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Einundfünfzigstes Kapitel

Und Betty,
Gib dieser Wange noch ein wenig Roth.

Pope.

Die schleunige Abreise Isabels nach dem Tode des Obristen Revel hatte es ihr unmöglich gemacht, der Mutter ihre Rückkehr nach England und die Veränderung, die in ihren Verhältnissen stattgefunden hatte, anzukündigen. Mrs. Revel erhielt daher die erste Mittheilung durch ein hastiges Schreiben, welches Isabel durch ein Falmouther Lootsenboot an's Land schickte, die Meldung enthaltend, daß sie in dem Kanale angelangt sei und ihre Mutter bald zu umarmen hoffe. Aus Mangel an Zeit ließ sich Isabel in keine Einzelnheiten ein, um so weniger, da sie nicht überzeugt war, ob der Brief auch richtig seinen Bestimmungsort erreichen werde.

Das Schreiben langte jedoch zwei Tage vor Isabel bei seiner Adresse an, sehr zum Aerger der Mrs. Revel, welche meinte, ihre Tochter sei ohne Mittel zurückgekehrt und wolle nun ihr beschränktes Einkommen theilen. Sie beklagte sich darüber gegen Mr. Heaviside, der noch immer seine Besuche fortsetzte – nicht so fast aus Achtung vor Mrs. Revel, sondern um eben seine Zeit in dem far niente eines alten Hagestolzen zu verbringen.

»Denkt nur, Mr. Heaviside,« sagte die Dame, die, von Kissen unterstützt, auf einem Sopha lag, »Isabel ist von Indien zurückgekehrt. Ich habe eben einen Brief von ihr erhalten, der noch immer mit ihrem Mädchennamen unterzeichnet ist! Und ihre Schwestern haben doch so gute Partieen getroffen! Sie hätte doch bei einer derselben bleiben können! Ich bin nur begierig, zu hören, wo sie das Geld hergenommen hat, um ihre Heimfahrt zu bezahlen! Du mein Himmel, was soll ich mit ihr anfangen!«

»Ist's wohl erlaubt, Mrs. Revel, den Brief zu sehen?« sagte der alte Gentleman.

»Oh freilich; 's ist nichts als ein kurzes Billet.«

Mr. Heaviside las den Inhalt.

»Da ist freilich nicht viel d'rin, Mrs. Revel – kein Wort von dem Obristen, oder warum sie Indien verlassen hat. – Vielleicht ist der Obrist todt.«

»Dann hätte sie ja bei einer von ihren Schwestern bleiben können, Mr. Heaviside.«

»Aber vielleicht hat er ihr einiges Vermögen hinterlassen.«

»Und könnt Ihr als ein verständiger Mann glauben, daß meine Tochter in ihrem Brief nicht davon gesprochen hätte, wenn dies der Fall wäre? Unmöglich, Mr. Heaviside!«

»Sie will Euch vielleicht überraschen, Mrs. Revel.«

»Sie hat mich überrascht,« entgegnete die Dame, auf ihre Kissen zurücksinkend.

»Nun, Mrs. Revel, Ihr werdet bald sehen, was an der Sache ist. Ich wünsche Euch guten Morgen und will nach ein paar Tagen wieder vorsprechen, um mich nach Eurem Befinden zu erkundigen und zu hören, was vorgefallen ist.«

Die Kosten für die »Ueberweisung« der drei Miß Revels nach Indien waren durch geborgtes Geld bestritten worden, das Mrs. Revel auf eine Lebensversicherungspolice aufgenommen hatte. Ihr gewissenloser Gatte hatte diese Gelegenheit benützt, eine Summe zu erheben, die ihr Witthum mehr als um die Hälfte überstieg, denn Mrs. Revel hatte das ihr vorgezeigte Papier unterzeichnet, ohne dessen Inhalt zu prüfen. Sie entdeckte die Hinterlist erst, als sie ihre Einlagen machen sollte, und sah sich nun auf ein sehr kleines Einkommen beschränkt; auch wollte ihr Gatte jetzt nichts mehr von ihr wissen, weil er wußte, daß keine Aussicht vorhanden war, ihr weitere Mittel zur Fortsetzung seiner liederlichen Lebensweise abzubringen. Wir haben bereits bemerkt, daß er in einem Duell erschossen wurde; dieser Vorfall fand einige Monate nach dem hinterlistigen Geldgeschäfte Statt, und Mrs. Revel wurde von einer schmerzlichen Krankheit befallen, die eine unheilbare, tiefsitzende Krebsverhärtung zur Folge hatte. Sie war aber noch immer dasselbe leichtfertige, herzlose Wesen, seufzte nach Vergnügungen und wünschte nichts sehnlicher, als sich in jenen Kreisen zu bewegen, in welche sie zur Zeit ihrer Vermählung Aufnahme gefunden hatte. Freilich waren mit ihrem Einkommen auch ihre Bekanntschaften dahingeschwunden, und zur Zeit von Isabels Rückkehr sah sie sich fast ganz verlassen, da nur Mr. Heaviside und ein paar andere Personen sie noch je zuweilen besuchten.

Isabel wurde mit grämlicher Gleichgültigkeit empfangen, bis nach den ersten zehn Minuten die betreffenden Erklärungen stattfanden; dann aber war Alles Freude über die reiche Erbin, welche sowohl die Mittel als auch den Wunsch besaß, zu der Gemächlichkeit ihrer Mutter beizutragen. Ihre unheilbare Krankheit wurde für eine Weile vergessen, und obgleich ihr der Schmerz hin und wieder die Gesichtsmuskeln verzerrte, entschwand doch mit dem Aufhören desselben auch die Erinnerung an ihren bedenklichen Zustand. Zu einem Gespenste abgezehrt, schwelgte sie wieder in dem Vorgenusse, sich in der fashionabeln Welt umzutreiben, und sie wollte, während sie am Rande der Ewigkeit stand, Isabel in alle nur erdenklichen Privat- und öffentlichen Zirkel einführen. Isabel seufzte, als sie ihrer Mutter zuhörte, und zugleich ihre welke Gestalt in's Auge faßte; auch versuchte sie hin und wieder das körperliche Befinden ihrer Mutter zur Sprache zu bringen und sie in jene ernste Gemüthsstimmung hinüberzuleiten, den ihr schrecklicher Zustand forderte – aber vergeblich. Mrs. Revel wußte immer dem Thema auszuweichen. Noch vor Ablauf einer Woche mußte eine Equipage beigeschafft werden, und sie besuchte viele ihrer vormaligen Freundinnen, um ihnen die wichtige Kunde von dem Reichthum ihrer Tochter mitzutheilen.

Die meisten derselben hatten schon früher Befehl erlassen, daß die Portiers sie vor Mrs. Revel verläugnen sollten, und die Wenigen, bei denen dieser Auftrag mißachtet wurde, waren diesmal zufrieden mit der Nachlässigkeit ihrer Dienstleute, als sie die Kunde vernahmen, welche Mrs. Revel zu eröffnen hatte. »Sie waren ganz entzückt – Isabel war stets ein so liebes Mädchen gewesen – hofften, Mrs. Revel werde nicht mehr so eingezogen leben, wie bisher, und baten nachdrücklich, sie möchte doch so ihre Gesellschaften besuchen!« Eine Erbin ist von keiner geringen Bedeutung, wenn man so viele jüngere Brüder zu versorgen hat, und noch ehe ein kurzer Monat entschwunden war, fand Mrs. Revel mit wonnigem Entzücken, daß der Tisch ihres Besuchszimmers sich mit den Einladungskarten eines großen Theils der beau monde füllte. Isabel erfüllte dies mit tiefem Schmerz, denn sie bemerkte, daß ihre Mutter unter den Anstrengungen ihrer neuen Lebensweise mit jedem Tage mehr zusammenbrach. Da fiel ihr ein, eine Mittheilung ihres Verhältnisses zu Newton Forster könne vielleicht einigermaßen darauf hinzielen, diesen mittelbaren Selbstmord ihrer Mutter zu verhindern, weßhalb sie die Gelegenheit ersah, sie in ihr Geheimniß einzuweihen. Mrs. Revel hörte ihr mit Erstaunen zu.

»Isabel! was höre ich! Wie – jener junge Mann, der so oft hieherkam? du, die du über einen Titel und einen hohen Rang in der vornehmen Welt gebieten kannst, verlobst dich mit dem Kapitän eines Indienfahrers! Vergiß nicht, Isabel, daß ich jetzt, da dein armer Vater todt ist, deine gesetzliche Beschützerin bin, und ich hoffe daß du deine kindliche Pflicht hinreichend kennst, um nicht ohne meine Einwilligung zu heirathen. 's ist ja entsetzlich, daß du es wagen konntest, ein Verhältniß einzugehen, ohne mich um Rath zu fragen! Verlaß dich darauf, ich werde nie meine Zustimmung geben – deßhalb denke ja nicht wieder daran.«

Wie oft sehen wir nicht Leute, welche sich kein Bedenken daraus machen, ihre Pflichten zu vernachlässigen, und doch eifrig von ihrer Verantwortlichkeit sprechen, wenn es ihrer Bequemlichkeit zusagt.

Isabel hätte Erwiederungen machen können, wollte es aber lieber unterlassen. Sie gab ihrer Mutter in wenig Worten zu verstehen, daß ihr Entschluß gefaßt sei, und zog sich dann zurück, um sich für einen splendiden Ball anzukleiden, den sie mehr ihrer Mutter zu Gefallen, als weil sie selbst eine Freude daran hatte, zu besuchen gedachte.

Es war die erste bedeutende Partie, zu welcher Mrs. Revel eingeladen worden war. Sie betrachtete dieselbe als ihren Wiedereintritt in die fashionable Welt, bei welcher Gelegenheit ihre Tochter vorgestellt werden sollte, und hätte um keinen Preis fehlen mögen. Am Morgen hatte sie mehr Schmerz als gewöhnlich gefühlt und sich deshalb genöthigt gesehen, zu beruhigenden Mitteln ihre Zuflucht zu nehmen; aber der Gedanke, sich wieder einmal dem bunten Gedränge der vornehmen Welt anzuschließen, war allein schon hinreichend, ihre Nerven zu kräftigen und sie unempfänglich gegen ihre Leiden zu machen.

»Ich denke,« sagte Mrs. Revel zu ihrem Kammermädchen mit keuchendem Athem – »du könntest mich noch ein wenig fester schnüren, Martyn.«

»In der That, Madame, die Löcher treffen fest zusammen und es würde Eure Seite wund drücken.«

»Nicht doch, ich fühle heute Abend keinen Schmerz – gut, so wird's gehen.«

Das Kammermädchen hatte ihr Geschäft beendigt und verließ das Zimmer. Mrs. Revel schminkte ihre eingefallenen Wangen und schleppte sich, erschöpft von Anstrengung und Schmerz, nach einem Lehnstuhle, um sich ein wenig zu erholen, ehe sie die Treppe hinunterging.

Eine Viertelstunde später trat Isabel, welche sich inzwischen der Dienste des Mädchens bedient hatte, in das Zimmer ihrer Mutter, um ihr anzukünden, daß sie bereit sei. Mrs. Revel saß in dem Stuhle zurückgelehnt und antwortete nicht. Isabel trat auf sie zu und sah ihr in's Gesicht – sie war todt!


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