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Viertes Kapitel

Hadschi kommt durch List zu Geld

Zur Verwirklichung meiner Pläne bedurfte ich in erster Linie des Geldes im Turban. Der aber lag in einer Ecke des Frauenzeltes, das, ohne besondere Dringlichkeit, kein Mann ungestraft betreten durfte. Ich zermarterte mein Gehirn, wie ich es anstellen müßte, um dorthin zu gelangen, ohne den schwersten Verdacht zu erregen. Die Männer, nicht nur in unserem Lager, sondern auch in den nachbarlichen Lagern, waren mir zugetan und schätzten mich ungemein als Barbier. Schon seit geraumer Zeit hatte ich auch Gründe, anzunehmen, daß die Banu danach schmachtete, mich näher kennen zu lernen; aber weder sie noch die anderen Frauen bedurften meiner Rasiermesserkunst. Mein Verkehr mit der Banu hatte sich bisher auf zärtliche Blicke und den einen oder anderen Beweis des Wohlwollens beschränkt; ich meinerseits nahm ihr Wohlgefallen mit stiller Dankbarkeit entgegen. Auch das von Sehnsucht erfüllte Herz der Barbarin ist erfinderisch. Die Turkmenin mußte erfahren haben, daß die Barbiere im zivilisierten Persien auch als Wundärzte tätig sind, zur Ader lassen, Zähne ziehen und gebrochene Glieder einrichten. So ließ sie denn eines Tages durch Abgesandte bei mir anfragen, ob ich wohl imstande wäre, einen Aderlaß, den sie dringend benötige, bei ihr vorzunehmen. Ich erklärte, diese Anfrage sei mir eine hohe Ehre; ich getraute mir, es in bezug auf Aderlaß mit dem berühmtesten Barbiere aufzunehmen, wenn ein gutes Federmesser zu meiner Verfügung stände. Das verlangte Instrument wurde aufgetrieben. Auch behauptete einer der Abgesandten, der mit ganz stümperhaften Kenntnissen der Astrologie wichtig tat, nach dem Stande der Gestirne sei der nächste Morgen für diese Operation günstig. Zu jener mir glückverheißenden Stunde wurde ich in das Frauenzelt geführt, wo die Banu, die auf einem Teppiche kauerte, mich mit sichtlicher Ungeduld erwartete. Weiß Gott, sie war nicht dazu angetan, mir, dem unerfahrenen Jünglinge, zartere Regungen zu erwecken. Ihre derbe, plumpe Körperfülle stand in zu grellem Gegensatze zu den schlanken Formen, die wir Perser bewundern und besingen. Abgesehen davon hätte ein Buhlen mit dem Weibe, das mir Ekel einflößte, eine beständige Todesangst vor dem blutdürstigen, eifersüchtigen Sultan Aslan und den Verlust meiner Ohren bedeutet. Die Banu zeichnete mich durch huldvollstes, süßestes Entgegenkommen aus, die Frauen ihres Hofstaates überboten sich in täppischen Freundlichkeiten, und da ich ihnen außerordentlich gelehrt und weise erscheinen mochte, verlangte jede einzeln, ich sollte ihr den Puls fühlen. Während ich alles zur Operation vorbereitete, hoffte mein schweifender Forscherblick, das heißersehnte Kleinod zu erspähen, ohne zu ahnen, wie ich es erlangen könnte. Plötzlich kam mir ein genialer Gedanke. – Ich fühlte abermals den Puls der hohen Patientin und erklärte hierauf mit wichtig ernster Miene, die Störung sei eine höchst bedenkliche zu nennen. Unter allen Umständen müsse das Blut in einem Gefäße aufgefangen und später eingehend von mir untersucht werden. Ein allgemeiner entrüsteter Aufschrei der Weiber folgte diesem unerhörten Vorschlage; der Banu aber leuchtete er als eine abermalige Bestätigung meiner tiefen Wissenschaft ein. Es galt nun, eine neue Schwierigkeit zu überwinden und ein Gefäß zu finden; denn der äußerst armselig ausgestattete turkmenische Haushalt wird ohne größte Not kein vorhandenes Geschirr einem Zwecke opfern, der es für immer unbrauchbar macht. Die spärlich vorhandenen Töpfe und Schüsseln wurden der Reihe nach einer sorgfältigen Prüfung unterworfen und sämtliche zu dem Zwecke zu kostbar befunden. Da entsann sich die Banu eines alten ledernen Bechers, der mir auch eingehändigt wurde.

»Der ist durchlöchert und unbrauchbar«, rief ich und ließ das Licht freudig durch die losen Nähte blitzen, die ich in Windeseile heimlich mit dem Federmesser aufgetrennt hatte.

»Wo ist der Turban des alten Emirs«, schrie die Banu freudestrahlend ob dieser herrlichen Lösung.

»Der gehört mir,« wütete ein anderes Weib, »damit will ich meinen Packsattel wattieren.«

»Dir soll er gehören?« tobte die Banu. »Es gibt nur einen Gott und nur eine Banu in diesem Harem; der Turban gehört mir!«

»Ich gebe ihn nicht her!« keifte die andere.

Die streitenden Weiber tobten in so schrillen Tönen, daß ich zitterte, der Sultan möchte dadurch herbeigelockt werden und zur Beruhigung der Parteien den Zankapfel an sich nehmen. Da legte sich zu meinem Glücke der weise Astrologe ins Mittel, versicherte der Haremsblume Numero zwei, sie beschwöre durch ihre Habsucht das Blut der Banu, die doch die erste sei, und die Rache des Himmels auf ihr Haupt; und er errang nach langen, klugen Reden einen großmütigen Verzicht. Als ich mich nun anschickte, die Operation vorzunehmen, das Federmesser zückte, den Turban unterhielt, alle Gesichter ängstlich gespannt dem Vorgange folgten, da verlor die Banu plötzlich jede Courage und wollte von dem ganzen Unternehmen nichts mehr wissen. Ich fühlte ihr dann abermals den Puls und betonte mit verschleierter Stimme, in der die ganze Seelenangst zitterte, das Ziel meiner heißen Wünsche könnte meinen Händen doch entrissen werden: dieser Aderlaß sei das Kismet der Banu; vergeblich werde sie dem widerstreben, was von Anbeginn der Welt beschlossen sei. Dagegen verstummten alle Einwände. Sie streckte endlich den fetten Arm aus und ertrug den Stich des Federmessers mit achtunggebietender Seelenstärke. Ich fing das reichlich quellende Blut im Turban auf, ordnete nach vollendeter Operation an, ihn abseits des Lagers zu schaffen, wo keiner ihm nahe kommen dürfe, weil Wohl und Wehe der Banu ausschließlich davon abhinge, was mit ihrem Blute geschähe. Fieberhaft erregt, wartete ich die Nacht ab. Als alles schlief, schlich ich zur Stelle, trennte mit bebenden Händen die Nähte des Turban auf. – O Freude! – Unversehrt blinkten mir die Goldstücke entgegen. Ich vergrub sie, desgleichen den blutigen Turban. Am andern Morgen berichtete ich der Banu, die mit zärtlichen Blicken nicht geizte, herumstreichende Wölfe hätten mich veranlaßt, den Turban zu verscharren. Des schien sie zufrieden und schickte mir alsbald als Belohnung ein von ihr eigenhändig gebratenes, mit Reis und Rosinen gefülltes Lamm, begleitet von einer Schüssel saurer, gesalzener Milch.

Ich muß bekennen, die fünfzig Dukaten brachten mir das Bild meines früheren Herrn in Erinnerung. Der Gedanke an sein jammervoll trauriges Elend unter den Kamelen bedrückte mich – dagegen lebte ich ja fast im Überflusse! – Ich war beinahe fest entschlossen, ihm das Geld wiederzuerstatten. – Aber verdankte ich das Geld nicht doch schließlich einzig und allein meinem wunderbaren Scharfsinne? – Ohne meinen Witz wäre es für immer verloren gewesen. – Was konnte es Osman unter seinen Kamelen jetzt nützen? – Wenn ich es ihm brächte, würde man es ihm sicher sofort wegnehmen – darüber konnte kein Zweifel bestehen. War es nicht weit besser und auch klüger, es vorderhand selbst zu behalten? – Was konnte ich nicht alles für seine Befreiung tun, wenn mir die Flucht gelang? Außerdem war es sicher sein Kismet, das Geld zu verlieren – und meines, es zu behalten. Diese klugen und gerechten Erwägungen lösten alle in mir aufgestiegenen unnötigen Bedenklichkeiten. Ich betrachtete mich fürderhin als den rechtmäßigen Besitzer der Dukaten, die mir nach meiner Überzeugung kein Gesetz mehr streitig machen konnte. Unterdessen versuchte ich, Osman durch einen Hirtenjungen, der in die Berge ging, die Hälfte des Lammes zu schicken, das mir die Banu geschenkt hatte. Der Junge mußte mir schwören, nichts davon zu essen. Wenn ich auch seinen Schwüren nicht unbedingt traute, so bedurfte mein zartes Gewissen nach diesen Seelenkämpfen doch einer nachhaltigen Beruhigung. Konnte ich denn überhaupt mehr tun, als meinen Überfluß mit meinem unglücklichen Leidensgefährten zu teilen? – Der elende Hirtenjunge hatte aber kaum die Lagergrenze überschritten, als ich sah, wie er ein Stück Fleisch zum Munde führte, und sicher, war er erst ganz meiner Sehweite entschwunden, wird er alles bis auf die Knochen abgenagt haben. Der schändliche Dieb hatte einen zu großen Vorsprung, als daß ich ihn hätte verfolgen können. Ich begnügte mich, ihm meinen Fluch und einen großen Stein nachzuschleudern; leider erreichten weder Fluch noch Stein ihr Ziel.


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