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Die Witwe des Molla-Baschi samt ihrem Gefolge ließ ich in den Händen der Kurden zurück und trachtete selbst, möglichst bald Bagdad, den Ort meiner Bestimmung, zu erreichen. Nach allem, was sich kürzlich ereignet hatte, gelüstete es mich nicht im geringsten nach irgendeinem Anschluß, sondern ich war im Gegenteile bemüht, mein ganzes Verhalten tunlichst unauffällig einzurichten.
Auf der Straße trieben sich zahlreiche, von den Kurden versprengte Flüchtlinge herum, die, alle mehr oder minder am Schicksale der Karawane beteiligt, den Schauplatz des Überfalles in nächster Nähe umkreisten und hofften, dort entweder ihre Freunde oder ihre Habe wiederzufinden.
Ich schien wirklich der einzige zu sein, dem dies nicht am Herzen lag, denn kaum hatte ich mich zwei oder drei Parasangen weit von der gefährlichen Stelle entfernt, so fand ich mich als Alleinbeherrscher der Straße.
Alles, was ich erlebt hatte, überdachte ich nochmals von Anfang bis zu Ende recht gründlich, um zur Überzeugung zu kommen, daß, nachdem mich das Schicksal so mächtig beschützt, ich es wiederum wagen dürfte, die Pfade des Ehrgeizes zu wandeln, und hoffen könnte, die baldige Erfüllung eines märchenhaften, ungeahnten Glückes werde alle meine jüngst so kläglich gescheiterten Versuche, emporzukommen, wieder wettmachen.
Mit fünfundneunzig Toman im Gürtel und der ganzen Welt vor mir konnte es mir in der Zukunft doch nicht fehlen; und vorausgesetzt, daß Nadan durch einen Mörser in die Luft gesprengt und die Priesterswitwe durch die Kurden festgehalten und zugrunde gerichtet wurde, konnte mich dann noch irgend etwas hindern, meine Mütze ebenso schief aufzusetzen wie der verdienstvollste Mann in ganz Persien? Endlich tauchten die Mauern und Türme Bagdads, einer Stadt, die ich als völlig Fremder und ohne jegliche Ortskenntnis betrat, vor mir auf. Ich wußte, daß dort Karawansereien in allen Richtungen zu finden seien; doch da es mir ganz gleichgültig war, wo ich abstieg, überließ ich es meinem Maultier, den Weg allein zu finden. Das mit jeder Straße wohlvertraute Tier brachte mich vor eine Karawanserei, wo es jedenfalls seit langer Zeit gewohnt war, einzukehren. Als es im Hofe stille stand, grunzte es ein paarmal in der sicheren Erwartung, seine Karawanengefährten wiederzufinden. In diesem Punkte erlebte das Maultier eine Enttäuschung, ich hingegen traf einige Landsleute im Hofe an, die, wie ich erfuhr, gewöhnlich hier zusammenzukommen pflegten. Ich hatte mir geschmeichelt, mich in Bagdad, ohne die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, überall frei und unbemerkt bewegen zu können, was aber leider nicht der Fall sein sollte. Da man die Karawane stündlich erwartete, so wurde ich schon beim Absteigen mit tausend Fragen bestürmt, denn die Kaufleute harrten auf ihre Güter und meinten, ich könnte ihnen über diese Sache wohl die besten Auskünfte geben. Bei dieser Gelegenheit beschränkte ich mich auf die allernotwendigsten Antworten, war jedoch innerlich fest entschlossen, diese neugierige Gesellschaft schleunigst zu verlassen, um mich, fernab des öffentlichen Lebens, zu verbergen. Demzufolge überließ ich mein Maultier, von dem ich wußte, daß sein Eigentümer bald ankommen müsse und es wieder in seinen Besitz nehmen konnte, seinem Schicksale, während ich auf der Stelle in einem andern Stadtteile unterzukommen trachtete. Um mich möglichst unkenntlich zu machen, war mein erstes, meine, von Wind und Wetter ganz schadhaft gewordene Mütze durch die landesübliche Kopfbedeckung zu ersetzen, die in einem langen roten Tuchbeutel bestand, der als Lappen nach rückwärts fällt und mittels buntscheckigen Seidenstoffes auf dem Kopfe befestigt wird. Ferner erstand ich aus zweiter Hand einen ›Benitsche‹ oder Mantel, wie ihn die Türken zu tragen pflegen, der, über meine persische Gewandung geworfen, mir vollkommen das Aussehen eines Osmanli gab, und vollendete hierauf meinen Anzug durch ein paar leuchtendrote Saffianpantoffeln. Nachdem ich alles dieses erstanden hatte, dachte ich, es könnte mir doch recht zum Nutzen gereichen, mich bei der Familie meines früheren Herrn, Osman Aga, einzuführen, der mich später mit den Kaufleuten der Stadt bekannt machen konnte, die wiederum in der Lage waren, mich in geschäftlicher Hinsicht kräftigst zu unterstützen.
Ich machte mich auf, besuchte auf meinem Wege die großen Basare und blieb vor allem dort stehen, wo Lammfelle feilgeboten wurden. Erinnerte ich mich doch zu gut, daß Osman stets gerade für diesen Artikel ein besonders warmes Interesse gezeigt hatte, und entsann mich gleichfalls zahlreicher besonderer Kennzeichen Bagdads, die er mir einst auf unseren gemeinschaftlichen Reisen mit besonderer Vorliebe so genau zu beschreiben pflegte, daß ich mir einbildete, ich könnte, fast ohne zu fragen, den Weg zu seinem Hause finden.
Dieser Mühe sollte ich übrigens bald enthoben werden, denn kaum hatte ich nur den Kopf in den Laden eines der ersten Kaufleute aus Bokhara hineingesteckt, um mich zu erkundigen, ob er etwas von einem gewissen Osman Aga wüßte, als mir sofort eine wohlbekannte Stimme entgegentönte, die sagte: »Wer fragt nach mir? Im Namen des Propheten! – der bin ich!«
Wer beschreibt meine Freude, meine Überraschung: es war der alte Mann selbst! Mein Erstaunen, ihn sofort hier in Bagdad zu finden, war nicht minder groß als seinerzeit meine Überraschung, ihn in Teheran anzutreffen.
Von meinen Erlebnissen erzählte ich ihm genau so viel, als mir unbedingt nötig dünkte. Er seinerseits berichtete mir, daß er Teheran verlassen und den Entschluß gefaßt habe, nach Konstantinopel zu gehen, um seine Waren dort loszuschlagen. Da aber die Straße von Eriwan nach Erzerum unsicher sein sollte, so hatte er vorgezogen, seine Vaterstadt, die er seit vielen Jahren nicht gesehen hatte, wieder aufzusuchen. Unterdessen war sein Sohn zum Manne herangereift. Nachdem dieser, im Glauben, seinen Vater verloren zu haben, alle Zeremonien der Trauer um ihn durchgemacht hatte, trat er in den rechtmäßigen Besitz seines Vermögens, nicht ohne vorher den seiner Mutter und Schwester rechtlich zukommenden Teil auszuzahlen. Sobald ihm aber der Vater wiedergegeben wurde, machte er kein saures Gesicht, sondern tat, wie es der Koran vorschreibt, der den Menschen befiehlt, gütig gegen die Eltern zu sein und nicht zu ihnen zu sagen: »Pfui über euch!«
Der alte Mann fügte noch hinzu, er hätte seine Frau am Leben gefunden und seine Tochter sei im heiratsfähigen Alter.
Nachdem er sich mit Mühe aufgerafft hatte, mir in Kürze seine Abenteuer zu erzählen, fiel er mit einem Male in einen so gereizten Ton, wie ich ihn vorher nie bei ihm vernommen hatte, und sagte: »Hadschi Baba, mein Freund, jetzt aber sage mir im Namen des heiligen Propheten, warum brachtest du mich, damit ich meine Zeit recht angenehm verlebe, damals mit jenem weiblichen Teufel zusammen? Beim Salz, das wir so oft zusammen aßen! die wenigen Tage, die ich mit ihr gemeinschaftlich hauste, waren mit weit mehr Jammer und Elend erfüllt als die ganze Zeit meiner Gefangenschaft bei den Turkmenen!« – Schüchtern versicherte ich ihm, ich hätte einzig und allein nur sein Glück im Auge gehabt und sicher angenommen, eine Frau, die einst die Favoritin des persischen Monarchen gewesen, besäße selbst in ihren späteren Tagen noch übergenug Reize für jemand, der seine besten Jahre unter Kamelen zugebracht habe. – »Mit Kamelen! mit Kamelen, in der Tat!« rief Osman; »aber die sind Engel im Vergleiche mit dieser Furie! Wollte der Himmel, du hättest mich mit einem Kamel verheiratet! das arme Tier wäre ruhig und still, mit gedankenvollem Ernste dagelegen und hätte mich weder gestört noch gepeinigt, während deine Viper, dein Drache ihre ganze Zeit damit verbrachte, mir vorzusagen, wie geehrt ich mich fühlen müsse, in ihr eine Frau zu besitzen, die einst den Schah beim Barte gängelte, und obendrein jedes Wort mit einem Kratzer oder Schlage zu bekräftigen pflegte. Amān, Amān!« stöhnte der alte Mann und rieb sich die Backe, als fühle er noch ihre Finger in seinem Gesichte.
Schließlich gelang es mir auch, ihn zu überzeugen, daß ich wirklich nur sein Glück im Auge gehabt hätte, woraufhin mir der gutmütige Mann in der freundlichsten Weise anbot, während meines Aufenthaltes in Bagdad als Gast in seinem Hause zu wohnen, was ich mit dem größten Danke annahm. Im Laufe dieser Unterhaltung, die im Hinterzimmer des Kaufmannes aus Bokhara stattfand, bewirtete mich der Alte mit Kaffee, den er um acht Para aus einem benachbarten Kaffeehause hatte holen lassen, schlug mir dann vor, mit ihm in den Laden seines Sohnes, mit Namen Sulaiman, zu gehen, der sich im gleichen Basare, nur einige Türen weiter entfernt, befand, da er während der langen Abwesenheit seines Vaters einen Tuchhandel begonnen hatte, der ihm sein gutes Auskommen sicherte. Gleich Osman war dieser ein kleiner, dicker, untersetzter Mann, der mich, als man ihm sagte, ich sei Hadschi Baba, von dem er wohl schon oft gehört hätte, aufs freundlichste bewillkommte, sogar die Pfeife aus seinem Mund nahm, um sie in den meinen zu stecken.
Das herzliche Entgegenkommen dieser beiden gutmütigen Leute eröffnete mir die freudige Aussicht eines ebenso ruhigen wie sorglosen Aufenthaltes in Bagdad. Zum Beweise, daß ich nicht gewillt sei, ihnen ausschließlich zur Last zu fallen, tat ich ihnen zu wissen, daß ich fünfundneunzig Toman besäße, und bat sie gleichzeitig um ihren Rat, wie diese am vorteilhaftesten im Handel anzulegen seien. Ich gab ihnen ebenfalls zu verstehen, daß ich es müde sei, von einem abenteuerreichen Leben in der Welt herumgestoßen zu werden, und den Vorsatz gefaßt habe, mir in Zukunft durch eigenen Fleiß meine Unabhängigkeit zu sichern. »Viele«, sagte ich, »haben mit noch weit weniger angefangen und schließlich doch Reichtümer erworben!« was Vater und Sohn bestätigten. Daraufhin gab der alte Osman, als ob mein Glück schon gemacht wäre, das einzige Verslein persischer Dichtkunst, das er auf seinen Reisen aufgelesen, zum besten: »Das Wasser quillt tropfenweise aus dem Felsen, um endlich zum Meer anzuschwellen!«
Nach diesem poetischen Schlusse begab ich mich mit Osman nach seinem in der Nähe der großen Basare gelegenen Hause.