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Der Dichter sagt:
»Die Not, Freund, ist ein starker Reitersmann,
Sie setzt dem schwachen Klepper die Sporen an,
So daß er leistet, was sonst er nicht leisten kann!«
Verdanke diese Übersetzung Herrn Friedrich Rosen.
Ich war schwer enttäuscht, mißmutig und gedemütigt. Alle meine Hoffnungen, ein bequemes und vergnügliches Dasein führen zu können, waren dahin. Abermals zwang mich die Notlage, meinen Scharfsinn zu Hilfe zu nehmen, um mich vor Entbehrungen zu schützen.
»Habe ich auch meine Häuslichkeit verloren,« sagte ich mir zum Troste, »so habe ich doch einen Freund gefunden, dessen gütigen Schutz ich nicht zurückweisen darf. Die gleiche Schicksalsgewalt, die mich bisher Schritt für Schritt durch die Irrgänge des Lebens leitete, wird mich wohl wieder einmal bei der Hand nehmen und mir den richtigen Weg zeigen, der zu meinem Glücke führt.«
Den freien Zutritt bei dem Botschafter bemühte ich mich tunlichst auszunützen und war nicht wenig beglückt, das Wohlgefallen, das er mir schon das erstemal so deutlich gezeigt hatte, bei jeder neuen Unterredung stetig zunehmen zu sehen. Er benützte mich nicht nur, um Erkundigungen für ihn einzuziehen, sondern besprach gleichfalls rückhaltslos alle Geschäfte seiner Regierung mit mir, und sonstige Angelegenheiten, die mit seiner Mission zusammenhingen. Da zeitlebens mein Augenmerk auf Erlangung meines persönlichen Glückes gerichtet gewesen, so hatte sich mein Denken nur selten mit öffentlichen Angelegenheiten befaßt. Von den verschiedenen Völkern, die auf der Erde hausen, kannte ich kaum andere als mein eigenes und das der Türken, wußte von Chinesen, Kurden und Arabern kaum mehr als ihre Namen, hatte allerdings schon etwas von den Afrikanern vernommen, da ich einige Exemplare dieser Rasse, die in den verschiedenen Häusern als Diener verwendet wurden, gesehen hatte. Von den Franken waren es die Russen (wenn man sie dazu zählen will), von denen man in Persien noch die meiste Kenntnis besaß, hatte auch über die Inglis und Fransis schon einiges vernommen. Wie erstaunt war ich, als ich nach Konstantinopel kam und sah, daß es außer diesen erwähnten noch viele andere fränkische Nationen gab; ich war jedoch stets zu sehr mit meinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen, um mir hierüber mehr als die oberflächlichsten Kenntnisse zu erwerben.
Jetzt, da ich plötzlich im engsten Verkehre mit dem Botschafter stand, nahmen nicht nur meine Ideen ganz neue Richtungen, sondern auch meine Wißbegierde erwachte, als Dinge verhandelt wurden, die nie zuvor mein Ohr erreicht hatten. Der Botschafter selbst, dem es ungemein gelegen schien, in mir einen Mann zu finden, der auf seine Anschauungen mit solchem Verständnisse einging, schenkte mir mit der Zeit sein vollstes Vertrauen. Eines Morgens, als er Briefe von seinem Hofe erhalten hatte, ließ er mich zu sich rufen, sagte, er habe vertraulich mit mir zu reden, und befahl demzufolge allen übrigen, abzutreten.
Er hieß mich niedersetzen und flüsterte mir vorsichtig leise zu: »Hadschi, ich wünschte schon lange mit Euch zu reden. Unter uns gesagt, besitzt in meinem Gefolge, obwohl es Perser sind, die mehr Witz haben als die ganze Welt zusammengenommen, niemand die höhere Einsicht, die mir not tut. Für die Angelegenheiten des ›Daulet‹ Staat. eignen sie sich wirklich gar nicht, würden sogar auf die Geschäfte, um derentwillen ich hierher gesandt wurde, eher hinderlich als förderlich einwirken. Nun, gelobt sei Allah! Wie ich sehe, seid Ihr keiner dieser Sorte, habt schon viel vom Weltgetriebe gesehen und seid darum weit eher der Mann, dem etwas von der Hand ginge, seid einer, der sein Spiel mit anderer Leute Bart treiben und das Mark aus einer Sache heraussaugen kann, ohne ihre Außenseite zu berühren. So einen brauche ich. Wollt Ihr darum mir und dem Schah, dem König der Könige, Eure Hilfe widmen, so wird nicht nur mein, sondern auch Euer Antlitz gebührend weiß gewaschen; und so Segen auf unserem Geschicke ruht, werden unsere Häupter die Wolken berühren.«
»Alles, was ich vermag,« antwortete ich, »steht zu Euren Diensten. Ich bin Euer Sklave, Euer Diener und werde mein eigenes Ohr in Eure Hand legen. Gebietet ganz über mich. Bei meinem Haupt und meinen Augen! ich bin bereit.«
»Vielleicht habt Ihr von den Leuten darüber reden hören,« fuhr er fort, »daß meine Sendung einzig und allein darin bestünde, Sklavinnen für den Schah zu kaufen, sie im Tanze, in der Musik und im Sticken unterrichten zu lassen, ferner golddurchwirkte Brokate und andere Luxusgegenstände für den königlichen Harem zu erstehen. Das ist selbstverständlich nur ein Vorwand, um die Menge zu blenden. Um solch armseliger Zwecke willen bin ich nicht Botschafter geworden nein! meine Geschäfte sind von größter Bedeutsamkeit! Nicht ohne die gewichtigsten Gründe wählt unser Schah, dessen Scharfsinn alles wie ein Blitz durchdringt, die Männer für seine Geschäfte aus. Er wählte mich, und das genügt. Doch jetzt hört auf das, was ich Euch sagen werde.
»Erst vor wenig Monaten kam ein Botschafter aus Europa am Tore des Reiches in Teheran an, der uns zu wissen tat, er sei von einem gewissen Bunapurt, der sich selber Kaiser der Französischen Nation nennt, gesandt, um dem Schah Geschenke und einen Brief zu überbringen. Er überreichte weitgehende Vollmachten, denen zufolge seine Worte und seine Handlungen ebensoviel gälten, als hätte sein Herr gesprochen oder gehandelt, versicherte gleichfalls, ermächtigt zu sein, einen Vertrag abzuschließen. Er trat in der Tat mit einer Überlegenheit auf, als wären alle anderen Nationen Kot unter seinen Füßen und nicht einmal wert, genannt zu werden. Er versprach, die Russen zu nötigen, uns ihre Eroberungen in Georgien wieder herauszugeben, sowie den Schah in den Besitz von Tiflis, Baku, Derbend, überhaupt in alles, was früher zu Persien gehörte, wieder einzusetzen, behauptete ferner, Indien für uns wiedererobern und die Engländer daraus vertreiben zu wollen, kurz, tat, als sei er bereit, auf jede unserer Forderungen einzugehen.
»Nun haben wir freilich schon früher etwas von den Franzosen vernommen und wußten, daß sie gutes Tuch und reiche Brokate fertigten. Daß sie aber alles das vermöchten, was ihr Botschafter verkündete, das war uns völlig neu. Auch einiges von ihrem Angriffe auf Ägypten, demzufolge Kaffee und Henna so im Preise stiegen, war uns zu Ohren gekommen; einer unserer alten Khane, aus der Familie der Sesis, erinnerte sich gleichfalls, daß seinerzeit am Hofe des Schah Sultan Hussein der Botschafter eines gewissen Louis von Frankreich zu sehen war. Wie aber dieser Bunapurt Schah von Frankreich geworden ist, das konnte sich kein Mensch m ganz Persien erklären. Allerdings bestätigten armenische Kaufleute, die in aller Herren Länder herumkommen: ihrem Wissen nach existiere eine solche Persönlichkeit, die ein großer Unruhestifter sei, wirklich; und auf Grund dessen, was diese sagten, sowie aus anderen Rücksichten ließ sich der Schah gnädigst herbei, den Botschafter zu empfangen. Ob jedoch seine uns vorgezeigten Papiere, die in Zeichen geschrieben waren, die niemand bei uns zu entziffern vermochte, echt oder falsch waren, ob diese auf alles, was er sagte, Bezug hatten, wer konnte das sagen? Jedenfalls wußten unsere Wesire, die großen und die kleinen, von der ganzen Angelegenheit rein gar nichts. Selbst unserem Schah, der (Allah möge ihn erhalten!) sonst alles weiß, was es unter der Sonne gibt, fehlte jede Kenntnis darüber. Mit Ausnahme eines gewissen Armeniers Chodia Obed, der in der französischen Stadt Marsilia gewesen, wo er vier Wochen in ein Gefängnis Wir vermuten, daß es sich hier um die Quarantaine handelte. eingesperrt wurde, sowie eines Priesters dieser Nation, eines gewissen Narses, der irgendwo in einem Derwischkloster in jenen Ländern studiert hatte, war auch niemand am Throne des Königs der Könige, der imstande gewesen wäre, das Dunkel unserer Gehirnkammern notdürftig zu erleuchten oder uns im geringsten darüber aufzuklären, ob dieser Bunapurt und sein Stellvertreter Betrüger seien oder nicht, ob sie gekommen waren, uns die Mützen von unseren Köpfen zu nehmen oder uns mit dem ›Chälät‹ des Glückes zu bekleiden. Jedoch unsere Zweifel sollten nicht lange währen, denn als die englischen Ungläubigen, von denen einige, die zwischen Persien und Indien Handel treiben und in Buscheher wohnen, von der Ankunft des Franzosen hörten, schickten sie alsogleich Boten, Briefe, selbst einen Agenten, um die Aufnahme dieses Botschafters zu verhindern, und machten so verzweifelte Anstrengungen, sein Glück zu vereiteln, daß wir alsbald merkten, aus der gegenseitigen Eifersucht dieser beiden ungläubigen Hunde ließe sich viel herausschlagen.
»›Bei meiner Krone,‹ rief der Schah, ›alles dieses verdanke ich dem Aufstiege meiner guten Sterne. Ich sitze hier auf meinem Throne, während die unreinen Hunde von Mittag und Mitternacht, von Sonnenaufgang und Untergang kommen, mir reiche Geschenke bringen, damit ich ihnen gestatte, am Fuße meines Thrones zu fechten und zu streiten. Im Namen des Propheten, laßt sie kommen!‹
»Als ich das kaiserliche Tor verließ, wurde ein Botschafter der Engländer erwartet. Die soeben erhaltenen Briefe behandeln aufs ausführlichste alle wegen seines bevorstehenden Empfanges schwebenden Verhandlungen. Da der Schah davon unterrichtet wurde, daß in Konstantinopel jede Nation in etlichen Vertretern vorhanden sei, auch jede ihren Botschafter habe, so kann er, bevor er mich gehört, unmöglich auf irgendeinen der ihm unterbreiteten Vorschläge eingehen. Erachtete es doch die Weisheit des Mittelpunktes des Weltalls für zweckmäßig, mich hierher zu senden, um die für uns unerläßlichen Kenntnisse zu sammeln, ferner jeden in Persien hinsichtlich der Engländer und Franzosen bestehenden Zweifel endgültig zu lösen, womöglich noch festzustellen, ob alles, was sie über sich selber erzählen, wahr oder falsch ist.
»Hadschi,« sagte der Botschafter, »ich, der dieser Angelegenheit nur als einzelner Mann gegenübersteht, habe jetzt erst erkannt, daß sie fünfzig Männer vollauf beschäftigen könnte, denn die Franken setzen sich aus vielen, vielen Nationen zusammen. Kaum höre ich ein Schwein, beginnt schon ein zweites zu grunzen, dann abermals ein anderes, und wiederum ein weiteres, kurz, ich merke, daß es davon eine ganze Herde gibt. Wie ich Euch schon früher sagte, sind diejenigen, aus denen sich mein Gefolge zusammensetzt, nicht die Leute, um mich bei meinen Nachforschungen zu unterstützen, darum habe ich mein Auge auf Euch geworfen. Ich erwarte viel, sehr viel von Euren Leistungen! Ihr müßt mit einigen Ungläubigen bekannt werden. Sie können Euch, da Ihr Türkisch sprecht, über vieles, was wir unbedingt erfahren müssen, aufklären. Ferner will ich Euch, damit Ihr eine Richtschnur habt, was wir alles ausfindig machen sollen, eine Abschrift von des Schahs Verhaltungsbefehlen, die Ihr jedoch in das geheimste Fach Eures Hirnkastens verschließen müßt, zukommen lassen. Nun geht, setzt Euch, bis dies geschehen ist, in einen stillen Winkel, wo Ihr lange und eingehend über den Plan, wie Ihr vorgehen wollt, Eure Betrachtungen anstellen könnt.«
Hierauf entließ er mich; ich ging von ihm, erfüllt von neuen Aussichten, auf meiner Lebensbahn vorwärts zu kommen.