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Nahezu ein Jahr hatte ich in der Gefangenschaft zugebracht, und in dieser Zeit war es mir gelungen, das unbedingte Vertrauen des Sultans zu erwerben. Er besprach mit mir alle seine persönlichen Angelegenheiten, auch die Vorkommnisse im Lager, und zählte so fest auf meine ergebene Treue, daß er mir in Aussicht stellte, ihn auf einem räuberischen Überfalle in persisches Gebiet begleiten zu dürfen, nachdem mir noch vor kurzem verboten gewesen war, die Grenzen des Lagers zu überschreiten. Die Wege durch die große Salzwüste, die uns von Persien trennte, waren mir gänzlich unbekannt; ich wußte nur zu gut, daß ein Fluchtversuch für mich das gleiche Schicksal bedeutete, das schon so viele Gefangene vor mir erlitten hatten, die entweder elend in der Wüste verschmachtet waren oder, verzweifelt und reumütig zu den Turkmenen zurückgekehrt, von diesen grausam und hart für ihre Flucht bestraft wurden. Nun aber bot sich mir eine herrliche Gelegenheit, die Gegend genau kennen zu lernen, und mein Herz schlug höher vor Entzücken beim Gedanken, ich könnte vielleicht auf dem Raubzuge selbst meine Freiheit wiedererlangen. Jedenfalls sollte mir kein Hindernis zu groß erscheinen, um auf unserer Heimreise um jeden Preis eine Flucht zu wagen. Wenn die Tage länger und milder werden, die grünenden Matten im Gebirge und die junge Saat in der Ebene den Pferden hinreichende Nahrung sichern, die Karawanen sich zu langen Reisen rüsten, dann unternehmen die Turkmenen ihre Raubzüge. Da der Frühling herannahte, beschloß Sultan Aslan, nach langer Unterredung mit den Häuptlingen aller Lager und den kühnsten und verwegensten der Turkmenen, die sich seither auf Raubzügen ausgezeichnet hatten, einen Einfall nach Ispahan selbst zu wagen.
Der Sultan selbst sollte uns durch die große Salzwüste führen, deren Pfade er besser kannte als irgendeiner im Lager. In den mir so wohlbekannten Straßen und Basaren Ispahans ward ich als Wegweiser auserkoren, und der Sultan drohte mir, mich beim leisesten verräterischen Muckser auf der Stelle niederstechen zu lassen. Die Turkmenen ritten eifrig ihre kostbaren Pferde zu; auch für mich bestimmten sie einen berühmten Renner zur Reise. Eine große Schaffellmütze tief in die Stirne gedrückt, mit einem weiten, plumpen Wams aus Fellen bekleidet, einem Säbel und einer langen hölzernen Lanze bewaffnet, bot ich das Bild eines schreckenerregenden, richtigen Turkmenen. Die fünfzig Dukaten hatte ich aus ihrem Verstecke hervorgeholt und vorsichtig in den Falten meiner Gürtelschärpe verborgen. Ein Sack voll Korn rückwärts auf den Sattel gebunden, einige dünne Brotfladen und ein paar harte Eier bildeten meinen Mundvorrat. Gestählt wie ein Turkmene, an Entsagung und hartes Leben gewohnt, rechnete ich mit der Ausdauer meines Magens und dem Glücke des Zufalls. Meinem ehemaligen Herrn Osman Aga, den der nagende Kummer zum Skelett verwandelt hatte, mußte ich versprechen, seine Freunde in Persien energisch zu mahnen, ein Lösegeld für ihn zu erlegen. »Ach,« – seufzte der Arme –, »mein Sohn wird sich im Besitze meines Vermögens gütlich tun, meine Frau mit großem Vergnügen einen andern Gatten erwählt haben – mein Fall ist hoffnungslos! Tue mir nur die einzige Liebe und frage, wie hoch jetzt Lammfelle in Konstantinopel im Preise stehen!«
Da verursachten mir die fünfzig Dukaten erneute Gewissensbisse. Aber für Osman war es doch eigentlich von größtem Interesse, daß ich sie behielt; ohne ein bißchen Geld im Beutel war meine Flucht nicht denkbar! – Durch meine Vermittlung allein konnte ihm die Freiheit winken! Nach dieser reiflichen Prüfung meiner und seiner Lage verblieben die Dukaten in meinem Gürtel.
Sultan Aslan stand an der Spitze von zwanzig aus den verschiedenen Lagern sorgfältig ausgewählten, erprobten Räubern, deren imposante Gestalten auf ihren edlen, in ganz Asien hochberühmten Rennern Bewunderung und zugleich Schrecken einflößen mußten. Ich für meinen Teil fühlte mich nicht zum Krieger geboren, und wenn ich auch äußerlich meinen Waffengefährten so wenig nachstand, daß der Sultan in mir einen künftigen Helden witterte, so graute mir, ehrlich gestanden, eigentlich gräßlich vor dem Augenblicke, der meinen Mannesmut auf die Probe stellen würde.
Meisterhaft und mit bewundernswerter Sicherheit führte uns der Sultan über die bewaldeten schwierigen Gebirgspfade und durch die unbebauten, unwirtlichen Ebenen Persiens. Er kannte jede Bergkuppe, zog mit erstaunlichem Scharfsinne aus den Fußspuren von Menschen und Tieren die treffendsten Schlüsse, bestimmte danach die Herkunft und die Anzahl der Reisenden, und wußte, ob sie mit bepackten oder unbepackten Tieren gereist waren. Wir drangen mit der größten Vorsicht in bewohnte Gegenden vor, rasteten am Tage und ritten des Nachts. Unsere Nahrung für Menschen und Tiere erlangten wir durch die wandernden Stämme, die wir vor unserem Eintritt in die große Salzwüste aufsuchten, und jagten dann, mit neuen Vorräten versorgt, so schnell dahin, als unsere Pferde zu laufen imstande waren. Endlich, nach mühevoll zurückgelegten 700 Meilen, gelangten wir in die Umgebung Ispahans. Nun nahte der Augenblick heran, der uns für unsere Strapazen entschädigen und meinen Mut auf die Probe stellen sollte. Als ich erfuhr, daß meine Gefährten beabsichtigten, durch einen der mir gar wohl bekannten unbewachten Zugänge nächtlicherweile in die Stadt zu gelangen, dann direkt in die Karawanserei einzudringen, um die Barmittel der Kaufleute zu rauben, da sank mir vor Schreck das Herz in der Brust. Bei meiner genauen Kenntnis Ispahans war es mir ein leichtes, meinen Genossen einen Pfad durch die Trümmerfelder der Ruinen Statt der erwarteten Größe und Herrlichkeit trat uns eine schauerliche, menschenleere Einöde entgegen, auf welcher zerfallene und versunkene Hauser, Paläste und Moscheen nur noch durch ihre Trümmerhaufen die ehemalige Abgrenzung der Straßen und Plätze der alten Königsstadt angaben. Freilich schimmerte hier und da selbst noch an den Ruinen die vergangene Pracht durch, allein der Anblick dieser Spuren vermehrte nur das Melancholisch-Wehmütige des ersten Eindruckes von Ispahan. (Brugsch, Persische Reise.) zu zeigen, die Ispahan umgeben, und sie in die bewohnten, aber zu nächtlicher Stunde gänzlich menschenleeren Viertel zu geleiten. In der Nähe der Karawanserei stiegen wir von den Pferden, banden sie im Torbogen eines der verlassenen Häuser, die sich so häufig selbst in den belebtesten Vierteln vorfinden, fest und schlichen dann lautlos durch die schmalen Gassen bis ans Tor der Karawanserei. Mir schlug das Herz! – hatte ich doch gerade in diesem Stadtviertel meine glückliche Jugendzeit verlebt und kannte jeden Winkel.
»Ali Mohammed,« rief ich und pochte mit einem Steine gegen das festverschlossene Eingangstor. »Öffne, die Karawane von Bagdad ist angekommen!«
»Welche Karawane?« fragte schlaftrunken der Torhüter. »Du willst mich wohl zum Narren halten – die Karawane ist gestern schon angekommen.«
Als ich mich in Widersprüche verwickelt sah, mußte ich schon meinen Namen zu Hilfe nehmen und rief: »Ich bringe Nachrichten von der Karawane, mit der Hadschi Baba, des Kerbelaī Sohn, und Osman Aga auszogen.«
»Wenn du jener Hadschi bist, der mich einst so trefflich rasierte und der so lange abwesend war, dann sei willkommen.«
Daraufhin wurden die schweren Torflügel aufgeriegelt, ein altes, nur mit Unterhosen bekleidetes Männchen trat heraus. Der Schein seines eisernen Lämpchens ließ gewahren, daß der Hof eine große Anzahl von Kaufleuten und eine Fülle aufgestapelter Waren barg. Im Nu war der alte Mann überwältigt, wir fielen über die ahnungslosen Kaufleute her, rafften in kurzer Zeit alles erreichbare Gold und Silber zusammen und ergriffen in der allgemeinen Verwirrung drei Kaufleute, deren weiche Betten, seidene Decken und gestickte Polster auf Reichtum deuteten und später ein hohes Lösegeld erhoffen ließen. Geknebelt, Hände und Füße auf eine besondere turkmenische Art gefesselt, schleppten wir sie weg, banden sie rückwärts auf die schnellsten Pferde, und ein Teil der Turkmenen stürmte mit ihnen davon. Ich, der die Karawanserei so genau kannte, wußte, welche Gemächer die reichsten Kaufleute gewöhnlich innehatten und wo sie ihr Bargeld aufzuheben pflegten, schlich mich so leise wie nur möglich ins Zimmer, das Osman Aga einst bewohnt hatte, ergriff das Kästchen, in welchem die Kaufleute stets ihr Geld verwahrten, und suchte das Weite. Zu meiner größten Freude hatte ich darin einen schweren Beutel gefunden, den ich, in meinem Wams verborgen, weiterschleppte, konnte aber, der Finsternis wegen, nicht feststellen, ob er Gold oder Silber enthielt.
Als unser Werk beinahe vollendet war, begann man in der Stadt Lärm zu schlagen. Alle Bewohner der Karawanserei, Diener, Maultiertreiber und Pferdewärter flüchteten sich auf das flache Hausdach, Scharen von benachbarten Einwohnern stürmten herbei und wußten nicht recht, was los war. Die Polizei erschien, auch alle Bediensteten der Stadtverwaltung. Diese kletterten ebenfalls aufs Dach und vermehrten mit ihren wilden Ausrufen: »Schlagt zu« – »Haltet« – »Ergreift sie« – »Tötet sie« – den allgemeinen Tumult, ohne irgend etwas gegen die Feinde zu unternehmen. Ein paar Flintenschüsse wurden aufs Geratewohl abgegeben, und dank der allgemeinen Verwirrung gelang es uns, ohne weitere Fährlichkeit zu entkommen.
Während des Tumultes war ich oft versucht, der fürchterlichen Rotte, der ich nun angehörte, zu entfliehen und, in einem Winkel versteckt, ihren Abzug abzuwarten. Aber dann überlegte ich mir, daß, selbst wenn es mir gelingen sollte, mich zu verstecken, meine Gewandung, noch bevor ich nur erklären könnte, wer ich eigentlich sei, mich verraten und der blinden Wut des Pöbels, dessen wilde Ausschreitungen mir von früheren Anlässen her, zur Genüge bekannt waren, preisgeben würde.
Ich befand mich, in Gedanken versunken, gerade vor dem Laden meines Vaters, die frohen Tage der hier verlebten Kindheit kamen mir in Erinnerung; ich grübelte, was ich nun beginnen sollte, als mich von rückwärts eine rohe Faust am Arme packte und mir Sultan Aslan selbst mit grimmigster Miene drohte, er würde mich, merke er, daß ich sein in mich gesetztes Vertrauen täuschen wolle, auf der Stelle niedermachen. Um einen Beweis meiner Unerschrockenheit und Treue zu liefern, stürzte ich mich auf einen an uns ängstlich vorbeilaufenden Perser, warf ihn zu Boden, schrie laut, ich wolle ihn töten, wenn er mir nicht gutwillig in die Gefangenschaft folge. »Um des Imâm Husseïn willen, beim Leben deines Vaters, beim Barte Omars, gib mich frei,« flehte der Mann in mir wohlbekannten persischen Klagelauten. Ich erkannte sofort diese Stimme – sie konnte nur die meines eigenen Vaters sein. Beim Schein einer Laterne sah ich seine Züge. Im Augenblicke ließ ich seinen Bart, in den ich die Finger fest eingekrallt hatte, los, und nur zu gerne hätte ich mich vor ihn hingestellt und ehrfürchtig seine Hände geküßt, weil wir Perser gewohnt sind, unseren Eltern mit dem schuldigen Respekt gegenüberzutreten. Aber ein Aufgeben des Kampfes bedeutete für mich Todesgefahr, darum rang ich zum Scheine weiter, schlug anscheinend, um meiner Wildheit rechten Nachdruck zu verleihen, wütend auf den Mann ein, meine Schläge aber trafen nur den Packsattel eines Esels, der in der Nähe stand, wo mein Vater lag. Unterdessen vernahm ich, wie dieser mit sich selbst sprach: »Ach, wäre Hadschi hier! – der hätte niemals zugegeben, daß man mir in dieser Weise mitspielte!« –
Diese Worte machten mir einen so tiefen Eindruck, daß ich ihn sofort losließ und den in meiner Nähe befindlichen Turkmenen in türkischer Sprache zurief: »Laßt den Mann laufen er ist nur ein Barbier!« Ich verließ, ohne mich weiter um etwas zu kümmern, den Schauplatz unserer Tätigkeit, bestieg eilends mein Pferd und raste in gestrecktem Galopp aus der Stadt.