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Zweiunddreißigstes Kapitel

Hadschi wird Nessektschi

Endlich wurde der Tag der Abreise nach Sultanije durch die Astrologen festgestellt. Der Schah verließ seinen Palast am 21. ›Mebi-el-evvel‹, Der dritte Monat im arabischen Kalender. genau eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang, und ritt im gemächlichsten Tempo, bis er seinen Palast in Suleimanije erreichte, der an den Ufern des Keredj, neun Parasangen Eine Parasange beträgt etwas über sechs Kilometer. von Teheran entfernt, liegt. Die verschiedenen Korps, aus denen die Armee bestand, hatten den Befehl erhalten, sich zu einer bestimmten Zeit in Suleimanije einzufinden, um dort die Ankunft des Schahs abzuwarten, dessen Eskorte nur aus seiner Leibgarde, seiner Kamelartillerie und einer Eskadron schwerer Reiter bestand. Die höchsten Hofchargen samt den Wesiren, sowie die Staatsminister reisten ungefähr gleichzeitig ab, und so wurde die Stadt an einem Tage um nahezu zwei Drittel ihrer Bevölkerung beraubt. Alles und jedermann war in Bewegung geraten. Ein mit den Verhältnissen Unvertrauter konnte annehmen, alle Einwohner hätten sich verabredet, ihre Häuser zu verlassen und ihren Haushalt aufzulösen, um sich wie ein schwärmendes Bienenvolk an einem andern Orte niederzulassen. In allen äußeren Straßen waren endlose Züge von Kamelen und Maultieren zu sehen, die, hochbeladen mit Bettzeug, Teppichen, Kochgeschirren, Sattelzeug, Zelten und Vorräten aller Art, undurchdringliche Staubwolken aufwirbelten, indessen die schrillen Rufe der Treiber mit dem vielartig tönenden Glockenschmuck der Tiere verschmolzen. Es war mir befohlen worden, zu früher Morgenstunde, die Ordnung am Tore von Kaswin aufrecht zu erhalten und dort alles zu beseitigen, was den Durchzug des Schahs behindern konnte. Die Bauern, die jeden Tag warteten, bis das Tor geöffnet wurde, um Lebensmittel in die Stadt zu bringen, wurden angehalten, einen andern Weg zu nehmen. Alle Sakkas hatten die große Straße mit Nasser besprengt, es war jede Vorsichtsmaßregel getroffen worden, damit der königliche Auszug unter den denkbar angenehmsten Umständen vor sich gehe. Vor allem durfte sich kein altes Weib blicken lassen, aus Furcht, der Schah könnte sie zufällig anschauen und auf diese Weise vom bösen Blick getroffen werden.

Als ich die Menge auseinandertrieb, entdeckte ich eine mir innewohnende Energie und Stärke, die ich mir früher gar nicht zugetraut hatte. Ich entsann mich sehr wohl, wie verhaßt mir jeder Beamte gewesen, als ich noch selbst zum Pöbel zählte. Jetzt ließ ich meinen Stock so unbarmherzig auf den Köpfen und Rücken tanzen, daß meine Mitbrüder, die Polizeileute, mich anglotzten und ganz erstaunt waren, in ihrer Mitte einen solchen Teufel zu haben. Mir lag alles daran, mit der Zeit den Ruf der Unerschrockenheit zu erwerben, der mir, so hoffte ich, später zu einer höheren Stellung verhelfen sollte.

Endlich setzte sich der Zug in Bewegung. Ein Salutschuß verkündete, der Schah habe seinen Palast verlassen. Selbst der Oberexekutor galoppierte voll Hast auf seinem prachtvollen Schlachtroß durch die Straßen; bald da, bald dort sah man Berittene dahinjagen, die einzig nur den Zweck verfolgten, den Weg freizuhalten. Alles verstummte in Angst und Erwartung. Zuerst erschienen die Herolde, dann die ledigen Leibpferde mit den prachtvollen Schabracken, die von Juwelen, Goldstoffen und kostbaren Schals strotzten. Nach diesen kamen die Läufer, dann der Schah selbst, dem die Prinzen folgten. Hinter ihnen ritten die Minister; den Schluß bildete ein starkes Aufgebot von Kavallerie.

Außerdem muß noch erwähnt werden, daß jeder einigermaßen Höhergestellte ein Gefolge von Dienenden mit sich führte und diese meist wieder ihr Gefolge hatten. Rechnet man nun außer allen Mirzas, Dienern, Pfeifenträgern, Köchen, Küchenjungen, Teppichbreitern, Läufern, Stalljungen samt Pferden, Esel- und Kameltreibern noch die übrigen zehntausend dazu, die sich dem Zuge ins Lager anschlossen, so wird man sich vielleicht eine Vorstellung von dem ungeheuren Menschengewirre machen können, das an mir vorüberzog, solange ich am Tore stand.

Als der Schah, dessen langer Bart bis zu seinem Gürtel wallte, dessen Persönlichkeit alle Schrecknisse despotischer Herrschaft in sich vereinigte, näher kam, durchfuhr mich unwillkürlich eine seltsame Empfindung in der Nackengegend. Zu tiefst neigte ich mich vor diesem Mächtigen, dessen bloßer Wink genügte, ehe es möglich war, dagegen Einspruch zu erheben, mir den Kopf von den Schultern zu trennen.

Als der Zug die Stadttore passiert hatte, blieb ich noch zurück, um bei den Wächtern, die hier ihren Standort hatten, ein wenig auszuruhen und meine Wasserpfeife zu rauchen. Um dieselbe Zeit kam die Frau eines der Wesire, der man gestattet hatte, ihren Mann ins Lager zu begleiten, vorüber und brachte mir abermals Seneb in Erinnerung. Ich seufzte tief auf beim Gedanken, welch grausames Los ihrer, aller Wahrscheinlichkeit nach, harrte. Sie war nun, wie mir Nur-Dschähan am Tage vor unsrer Abreise mitgeteilt hatte, in einem kleinen Sommerhause untergebracht, das am Fuße der Berge liegt, die Teheran umgeben. Dort sollte sie, mit vielen andern ›Bäsigers‹ zusammen, Tanz, Gesang und äquilibristische Kunststücke erlernen. Der Schah hatte befohlen, sie müsse bis zu seiner voraussichtlichen Wiederkehr im Herbste alle diese Künste vollkommen beherrschen, um dann der Ehre teilhaftig zu werden, sie ihm vorführen zu dürfen. Als ich von dannen ritt, konnte ich nicht umhin, meinen Kopf nach der Richtung des Hauses, wo sie eingesperrt war, zu wenden, das aus der Ferne nur wie ein weißer Fleck am Fuße der Berge schimmerte. Unter andern Umständen hätte ich vielleicht jede Pflicht hintangesetzt und versucht, nur einen flüchtigen Blick von ihr zu erhaschen, so aber wurde ich an die Spitze des Zuges gerufen, um in Suleimanijé zur Hand zu sein, wenn der Schah aus dem Sattel steige.

Außer dem Naib oder Leutnant des Oberexekutors gab es auch einen Unterleutnant, dessen ich erwähnen muß; denn nur ihm verdanke ich es, wenn schließlich Höhergestellte auf mich aufmerksam wurden. Er hieß Schir Ali und war aus Schiras gebürtig. Er hatte hinlängliche Zeit gedient, um alle im Berufe üblichen Kniffe gründlich zu kennen. Wenn wir auf dies Thema zu sprechen kamen, so eröffnete sich mir ein überraschend weites Feld zur Verwertung genialer Einfälle.

Er sagte: »Du darfst nicht glauben, daß der Sold, den der Schah seinen Untergebenen bezahlt, für diese sehr in die Wagschale fällt. Nein, die Einträglichkeit der Stellungen hängt nur davon ab, ob sie ihnen ein ergiebiges Feld für Erpressungen bieten und sie genügenden Scharfsinn besitzen, aus den Umständen auch den richtigen Nutzen zu ziehen. Nimm zum Beispiel unsern Vorgesetzten. Er hat einen Gehalt von tausend Toman im Jahre. Ob ihm diese ausgezahlt werden oder nicht, verschlägt ihm wenig; gibt er doch mindestens fünf bis sechsmal so viel aus. Woher sollte er das wohl nehmen, flösse ihm das Geld nicht durch jene zu, die sich unter seiner Gerichtsbarkeit befinden? – Ein Khan erregt das Mißfallen des Schahs, bekommt die Bastonade und wird zu einer Geldbuße verurteilt. Je größer das Geschenk des Verurteilten ist, desto milder werden die Schläge des Oberexekutors ausfallen. – Einem Rebellen soll das Auge ausgestochen werden! Die Höhe des Geschenkes wird entscheiden, ob die Bestrafung auf die roheste Art mit dem Dolche vorgenommen wird oder auf zarteste Weise mit dem Federmesser. – Er wird an der Spitze einer Armee auf einen Kriegszug geschickt. Wo auch immer sein Weg ihn hinführt, werden ihm Städte und Dörfer Geschenke entgegenschicken mit der Bitte, sie mit dem Durchzuge der Truppen zu verschonen. Je nach dem Werte des Geschenkes wird sein Taktgefühl bestimmen, wo die Rasttage gehalten werden. – Die meisten in hohen Stellungen, selbst die Wesire machen ihm alljährlich ein Geschenk, weil sie hoffen, etwas milder behandelt zu werden, falls sie das Mißfallen des Schahs erregen sollten. Kurz, wo immer ein Stock geschwungen und eine Strafe vollzogen wird, erhebt der Oberexekutor, was ihm zukommt. Und von ihm aus geht das stufenweise hinunter bis zum Letzten seiner Angestellten. Bevor ich Unterleutnant wurde und häufig genötigt war, armen Verurteilten die Bastonade aufzuerlegen, regte sich in sehr vielen Fällen erst mein Mitleid, wenn man direkt an meine Börse appellierte. Ich schlug dann, anstatt auf die Füße des Schuldigen, auf den Fäläkä, wo sie lagen. Erst im vorigen Jahre passierte es dem ersten Staatssekretär, sich die Ungnade des Schahs zuzuziehen. Er wurde zur Bastonade verurteilt. Um ihn einigermaßen vor andern auszuzeichnen, wurde als Unterlage ein kleiner Teppich ausgebreitet. Ich und ein andrer waren mit der Ausführung der Bastonade betraut, zwei andre hielten den Fäläkä. Als wir ihm Schal und Mütze vom Kopfe nahmen, ihn seines Gürtels und Oberrocks entledigten (die uns als rechtmäßiger Nebenverdienst zukamen), flüsterte er uns ganz leise zu, damit der Schah, der allem beiwohnte, es nicht hören konnte: ›Bei der Mutter, die euch geboren hat, schlagt mich nicht zu arg! Wenn ihr mich nicht trefft, so will ich jedem von euch zehn Toman geben.‹ Seine Fersen wurden nach oben gekehrt, seine Füße in die Löcher gesteckt, während sein Rücken auf den Teppich zu liegen kam, und dann ging's ans Werk. Um unsrer eigenen Sicherheit willen mußten wir im Anfange so lange herzhaft zuhauen, bis er tüchtig brüllte. Erst nachdem wir ihn auf diese Weise geschickt gezwungen hatten, seine Angebote zu erhöhen, und er schließlich jeden von uns geforderten Preis zusagte, hörten wir allmählich auf, seine Fußsohlen zu bearbeiten, und zerschlugen unsere Stöcke bloß am Fäläkä. Damit der Schah nichts von unserm gegenseitigen Einverständnisse merke, galt es für beide Parteien mit der größten Geschicklichkeit vorzugehen. Seine flehentlichen Bitten wurden stets durch ein rasendes Gebrüll unterbrochen und lauteten ungefähr so: ›Ahi aman, aman! Um der Barmherzigkeit willen, bei der Seele des Propheten! Zwölf Toman. Bei der Liebe zu euern Vätern und Müttern! Fünfzehn Toman! Bei des Königs Haupt! Zwanzig Toman! Bei allen Imâms! Bei allen Propheten! Dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig, hundert, tausend! Soviel ihr haben wollt.‹

»Als alles vorüber war, sahen wir bald ein, daß seine Großmut ebenso schnell abnahm, als sie vorher ins Ungeheure gewachsen war; er zahlte, was er zuerst versprochen hatte und was er zu geben verpflichtet war. Mußte er doch befürchten, uns ohne jedes Erbarmen zu finden, falls ihm das gleiche Unglück abermals passieren sollte.«

Derartige Gespräche mit Schir Ali machten mir erst klar, wieviel Geld man in meinem Stande gewinnen konnte, und nun lag mir nichts andres mehr im Sinne als Bastonaden und Geldeinheimsen. Den ganzen Tag ging ich herum, ließ meinen Stock um meinen Kopf sausen und übte meine Hand so lange an jedem Gegenstand, der nur einige Ähnlichkeit mit Menschenfüßen hatte, ein, bis diese so Vorzügliches leistete, daß ich mich anheischig machen konnte, falls es verlangt würde, jede Zehe einzeln zu verhauen. Der erste Impuls meiner Natur war nicht grausam, auch war ich mir bewußt, weder tapfer noch mutig zu sein; darum wunderte ich mich nicht wenig, wie ich mit einem Schlage ein Löwe ohne den Heiligen wurde. ›Schir, bi pir‹ (ein Löwe ohne den Heiligen) ist eine beliebte persische Bezeichnung für einen Desperado, einen Burschen ohne jedes Mitleidsgefühl. In der Tat war es stets das Beispiel andrer gewesen, das auf mein Denken und Handeln den stärksten Einfluß ausübte; denn ich lebte jetzt in einer so mit Roheit und Grausamkeit erfüllten Atmosphäre, hörte von nichts anderm als geschlitzten Nasen, abgeschnittenen Ohren, ausgestochenen Augen, von im Backofen Gebackenen, durch Mörser in die Luft Gesprengten, Gevierteilten, daß ich wahrhaftig überzeugt bin, ich wäre beinahe imstande gewesen, meinen leiblichen Vater zu pfählen, hätte man mir es nur richtig vorgemacht.


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