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Mein theures Weib war dieser Jungfrau gleich.
Und so könnt' jetzo meine Tochter sein.
Shakspeare.
Der Leser wundert sich vielleicht über die bestimmte und gebieterische Sprache, welche Mr. John Forster am Schlusse des vorletzten Kapitels in Betreff der Heirath seines Neffen führte; indeß bestand, wie er richtig bemerkt hatte, der ganze Lohn, der ihm für ein Leben voll Anstrengung in Aussicht stand, in der Berechtigung, über die Früchte seines Fleißes nach eigenem Willen zu verfügen. Er fühlte dieß und hielt es für unvernünftig, daß die vermeintliche knabenhafte Liebschaft unsres Helden alle seine reiflich überlegten Pläne über den Haufen werfen sollte. Wäre er im Stande gewesen, Newtons Gefühle nach Gebühr zu würdigen, so würde er sich wahrscheinlich nicht so entschieden benommen haben; aber er hatte die Liebe in seiner eigenen Brust nie Wurzel fallen lassen. Sein Leben war eine fortlaufende Kette von Mühen gewesen, und der leichtfertige Gott verbündet sich nur gerne mit dem Müssiggang und der Ruhe. Mr. Forster blieb gegen Newton so herzlich und freundlich wie zuvor, und der Gegenstand wurde nicht wieder zur Sprache gebracht; demungeachtet aber hatte er seinen festen Entschluß gefaßt, sein Testament umzustoßen, falls sein Neffe nach reiflicher Ueberlegung nicht in seine Wünsche einginge.
Newton suchte Isabel auf und theilte ihr Alles mit, was vorgefallen war.
»Ich wünsche nicht die Spröde zu spielen,« antwortete Isabel, »indem ich in Abrede ziehe, daß mich der Entschluß Eures Onkels betrübt, und wenn ich sagen wollte, daß ich nie ohne seine Einwilligung in seine Familie eintreten möchte, so wäre das mehr, als meine Gefühle zu ertragen im Stande wären; aber dennoch muß ich versichern, daß ich nur ungern seine Zustimmung missen würde. Wir müssen daher – wie Madame de Fontanges mit dem Piratenkapitän – temporisiren, und ich hoffe, es wird am Ende doch noch zu einem günstigen Ziele führen.«
Newton, der weit vernünftiger war, als die meisten verliebten jungen Leute, billigte Isabels Vorschlag, und sie begnügten sich vorderhand mit der Gewißheit ihrer gegenseitigen Liebe, da es ihnen keineswegs darum zu thun war, Hals über Kopf in den Ehestand zu springen.
Man wird sich erinnern, daß Newton Forster des Glaubens lebte, der Inhalt des Koffers, den er als Mate des Küstenschiffs aufgelesen hatte, sei das Eigenthum des Marquis de Fontanges. Während der Heimfahrt im Windsor-Castle hatte er das Thema gegen Monsieur de Fontanges wieder zur Sprache gebracht, welcher der Beschreibung zufolge, die unser Held zu geben vermochte, augenscheinlich seine Ansicht theilte. Der Gegenstand wurde erst einige Zeit nach ihrer Ankunft in England wieder aufgenommen. Newton, der die Artikel zurückzugeben wünschte, forderte Monsieur de Fontanges auf, sich mit dem Marquis zu benehmen und mit demselben einen Tag zu bestimmen, an welchem sie seinen Onkel besuchen und sich von der Identität des Eigenthums überzeugen konnten.
Der Marquis, welchem sein Bruder nie zuvor mitgetheilt hatte, daß wahrscheinlich die Hinterlassenschaft seiner verlorenen Gattin noch vorhanden sei, seufzte bei der Erinnerung an sein zu Grabe gegangenes Glück, versenkt in jener ungeheuren Gruft, welche die Erde um ihre altherbestandenen Rechte betrügt – und beschloß, am andern Tage Einsicht von den Gegenständen zu nehmen. Als der Marquis, von Monsieur und Madame de Fontanges begleitet, anlangte, wurde er in dem Besuchzimmer von Mr. John Forster empfangen, der das fragliche Päckchen aus seinem Geschäftslokale, wo es seit der Verabredung durch Newton in der eisernen Truhe gelegen, mitgebracht hatte. Nachdem die Personen sich gegenseitig vorgestellt waren, bemerkte der Marquis in englischer Sprache –
»Ich bedaure, daß ich Euch so viele nutzlose Mühe mache; denn angenommen auch, daß die Gegenstände mein Eigenthum sind, kann doch ihr Anblick blos mein Unglück erneuern.«
»Sir,« versetzte Mr. John Forster, »das Eigenthum gehört nicht meinem Neffen, und es war nur seine Pflicht, daß er es aufbewahrte, bis er den rechtmäßigen Eigenthümer finden könnte. Wenn die Artikel Euer Eigenthum sind, so sind wir gebunden, sie Euch zu verabfolgen.«
»Da ist ein Verzeichniß beigefügt,« fuhr der alte Rechtsgelehrte fort, indem er seine Brille aufsetzte und las – »ein Diamantring – aber vielleicht wäre es besser, wenn ich das Packet öffnete.«
»Wollt Ihr mir erlauben, den Diamantring anzusehen, Sir?« bemerkte Monsieur de Fontanges. »Dieser allein wird über das Ganze Aufschluß geben.«
»Da ist er, Sir,« entgegnete Mr. John Forster.
»Ja, der gehörte freilich meiner armen Schwägerin!« sagte Monsieur de Fontanges, indem er das Geschmeide dem Marquis hinbot. »Bruder, es ist Louisens Ring.«
»Es ist der Ring,« rief der Marquis leidenschaftlich, »den ich in ihr corbeille de mariage legte. Ach! wo ist die Hand, welche er schmückte?«
Und der Marquis zog sich nach dem Sopha zurück, wo er das Antlitz mit den Händen bedeckte.
»Es ist nicht nöthig, daß wir weiter fortfahren.« sagte Mr. John Forster, gleichfalls ergriffen. »Die übrigen Gegenstände werdet Ihr natürlich auch erkennen?«
»Ja,« erwiederte Monsieur de Fontanges. »Mein Bruder wollte in demselben Schiffe die Fahrt mitmachen, erhielt aber Gegenbefehl. Ehe er Zeit gehabt hatte, sein eigenes Gepäck, das sich unter dem seiner Gattin befand, wieder an sich zu nehmen, wurde das Schiff in die See hinaus geblasen und setzte seine Fahrt fort, Die Orden blieben bei ihren Juwelen.«
»Ich bemerke eben einen Umstand,« sagte der alte Rechtsgelehrte, »der mir entging, als Newton das Packet meiner Obhut anvertraute. Die Leinwand ist nämlich nicht ganz gleich gezeichnet – die der erwachsenen Person ist mit dem Buchstaben L. de M. versehen, während die des Kindes mit J. de F. gezeichnet ist. Gehörte sie dem Kinde des Marquis?«
»Ja. Die Leinwand der Mutter stammte zum Theil aus der Zeit vor ihrer Vermählung; sie hieß als Jungfrau Luise de Montmorency und die Anfangsbuchstaben von dem Namen des Kindes bezeichnen Julie de Fontanges.«
»Hum! ich habe meine Gründe, diese Frage zu stellen,« entgegnete der alte Rechtsgelehrte. »Newton, thue mir den Gefallen, nach meinem Bureau zu gehen und die Truhe zu öffnen. Du wirst rechterhand ein anderes kleines Bündel Weißzeug finden; bring es her. Doch halt, Newton – blase zuvor den Staub aus dem Schlüssel, ehe du ihn in das Schloß steckest, und stecke ihn ganz hinein, ehe du ihn umdrehst, damit die Riegel nicht verdorben werden. In allen andern Punkten magst du dich so sehr tummeln, als dir beliebt. Herr Marquis, wollt Ihr mir erlauben, Euch etwas Erfrischung anzubieten? – ein Glas Wein wird Euch gut bekommen. Bruder Nicholas, sei so gut, Ambra herbei zu rufen.«
Newton und Nicholas entfernten sich mit ihren Aufträgen. Bald nachher trat Ambra in das Besuchzimmer.
»Papa,« sagte Ambra, »Ihr habt nach mir geschickt?«
»Ja, meine Liebe,« versetzte Mr. Forster, indem er ihr den Schlüssel einhändigte; »geh' in den Keller und bring' etwas Wein heraus. Ich wünsche nicht, daß jetzt Gesinde hereinkömmt.«
Ambra kehrte bald mit einem kleinen Servirbrette zurück. Sie bot es zuerst dem Marquis hin, der sich bei dem Tone ihrer Stimme aufraffte.
»Papa bittet Euch, etwas Wein zu nehmen, Sir. Er wird Euch gut bekommen.«
Der Marquis, der ihr angelegentlich in's Gesicht gesehen hatte, während sie sprach, nahm ein Glas, trank davon und setzte es mit einer Verbeugung wieder auf das Brett. Dann sank er auf das Sopha zurück.
Als das Klopfen an der Thüre Newton's Rückkehr ankündigte, bat Mr. John Forster den Herrn de Fontanges mit gedämpfter Stimme, ihm zu folgen, gab Newton, dem er auf der Treppe begegnete, die gleiche Weisung und verfügte sich mit beiden nach dem Speisezimmer.
»Ich habe Euch herunterzukommen gebeten, Sir,« sagte Mr. John Forster, »weil ich nicht, ohne meiner Sache gewiß zu sein, in dem Herzen Eures Bruders, des Marquis, Hoffnungen rege machen möchte, die, wenn sie nicht erfüllt würden, nur das Gefühl einer bittern Täuschung hervorrufen müßten. Ich habe mir übrigens die Anfangsbuchstaben von der Leinwand des Kindes gemerkt, und wenn mich mein sonst ziemlich gutes Gedächtniß nicht trügt, werden wir ähnliche in dem Päckchen finden, das wir jetzt vor uns haben.«
Mit diesen Worten öffnete der alte Rechtsgelehrte das Bündel, und legte den Inhalt auseinander, welcher, wie er vermuthet hatte, ganz in derselben Weise gezeichnet war.
»Ganz richtig,« versetzte Monsieur de Fontanges. »Das Hemdchen gehört zu dem Uebrigen und ist natürlich ein Theil des Eigenthums, das aufgelesen wurde.«
»Ja; aber nicht zu derselben Zeit aufgelesen – auch nicht an demselben Orte oder von der gleichen Person. Was droben liegt, kam, wie Ihr wißt, in die Hände meines Neffen, dieses aber in die meines Bruders, der seitdem gestorben ist. Mit diesem Hemdchen wurde auch ein Kind an die Küste gespült.«
»Ein Kind?« rief Monsieur de Fontanges, »wo liegt es begraben?«
»Es wurde wieder in's Dasein gerufen und ist noch immer am Leben.«
»Wenn das ist,« entgegnete Monsieur de Fontanges, »so kann es Niemand anders sein, als die junge Dame, die Euch eben erst Vater nannte. Ihre Aehnlichkeit mit Madame la Marquise ist ganz erstaunlich.«
»Es verhält sich so, wie Ihr vermuthet, Sir,« erwiederte Mr. John Forster. »Als mein Bruder starb, übergab er das kleine Mädchen meinem Schutz, und ich hoffe, daß ich seinem Vertrauen habe Gerechtigkeit widerfahren lassen. In der That, obgleich sie mir dem Blute nach fremd ist, habe ich sie doch so lieb gewonnen, als ob sie meine eigene Tochter wäre; und so sehr es mich beruhigen muß,« fuhr der alte Rechtsgelehrte mit einigem Stocken fort, »sie den Armen ihres Vaters zurückgeben zu können, wird es doch ein schwerer Schlag für mich sein, mich von ihr zu trennen! Als mein Bruder mit mir über die Sache sprach, sagte ich ihm, es mache Mühe und Kosten genug, ein Kind von eigener Zeugung aufzuziehen, aber ich dachte damals nicht, wie schmerzlich es mir fallen würde, mich von dem eines Andern zu trennen. Wie dem übrigens sein mag – sie muß mit dem Bündel an den rechtmäßigen Eigenthümer zurückgegeben werden. Ich habe nur noch eine einzige Bemerkung zu machen, Sir. Thut mir den Gefallen, die Zeichnung meines armen Bruders anzusehen, die über dem Seitentische hängt. Erkennt Ihr das Portrait?«
»Das ist Triton,« rief Monsieur de Fontanges, »der Hund, den ich meiner armen Schwägerin gab!«
»Diesem Hunde verdankt Ihr das Leben Eurer Nichte. Er brachte sie an's Ufer und legte sie zu den Füßen meines Bruders nieder. Doch ich bin im Besitze aller Dokumente, die ich Euch zur Einsicht zusenden will. Die Thatsachen sind meiner Ansicht nach so vollkommen hergestellt, daß sich jeder Gerichtshof zu einem Verdikt berechtigt sehen würde, und nun, Sir, muß ich es Euch überlassen, die Mittheilung so bald und so vorsichtig anzubringen, als es Euch gut dünkt. Newton, schicke Ambra zu mir herunter.«
Wir wollen die Scene übergehen, welche jetzt in dem Speise- und in dem Besuchzimmer stattfand. Der Marquis de Fontanges entdeckte, daß er mit einer Tochter gesegnet war, und Ambra wurde zu gleicher Zeit mit ihrer eigenen Geschichte bekannt gemacht. Einige Minuten später lag sie in den Armen ihres Vaters, dessen Schmerzensthränen über den Verlust seiner Gattin sich nun mit denen des Entzückens mischten, als er seine Tochter an's Herz drückte.
»Wie tief sind wir nicht Eurer ganzen Familie verpflichtet, mein theurer Freund,« sagte der Marquis zu Newton.
»Ich will das nicht in Abrede ziehen, Sir,« versetzte unser Held; »aber erlaubt mir, zu bemerken, daß Ihr die Wiedererringung Eurer Tochter in gleicher Weise dem Edelmuth Eurer Verwandten und Eurem eigenen teilnahmsvollen Charakter verdankt. Hätten nicht Monsieur und Madame de Fontanges mich in meinem Unglück beschützt, und wäre ich von Euch in's Gefängniß geworfen worden, so würdet Ihr nie erfahren haben, wo Ihr Eure Tochter suchen mußtet. Wäre nicht einer meiner Onkel dem gescheiterten Schiffe zu Hülfe geeilt, während der andere Eure unmündige Tochter nach seinem Tode beschützte, so würde sie jetzt nicht mehr am Leben sein. Meine Dankbarkeit für Eure Güte veranlaßte mich, bei Eurem Schiffe zu bleiben, und machte mir es später möglich, Euch den Händen der Seeräuber zu entreißen, was Euch freilich in Englands Gefangenschaft brachte – dies ist aber ein Uebel, welches sich durch die Schickung der göttlichen Vorsehung in einen Segen umwandelte, indem es Euch mit Eurer Tochter wieder vereinigte. Wir Alle haben hoffentlich unsere Pflicht gethan, und dieser glückliche Ausgang gereicht uns zu einer reichen Belohnung.«
»Hum!« bemerkte der alte Rechtsgelehrte.