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Sechsunddreißigstes Kapitel

Angriff der Perser auf die Russen

Nachdem der Serdar und der Oberexekutor durch mich alle nötigen Informationen bezüglich der Stellungnahme und Stärke des Feindes in Erfahrung gebracht hatten, beschlossen sie, sofort einen Angriff auf die Russen zu machen, und befahlen den unverzüglichen Abmarsch der Armee, die sich binnen kurzer Zeit in vollster Bewegung befand.

Die Artillerie nahm den mühseligen Weg durch die Berge, die Infanterie marschierte nach besten Kräften drauflos, und alsbald war auch auf der ganzen Ebene die in unregelmäßige Gruppen zerstreute Kavallerie zu sehen. Das Lager wurde zwischen Abaran und Gawmischlüh aufgeschlagen, wo alles, was nicht an dem Unternehmen beteiligt war, die Rückkehr der Kämpfenden abzuwarten hatte. Es wurde ausgemacht, der Serdar und der Oberexekutor, von ihren Leuten gefolgt und durch zwei Geschütze unterstützt, sollten den Zug bilden und dieser sich vor Einbruch der Nacht in Bewegung setzen.

Als wir uns dem Schauplatze der Aktion näherten, wurde der Serdar über den Verzug durch die Infanterie ungeduldig; da er wie alle Perser deren Nutzen unterschätzte, wollte er darum mit seinen Berittenen allein vorgehen. Ich könnte nicht behaupten, daß mein Gebieter von einer ähnlichen Ungeduld erfaßt war. Er setzte bloß seine Prahlereien fort und versuchte jedermann zu überzeugen, sein Erscheinen allein genüge, um den Feind in wilder Panik in die Flucht zu schlagen. Erst nach langen Bemühungen des Serdars fügte er sich, in der Nachhut zu bleiben, während dieser mit dem größten Teile der Kavallerie ungestüm nach Hamalüh vordrängte. Er hatte die Absicht, die Zugänge zur Stadt vor Tagesanbruch durch eine Überrumpelung zu gewinnen, und wich, um das Flußbett des Pembaki zu überschreiten, vom gewöhnlichen Wege ab. Auch wir marschierten auf dies Ziel los, wollten es vor Tagesanbruch erreichen, um nötigenfalls den Rückzug des Serdars, sollte dieser zurückgeschlagen werden, zu decken.

Es begann gerade zu dämmern, als wir uns den Ufern des Flusses näherten. Der Oberexekutor ritt inmitten von ungefähr fünfhundert Kavalleristen, die Infanterie tat ihr Bestes, um uns nachzukommen. Gerade als wir den Fluß überschreiten wollten, erscholl vom andern Ufer eine Stimme, die uns ein paar Worte in fremder Sprache zurief, deren Sinn uns ein Musketenschuß aber alsbald verständlich machte. Wir hielten in unserm Vorhaben inne und meldeten dies Vorkommnis unserm Führer, der, bleicher als der Tod selbst, herbeiritt.

»Was gibts denn?« schrie er mit einer Stimme, die nicht halb so zuversichtlich klang wie sein gewohnter Tonfall. »Was soll nun eigentlich geschehen? Wohin sollen wir denn gehen?« Dann wandte er sich mir zu und fragte: »Hadschi Baba, hast etwa du geschossen?«

»Nein!« lautete meine Antwort, und ich fühlte mich schon mehr wie schicklich von seiner Furcht angesteckt; »nein, ich habe nicht geschossen, aber es gibt ja Moskowiter!«

Im nächsten Augenblicke erscholl abermals barbarisches Geschrei; auch fiel ein zweiter Schuß, und da es immer heller tagte, vermochten wir am andern Ufer zwei russische Soldaten zu erkennen. Kaum hatte unser Heerführer die Tragweite der obwaltenden Gefahr ermessen, sowie den gefürchteten Feind beaugenscheinigt, so hellten sich seine Züge erstaunlich auf und zeigten alsbald wieder den gewohnten Ausdruck kühnster Entschlossenheit und unbesiegbarer Kraft.

»Vorwärts!« donnerte er; »ergreift, erschlagt, tötet sie,« rief er in einem Atem seiner Umgebung zu; »vorwärts, bringt mir die Köpfe dieser zwei Kerle da drüben!«

Unverzüglich sprangen ein paar unsrer Leute mit gezücktem Säbel in den Fluß, während die zwei Russen sich auf eine kleine Erhöhung im Gelände zurückzogen und in ihrer gedeckten Stellung mittels ihrer Musketen eine regelrechte, von uns erwiderte Beschießung ihrer Angreifer mit einer uns in Staunen setzenden Beharrlichkeit durchführten. Nachdem zwei unsrer Leute gefallen waren und keiner mehr die mindeste Lust zeigte, sich gegen den Feind fernerhin vorzuwagen, zog sich alles in die geschützte Nähe unsres Heerführers zurück. Dieser fluchte ganz nutzlos, bat, drängte, bot Geld – es rührte sich kein Soldat vom Fleck. Da rang sich schließlich der hochherzige Jubelschrei aus seiner Heldenbrust: »Ich werde selbst vorgehen. Wer folgt mir nach? Macht Platz!« – wandte sich aber dann mitten in seinem Siegessturme mir zu und sagte: »Hadschi, meine Seele, mein Freund, willst du nicht hingehen und den Kerlen da drüben die Köpfe herunterschlagen? Was immer du dann verlangen wirst, sei dir gewährt!« Er schlang seinen Arm um meinen Hals und sagte: »Wohlan, voran; ich bin überzeugt, du bringst es fertig, ihnen die Köpfe abzuhauen!«

Doch inmitten dieser Unterredung traf eine russische Kugel den Steigbügel des Helden, der, vom größten Entsetzen gepackt, die grimmigsten und wildesten Flüche ausstieß, mit seinen Truppen im schnellsten Tempo davonritt und schrie: »Seid verflucht, samt euren Vätern, Müttern, Kindern, euren Vorfahren und Nachkommen! Ist denn dies auch eine Art, zu kämpfen; wir sind doch keine Herde von Schweinen, die man nur so tötet und abschlachtet; seht nur, seht, diese unerhörten Bestien, sie laufen nicht weg, ihr mögt mit ihnen machen, was ihr wollt! Sie sind schlimmer als unvernünftige Tiere! Tiere haben Gefühl, sie haben keines! O Allah, Allah, wenn man dabei nicht umkäme, wie würden wir Perser kämpfen!«

Nachdem wir einige Zeit geradeaus vorwärtsgestürmt waren, machten wir Halt. Unser zitternder Heerführer, der hinter jedem Busche feindliche Russen witterte, wußte nicht, Welche Richtung er einschlagen sollte, wurde aber dieser Zweifel bald durch das Auftauchen des Serdars enthoben, der, gefolgt von seiner Kavallerie, sich schleunigst vor dem Feinde rettete. Es lag klar zutage, sein Unternehmen war kläglich gescheitert, und es blieb der ganzen Armee kein andrer Ausweg, als dahin zurückzukehren, von wannen sie gekommen war.

Ich will gar nicht versuchen, den jämmerlichen Eindruck zu schildern, den die Truppen des Serdars machten. Die armen Leute waren zu Tode ermüdet, abgehetzt und zu keinem Scherze aufgelegt. Stillschweigend drängte jeder, ohne sich umzuschauen, heimwärts. Je niedergeschlagener aber die Truppen schienen, desto rosiger ward die Laune unsres Heerführers. Er sprach so lange von seinem Löwenmute, von der Verwundung, die er davongetragen, und all den Heldentaten, die er hätte vollbringen wollen, daß er plötzlich, von einem wilden Ausbruch kühnster Kampfeslust erfaßt, seinem Pferde die Sporen gab und mit dem Speer in der Hand über seinen eigenen Koch, der seine Tiegel und Pfannen getreulich hütete, herfiel, um ihn durch die Gürtelschärpe durch in den Rücken zu stechen. So kläglich endete ein kriegerisches Unternehmen, von dem der Serdar sich eine reiche Beute an Feindesköpfen erwartet hatte, während der Oberexekutor sich in seinen schönsten Hoffnungen betrogen sah, sich nun sein Lebtag mit seinen Triumphen brüsten zu können. Doch trotz seiner jämmerlichen Niederlage war er schlau genug, zu tun, als hätte er alle Ursache, sich zu seinen Erfolgen Glück zu wünschen.


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