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Achtes Kapitel

Hadschi wird ein Sakka

Wir erreichten Meschhed nach vorgeschriebener Reisedauer. Der Prinz hielt seinen feierlichen Einzug unter großem Gepränge, viel Lärm und dem ganzen Durcheinander, den solche Festlichkeiten mit sich bringen. Ich aber fühlte mich in der fremden Stadt, fern von meinen Freunden oder irgendeinem Geschöpfe, auf dessen Hilfe ich zählen konnte, ganz verlassen; selbst meine Rasiermesser, die sonst meine Zuversicht gehoben hatten, besaß ich nicht mehr. An Hab und Gut war mir nichts verblieben als fünf sorgfältig in das Futter meiner braunen Wollmütze eingenähte Toman, die ich einst heimlich dem Beutel entnommen, der mir in der Karawanserei in die Hände gefallen war, eine Jacke aus Schaffellen, ein Hemd, ein Paar Beinkleider und schwere, plumpe Stiefel. Solange ich im Gefolge des Prinzen reiste, teilte der Maultiertreiber seine Rationen mit mir, aber jetzt, wo er und seine Maultiere entlassen waren, konnte ich nicht mehr darauf zählen, fernerhin von ihm gefüttert zu werden, und dachte daran, mich meinem früheren Gewerbe zuzuwenden. Wer aber würde den Mut haben, sich dem Rasiermesser eines Mannes anzuvertrauen, der im Rufe stand, ein turkmenischer Spion zu sein? Zum Ankaufe neuer Messer hätte mein Geld gerade gereicht, aber nicht zur Ladenmiete, und Gesellendienste bei einem Barbier anzunehmen, war nicht nach meinem Sinne.

Mein Freund, der Maultiertreiber, der Meschhed Meschhed, Hauptstadt der Provinz Chorasan, bedeutender Wallfahrtsort, mit dem Grabe des Imâm Resa aus dem Hause Ali. in- und auswendig kannte, riet mir dringend, ein »Sakka« oder Wasserverkäufer zu werden. »Ihr seid jung und kräftig,« meinte er, »habt ein angenehmes Organ, könnt mit wohltönenden Rufen die Leute anlocken, gerade von Eurem Wasser zu trinken. Nebenbei besitzt Ihr nicht nur die Gabe, schön zu singen, sondern wißt auch mit süßen, einschmeichelnden, scheinheiligen Worten den Leuten zu Gehör zu reden, um sie zum besten zu haben. Die Anzahl der Pilger, die nach Meschhed wallfahrten und ihre Andacht am Grabe des Imâms verrichten, ist sehr beträchtlich. Sie erblicken in großer Mildtätigkeit ein Hauptmittel, ihre Seligkeit zu retten, und ihre Hand öffnet sich am weitesten für den, der ihnen den größten Himmelslohn verheißt. Ihr müßt jeden Schluck Wasser im Namen Eures Lieblingsheiligen verkaufen, jeden Trunk stets umsonst anbieten, dann wird Euch Geld in die Hand fallen, noch ehe Ihr Wasser einschenkt. Hat Euer Kunde sich gelabt, so sprecht mit recht gottseliger Betonung: ›Möge Euch dieser Trunk wohl bekommen! – Möge Euch der heilige Imâm unter seinen besonderen Schutz nehmen! – Möget Ihr niemals so brennenden Durst leiden müssen wie der heilige Husseïn!‹ Solche und ähnliche Redewendungen müssen mit singender Stimme so laut vorgetragen werden, daß alle sie vernehmen. Kurz, fromme Seelen, die viele Hunderte von Meilen wanderten, um ihre Gebete zu verrichten, werden unfehlbar alles und jedes glauben, was Ihr ihnen sagt. Ich war einst selbst Sakka in Meschhed, kenne darum das Handwerk ganz genau. Es ermöglichte mir, ein paar Maulesel zu erstehen und der Mann zu werden, der vor Euch steht.«

Ich befolgte den weisen Rat meines Freundes, erstand alsbald einen ledernen Sack mit einem Messinghahn, den ich um meinen Körper gewunden trug, sowie eine blinkende Trinkschale. Den Schlauch füllte ich zuerst mit Wasser, um den schlechten Geruch des Leders zu vermindern, machte mich dann auf den Weg zum Grabe und begann sofort mein Handwerk auszuüben. Mein Ruf erklang: »Wasser, Wasser im Namen des Imâms – – Wasser!« Das brüllte ich mit der ganzen Kraft meiner geschwellten Lungen heraus und wußte, ich würde dem besten Sakka in der Ausübung meines neuen Gewerbes nicht nachstehen; so versicherte mir wenigstens der Maultiertreiber, der mich zwei Tage lang unterwiesen und in alle Geschäftskniffe eingeweiht hatte. Unter den angestammten Wasserträgern erregte mein Erscheinen unliebsames Aufsehen. Sie fragten, mit welchem Rechte ich mich erdreistete, ihr Gewerbe auszuüben. Als ich mich am Sammelbecken zeigte, um Wasser zu schöpfen, hätten sie nur zu gerne Händel mit mir gesucht; einer versuchte sogar, mich ins Wasser zu stoßen. Sie überzeugten sich aber gar bald, daß mein fester Entschluß, ein Sakka zu werden, von kräftigen Gliedern unterstützt wurde, und beschränkten sich deshalb auf schreckliche Schmähreden. Jedoch auch darin zeigte ich mich ihnen so ganz überlegen, daß sie sich binnen kurzer Zeit vor mir duckten und nicht zu mucksen wagten; denn in der Tat, die Natur schien mich zum Sakka bestimmt zu haben.

Hatte ich meinen Schlauch in einem der schmutzig trüben Sammelbecken gefüllt, so pries ich wenige Augenblicke später dies Wasser als das köstlichste Naß einer von Ali selbst erschaffenen Quelle, die einem Arme des heiligen Flusses im Paradiese entströmt, das nicht minder wirksam sei als die Wunderquellen von Säm-Säm in Mekka. Wie unglaublich gut mußte das Wasser schmecken, denn trotzdem ich es umsonst anbot, flossen mir reichliche Gaben zu. Beständig lauerte ich den Zügen neuer Pilger auf, und noch ehe die durstigen, mit Staub bedeckten Leute, die selig waren, den Turkmenen entkommen zu sein, von ihren Maultieren stiegen, reichte ich ihnen im Namen des Propheten einen erfrischenden Trunk, erinnerte sie, eingedenk dieser ersten gottseligen Handlung und ihrer glücklichen Ankunft in Meschhed, nicht zu vergessen, mich reichlich zu belohnen, eine Mahnung, die nur selten unbeachtet blieb. Der Todestag Husseïns, Husein, zweiter Sohn des vierten Kalifen Ali, jüngerer Bruder Hassans, fiel am 8. Oktober 680 in der Ebene von Kerbela im Kampfe gegen den Umaijaden Jesid. Auf dem Platze, wo er starb, wurde eine Moschee errichtet, die noch heute ein berühmter Wallfahrtsort der Schiiten ist. Der Todestag Husseïns, »Aschura« genannt, gilt allen Schiiten als religiöser Gedenktag allgemeiner Trauer. In Persien, auch von allen in der Türkei lebenden Persern, wird das traurige Geschick der Familie Ali dramatisch vorgeführt. Noch heutigentags wird alljährlich dies Perserfest gefeiert. Bei einbrechender Dunkelheit defilieren die religiös begeisterten, fanatisch exaltierten Perser in endloser Prozession vor dem persischen Hofe, in der Türkei vor ihrem Botschafter. Unter dem lauten Klagerufe »Husseïn, Hasan« schlagen sich viele mit schweren Ketten auf die nackten Arme und die entblößte Brust, bis das Fleisch schwarz und blutunterlaufen ist. Andere zerhauen sich die Haut des glattrasierten Schädels mit scharfgeschliffenen Säbeln so, daß das Blut in Strömen über ihre langen, weißen Hemden rinnt, bis sie, dampfend von Blut, entkräftet zusammensinken, sich aber bei einer Zigarette und schwarzem Kaffee nach einiger Zeit wieder erholen. der in ganz Persien alljährlich mit religiös begeisterter Feierlichkeit begangen wird, nahte heran, und ich beschloß, als Wasserträger Der Wasserträger, der den ungeheuren Sack trägt, soll ein Sinnbild des entsetzlichen Durstes sein, den Husseïn in der Wüste litt. aufzutreten, dem eine ganz hervorragende Rolle in der Darstellung der Tragödie zukommt. Diesem Schauspiele sollte der Prinz beiwohnen. Ich versprach mir nicht nur Ruhm, sondern auch Gewinn von dieser Kraftleistung, die darin bestand, einen ungeheuren Sack voll Wasser unter erschwerenden Umständen auf dem Rücken zu tragen. Dieser Aufgabe hatte sich im vergangenen Jahre einer meiner Rivalen unterzogen. Nachdem aber mein Sack eine unendlich größere Wassermenge faßte, als jener zu schleppen vermochte, trug ich anstandslos den Sieg davon.

Trotz alledem schien es mir geraten, vor diesem gefährlichen Gesellen, der nur auf eine günstige Gelegenheit lauerte, mir schweren Schimpf anzutun, auf der Hut zu sein. Am Tage des Festes war das Volk in Scharen versammelt; der Prinz sah vom Fenster eines hochgelegenen Gemaches aus die religiöse Zeremonie an. Ich selbst erschien bis zum Gürtel nackt, mein durch Geißelhiebe blutüberströmter Körper wankte keuchend unter der ungeheuren Last des Sackes. In Sicht des Prinzen gelangt, erregte ich seine Aufmerksamkeit durch weithinschallende Segenswünsche für sein Glück und sein Wohlergehen. Meine Leistung schien ihn zu befriedigen; er warf mir ein Goldstück zu. Triumphierend forderte ich mehrere kleine, herumstehende Jungen auf, sich auf meinen Sack zu hocken, um meine Bürde zu vermehren; der lautgebrüllte Beifall der erstaunten Menge ermutigte mich und steigerte meine Kräfte.

Als ich einen weiteren Jungen herbeirief, um auf meinen Sack zu klettern, schwang sich mein Nebenbuhler mit einem kühnen Sprunge auf alle anderen Knaben, mit der Absicht, mich zu erdrücken. Nur mit der äußersten Anspannung all meiner Kräfte unter den ermutigenden Zurufen der Menge gelangte ich trotz meiner überwältigenden Bürde ans Ziel.

In der ersten Erregung hatte ich keine besonderen Beschwerden empfunden; aber von meiner Last befreit, merkte ich, daß mein Rücken so blutunterlaufen war, daß ich meinem Gewerbe als Sakka entsagen müsse.

Ich verkaufte meinen Wassersack sowie die Trinkschale, und dieser Erlös nebst dem, was ich durch die Pilger verdient hatte, bedeuteten ein schönes Stück Geld. Nun war ich nicht mehr so bettelarm als am Tage, da ich in Meschhed ankam. Die guten Ratschläge meines Freundes, des Maultiertreibers, der mit einer Karawane nach Teheran geritten war, fehlten mir sehr. Für meine erlittene Unbill hätte ich meinen Feind vor den Richter fordern und eine Entschädigung verlangen sollen. Im mohammedanischen Gesetze steht zwar geschrieben: ›Aug um Auge‹, ›Zahn um Zahn‹, In Persien herrscht noch in der Justiz das uralte Jus talionis, »Aug um Auge, Zahn um Zahn, Leben um Leben«, ist hier das Gesetz. (Brugsch, Persische Reise.) aber leider nicht: ›Rücken um Rücken‹. Mir fehlte eben ein hochgestellter Beschützer, der meine Sache hätte durchfechten können. Ich armer Teufel ohne Freunde und Bekannte lief bei diesem Prozesse Gefahr, das bißchen Geld zu verlieren, das ich mir so sauer erworben hatte.


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