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Neunundzwanzigstes Kapitel

Hamlet. Wird nicht aus Schafshaut Pergament gemacht?
Horatio. Ja, gnäd'ger Herr, und auch aus Kalbshaut.
Hamlet. So sind es Schafe nur und Kälber, die
Darin sich ihre Sicherheiten suchen.

Shakspeare.

Nachdem sich die Thüre in der am Ende unseres letzten Kapitels angedeuteten Weise geöffnet hatte, gehorchte Newton dem Winke des Rechtsgelehrten und folgte ihm in das Zimmer.

»Nun, Sir, was steht zu Diensten?« fragte Mr. Forster.

»Ich muß mich vorstellen,« antwortete Newton. »Ich bin Euer Neffe, Newton Forster.«

»Hum! wo sind die Dokumente, mit welchen Ihr Eure Behauptung beweisen wollt?«

»Ich glaubte nicht, daß etwas Weiteres als mein Wort nöthig sei. Ich bin der Sohn Eures Bruder, Nicholas Forster, der viele Jahre zu Overton wohnte.«

»Ich habe nie etwas von Overton gehört. Nicholas ist, wie ich mich entsinne, der Name meines dritten Bruders, aber ich habe seit mehr als dreißig Jahren nichts von ihm gesehen oder gehört, und wußte nicht, ob er noch am Leben ist. Nun, wir wollen annehmen, daß Ihr wirklich mein Neffe seid – was weiter?«

Newton erröthete über diesen eigenthümlichen Empfang.

»Was weiter, Onkel? – Je nun, ich hoffte, es würde Euch freuen, mich zu sehen; da dies aber nicht der Fall zu sein scheint, so will ich Euch guten Morgen wünschen.«

Damit machte Newton eine Bewegung nach der Thüre.

»Halt, junger Mensch. Vermuthlich bist du nicht umsonst gekommen? Ehe du gehst, möchte ich wissen, was dich hieher geführt hat.«

»Offen gesprochen,« entgegnete Newton gereizt, »ich wollte Euch um Euern Rath und um Euern Beistand bitten – aber –«

»Aber so ungestüm auffahren ist nicht die Art, Eines oder das Andere zu erlangen. Setze dich auf diesen Stuhl und sage mir, weshalb du kömmst.«

»Ich wollte Euch bitten, daß Ihr Euch für meinen Vater und mich verwendet. Wir Beide sind ohne Beschäftigung und bedürfen Eures Beistandes.«

»Sonst würde ich dich wahrscheinlich nicht gesehen haben?«

»Sehr wahrscheinlich. Wir wußten, daß Ihr in guten Umständen lebt, und so lange wir uns ehrlich fortbringen konnten, wollten wir nicht unsere Zuflucht zu Euch nehmen. Alles was wir jetzt wünschen, besteht darin, daß Ihr uns durch Euren Einfluß und Eure Empfehlung in eine Lage versetzt, die es uns möglich macht, von unsrer Hände Arbeit zu leben – wir glauben, dies sei nicht zu viel verlangt von einem Bruder und einem Onkel.«

»Hum! – So hieltet Ihr Euch also anfangs fern von mir, weil Ihr wußtet, daß ich Euch beistehen konnte, und jetzt kommt Ihr aus demselben Grunde?«

»Hätten wir nur die mindeste Andeutung von Euch erhalten, daß unsere Anwesenheit willkommen wäre, so würdet Ihr uns schon früher gesehen haben.«

»Will's glauben, aber ich wußte nicht, ob ich noch Verwandte am Leben habe.«

»Hätte ich in Euren Verhältnissen gestanden, Onkel, so würde ich Nachforschungen angestellt haben.«

»Hum! – Nun, junger Mensch, da ich so mit einemmale Verwandte auffinde, so möchte ich wohl ein wenig mehr von ihnen hören. Erzähle mir daher Alles von deinem Vater und von dir.«

Newton ließ sich in eine ausführliche Mittheilung dessen ein, was dem Leser bereits bekannt ist. Sein Onkel hörte ihm mit tiefer Aufmerksamkeit zu und heftete nach dem Schlusse der Erzählung seine Augen auf Newton, als ob er dessen innerste Gedanken lesen wollte.

»So scheint es also,« entgegnete er, »daß dein Vater sein Geschäft als Optiker fortzusetzen wünscht? Ich fürchte, daß ich ihm hiebei nicht behülflich sein kann. Beim Lesen trage ich allerdings eine Brille, aber dieses Paar hat mir schon eilf Jahre gedient und wird wahrscheinlich noch eben so lange aushalten. Du wünschest, daß ich dir eine Stelle auf einem Ostindienfahrer als dritter oder vierter Mate verschaffe? Ich weiß nichts von der See, habe sie in meinem Leben nie gesehen und kann mich nicht erinnern, daß ein Seemann zu meiner Bekanntschaft gehörte.«

»Dann, Onkel, will ich mich verabschieden.«

»Nicht so schnell, junger Mensch; du hast gesagt, Ihr bedürftet meines Beistandes und meines Rathes. Mit Beistand kann ich Euch aus den angegebenen Gründen nicht an die Hand gehen, aber mein Rath steht zu Euren Diensten. Handelt sich's um einen gesetzlichen Punkt?«

»Nicht gerade, Sir,« versetzte Newton, der fast bis zu Thränen erregt war; »indeß muß ich doch zugestehen, daß ich jetzt mehr als je gewisse Gegenstände in eine sichere Verwahrung bringen und aus meinen Händen schaffen möchte.«

Newton ließ sich nun in einen ausführlichen Bericht über den Koffer, den er auf der See aufgelesen hatte, ein, und fügte bei, er habe den werthvollsten Theil des Eigenthums mitgebracht, um es in sichere Hände niederzulegen.

»Hum!« bemerkte sein Onkel, nachdem Newton geendigt hatte. »Du sagst, die Artikel seien von Werth?«

»Diejenigen, welchen ein Urtheil zusteht, sind der Ansicht, daß die Diamanten und die übrigen Gegenstände fast hundert Pfund werth sind; was mich betrifft, so maße ich mir nicht an, sie zu schätzen.«

»Und Ihr seid schon diese ganzen sieben Jahre lang im Besitze der Sachen?«

»Ja, Sir.«

»Ist's Euch denn nie eingefallen, in Eurer Noth aus dem Verkauf dieser Gegenstände Beistand zu ziehen?«

»Als ich fand, daß das Wenige, was ich verdienen konnte, für den Unterhalt meines Vaters nicht zureichte, so dachte ich wohl daran; aber wir hatten uns darüber entschieden, daß wir uns die Sachen nicht gesetzlich zueignen könnten, und so schlugen wir's uns wieder aus dem Sinne. Seitdem habe ich in Erfahrung gebracht, wem das Eigenthum gehört, wodurch es natürlich nur noch heiliger geworden ist.«

»Du sagtest vor einer Minute, daß du jetzt mehr als je die Gegenstände in sichere Verwahrung zu bringen wünschest. »Warum so?«

»Weil ich, in der Hoffnung auf Euren Beistand getäuscht, voraussehe, daß wir mit mehr Schwierigkeiten, als je, zu kämpfen haben werden; ich möchte mich daher dem Bereiche der Versuchung entziehen.«

»Du hast Recht. Wohlan denn, so bringe mir die Sachen Morgen früh präcis ein Uhr; ich will sie in meine Verwahrung nehmen und dir einen Empfangschein dafür geben. Guten Morgen, Neffe; freut mich, deine Bekanntschaft gemacht zu haben. Grüße mir meinen Bruder herzlich und sage ihm, daß es mir lieb sein wird, ihn Punkt ein Uhr bei mir zu sehen.«

»Guten Morgen, Sir,« entgegnete Newton mit stotternder Stimme und eilte dann weg, um seinen Unwillen zu verbergen, den der kalte Empfang und die trockene Entlassung in ihm hervorgerufen hatte.

»Nicht gesetzlich zueignen – hm! der junge Mensch gefällt mir,« murmelte der alte Rechtsgelehrte vor sich hin, sobald Newton verschwunden war. – »Scratton!«

»Ja, Sir,« versetzte der Schreiber, die Thüre öffnend.

»Füllt einen Wechsel mit fünfhundert Pfund auf den Inhaber aus und bringt mir ihn zur Unterschrift.«

»Ja, Sir.«

»Habe ich diesen Abend oder Morgen dem Schiedsrichter-Meeting anzuwohnen?«

»Diesen Abend um sieben Uhr.«

»Wie ist der Name der Partie, für welche ich erscheinen soll?«

»Bossanquet, Sir.«

»Ist das nicht der Ostindiendirektor?«

»Ja, Sir.«

»Hum! Das wird gehen.«

Der Schreiber brachte den ausgefüllten Wechsel, welchen der Rechtsgelehrte, ohne ihn zu unterzeichnen, in sein Taschenbuch legte. Dann knöpfte er sich den Rock zu und begab sich nach dem Speisehause, wo er sich seit fünfundzwanzig Jahren regelmäßig um drei oder vier Uhr einzufinden pflegte.

Mit schwerem Herzen kehrte Newton zu dem Wirthshause in Borough, wo sein Vater geblieben war, zurück. Er fand den alten Mann noch immer an dem Fenster – genau auf demselben Sitze und in derselben Lage, wie er ihn verlassen hatte.

»Nun, Newton, mein Junge, hast du meinen Bruder gesprochen?«

»Ja, Vater; aber es thut mir leid, Euch sagen zu müssen, daß ich nur wenig auf seine Dienste baue.«

Newton ließ sich sodann in einen ausführlichen Bericht über alles Vorgefallene ein.

»Ei, Newton,« sagte der Alte in der Einfalt seines Herzens, »ich sehe da doch wahrhaftig keinen Grund zum Verzweifeln. Wenn er nicht glauben wollte, daß du sein Neffe seist, so hat er dich eben nicht gekannt, und wenn er mit Seeleuten keine Bekanntschaft hat, so ist das nicht seine Schuld. Auch kann ich ihm doch nicht zumuthen, daß er seine Brille zerbrechen soll, damit er mir eine neue abkaufen könne – es wäre zu viel und obendrein thöricht von seiner Seite. Er sagte, er freue sich, dich kennen gelernt zu haben, und wünsche auch mich bei sich zu sehen. In der That, ich weiß nicht, was du mehr erwarten könntest. Weil er wünscht, daß ich ihn besuche, so will ich morgen zu ihm gehen – präcis fünf Uhr hast du, glaube ich, gesagt?«

»Nein, Vater, um ein Uhr.«

»Gut denn, um ein Uhr. Wer nichts zu thun hat, muß sich in der Zeit nach denen richten, die sehr durch ihre Geschäfte in Anspruch genommen sind. Vergiß nicht – Punkt zwei Uhr also.«

»Um ein Uhr, Vater.«

»Ja, ganz recht – um ein Uhr, wollte ich sagen. Doch laß uns jetzt zu unsrem Diner gehen.«

Nicholas Forster war augenscheinlich sehr getrost, und Newton, der ihn nicht enttäuschen mochte, war froh, früh zu Bette gehen zu können, um, seinen eigenen Betrachtungen überlassen, sich einen Plan für ihre künftigen Schritte entwerfen zu können, da er die glücklichen Träume seines Vaters nicht theilte.


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