zehn gegen eins drauf wetten. Wenn einer von uns fällt, gilt natürlich der Handel nichts.«
»Danke – ich wette nie,« antwortete der Obrist, und ging von hinnen.
»Was haltet Ihr von dem Fremden, Mr. Mathews?« sagte Kapitän Drawlock zu dem ersten Maten, der das Schiff scharf in's Auge faßte.
»'s ist englischer Bau und englische Tackelung, Sir, darauf will ich schwören. Betrachtet nur die unteren Nocken und die Stellung der Marssegel. Die Fregatte ist vielleicht jetzt französisches Eigenthum, aber die Eiche ihres Kiels ist in Altengland gewachsen.«
»Ich bin Eurer Ansicht,« sagte Newton. »Man darf nur den Fall ihres Sterns betrachten – sie ist durch und durch englisch.«
»Aber warum beantwortet sie die Privatsignale nicht?« entgegnete Kapitän Drawlock.
»Sie ist gerade im Windsauge von uns, Sir, und unsere Flaggen fliegen nach der anderen Seite.«
»Da geht ihre Flagge auf, Sir,« rief der erste Mate.
»Englisch, wie ich sagte; der Kommodore antwortet, Sir. Auf mit dem Wimpel dahinten, 's hat Alles seine Richtigkeit – sagt es den Damen.«
»Ja, ich will hingehen und sie davon unterrichten,« erwiederte der Obrist, der augenblicklich hinunterstieg, um die frohe Kunde zu hinterbringen.
Die Fregatte kam herunter und legte bei. Der Kommodore des Indiengeschwaders ging an Bord und fand, daß sie nach einigen großen holländischen Transportschiffen und Flüten kreuzten, die dem Vernehmen nach von Java ausgefahren waren. In einer Viertelstunde setzte sie wieder ihre Segel und steuerte weiter, es den Indienfahrern überlassend, die Kanonen wieder fest zu machen, und abermals ihren Kurs aufzunehmen.
Es gibt nun zwei Personen, deren weiteres Treiben wir ganz übersehen haben – wir meinen nämlich Miß Tavistock und Doktor Plausible. Der Letztere führte die Dame nach ihrer Kajüte, legte sie auf ihr Kanapee und ergriff sanft ihre Hand, die er in der seinigen hielt, während er mit der anderen ihren Puls befühlte.
»Beunruhiget Euch nicht, meine theure Miß Tavistock, denn Eure Sensibilität ist ganz außerordentlich. Ich will Euch nicht verlassen; aber wahrhaftig, ich kann mir nicht denken, was Euch veranlaßt haben mag, eine so gefährliche und aufregende Reise zu unternehmen.«
»O, Doktor Plausible, wo meine Gefühle sich vereinigen, da scheue ich nichts, so schwach mein Körper auch ist, denn meine Seele wird mich durch Alles führen. In der That, ich bin ganz Seele – ich habe ein theures Wesen in Indien. «
»Er ist sehr glücklich,« bemerkte der Doktor mit einem Seufzer.
» Er, Doktor Plausible? Ihr erschreckt mich eigentlich! – Könnt Ihr auch nur einen Augenblick glauben, daß ich irgend einem Gentleman nachreisen würde? Nein, wahrhaftig! ich bin nicht auf Spekulation ausgezogen, wie gewisse junge Damen. Gott sei Dank, ich habe genug an dem meinigen – ich halte eine Equipage und ein entsprechendes Haus.« (Gerade das war es, was Doktor Plausible brauchen konnte.)
»Wirklich, meine theure Miß Tavistock? So ist's also eine weibliche Freundin?«
»Ja, die Freundin meiner Kindheit. Um sie wieder einmal in meine Arme zu schließen, habe ich es gewagt, diese lange, gefährliche Reise anzutreten.«
»Welch' eine uneigennützige Liebe! Ein Herz, wie das Eurige, Miß, wäre in der That ein höchst schätzbarer Gewinn. Was für ein glücklicher Mann würde Euer Gatte sein!«
»Gatte? Oh, Doktor Plausible, redet nicht so; ich fühle mich überzeugt – positiv überzeugt, daß meine Constitution nicht kräftig genug wäre, den Ehestand zu ertragen.«
Des Doktors Antwort trat zu weitschweifig, um hier eingerückt werden zu können; sie bestand aus einer Abhandlung, seltsam aus Liebe und Arzneigelahrtheit gemischt. Er sprach von hingebender Aufmerksamkeit, außerordentlich zarter Behandlung, von dem Studium der Pathologie, dem Vortheile den Arzt immer zur Hand zu haben, sorgfältiger Pflege, ängstlicher Theilnahme, Herstellung einer gebrechlichen Constitution, der Zweckmäßigkeit, den Kreis unschuldiger Gefühle zu erweitern, und schloß endlich mit ausopfernder Liebe und einem Antrage – ihr Haus und ihre Equipage zu theilen!
Miß Tavistock fiel abermals in Ohnmacht – die Erschütterung war zu groß; aber der Doktor kniete an ihrer Seite nieder und küßte ihr mit wohlgespieltem Entzücken die Hand. Endlich murmelte sie ein leises Ja, und sank wie von Anstrengung erschöpft zurück. Der Doktor brachte seine Lippen von ihrer Hand nach ihrem Munde, um den schönen Bund zu besiegeln, und als sie sich seinen Wünschen fügte, bedauerte er fast, daß er es nicht bei seiner früheren, anspruchsloseren Galanterie hatte bewenden lassen.