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Während meines Spazierganges war ich beinahe entschlossen, mich gleich vom Doktor loszumachen und Teheran den Rücken zu kehren. Aber meine Liebe zu Seneb erwies sich doch stärker als mein Entschluß. Der Gedanke, sie wiederzusehen, gab mir die Kraft, das armselige Los meiner Abhängigkeit von Mirza Ahmak weiter zu ertragen. Dieser Vermutete in mir weder seinen Rivalen noch die Ursache der furchtbaren Szenen im Harem; nur der Argwohn, ein Unberufener habe Zutritt in seinem Hause gehabt, ließ ihn jetzt tausend Vorsichtsmaßregeln anwenden, so daß ich nur mit der größten Schwierigkeit herausbringen konnte, wie es um meine Geliebte stand und ob die Wut der Khanum nicht schlimme Folgen gehabt habe. Umsonst lauerte ich täglich am Eingange des Enderuns auf Seneb, die sonst ihre Herrin beim Ausgehen zu begleiten pflegte. Da ich nichts über sie erfahren konnte, verfolgte mich die Angst, sie sei eingesperrt oder gar der blinden Wut ihrer grausamen Herrin zum Opfer gefallen. Als meine Besorgnis aufs höchste gestiegen war, beobachtete ich, daß die schwarze Sklavin Nur-Dschähan ohne Begleitung das Haus verließ und den Weg zum Basar einschlug. Ich folgte ihr, und auf ihre frühere Freundschaft für die von mir so innig Geliebte bauend, wagte ich sie anzureden.
»Friede sei mit dir, Nur-Dschähan,« sagte ich schüchtern, »wohin des Wegs so eilig und ganz allein?«
»Möchte deine Freundlichkeit niemals geringer werden, Hadschi Aga,« antwortete sie, »ich bin unsrer kurdischen Sklavin wegen beauftragt, zum Spezereihändler zu gehen.«
»Wie, für Seneb?« fragte ich ganz bestürzt. »Ist ihr etwas zugestoßen, oder ist sie krank?«
»Ach, das arme Ding«, antwortete das gutmütige Negermädchen, »ist nicht nur krank, sondern auch zu Tode betrübt. Ihr Perser seid wirklich ein gottloses Volk. Wir, die nur Schwarze und Sklaven sind, haben doch zweimal so viel Herz als ihr. Ihr mögt euch der Gastfreundschaft rühmen, eurer Freundlichkeit gegen alle Fremden; aber wurde jemals ein Tier, geschweige denn eine menschliche Kreatur so niederträchtig behandelt wie diese Arme, die aus einem andern Lande stammt?«
»Um Gottes willen, Nur-Dschähan,« rief ich, »bei meiner Seele, sag mir, was haben sie ihr getan?«
Mein ganzes Verhalten und das Interesse, das ich ihren Worten entgegenbrachte, machten die Schwarze zutunlicher. So erzählte sie mir denn, daß die eifersüchtige Khanum Seneb in ein kleines, finsteres Loch eingesperrt habe, in dem sie sich nicht rühren könne, daß sie infolge der Schläge und Mißhandlungen in ein hitziges Fieber verfallen und am Rande des Grabes gestanden habe. Sie habe aber dank ihrer Jugendkraft die böse Krankheit überwunden. Im Augenblicke zeige sich die Khanum etwas milder gestimmt; und da sie Seneb gestattet habe, sich wieder des Henna und des Surme (Augenschwärze) zu bedienen, so sei sie eben im Begriffe, dies beim Spezereihändler zu besorgen. Sie wäre aber überzeugt, diese Vergünstigung sei ihr nur zugestanden worden, weil das Gerücht ging, der Schah wolle Mirza Ahmak mit seinem Besuche beehren. Da der Schah allein das Vorrecht genieße, nach Belieben in jedem Harem die Frauen unverschleiert zu besehen habe ihre Herrin, die durch die Vorführung möglichst zahlreicher Diener und Sklavinnen glänzen möchte, Seneb aus der Haft entlassen unter dem Vorwande, ihrer Bedienung zu benötigen; aber nach getaner Arbeit müsse sie wieder ins finstere Loch zurück.
Diese Mitteilungen gaben mir einigen Trost. Ich begann zu überlegen, wie ich es anstellen müsse, um eine Zusammenkunft mit Seneb zu ermöglichen. Die unüberwindlichen Hindernisse, die sich mir entgegenstellten, und die Sorge, ihr neuen Kummer und neues Leid zu bereiten, ließen mich von meinem Wunsche abstehen und die Richtigkeit der Worte des Dichters beherzigen, »den Teppich meiner Wünsche zusammenzuschlagen und meinen Neigungen nicht nachzujagen.«
Unterdessen nahte der Tag der Abreise des Schahs nach seiner Sommerresidenz. Einem alten Herkommen gemäß benützte er die dazwischenliegende Zeit, um den Vornehmsten seines Hofes die Ehre seines Besuches zu erweisen. Dieser Anlaß bedeutete nicht nur für den Schah, sondern auch für seine Umgebung eine reiche Ernte an Geschenken, die jeder, dem diese Auszeichnung zuteil wurde, zu geben gezwungen war.
Nur-Dschähans Bericht beruhte auf Wahrheit. Mirza Ahmak befand sich unter jenen, die der Schah mit seinem Besuche beehren wollte; denn der Doktor stand im Rufe des Reichtums, und die königliche Hand hatte ihn längst als hochwillkommene Beute ausersehen. Demzufolge wurde er benachrichtigt, an welchem Tage ihm dieser neue und besondere Beweis der königlichen Gunst zuteil würde, deren ganz spezielles Merkmal darin bestand, daß es kein gewöhnlicher Besuch sein sollte, sondern der Doktor die Genugtuung haben werde, Seine Majestät bewirten zu dürfen, da der Schah die Abendmahlzeit in seinem Hause einzunehmen gedenke. Halb trunken von der Größe dieser Auszeichnung, halb geknickt ob des sicheren Ruins seiner Finanzen, beeilte sich der Doktor, alle nötigen Vorbereitungen zu treffen. Zuallererst mußte festgestellt werden, in welcher Art der ›Pā ändāz‹ ausgeführt und was dafür ausgegeben werden sollte. Er wußte, daß große Prachtentfaltung im ganzen Lande ein Jahr lang besprochen und daraus Schlüsse gezogen würden, wie hoch er in der Gunst seines Herrschers einzuschätzen sei. Einerseits kitzelte ihn die Eitelkeit, andrerseits aber zitterte sein Geiz. Stellte er zu großen Reichtum zur Schau, würde er alsbald ein Objekt neuer Erpressungen sein; machte er gar keinen Aufwand, konnten seine Rivalen die Wichtigkeit seiner Bedeutung geringer einschätzen. Seit langer Zeit hatte der Doktor sich nicht mehr herbeigelassen, mich um Rat zu fragen; ich war zum herumlungernden Schmarotzer herabgesunken. Als er sich aber erinnerte, mit welchem Erfolge ich die Unterhandlungen mit dem europäischen Doktor geführt hatte, lenkte er wieder vermittelnd ein.
»Hadschi,« sagte er, »was soll ich nun in diesem äußerst schwierigen Falle tun? Man hat mir einen Wink gegeben, der Schah erwarte bei mir einen sehr glänzenden Empfang. Es war der Großschatzmeister selbst – dessen Prachtentfaltung bei solchen Anlässen ganz Persien in Staunen setzt –, der es mir sagte und mit dem ich allerdings unmöglich wetteifern kann. Er meinte, es sei unbedingt nötig, vom Eingange der Straße bis zur Gartenpforte, wo der König vom Pferde steigt, doppeltbreites, feines, schwarzes Tuch zu legen; bis zum Eingange des Gartens müßte sein Fuß auf Goldbrokat schreiten; Die Zeremonie des ›Pā ändāz‹ besteht darin, den Boden, den der Schah betritt, mit kostbaren Stoffen und Teppichen zu belegen.] den ganzen Hof entlang bis zu seinem Thronsitze seien Kaschmirschals auszubreiten, einer immer schöner und kostbarer als der andre. Der ›Mesned‹ oder Thronsitz aber müßte mit einem ausnehmend prächtigen Schal von ungeheurem Werte überdeckt werden. Nun, wie du weißt, bin ich nicht der Mann, solchen Aufwand zu treiben. Ich bin ein Hakim (Arzt), habe als solcher wirkliche Kenntnisse erworben und mich niemals als reicher Mann aufgespielt. Nebenbei ist es ja ganz klar, daß mir der Großschatzmeister das alles nur vorschlug, weil er Brokate, Schals und Tuch im Vorrate liegen hat und sie mir gerne aufhängen möchte. Ich werde mich aber hüten, auf seine lächerlich übertriebenen Vorschläge einzugehen. Sage, Hadschi, hast du eine Idee, wie man alles billiger schmücken könnte?«
»Freilich seid Ihr ein Hakim,« antwortete ich, »aber Ihr seid auch der königliche Leibarzt, und nicht nur in Anbetracht Eurer hohen Stellung, sondern auch in Hinsicht auf die Khanum, Eure Frau, und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zum Hofe müßt Ihr den Empfang möglichst würdig und vornehm veranstalten. Der Schah wäre ungehalten, würdet Ihr ihm nicht durch die Art Eures Empfanges beweisen, daß Ihr Verständnis habt für das Vertrauen, das er in Euch setzt.«
»Ja, Freund Hadschi,« meinte der Doktor, »das mag alles sehr richtig sein, aber ich bin eben nur ein Doktor, von dem man schwerlich erwarten kann, er habe Schals, Brokate und kostbare Stoffe, die er, wenn er sie benötigt, nur so hervorholen kann.«
»Aber was wollt Ihr denn sonst tun? Möchtet Ihr etwa Rhabarber streuen und auf den Thron Seiner Majestät ein Zugpflaster legen?«
»Nein,« sagte er; »aber man könnte Blumen streuen, die, wie du weißt, sehr billig sind, oder man könnte einen Ochsen opfern oder recht viel Gläser Dies ist ein alter persischer Brauch, der glückbringend sein soll, Süßigkeiten und Zucker sind Sinnbilder des Glückes. mit eingemachten Früchten unter den Hufen seines Pferdes zerbrechen. Würde das nicht genügen?«
»Das geht unmöglich,« rief ich aus; »wenn Ihr so verfahrt, dann werden der Schah und Eure Feinde Mittel und Wege finden, Euch auszuplündern, bis Ihr nackt seid wie Eure Hand. Es ist vielleicht nicht unumgänglich nötig, alles so großartig zu veranstalten, wie es der Großschatzmeister vorschlägt. Ihr könnt in der Straße Kattun verwenden, Samt bei der Haustür, Brokat im inneren Hofe und Schals in den Zimmern; das käme nicht so schrecklich teuer.«
»Was du da sagst, klingt nicht übel,« meinte der Doktor. »Vielleicht ließe sich alles auf diese Weise einrichten. Kattun, der für Beinkleider der Frauen bestimmt war, ist im Hause und wohl gut genug zu dem Zwecke; vor ein paar Tagen schenkte mir einer meiner Patienten ein Stück Samt aus Ispahan; mein letztes Hofkleid kann ich gegen etwas Brokat austauschen, auch werden zwei bis drei Schals meiner Frauen genügen, um die Zimmer auszuschmücken. Also das wäre abgemacht! Ali sei gepriesen!«
»Oh, aber der Harem?« rief ich aus; »den wird der Schah betreten; wie Ihr wißt, bringt es Glück, vom König angeschaut zu werden; bei dieser Gelegenheit müssen alle im Harem schön und neu gekleidet sein!«
»Ach, was das anbelangt,« sagte der Doktor, »so können sich die Frauen ja etwas ausborgen! Juwelen, Beinkleider, Jacken, Schals, was sie nur wollen, werden ihnen die Freundinnen leihen.«
»Gott bewahre!« antwortete die stolze Khanum, als man ihr diesen Vorschlag zu unterbreiten wagte, hieß ihren Mann einen gemeinen, schmutzigen Geizkragen, der Ehre unwürdig, eine Gattin wie sie zu besitzen. Sie verlangte, er solle sich der hohen Auszeichnung, die ihm der Schah erweise, würdig zeigen und sich nicht lumpen lassen. Vergebens bemühte sich der Doktor, gegen sie aufzukommen. Dann wurden alle Vorbereitungen im größten Maßstabe getroffen, und jedermann im Hause schien es sich recht angelegen sein zu lassen, das Geld, das der Doktor so lange Zeit den andern mit Gewalt ausgepreßt hatte, nun mit vollen Händen hinauszuwerfen.