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Die Zeit zu tödten ist ihr einzig Träumen:
Ein schwer Geschäft – langweilig obendrein.
Da sitzen sie, bald über schlechten Reimen,
Bald lungernd über einer Flasche Wein,
Wenn sie nicht etwa muffig weiter schlendern.
Schloß der Unthätigkeit.
Kapitän Oughton, der das Windsor-Castle kommandirte, gehörte unter die Originale. Seine Figur war kurz und gedrungen, sein Gesicht breit und tief mit Pockennarben besäet, seine Nase nur ein Rudiment, eine Art Warze, die mitten zwischen Mund und Augen saß, der erstere groß und eine Reihe prächtiger, weißer Zähne entfaltend, während letztere durch ihre Kleinheit einen lebhaften Kontrast bildeten. Man konnte sein Gesicht unmöglich ansehen, ohne an einen Bullenbeißer erinnert zu werden, und Temperament sowohl, als Angewöhnungen entsprachen seiner Physiognomie. Er war ein großer Klopffechter, kannte die Verdienste eines jeden Ringers und wußte genau alle Daten und Umstände von jeder Boxerei anzugeben, die im Laufe von dreißig Jahren vorgefallen war. Seine Unterhaltung wimmelte stets von dem technischen Kauderwelsch der Wissenschaft, welcher er in so hohem Grade zugethan war. In anderer Hinsicht war er jedoch ein tapferer und zuverlässiger Offizier, obgleich er die praktischen Zweige seines Berufes weit höher achtete, als die Theorie, und weit lieber ein Stag sorrte oder einen Block knüppelte, als die Sonne »diehlte«, wie er es nannte, um seine Breite zu finden oder sich »den Kopf an dem alten Weibe zerbrach«, worunter er die Mondsbeobachtungen verstand. Newton war ihm angelegentlich empfohlen worden und wurde von Kapitän Oughton, als er sich auf dem Decke einfand, wie ein alter Bekannter mit ausgestreckter Hand empfangen. Ehe sie noch ein Dutzendmal auf- und abgegangen waren, fragte der Kapitän unsern Helden, ob er sich auf den Knüppelkampf verstehe, und erbot sich, als er eine verneinende Antwort erhielt, ihm während der Fahrt Unterricht darin zu ertheilen.
»Vermuthlich habt Ihr doch das Ende desselben gehört?« fuhr Kapitän Oughton fort.
»Das Ende von was, Sir?«
»Von was? Ei, von dem Kampfe. Spring trug den Sieg davon. Ich habe durch ihn dreihundert eingestrichen.«
»Dann freut es mich, daß Spring Sieger blieb,« versetzte Newton.
»Ich wette auf ihn jeden Tag in der Woche, und es darf einer an ihn kommen, der um einen vollen Stein schwerer ist. Ich habe die Zeitung, welche den Kampf berichtet, in der Kajüte – 's waren siebenundvierzig Gänge. Wir können aber jetzt nicht lesen, sondern müssen nach diesen Soldaten und ihrem Gezeug sehen. Schaut nur,« fuhr er fort, indem er sich gegen eine Truppenabtheilung wandte, die auf der Laufplanke und um die Masten stand; »jeder hat seine Zinnkanne in der Hand und seinen Ueberrock an. Der Tausend auch, betrachtet diesen Tambour, er hat seinen Rock umgedreht – das Futter nach außen, damit er nicht verdorben wird. Bei Jove, das ist ein Kapitaleinfall!«
»Wie viele Offiziere erwartet Ihr, Kapitän Oughton?«
»Weiß selber nicht – es werden so viele Aenderungen beliebt; fünf oder sechs, glaube ich. Das Boot ging um neun Uhr an die Küste, um sie zu holen, und da haben sie das Fahrzeug schon siebenmal mit lauter Gepäck und Komplimenten zurückgeschickt. Die Kisten eines einzigen Lieutenants – ich habe seinen Namen vergessen – könnten das ganze Deck füllen. Da stehen sechs in dem Zwischendeckraume,« fügte Kapitän Oughton bei, indem er darnach hindeutete.
»Lieutenant Wintergrund,« bemerkte Newton, indem er den Namen ablas.
»Wollte Gott, der Winter hätte ihm den Garaus gemacht, oder seine Kisten lägen auf dem Grunde! Ich weiß den Teufel nicht, wo ich sie hinstauen soll. Oh! da kommen sie! Hochbootsmannsmate, habt Acht auf die Seite da.«
Nach einer Minute oder darüber erschien von den militärischen Gentlemen einer nach dem andern auf dem Halbdecke, wo sie, sobald sie die Seitentaue losgelassen hatten, ihre Handschuhe musterten, um sich zu überzeugen, ob nicht etwas Pech oder Theer daran kleben geblieben sei.
Kapitän Oughton ging ihnen entgegen.
»Willkommen, Gentlemen,« sagte er; »willkommen an Bord. Wir ziehen in einer halben Stunde die Anker auf. Ich fürchte, daß ich nicht das Vergnügen habe, Euch bei Namen zu kennen, und muß mir daher von den Herren die Ehre erbitten, sich mir vorzustellen.«
»Major Clavering, Sir,« sagte der Major, ein großer, schöner Mann, indem er mit Anstand seinen Hut abnahm. »Die Offiziere, welche mich begleiten, sind« – er winkte gegen Jeden der Reihe nach mit der Hand – »Lieutenant Wintergrund.«
Lieutenant Wintergrund verbeugte sich.
»Ich habe das Vergnügen gehabt, diesen Vormittag schon mehreremale Lieutenant Wintergrunds Namen zu lesen,« bemerkte Kapitän Oughton, indem er den Gruß erwiederte.
»Ich fürchte, Ihr meint damit mein Gepäcke, Kapitän Oughton?«
»Allerdings; und wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, eine Meinung zu äußern, so glaube ich, daß Ihr genug für einen General hättet.«
»Ich kann hierauf nur entgegnen, daß ich wünschte, mein Rang möchte meinem Gepäck entsprechen. Doch das ist eine allgemeine Klage, so oft ich das Unglück habe, an Bord eines Schiffes zu gehen. Ich hoffe übrigens, Kapitän Oughton, daß es die einzige ist, die Ihr während der Fahrt über mich zu machen haben werdet.«
Major Clavering, der diesen Dialog abgewartet hatte, fuhr fort –
»Kapitän Majoribanks, den ich um Entschuldigung bitten muß, daß ich ihn nicht zuerst vorstellte.«
»Durchaus nicht, Major; Ihr habt ja eben gehört, welchen Stabsoffiziersrang Wintergrund seinem Gepäcke verdankt.«
»Er wäre nicht der erste, der durch sein ›Gepäck‹ zu Würden gelangt ist,« bemerkte einer der Offiziere in halblautem Tone.
»Mr. Ansell, Mr. Peters, Mr. Irving.«
Nachdem die nöthigen Verbeugungen gewechselt waren, wurde Mr. William, der erste Mate, aufgefordert, den Offizieren ihre respektiven Bequemlichkeiten anzuweisen, das nöthigste Gepäcke nach ihrer Kajüte zu schaffen und den Rest in den Hinterraum zu bringen.
Als die Offiziere dem ersten Maten die Hüttentreppe hinunterfolgten, sah Kapitän Oughton dem Mr. Ansell nach und bemerkte gegen Newton:
»Dieser Bursche wird gut schälen.«
Das Windsor-Castle segelte aus und hatte in zwei Tagen den Kanal im Sterne. Newton, der mit seinen Gedanken bei Isabel Revel weilte, bedauerte nicht, in die Fremde zu ziehen, wie es gewöhnlich bei denen der Fall ist, die Alles, was ihnen theuer ist, zurücklassen. Er wußte, daß ihm nur in eifriger Verfolgung seines Berufes die Aussicht bewahrt blieb, sie zu erringen, und dieser Gedanke, nebst der Hoffnung, den Gegenstand seiner Liebe bald wieder zu sehen, erfüllte sein Herz mit Freude, während das Schiff vor einem Nordoststurme durch die Bay von Biskaya flog. Wohl wußte er, daß vorderhand wenig Wahrscheinlichkeit für ihren Besitz vorhanden war; aber die Hoffnung hält uns aufrecht und äußert sich bei Niemand kräftiger, als bei einem liebenden Jüngling.
Kapitän Oughtons Tafel war freigebig bestellt und die eingeschifften Offiziere zeigten sich, wie es fast gewöhnlich der Fall ist, als sehr angenehme, gentlemänische Gesellschafter. Der Kapitän brachte auch bald die Boxhandschuhe zum Vorschein und machte die Entdeckung, daß er in dem Offiziere, den er als einen »guten Schäler« bezeichnet, einen Mann gefunden hatte, der ihm gewachsen war. Die Morgen wurden mit Boxen, Fechten, Lesen, Spazierengehen auf dem Decke oder Sitzen auf den Hühnerställen der Hütte verbracht. Die Ankündigung der Dinerstunde war das Signal zur Heiterkeit, und die Gesellschaft, welche gewöhnlich lange bei Tische sitzen blieb, ließ dem vortrefflichen Bordeaux des Kapitäns volle Gerechtigkeit widerfahren. Den Schluß machte Abends ein Kartenspiel, Cigarren und die Branntweinflasche. So entschwanden die ersten drei Wochen der Fahrt, während welcher Zeit sich das gegenseitige, gesellige Verhältniß auf's Freundschaftlichste gestaltete.
Die Fahrt an sich übrigens ist sehr langweilig und noch langweiliger für diejenigen, welche keinen Dienst zu verrichten und nur wenige Hülfsmittel haben. Sobald daher die jüngeren Offiziere sich eine Freiheit herausnehmen zu dürfen glaubten, untersuchten sie die Hühnerställe, lasen die hoffnungsvollsten Hähne aus und stutzten sie zum Kampfe zu. Ueber die anschicklichsten verfügten sie wie über ein Eigenthum, fütterten sie einige Tage und ließen sie mit bedeckten Sporen kämpfen, um ihnen Geschmack an der Balgerei beizubringen und sich über die geeignetste Weise, wie sie in's Feuer gebracht werden könnten, zu belehren. In der Zwischenzeit ließen sie durch den Rüstmeister des Schiffs heimlich zwei paar Sporen anfertigen, und als Alles bereit war, benützten sie die Zeit, welche Kapitän Oughton mit der Schiffsrechnung und der Geflügelmeister mit seinem Diner verbrachte (nämlich die Stunde von zwölf bis eins) zu Abhaltung ihrer Hahnenkämpfe. Die bei solchen Gelegenheiten gefallenen Thiere wurden wieder in die Hühnerställe gesteckt, und der Geflügelmeister, der sehr oft ein Glas Grog zu viel hatte, meinte dann, sie hätten innerhalb ihrer Gitter mit einander Händel angefangen.
»Aufwärter,« sagte Kapitän Oughton, »was Teufels gebt Ihr uns denn so viel Hühner zum Diner? Der Vorrath wird nicht für die ganze Reise ausreichen. Zwei Hühner gebraten, zwei gesotten oder eingesalzt, und dazu noch Hühnerpasteten! Was muß ich davon denken?«
»Ich habe schon mit dem Geflügelmeister darüber gesprochen, Sir; er bringt mir immer Hühner herunter und sagt, sie brächten einander durch Kämpfen um.«
»Durch Kämpfen? Habe ich doch nie zuvor gehört, daß Hähne in einem Stall mit einander kämpften, es sei denn, daß sie abgerichtete Thiere wären.«
»Das sind sie auch, die meisten davon,« sagte Mr. Petres; »ich habe ihnen oft von der Hütte aus zugesehen und bemerkt, wie sie sich gegenseitig angriffen.«
»Auch ich,« stimmte Ansell ein; »man hat schon schlechtere Hähne auf den Sand gebracht.«
»Das ist doch sehr sonderbar; auf allen meinen Reisen habe ich nie einen Hahn in dieser Weise verloren. Schickt mir den Geflügelmeister herunter; ich muß ihn darüber befragen.«
»Ja, Sir,« versetzte der Aufwärter und verließ die Kajüte.
Mit Ausnahme des Majors, der von dem Thatbestande nicht unterrichtet war, hielten es die Offiziere für räthlich, sich zu entfernen, um nicht anwesend zu sein, wenn die Enthüllung stattfände. Der Geflügelmeister erschien, wurde befragt und mußte zu seiner eigenen Rechtfertigung die Verbrecher anklagen, indem er seine Behauptung damit bekräftigte, daß er ein paar Sporen vorzeigte, die er an einem getödteten Hahne gefunden hatte.
Die Offiziere hatten nämlich das gefallene Opfer in der Eile in den Käfig geworfen, weil Kapitän Oughton unversehens auf dem Decke erschienen war.
»Ich bedaure, daß meine Offiziere sich eine solche Freiheit genommen haben,« bemerkte der Major ernst.
»Oh, macht nichts, Major – nur erlaubt mir, daß ich mit ihnen quitt werde. Ich würde mich nicht darum kümmern, wenn ich den Kampf mit angesehen hätte. Ich glaube, Ihr sagtet, daß Ihr diesen Nachmittag mit Euren Leuten eine kleine Uebung vornehmen wollt?«
»Ja; das heißt, wenn wir durch unsere Manöver nicht lästig werden.«
»Nicht im Geringsten, Major; das Halbdeck steht zu Euren Diensten. Vermuthlich werdet Ihr die Uebungen nicht selbst leiten wollen?«
»Freilich; ich thue dies in der Regel.«
»Nun, so unterlaßt es diesmal und übergebt das Geschäft den Offizieren. Ich werde dann im Stande sein, ihnen einen kleinen Possen zu spielen, der uns wieder ausgleichen wird.«
Major Clavering willigte ein. Die Offiziere wurden heraufbeordert, um ihre Leute zu exerciren, und Kapitän Majoribanks nebst Mr. Irving erhielten die eine Rotte.
»Dritter Mann, die Hand ein wenig höher an den Lauf Eurer Muskete. So – In Arm – das Wort ›in Arm‹ soll nur eure Aufmerksamkeit wecken – 's G'wehr. –«
Lieutenant Wintergrund hatte die andere Rotte auf der Leeseite des Halbdecks.
»Hinein – die Patrone. – Nummer zwölf, die Muskete ein wenig mehr geneigt – nur zwei Stöße in den Lauf. Ladstock – r'aus. – Nummer vier, warum setzt Ihr die Ferse Eures rechten Fußes nicht an die des linken? Merkt's euch jetzt, wenn ihr das Gewehr schultert, so muß es mit einem Rucke geschehen. – Schultert – wohlgemerkt – das Wort ›schultert‹ soll euch nur aufmerksam machen – schultert – 's G'wehr. Mehr aufrecht, Nummer acht, und streckt nicht Euren Bauch so heraus.«
Mr. Ansell und Mr. Petres hatten zwei strapazirte Abtheilungen ohne Muskete an der Hütte.
»Rechts um kehrt – euch – rechts um kehrt – euch. Rechts um kehrt – euch – rechts um kehrt – euch.«
»Das ist doch todeslangweilig mit diesen Soldaten – muß da der Kopf den ganzen Kompaßkreis durchmachen,« sagte einer von den Matrosen zu dem andern.
»Links um kehrt – euch. Vorwärts Marsch! Links – um – rechts – um! Schließt die Reihen! Schritt gehalten! – rechts – links – rechts – links – vorwärts!«
»Die Beine dieser Kunden da gehen durch einander, daß man einen Tausendfuß zu sehen glaubt – meinst du nicht, Tom?«
»Ja, aber sie kommen nicht ganz so schnell vorwärts. Holla, was pfeift man jetzt? – ›Alle Händ' zum Bettlüften.‹«
Das Schiff wurde dicht an den leichten Wind geholt. Auf den Ruf der Pfeifen drangen alle Matrosen die Lucke hinauf, und die auf dem Deck gingen an ihre Arbeit. In einer Minute war jede Hängematte aus den Netzen und jeder Matrose beschäftigt, sie loszumachen.
»Nun werden wir gut thun, Major, in die Kajüte zu gehen,« sagte Kapitän Oughton lachend. »Ich wenigstens bleibe nicht da, kann ich Euch versichern.«
Betten und Decken, welche im Monat nicht öfter als einmal gelüftet und geschüttelt werden, sind in der Regel voll Staub und Haaren und besitzen einen dumpfen Geruch, der keineswegs angenehm ist. Die Matrosen, welche sich wohl vorstellen konnten, daß der Befehl nicht ohne einen besonderen Zweck gegeben worden war, gingen höchst vergnügt an die Arbeit und begannen ihre Decken auf dem Vorderkastell und auf der Luvplanke zu schütteln, dadurch eine Wolke erzeugend, welche von dem Winde gegen die auf dem Halbdeck exercirenden Rotten gejagt wurde.
»Was Teufels soll dies?« rief Kapitän Majoribanks, mit Verdruß nach dem Vorderschiffe schauend. »'s G'wehr – zu Fuß.«
Lieutenant Wintergrund und die Hälfte seiner Mannschaft wurden nun von einem heftigen Husten befallen.
»Zum Geyer! – schließt – die Pfannen – legt an – meiner Seele, ich ersticke.«
»Das ist verzweifelt unangenehm,« bemerkte Mr. Petres. »Als ich an Bord kam, machte ich mich darauf gefaßt, getheert zu werden, aber ich ließ mir's nicht einfallen, daß ich auch gefedert werden sollte.«
»In Arm – zum Henker, nein, da ist's nicht auszuhalten,« rief Kapitän Majoribanks. »Wo ist Major Clavering? Ich will ihn um die Erlaubniß bitten, daß wir die Leute entlassen dürfen.«
»Sie entlassen, glaub' ich, auf dem Vorderschiff auch ein hübsches Häufchen kleinen Volkes,« sagte der erste Mate lachend. »Ich kann mir nicht denken, was den Kapitän Oughton veranlaßt hat, einen solchen Befehl zu geben. Wir schütteln sonst die Betten nie, als wenn das Schiff vor dem Winde liegt.«
Diese letzte, sehr tröstliche Bemerkung machte die Sache noch schlimmer; die Offiziere waren in Verzweiflung. Jeder würde lieber der vollen Salve eines französischen Regimentes Stand gehalten haben, als dieser leidigen Belästigung. Aber ohne Major Claverings Erlaubniß durften sie ihre Mannschaft nicht entlassen, weshalb Kapitän Majoribanks in die Kajüte eilte, um dem Kommandanten ihre sehr unangenehme Stellung auseinander zu setzen und ihn um Aufschub des Exercitiums zu bitten.
»Nun, meine Herren,« sagte Kapitän Oughton, »was gibt's?«
»Was es gibt?« versetzte Ansell. »Ei die Haut jückt mich auf dem ganzen Leibe. Von allen gedankenlosen Handlungen, Kapitän Oughton, überbietet in der That diese –«
»Die Hahnenkämpfe,« unterbrach ihn der Kapitän mit einem lauten Lachen. »Wir sind jetzt quitt.«
Die Offiziere eilten nach ihren Kajüten, um nach dieser sehr ärgerlichen Rache von Seite des Kapitän Oughton sich zu waschen und die Kleider zu wechseln. Nachdem sie sich gereinigt hatten, kehrte ihre gute Laune zurück, obschon sie erklärten, der Kapitän sei nicht sehr fein in seinen Witzen, zugleich aber doch eingestehen mußten, daß sein praktischer Spaß die Hahnenkämpfe überbiete.
Ich glaube, daß es keine Klasse von Leuten gibt, die sich mit mehr Leidwesen einschiffen oder ihr Fahrzeug mit größerer Freude verlassen, als die Soldaten. Freilich darf man sich auch nicht darüber wundern, wenn man bedenkt, welchen Gegensatz das Leben an Bord zu ihrem gewöhnlichen bietet. Wenige Soldaten sind Freunde des Studiums und der Lektüre, was doch fast die einzige Hülfsquelle ist, zu der man, während der langen Hast und der Eintönigkeit einer Seereise seine Zuflucht nehmen kann. Ich will ihnen dies nicht zum Vorwurf machen, da der Grund davon wohl in der Eigentümlichkeit ihres Berufes liegt und die Thatsache deshalb mehr ihrem Mißgeschick als ihrer Schuld zuzuschreiben ist. Sie treten in's Militär, nachdem sie kaum die Schule verlassen haben – also in einer Periode, in welcher sie durch den vorausgehenden Zwang die Bücher bis zum Ekel satt bekommen haben. Die Parade, die Uniform, die Aufmerksamkeit, die ihnen gezollt wird und deshalb höfliche Erwiederung fordert, die Gesellschaft und der Vorzug, den ihnen das schöne Geschlecht zu Theil werden läßt, ihr guter Tisch, das Zusammenleben so vieler junger Leute mit ihren verschiedenen Planen zur Erheiterung, an welche sich die Anderen so leicht anschließen, und der nicht schwere Dienst – alles dies wirkt anfangs zu verlockend, wird mit der Zeit zur Gewohnheit und beschäftigt ihren Geist zu sehr, um ihnen Zeit zum Studium zu gestatten.
Wenn ich diese Bemerkung mache, muß sie natürlich nur auf die Allgemeinheit bezogen werden, denn es gibt viele denkende und mit schönen Kenntnissen versehene Köpfe, viele Männer von herrlichen Talenten darunter, welche die Gabe der Natur durch beharrliches Studium veredelten, und deren Benehmen um so verdienstlicher erscheint, weil sie der starken Versuchung, welche ihnen durch ihre Stellung geboten wird, Widerstand geleistet haben.
»Ich wollte,« sagte Mr. Irving, welcher seiner vollen Länge nach auf einem Hühnerstall des Hinterschiffes ausgestreckt lag und den Stülp seiner Mütze über seine Augen gezogen hatte – »ich wollte, diese verwünschte Reise wäre zu Ende – jeden Tag dasselbe – keine Abwechselung – keine Unterhaltung; Reis mit Senf zum Frühstück – und Branntwein zum Schluß. Ich fange in der That an, den Anblick einer Cigarre oder eines Kartenpakets zu verabscheuen.«
»Sehr wahr,« versetzte Ansell, der sich auf einem andern Hühnerstalle mit der ganzen Trägheit des personificirten Müssigganges ausreckte – »sehr wahr, Irving. Es wird mir nachgerade weit ärgerlicher, als wenn ich in einem todten Landstädtchen im Quartier läge, wo man nichts zu thun hat, als umherzuschlendern und den ganzen Tag über die Brücke zu speien, bis zum Diner geblasen wird.«
»Oh! das wäre unendlich besser; man könnte doch wenigstens weggehen, wenn man genug hätte, oder ein paar Worte mit einem vorübergehenden Marktmädchen wechseln.«
»Warum greift Ihr nicht zu einem Buche, Irving?« bemerkte der Major, indem er das, in welchem er gelesen hatte, niederlegte, um sich der Unterhaltung anzuschließen.
»Ein Buch, Major? Oh, ich habe so lang gelesen, bis mir's nachging.«
»Was last Ihr denn, seit Ihr an Bord seid?« fragte der Major.
»Laßt mich sehen – Ansell, was habe ich gelesen?«
»Gelesen? – Nichts – Du weißt das wohl.«
»Nun, vielleicht ist's so; wir haben hier keine Zeitungen bei Tisch. Die Sache verhält sich nämlich so, Major, daß ich kein sonderlicher Freund vom Lesen bin – ich bin nicht daran gewöhnt. Am Lande hat man viel zu thun – aber ich will doch gelegentlich wieder in ein Buch hineinsehen.«
»Und wann, wenn ich bitten darf, wird dieses ›Gelegentlich‹ eintreffen?«
»Oh! eines Tags, wenn ich verwundet oder gefangen bin und nichts Anderes zu thun weiß; dann will ich viel lesen. Da ist Kapitän Oughton – Kapitän Oughton lest Ihr viel?«
»Ja, Mr. Irving, so ziemlich.«
»Bitte, darf ich mir die Freiheit nehmen, zu fragen, was Ihr lest?«
»Was ich lese? Je nun, den Horsburg-Wegweiser – und dann – dann – alle Boxberichte.«
»Ich meine,« bemerkte Ansell, »daß einer viel leistet, wenn er sich durch die Zeitungen und die Novellen des Tages durcharbeitet.«
»Ich gebe zu, daß er dann viel liest,« versetzte der Major, »aber welchen Werth hat eine derartige Lektüre?«
»Ja, Major,« entgegnete Ansell, »das ist eben die Frage. Ich bin der Ansicht, eine Kenntniß der Tagesereignisse und eine Rekapitulation der Thatsachen, welche sich während der letzten zwanzig Jahre zugetragen haben, sind weit werthvoller, als alle alten Geschichten. Wer spricht heutzutage von Cäsar oder Xenophon, wenn man sie nicht etwa aus dem Munde irgend eines Gymnasisten nennen hört – und welchen Werth hat ein derartiges Wissen für die Gesellschaft? In dem Entkommen eines modernen Taschendiebs findet man ein weit besseres Unterhaltungsthema, als in dem berühmten Rückzug der Zehntausend.«
»Natürlich,« erwiederte Kapitän Oughton; »und eine schöne Boxerei zwischen Humphreys und Mendoza weckt mehr Interesse, als die berühmten Schlachten von – na, ich habe sie vergessen.«
»Von Marathon und Thermopylä könnt Ihr sagen,« fügte Ansell bei.
»Ich will zugeben,« versetzte der Major, »daß es nicht nur unnöthig, sondern sogar albern wäre, mit seiner Belesenheit prunken zu wollen; das beweist aber nicht die Nutzlosigkeit der Lektüre. Der Geist wächst, wenn ihm Nahrung gespendet wird, und zeigt seine gute Beschaffenheit in gleicher Weise, wie ein Pferd, obgleich die Leute nicht auf die Handvoll hin wissen, wie viel Haber es gefressen hat. So zeigt auch der Geist durch seine Demonstrationskraft im Allgemeinen, wenn er gut mit ›hartem Futter‹ genährt wurde.«
»In der That sehr hartes Futter,« versetzte Kapitän Oughton; »Nüsse, die ich nie knacken konnte, als ich noch in der Schule war, und ich gedenke nicht, mir jetzt die Zähne daran zu zerbrechen. Ich bin mit Mr. Ansell einverstanden: ›es ist genug, daß jeder Tag sein eigenes Wissen hat.‹«
»Gut, und da der Baum der Erkenntniß der Baum des Bösen war, so ist vielleicht dies die richtige Lesart,« entgegnete Ansell lachend. »Kapitän Oughton, Ihr seid ein sehr verständiger Mann; ich hoffe, wir werden Euch oft an unserem Tische sehen, wenn wir wieder am Lande sind.«
»So sprecht Ihr eben jetzt,« erwiederte Kapitän Oughton derb, »und Viele haben mir das Gleiche gesagt; aber ihr Soldaten habt ein verwünscht kurzes Gedächtniß, sobald ihr das Land unter euren Beinen spürt.«
»Ich hoffe, Kapitän Oughton,« versetzte Major Clavering, »daß Ihr diese Beschuldigung nicht auf die Allgemeinheit anwendet.«
»Oh! hat nichts zu sagen Major; ich nehm's nicht übel. Das Anerbieten wurde in Freundschaft gemacht, und zwar zur Zeit aufrichtig; aber wenn die Leute an's Land kommen und ihrem eigenen Vergnügen nachgehen müssen, ist's kein Wunder, wenn sie gedankenlos und vergeßlich sind. Ich gestehe, früher hat mich's geärgert; denn wenn ich sage, es freue mich, Jemanden bei mir sehen, so ist's mir auch Ernst damit, und wenn mir's nicht Ernst ist, lade ich Niemanden ein. Ich dachte, anderen Leuten ginge es ebenso, aber ich habe lange genug gelebt, um die Entdeckung zu machen, daß eine ›allgemeine Einladung‹ so viel heißen will, als: ›bleibe mir überhaupt vom Leibe.‹«
»Dann werde ich zuverlässig vorderhand kein Wort darüber verlieren,« entgegnete der Major. »Wie oft wurde eben die Glocke angezogen?«
»Sechsmal; das Diner wird in einigen Minuten bereit sein.«
»Dann Gentlemen wird's gut sein, wenn wir hinuntergehen und uns darauf vorbereiten. Wie kömmt's, Mr. Irving – Ihr habt Euch diesen Morgen nicht rasirt?«
»Nein, Major, ich will es nach dem Essen thun.«
»Ich vermuthe, Ihr habt vor dem Essen sagen wollen,« erwiederte Major Clavering.
Dieser gentlemanische Wink ging an dem jungen Fähndrich nicht verloren, denn er wußte, daß Major Clavering zwar auch im Verweise höflich, aber doch ein Offizier war, mit dem sich nicht spielen ließ. Mr. Irving erschien deßhalb beim Diner mit so glattem Kinne, als ob er dem schöneren Geschlechte angehörte.