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Zehn endlose, langweilige Tage hatte ich schon in meinem Schlupfwinkel verbracht, ohne das mindeste von Molla Nadan zu hören. Ich argwöhnte, die Gestirne ständen noch immer so ungünstig für ihn, daß sein Unternehmen dennoch nicht so gut abgelaufen sein könnte, als er erwartete.
Da nur selten Nachrichten aus der Stadt ins Dorf gelangten, so verzweifelte ich schon, je wieder etwas von meinem Pferde, meinen Kleidern und meinem kostbaren Sattelzeuge zu erfahren. Eines Abends jedoch kehrte ein Bauer unzufrieden aus Hamadan zurück, weil es ihm nicht geglückt war, sich auf dem dortigen Markte als Feldarbeiter zu verdingen. Seine Reden bestätigten einigermaßen meine Befürchtungen. Er berichtete nämlich, die Ankunft eines Nessektschis habe in der Hauptstadt ungewöhnliches Aufsehen erregt, weil er den Sohn seines Agas (Dorfherrn), nachdem er ihm sein Pferd beschlagnahmt, gefangen genommen und unter dem schweren Verdachte, er sei der Mörder des Molla-Baschi, nach Teheran abgeführt hätte. Ich überlasse es dem verehrten Leser, sich vorzustellen, was ich bei dieser Nachricht empfinden mußte. Das Schweigen Nadans war nun sattsam erklärt, ich aber war mir, wenn ich mich auch im Augenblicke sicher fühlte, doch aller Gefahren, die früher oder später auf mich lauerten, wohlbewußt. Von den gastfreundlichen Dorfbewohnern nahm ich, nachdem ich ihnen erklärt hatte, wieder vollkommen hergestellt zu sein, hastig Abschied und machte mich eiligst auf den Weg nach Hamadan, um zu erfahren, inwieweit die Erzählung des Bauern auf Wahrheit beruhe.
Nadans Vater war eine so wohlbekannte Persönlichkeit in der Stadt, daß ich sein Haus ohne Schwierigkeit fand. Ich wollte aber weder dort noch anderswo unmittelbare Erkundigungen nach dem Schicksale meines Freundes einziehen, sondern trat in eine naheliegende Barbierstube ein, einerseits, um mit Hilfe des Besitzers meinen Bart und meinen Kopf in eine anständige Verfassung zu bringen, andrerseits, weil mir der Mann ganz geeignet schien, den wahren Sachverhalt zu erzählen.
Seine Geschwätzigkeit und sein aufdringliches Wesen entsprachen ganz meinen Erwartungen. Als ich ihn nach den Neuigkeiten des Tages fragte und tat, als wüßte ich gar nichts von den letzten aufsehenerregenden Vorkommnissen, trat er zwei Schritte zurück und rief: »Woher kommt Ihr, um noch nichts von den Greueltaten dieses Hundes Molla Nadan zu wissen? – Nicht zufrieden damit, den Oberpriester ermordet zu haben, mußte er sich auch noch in seine Kleider stecken; und damit wiederum nicht zufrieden, hat er noch obendrein das beste Pferd des Oberexekutors gestohlen. Wunderlichen Kot hat er gefressen!«
Ich ersuchte meinen Berichterstatter, mir alle Einzelheiten dieser mir völlig unbekannten Begebenheit zu schildern, und ohne sich ein zweites Mal bitten zu lassen, erzählte er mir folgendes: »Es mögen zehn Tage her sein, daß dieser Nadan vor dem Tore seines Vaterhauses auf einem prachtvollen, in reichster Weise aufgezäumten Pferde ankam, das viel eher für einen Khan oder Kriegsmann paßte, als es einem demütigen Diener Gottes anstand. Er war in Schals der feinsten Sorte gekleidet und sah in der Tat wie der Oberpriester selbst aus. Sein Erscheinen in diesem modischen Anzuge und auf einem solchen Pferde erregte natürlich ein ungeheures Aufsehen, zudem erst vor kurzem das Gerücht hierher gedrungen war, er habe sich die Ungnade des Schahs zugezogen und sei auf die schimpflichste Art aus Teheran hinausgejagt worden. Beim Absteigen gab er sich ein schrecklich wichtiges Ansehen. Als man ihn aber nach der Vertreibung aus der Hauptstadt befragte, schien er sich sehr wenig daraus zu machen; er sagte, man habe ihm heimlicherweise zu verstehen gegeben, diese Ungnade sei nur eine augenblickliche, und habe ihm, um sie zu mildern, das Pferd geschenkt, auf dem er reite. Da jedermann die Sache glaubhaft fand, wurde er im Vaterhause mit den größten Ehrenbezeugungen empfangen. Höchst unglücklicherweise jedoch ritt am nächsten Tage, gerade als er vorhatte, sich der Bevölkerung auf seinem edlen Pferde zu zeigen, ein Nessektschi, der soeben aus Teheran angekommen war, an seinem Hause vorüber. Dieser machte Halt, betrachtete zuerst aufmerksam das Pferd, untersuchte hierauf den Sattel mit dem Goldknopf und rief: ›La Allah ill Allah!‹ Er erkundigte sich hierauf bei den Umstehenden, wem dies Pferd gehöre, um zu erfahren, es sei das Eigentum des Molla Nadan. ›Des Molla Nadan?‹ rief er aufs höchste empört, ›wessen Hund ist er? Dies Pferd hier ist das Eigentum meines Herrn, des Oberexekutors; und wer sagt, das sei nicht wahr, der ist, ob Molla oder nicht, ein Lügner!‹
»Inzwischen war der Angeklagte selbst erschienen, der, als er sah, was vorging, sich vor dem Nessektschi zu verstecken suchte, da es sich zufälligerweise traf, daß dieser einer der Offiziere war, die ihn am Tage seiner Schmach durch die Stadt geführt hatten. Er überblickte sofort, da er die Kleider und den Turban des Verstorbenen trug, die ganze Gefahr seiner Lage und würde sich sicher gleich aus dem Staube gemacht haben, hätte ihn der Nessektschi nicht alsbald erkannt und laut gerufen: ›Ergreift ihn, nehmt seine Seele, das ist er! – das ist der Übeltäter! Glückbringende Sterne, habt Dank! Beim Haupte Alis, beim Barte des Propheten, das ist der verruchte Schurke, der den Oberpriester ermordete und meinem Herrn das Pferd stahl!‹ – Der Nessektschi, der mittlerweile abgestiegen war, nahm mit Hilfe seines Begleiters und der Umstehenden, die gar bald merkten, er handle im Namen des Gesetzes, den Molla gefangen, der mit hundert Eiden beteuerte, er wolle auf den Koran schwören, daß er weder der Mörder noch der Dieb sei.«
Der Barbier berichtete mir getreulichst alle Einzelheiten der zwischen dem Molla und dem Nessektschi stattgefundenen Unterredung, deren Endergebnis war, daß Nadan, ungeachtet aller Schritte, die sein Vater und seine Freunde zu seinen Gunsten taten, als Gefangener nach Teheran abgeführt wurde. Wohl niemals ward eine menschliche Brust von so widerstreitenden Gefühlen zerrissen wie die meine, als mir der Barbier mitteilte, welch schreckliches Schicksal meinen Gefährten erreicht hatte. Im ersten Augenblicke beklagte ich den Verlust meines reichgezäumten Pferdes und meiner kostbaren Kaschmirgewänder. Im nächsten jedoch beglückte mich die Empfindung völliger Sicherheit und der Gedanke, daß, wenn der arme Nadan auch allenfalls seinen Kopf verlieren sollte, man mich niemals mehr wegen meiner jüngst begangenen Schlechtigkeiten zur Rechenschaft ziehen würde. Auch konnte ich nicht umhin, mich unter dem besonderen Schutze eines guten Sternes zu wähnen, und zog daraus den Schluß, daß der Molla unfehlbar zum Unglück auserkoren sein mußte. Weshalb hätte er sonst die Kleider mit mir vertauscht und mein Pferd zu einem Zeitpunkte von mir verlangt, wo ich nur mit Widerstreben auf seinen Vorschlag einging?
Aber obgleich alle Wahrscheinlichkeit vorlag, daß er die mir gebührende Strafe erleiden müsse, fühlte ich mich, solange ich im Vaterlande verweilte, nicht mehr in Sicherheit und entschloß mich darum, auf meine frühere Absicht, Persien unverzüglich zu verlassen, zurückzukommen. Über den Verlust meines Pferdes und meiner Gewänder tröstete ich mich mit meinen fünfundneunzig Toman, die für meine Bedürfnisse hinlänglich ausreichten, und mit den trostspendenden Worten ›Khoda buzurg est!‹ (Gott ist groß), die für mich, wie für so viele andre arme Teufel, die einzige Versorgung für die Zukunft bedeuteten und den einzigen Schutz gegen alle von der Hand des Schicksals für uns vorbereiteten unvorhergesehenen Übel bildeten.