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Zweiunddreißigstes Kapitel

So geht das reiche Schiff in stolzem Fluge,
Wie zu dem Traualtar die Jungfrau hehr –
Der Schwane gleich, im majestät'schen Zuge
Des Staunens Ziel für das Aegäer Meer.

Die Eingebor'nen stehen an dem Strande
Und seh'n verwundert nach der Masten Höh',
Indeß im Wind es stattlich flieht vom Lande,
In stummer Pracht hinsteuernd durch die See.

Falconer.

Zur großen Freude des Kapitän Drawlock waren endlich die Chronometer und die Damen wohlbehalten an Bord und das Bombay-Castle segelte nach den Dünen, wo der Zahlmeister mit den Depeschen der erlauchten Direktoren an Bord kam. Vordem war ein Direktor ein sehr großer Mann, und das Ostindien-Comité ein sehr bedeutendes Kollegium. Der Pudding muß überhaupt recht viele Rosinen gehabt haben, denn in dieser Welt müht man sich nicht umsonst ab, und wie eifrig, wie beharrlich bewarb man sich nicht noch bis in die letzten Jahre um die Stelle eines Direktors! – Welche supplicirenden Avertissements – welche hündelnde und wedelnde Versprechungen, den Interessen der Eigenthümer alle nur erdenkliche Sorgfalt zu widmen – und davon der ewige Refrain: »Eure Stimmen, ihr guten Leute!« Aber jetzt ist Niemand mehr so besonders auf einen Direktorposten versessen, weil ein anderes, noch größeres Kollegium die Rolle der isländischen Möve übernommen hat, und das frühere zwingt, das Verschlungene wieder heraus zu geben, damit es die vorgesetzte Behörde verzehren könne – ich meine damit das Kontrol-Komité, von dem der Leser wahrscheinlich schon gehört hat. Dieses begnügt sich nicht damit, daß es den europäischen Bewohnern Indiens ihr stolzestes Geburtsrecht »die Freiheit der Presse« geraubt hat, sondern möchte auch hindern, daß ihnen Gerechtigkeit zu Theil werde, indem es Sorge dafür trägt, daß einem wilden Elephanten (wir verstehen darunter einen ehren- und gewissenhaften Mann) zwei zahme (das heißt, zwei Schurken) an die Seite gegeben werden. Trotz alle dem ist es übrigens vorderhand doch der Zunge, den Ohren und den Augen gestattet, mit Vorsicht von ihren Funktionen Gebrauch zu machen, obschon ich glaube, daß die neue Charte eine Klausel für das Gegentheil erhalten soll.

Die vorherrschende Krankheit der Zeit, in der wir leben, ist die Blindheit des Verstandes, mit der die höheren Klassen behaftet sind. Monarchen sind blindlings von ihren Thronen heruntergestürzt, und Fürsten ließen sich von ihren Unterthanen aus ihren Fürstenthümern hinausführen. Die Aristokratie ist kurzsichtig und vermag die Zeichen der Zeit nicht deutlich zu erkennen. Die Hierarchie kann nicht ausfindig machen, warum das Volk die Religion zu herabgesetztem Preise haben will – mit einem Worte, Alle sind blind und außer Stande zu begreifen, daß eine ungeheure Masse in der Gestalt der öffentlichen Meinung über ihren Köpfen hängt, jeden Augenblick sie zu zernichten drohend. Vergessend, daß Könige, Fürsten und Herren, geistliche oder weltliche, bloß durch die öffentliche Meinung zu ihren beziehungsweisen Höhen gehoben wurden, sprechen sie von Legitimität, altherkömmlichen Rechten und Deuteronomie. – Nun, wenn es einmal zu allgemeinem Sturze kommt, so kann ich, Gott sei Dank, nicht tief fallen.

Wir verließen das Bombay-Castle in den Dünen, wo es blieb, bis sich ihm noch weitere Indienschiffe angeschlossen hatten. Als endlich eine große Fregatte erschien, welche Auftrag hatte, die Fahrzeuge bis nach der Insel St. Helena zu geleiten, lichteten alle die Anker und liefen vor einer starken Südostkühle den Kanal hinunter. Die ersten zehn Tage einer Reise sind selten von der Art, daß zwischen der Schiffsmannschaft und den Passagieren ein besonderer Verkehr statt haben kann, denn erstere ist zu sehr beschäftigt, Allem eine schiffsgerechte Gestalt zu geben, während letztere an dem Elend der Seekrankheit leiden. Ein widriger Wind in der Bai von Biscaya, mit welchem sie schwer zu kämpfen hatten, trug durchaus nicht dazu bei, die Verdauungskräfte der Reisenden wieder herzustellen, und erst ein paar Tage vor der Ankunft des Convois zu Madeira sah man endlich ein Hutband in der Brise flattern, welche über die Decken des Bombay-Castle dahinfegte.

Das erste, welches sich über die Halbdecklucke erhob, war dasjenige, welches den Kopf von Mrs. Ferguson, der Gattin des presbyterianischen Geistlichen umgab; diese kletterte die Leiter hinan, auf der einen Seite von ihrem Gatten, auf der andern von dem dienstfertigen Kapitän Drawlock unterstützt.

»Recht so, Ma'am,« sagte der Kapitän mit einem ermuthigenden Lächeln, während die Dame, nachdem sie das Verdeck erreicht hatte, sich an den kupfernen Rahmen festhielt, welche die Schrägfenster umgaben. »Ihr seid ein Kapitalmatrose – habt durch Euer Benehmen den übrigen Damen ein Beispiel gegeben, und ohne Zweifel thut Euer Gatte ein Gleiches bei den Gentlemen. Erlaubt mir, Euch meinen Arm anzubieten.«

»Willst du nicht auch den meinigen nehmen, meine Theuerste,« fragte Mr. Ferguson.

»Nein,« versetzte die Dame spitzig; »ich denke, du hast genug zu thun, um für dich selbst zu sorgen. Erinnere dich nur an das Sprüchwort aus der Schrift, das von dem Blinden spricht, der die Blinden führt. Ich habe nicht Lust, in eines dieser Löcher hinunter zu purzeln,« fügte sie bei, indem sie auf die Lucke deutete.

Kapitän Drawlock führte die Dame sehr höflich nach der Luvseite des Halbdecks, wo sie, nach einigen vergeblichen Versuchen zu gehen, sich auf eine Karronadenschleife niedersetzte.

»Die frische Luft wird Euch wieder beleben, Ma'am, und Ihr werdet Euch bald besser fühlen,« bemerkte der aufmerksame Kapitän. »Ich bitte für einen Augenblick um Verzeihung, aber es ist noch eine andere Dame da, welche aus dem Speisezimmer herauszukommen wünscht.«

Die Kajüten hinter dem Speisezimmer waren in der Regel von den ausgezeichnetsten und reichsten Passagieren bewohnt, die dann auch eine entsprechende Extrasumme für diese Bequemlichkeit bezahlen mußten, und die frommen Leute von Glasgow hatten sich, mit gebührender Rücksicht auf die Oekonomie, wegen Mr. und Mrs. Fergusons Ueberfahrt nicht in unnöthige Kosten verstrickt. Dagegen hatte Mr. Revel, der wohl wußte, welchen Eindruck der Anschein des Reichthums übt, eines jener Staatsgemächer für seine Töchter genommen, während sich in dem andern Miß Tavistock einquartirte – sehr zur Freude des Kapitäns, der nun seine unverheiratheten Damen und seine Chronometer unmittelbar unter den Augen halte.

Die Person, welche die Aufmerksamkeit des Kapitäns bedurfte, war Isabel Revel, die wir dem Leser zwar schon vorgestellt haben, aber jetzt doch ein wenig ausführlicher schildern müssen.

Isabel Revel war nun achtzehn Jahre alt und mit einem so überlegenen Geiste begabt, daß man sie wohl für ein Genie hätte halten können, wenn ihre Talente nicht durch eine natürliche Zurückhaltung gezügelt worden wären. Sie war von einer thörichten Mutter erzogen und in ihren früheren Jahren von ihren zwei albernen Schwestern tyrannisirt worden, welche sich eine Autorität über sie anmaßten, die nur in ihrem ansehnlich höheren Alter eine Rechtfertigung finden konnte. Wenn Gesellschaft da war, durfte sich Isabel selten oder nie blicken lassen, um Miß Charlotte und Miß Laura nicht den Markt zu verderben, weshalb sie sich in ihrer Einsamkeit viel mit Lesen abgab und so ihren Geist bildete.

Das Benehmen ihres Vaters und die Herzlosigkeit ihrer Mutter konnten ihr keine Achtung einflößen; ebensowenig vermochte die Tyrannei der Schwestern Liebe zu wecken, und doch gab sie sich alle Mühe, den Anforderungen eines kindlichen und geschwisterlichen Verhältnisses zu entsprechen. Bis in ihr sechzehntes Jahr war sie der Aschenbrödel der Familie gewesen, hatte aber während dieser Zeit für sich selbst denken und handeln gelernt.

Ihre Gestalt war ein wenig über Mittelgröße, leicht und zierlich – ihr Gesicht schön und ernst – ein Ausdruck, der ohne Frage von dem Umstande herrührte, daß sie nur wenig zu sprechen, aber viel zu denken gewohnt war; aber dennoch besaß sie einen glühenden enthusiastischen Geist, der sie oft in seelenvollem Gespräche hinriß, bis alle Augen bewundernd auf ihr hafteten; dann aber schloß sie plötzlich ihre Lippen, denn ihre Bescheidenheit stand in ewigem Zwist mit ihrem Genius.

Es ist wohl den meisten meiner Leser bekannt, daß das Weib ein Problem ist, weniger aber, daß dieses Problem heutzutage unter die mathematischen gehört. Und doch ist es so. Wie man in den letzteren aus gewissen gegebenen Größen das unbekannte x aufzufinden hat, so zeigt sich bei einer Dame Hand, Fuß, Mund und so weiter den Blicken, und bei unsern modernen Anzügen ist es blos der Berechnung möglich, annäherungsweise die Totalvollkommenheit zu bestimmen. Alle guten Arithmetiker, die Isabel Revels sichtbare Außenseite musterten, kamen vollkommen über ihren Quotienten in's Klare. Doch wenn ich auch stundenlang sprechen wollte, so vermöchte ich doch nicht mehr zu sagen, als daß sie eines jener idealen Bilder war, die man sich im Traume der Jugend und Poesie in Fleisch und Blut verkörpert denkt. Wie ihr Vater mit Recht vermuthet hatte, würde sie durch ihre persönliche Anziehung, die Tiefe ihres Gefühls und die Lebhaftigkeit ihres Geistes auf der Bühne eine der Ersten ihres Berufs geworden sein – eines Berufs, für welchen vielleicht mehr richtiges Urtheil und Gewandtheit des Geistes verlangt wird, als in jedem andern; und so hätte sie wohl eine schöne Aussicht gehabt, jenes Krönlein zu erreichen, welches hin und wieder Damen als Lohn davon trugen, die »sich beugten, um zu erobern.«

Mr. Revel, welcher die Gebräuche an Bord der Ostindienschiffe kannte, hatte sich Mrs. Ferguson vorstellen lassen und dieselbe gebeten, während der Fahrt über seine Töchter das Amt einer Beschützerin zu übernehmen – zwar nur ein nominelles Amt, das aber doch um der Etikette willen für nöthig erachtet wurde. Mrs. Ferguson, durch das gentlemanische Benehmen, wie auch durch das Aeußere des Mr. Revel bestochen, vielleicht aber auch durch die Aussicht geschmeichelt, ihre Autorität im Tadel üben zu können, hatte gnädigst willfahrt, und die drei Miß Revels wurden als unter ihrem Schutze stehend betrachtet.

Als Miß Isabel Revel auf dem Decke erschien, zeigte sie sich nicht ohne Geleite, denn der Doktor Plausible, der Wundarzt des Schiffes, leistete ihr diesen ritterlichen Dienst. Ich muß nun schon wieder eine kleine Abschweifung machen, um den gedachten Gentleman vorzustellen, und werde daher kaum das arme Mädchen zur Speisezimmerthüre hinausbringen.

Doktor Plausible war herbeibeschieden worden, um Miß Laura Revel etwas zu verordnen, da dieselbe in Folge der Bewegung des Schiffes und der Mittel, die sie auf eigene Faust angewendet hatte, um ihr Unwohlsein zu erleichtern, sehr leidend war. Vor der Einschiffung hatte ihr nämlich Jemand gesagt, das wirksamste Mittel gegen die Seekrankheit seien Pfefferkuchen. In Folge dieses Rathes hatte sie sich mit zehn oder zwölf Stücken von dieser Waare, je von anderthalb Fuß im Geviert, vorgesehen und nicht abgelassen, davon unablässigen Gebrauch zu machen, obschon verschiedene Unterbrechungen eingetreten waren. Aber je mehr ihr Magen sich gegen die Pfefferkuchen sträubte, desto mehr stopfte sie hinunter, bis sie endlich in Folge des ewigen Schlingens und Wiederauswerfens in einen Zustand von ungemeiner Schwäche mit Fieber verfiel.

Wie viele Panaceen sind nicht schon erfolglos gegen zwei Uebel ausgeboten worden – gegen die Seekrankheit nämlich und gegen die Wasserscheu! Auch scheint zwischen beiden eine Verkettung stattzufinden, denn die Seekrankheit geht so sicher in die Wasserscheu über, als die Wasserscheu in den Tod. Als ich auf die See ging, wurde als souveränes Mittel ein Stück Speck an einer Schnur anempfohlen, welches verschluckt und wieder heraufgezogen werden sollte: die Dosis war so lange zu wiederholen, bis das Mittel wirkte. Ich hätte dieser wohlbekannten Arznei nicht erwähnt, da sie seitdem längst durch andere ersetzt wurde, wenn nicht die Pharmakodynamik dieser Matrosenkur ein paar moderne Verbesserungen verdankte – ich meine einerseits die Magenpumpe, die augenscheinlich dieser einfachen Maschine abgeborgt ist, andererseits die nun sehr im Schwunge gehende und äußerst wirksame Verordnung, bei schwachen Verdauungsorganen ein Stück Speck zum Frühstück zu essen, denn ohne Frage ist Doktor Vance auf diesen Gedanken gekommen, weil er die Wirkung des Mittels an Bord eines Kriegsschiffes als Augenzeuge kennen lernte.

Doch da komme ich wieder von dem Doktor Plausible auf den Doktor Vance. Lieber Leser, ich verliere nie die Gelegenheit, aus Thatsachen Sittenlehren zu ziehen, und welche wichtige Moral stellt sich uns nicht hier dar? Du siehst, wie schwer es wird, wieder auf den rechten Pfad einzuleiten, wenn du ihn einmal verlassen hast. Möge dir mein Irrthum zur Warnung dienen in deiner Lebensreise; meine Abschweifungen sollen dich gegen das Weichen von dem wohlbetretenen Pfade bewahren, der, wie die Amerikaner sagen würden, gemach und säuberlich zu Glück und Frieden führt.

Doktor Plausible war ein wohlgebildeter Mann von ungefähr fünfunddreißig; er trug etwas Puder im Haar, schwarzseidene Strümpfe und Kniehosen. In dieser Tracht hatte Doktor Plausible meiner Ansicht nach, vollkommen Recht, denn sie sieht viel wissenschaftlicher aus, als Wellingtonhosen, und von dem Aeußern hängt viel ab. Er war ein vollkommener Damenmann, sprach mit ihnen über ihre außerordentliche Sensibilität, über die eigenthümliche Feinheit ihrer organischen Struktur, über die Zartheit ihrer Nerven, und beschwichtigte seine Patienten mehr durch Schmeichelworte, als durch Arznei. Sobald er entdeckt hatte, daß Miß Laura nicht geneigt war, ihre Pfefferkuchen aufzugeben, erkannte er augenblicklich die Tugenden derselben an, empfahl aber, sie in außerordentlich kleine Würfel zu zerschneiden, damit sie so zu sagen auf der Zunge zerschmölzen; dabei bemerkte er, ihre Verdauungsorgane seien so fein und zart, daß sie durchaus keine Ueberladung mit größeren Theilen ertrügen, selbst wenn diese nur aus Mehlgemischen beständen. Isabel Revel äußerte, sobald sie gehört hatte, daß Mr. Ferguson auf dem Decke sei, den Wunsch, gleichfalls der dumpfen Athmosphäre ihrer Kajüte zu entfliehen, und Doktor Plausible bot, nachdem er Miß Laura seine ärztlichen Vorschriften ertheilt hatte, Miß Isabel seine Dienste an, die, vielleicht in Ermangelung eines Besseren, angenommen wurden.

Das Schiff befand sich damals in ziemlich lebhafter Bewegung. Der Sturm hatte sich zwar gelegt, nicht aber die See, deren Wellen noch zu steigen und zu fallen fortfuhren, wie keuchende Männerbrüste, die eben von einem wilden Kampfe abgelassen haben. Kapitän Drawlock eilte herzu, um den Händen des Arztes seinen Pflegling abzunehmen, und half Isabel unter vielen Komplimenten über ihr Aussehen nach der Luvseite hinüber, wo Mrs. Ferguson saß. In demselben Augenblicke warf eine größere Welle das Schiff ganz auf die Seite. Die Decken waren naß und schlüpfrig. Kapitän Drawlock verlor seinen Halt und wurde nach der Luvseite geworfen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde ihm auch Isabel Gesellschaft geleistet haben, da sie bereits zu einer Rutschpartie nach den Leespeigaten angelegt hatte, wäre nicht Newton Forster in der Nähe gestanden, der sie hurtig um den Leib faßte und gegen den Fall bewahrte.

Nun war es gewiß eine große Anmaßung, statt aller Einführung nur geschwind eine junge Dame um den Leib zu fassen; auf der See nimmt man's jedoch nicht sehr genau, und wenn wir bemerken, daß ein Frauenzimmer in Gefahr ist, einen schweren Fall zu thun, so kümmern wir uns nicht sonderlich um die Etikette. Was übrigens noch merkwürdiger ist – wir finden in der Regel, daß die Damen unsere ungehobelten Manieren entschuldigen, sei es nun, weil sie der guten Absicht nicht grollen mögen, oder weil sie überhaupt nichts so gar Ungebührliches darin sehen. So viel ist wenigstens gewiß, daß Isabel, sobald sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte, unserem Helden mit einem süßen Lächeln für seine zeitige Hülfe dankte, und dann den Arm des Kapitän Drawlock annahm, der sie nach der Luvseite des Halbdecks geleitete.

»Ich bringe Euch da einen Eurer Schützlinge, Mrs. Ferguson,« sagte Kapitän Drawlock. »Wie fühlt Ihr Euch, Miß Revel?«

»Wie die meisten jungen Frauenzimmer, Sir; ein wenig schwindelig,« versetzte Isabel. »Ihr habt doch hoffentlich keinen Schaden genommen, Kapitän Drawlock. Ich fürchte, Ihr seid zu Falle gekommen, weil Ihr mehr auf mich, als auf Euch selbst achtetet.«

»Das ist meine Pflicht, Miß Revel, und – erlaubt mir beizufügen – mein Vergnügen,« entgegnete der Kapitän sich verbeugend.

»Das ist sehr höflich gesagt, Kapitän Drawlock,« erwiederte Isabel.

»Fast zu höflich, möchte ich glauben,« bemerkte Mrs. Ferguson, welche sich nicht in bester Stimmung befand, da sie der erste Gegenstand der Aufmerksamkeit zu sein wünschte; »wenn man in's Auge faßt, daß Kapitän Drawlock ein verheiratheter Mann ist und sieben Kinder hat.«

Der Kapitän machte ein saures Gesicht. Miß Revel bemerkte dies und gab dem Gespräche eine andere Wendung, indem sie fragte:

»Wer war der Gentleman, der mich vor dem Fallen bewahrte?«

»Mr. Newton Forster, einer der Maten des Schiffs. Möchtet Ihr ein wenig gehen, Mrs. Revel, oder wollt Ihr bleiben, wo Ihr seid?«

»Danke, Sir; ich will bei Mrs. Ferguson bleiben.«

Die Gentlemen hatten sich bisher nur gelegentlich auf dem Decke gezeigt, denn Männer werden in der Regel von der Seekrankheit weit schwerer heimgesucht, als Frauenzimmer. Sobald sich jedoch unten die Neuigkeit verbreitete, daß Damen auf dem Deck seien, begaben sich alsbald einige Herren nach ihren Koffern, um sich präsentabel zu machen, und eilten dann gleichfalls hinauf. Der erste auf dem Deck war der alte Obrist, der die Lucke heraufhumpelte und unter Beihülfe der Taue endlich in die Hörweite der Mrs. Ferguson gelangte, welcher er bereits förmlich vorgestellt war. Er begann über sein unseliges Leiden zu lamentiren, das ihn gehindert hatte, jenen Zoll der Aufmerksamkeit abzutragen, der ihm stets zu einer Quelle des Vergnügens werde; aber er war ein Märtyrer – ganz ein Märtyrer – hatte nie ein ähnliches Gefühl empfunden, die Zeit ausgenommen, als er bei Gelegenheit der Schlacht von – – durch eine Kugel in der Brust verwundet wurde; der Anblick der Damen hatte ihn aber bereits wieder neu belebt, denn ohne sie wäre die Welt ein dunkles Gefängniß ohne Sonne, und ein Gleiches ließe sich auch von diesem Schiffe sagen. Dann ging er auf eine Schilderung von Calcutta über, konnte aber nicht lange darin fortfahren, denn er sah sich genöthigt, einen hastigen Rückzug nach der Laufplanke anzutreten.

Zunächst erschien der junge Schriftsteller nebst den beiden Kadetten; ersterer trug ein neues paar grauer Glacéhandschuhe, die Andern präsentirten sich in ihren Uniformen. Der Autor sang ein langes Lied über sein eigenes Elend, ohne sich nach den Leiden der Damen zu erkundigen oder ihnen Theilnahme zu bezeigen. Die Kadetten sagten nichts, stierten aber Isabel Revel so unverschämt an, daß sie ihren Schleier fallen ließ.

Die Damen waren ungefähr eine Viertelstunde auf dem Decke gewesen, als die Sonne, welche sich zwei Tage nicht hatte blicken lassen, durch die Wolken hervorbrach. Newton, der die Wache hatte und früher mit Mr. Berecroft stets das Chronometer zu reguliren pflegte, unterbrach den Kapitän, als dieser, auf eine Karronade gelehnt, sich eben mit Mr. Ferguson unterhielt.

»Die Sonne ist heraus und der Horizont ziemlich klar, Sir. Ihr könnt eine Aussicht haben für die Chronometer.«

»Ja, in der That,« sagte der Kapitän aufblickend; »hurtig holt mir meinen Sextanten. Ihr werdet mich entschuldigen, meine Damen, aber die Chronometer gehen Allem vor.«

»Auch uns, Kapitän Drawlock?« – Pfui, schämen Sie sich,« versetzte Mrs. Ferguson.

»Nein, nicht gerade,« entgegnete der Kapitän; »nicht gerade – aber die Sonne könnte sich wieder verstecken.«

»Und wir können vermuthlich außen bleiben?« versetzte Isabel lachend. »Ich denke, Mrs. Ferguson, wir sollten uns auch einthun.«

»Aber, meine theure junge Dame, wenn die Sonne sich verbirgt, kann ich kein Absehen nehmen!«

»Und wenn wir hinuntergehen, werdet Ihr auch uns nicht mehr zu sehen kriegen,« entgegnete Mrs. Ferguson.

»Wenn Ihr lange wählt, Sir,« bemerkte Newton, dem Kapitän Drawlock den Sextanten einhändigend, »steht Ihr in Gefahr, Beides zu verlieren. Es ist die höchste Zeit; ich bin bereit.«

Kapitän Drawlock begab sich nach dem Ende der Laufplanke, damit die Damen nicht sehen möchten, wie er durch seinen Sextanten schaute; denn sie hatten nie ein derartiges Instrument gesehen und konnten dessen Gebrauch nicht begreifen. Newton stand an dem Gangspill, die Augen auf seine Uhr geheftet.

»Kapitän Drawlock,« rief Mrs. Ferguson, »erlaubt mir zu bemerken –«

» Halt!« rief Kapitän Drawlock mit lauter Stimme.

Newton, an den dies gerichtet war, zeichnete die Zeit auf.

»Gütiger Himmel! was hat das zu bedeuten?« sagte Mrs. Ferguson erstaunt zu ihrer Umgebung; »wie ungemein roh von Kapitän Drawlock! – Wie muß ich mir dies deuten?« fuhr sie gegen den Obristen fort, der sich ihr angeschlossen hatte.

»In der That, Madame, ich kann's nicht sagen; aber es ist meine Pflicht, zu fragen,« entgegnete der Obrist, der auf Kapitän Drawlock zuging und folgendermaßen begann: »Sind die Damen bereits so tief in Eurer Achtung gesunken –?«

»Vierzig Grade,« tief Kapitän Drawlock, der angelegentlich auf seinen Sextanten blickte. »Entschuldigt mich vorderhand, Sir.«

»Wann werdet Ihr Muße für mich haben, Sir?« nahm der Obrist hochmüthig auf.

»Sechs und zwanzig Minuten,« fuhr der Kapitän, von seinem Sextanten ablesend, fort.

»Ein wenig bälder, sollte ich hoffen, Sir,« erwiederte der Obrist.

»Fünf und vierzig Sekunden.«

»Das ist in der That ganz unerträglich! Miß Revel, wir würden gut thun, hinunterzugehen.«

»Halt!« rief Kapitän Drawlock abermals mit lauter Stimme.

»Halt?« wiederholte Mrs. Ferguson zornig. »Wir sind doch wahrhaftig keine Sklaven?«

Newton, welcher hörte, was vorging, konnte ein Gelächter nicht unterdrücken.

»In der That, da muß ein Mißverständniß obwalten, Mrs. Ferguson,« bemerkte Isabel. »Warten wir noch ein wenig.«

»Sechs und vierzig Minuten, dreißig Sekunden,« las der Kapitän abermals ab. »Ein paar Kapitalabsehen! Aber die Sonne hat sich jetzt hinter jene Wolke versteckt, und wir werden sie nicht so bald wieder zu Gesicht bekommen.«

»Auch uns nicht, kann ich Euch versichern, Sir,« sagte Mrs. Ferguson, indem sie sich erhob, während Kapitän Drawlock von der Laufplanke nach dem Gangspille ging.

»Ei, meine theure Madame, was gibt es denn?«

»Wir sind nicht an eine solche peremtorische Sprache gewöhnt, Sir. Ist das auch eine Art, Damen ein ›Halt‹ zuzuschreien, wenn sie Euch anreden wollen oder den Wunsch ausdrücken, das Deck zu verlassen.«

»Meine theuerste Madame, ich versichere Euch auf Ehre, daß hier ein Mißverständniß obwaltet. Mein Halt galt Mr. Forster, nicht Euch.«

»Mr. Forster?« versetzte die Dame. »Ei, er rührte sich die ganze Zeit nicht von seinem Platze.«

Erst nachdem der Dame das ganze System des Absehennehmens für die Chronometer zur Genüge erklärt war, gewann sie ihre gute Laune wieder. Während der Kapitän also mit Mrs. Ferguson beschäftigt war, erklärte Newton, obgleich es nicht nöthig war, auch Miß Revel das Geheimniß, welche bald nachher mit ihrer sogenannten Beschützerin das Verdeck verließ. Die Ausnahmen zeigten, daß das Schiff östlicher stand, als die Gissung auswies.

Die übrigen Convoyschiffe hatten dieselbe Entdeckung gemacht und der Kurs wurde um einen Viertelsstrich geändert. Zwei Tage später warfen sie in der Funchal-Rhede Anker.

Wir müssen aber jetzt über die Bai von Biskaya zurückkehren und den Leser einen Blick in Mr. John Forsters Geschäftszimmer thun lassen.


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