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Von meiner Mutter schied ich ohne viel Bedauern. Da auch ihr die Trennung nur geringen Kummer zu bereiten schien, so entbehrte unser Abschied jeder Zärtlichkeit. Sie hatte ihre Pläne, ich die meinen, und so, wie sich unser Verhältnis gestaltet hatte, war es wohl das beste, wenn unsre Wege sich möglichst wenig kreuzten.
Bei Tagesanbruch bestieg ich mein Maultier und hatte, ehe die Sonne unterging, schon ein gutes Stück meines Weges nach Kum hinter mir. Am neunten Tage meiner Reise aber blinkte mir abermals die Kuppel des Grabmales der Fatimeh entgegen.
In der Stadt stieg ich in einer kleinen Karawanserei ab, wo ich mein Maultier gut versorgt wußte, und begab mich hierauf, mit meinem Geschenk unter dem Arme, zur Behausung des Mudschtähid. Da er nicht mit zahlreichen Dienern, welche die Fremden einschüchtern konnten, prunkte, so war seine Tür, im Gegensatze zu andern persischen, vornehmen Häusern, stets für jedermann geöffnet. Meinen Teppich und meine Schuhe ließ ich vor der Tür zurück und fand bei meinem Eintritt den gütigen Mann, in einer Ecke des Zimmers sitzend.
Er erkannte mich sofort, und als er mich zum Niedersitzen einlud, nahm ich mit der ihm gebührenden Ehrfurcht auf der äußersten Kante des Teppichs Platz.
Er bat mich, ihm alle meine Abenteuer seit der Entlassung aus dem Heiligtum zu erzählen, und schien großen Anteil an meinem Geschick zu nehmen. Ich vertraute ihm auch, welch tiefen inneren Drang ich fühlte, mein Leben ganz einem heiligen Zweck zu weihen, und bat ihn, mir behülflich zu sein, irgendeine Stellung zu erlangen, die mir die Möglichkeit bot, im Interesse des wahren Glaubens zu wirken. Nachdem er einige Augenblicke nachgedacht hatte, sagte er: »Gerade diesen Morgen erhielt ich einen Brief vom Molla Nadan, einem unsrer ersten Schriftgelehrten Teherans, der dringend jemand sucht, der halb Schreiber, halb Diener wäre – kurz, einen Mann, der selbst das Zeug zu einem Molla hätte und den in allem zu unterrichten, was dieser Beruf erfordere, er sich anheischig mache.«
Als ich das hörte, hüpfte mir das Herz vor Freude, denn gerade nach so einer Stellung stand mir der Sinn. »Überlaßt es nur mir,« dachte ich; »habt ihr erst einen halben Molla aus mir gemacht, so will ich selber Sorge tragen, ein ganzer zu werden.«
Ich bat darauf den Mudschtähid ohne alle Umschweife, er möge mit seiner Güte gegen mich nicht auf halbem Wege stehen bleiben und mich mit einer Empfehlung versehen, worauf er mir alsbald ein mit eigner Hand geschriebenes, sorgfältig zusammengerolltes Brieflein übergab und sagte: »Begib dich ohne Verzug nach Teheran, zweifellos wird die Stelle noch nicht besetzt sein, und der Molla ist sicher willens, dich in seine Dienste zu nehmen.«
In überströmender Glückseligkeit küßte ich die Hände sowie das Gewand des heiligen Mannes und bedankte mich tausendmal für seine große Güte. »Nun hätte ich meinem Meister noch eine weitere Bitte vorzutragen,« sagte ich; »Ihr möget mir gnädigst gestatten, Euch dieses kleine ›Pisch-kesch‹ (Ehrengeschenk) zu Füßen legen zu dürfen, in der Hoffnung, Ihr möchtet meiner manchmal im Gebete gedenken.«
»Möge dein Haus gedeihen, wenn auch zu diesem Geschenk nicht die geringste Veranlassung vorlag,« sagte verbindlich der Mudschtähid. »Bleibe ein guter Muselmann, bekämpfe die Ungläubigen und steinige die Sufis; etwas anderes verlange ich nicht von dir. Sei überzeugt, daß, wenn du dies befolgst, ich dir stets ein gutes Andenken bewahren werde.«
Daraufhin holte ich mein Geschenk, über das er große Freude äußerte, und kehrte, nachdem ich entlassen war, in meine Karawanserei zurück, ohne mir die Zeit zu nehmen, weder bei meinen alten Bekannten in Kum vorzusprechen, noch einen Blick auf meine Unglückszelle im Heiligtume zu werfen, sattelte mein Maultier und setzte meinen Weg noch in der gleichen Nacht nach Pul-i-Dallāk fort.
Um nicht an der Stelle vorbeizukommen, wo die unglückliche Seneb begraben lag, erreichte ich Teheran auf einem Umwege und ritt durch das Tor von Kaswin ein. Ich war glücklich, daß die Wachen, die sich, als ich noch meine frühere Stellung bekleidete, bei meinem Erscheinen stets ungeheuer dienstbeflissen zeigten, mich nicht erkannten. Doch in der Tat war es nur zu natürlich, unter dem Gewande des demütigen, unbedeutenden Priesters nicht den tätigen, unruhigen und gebieterischen Nessektschi zu vermuten. Ich fühlte mich darum vor der Hand in meiner Verkleidung sicher und schritt kühn durch die Basare und die öffentlichen Plätze der Stadt, wo man früher nicht gehen konnte, ohne meinem Gesicht beständig zu begegnen.
Ich fragte nach dem Hause des Molla Nadan, was mir, da er ein wohlbekannter Mann war, sofort gezeigt wurde. Aber bei näherer Überlegung hielt ich es für klüger und auch schicklicher, in einer kleinen, dem Hause meines zukünftigen Herrn nahegelegenen Karawanserei abzusteigen, als mich so spät am Abend vorzustellen; lag mir doch alles daran, durch meine äußere Erscheinung den denkbar günstigsten Eindruck hervorzurufen. Nachdem ich bestens für mein Maultier gesorgt hatte, fiel ich nach den Beschwerden der Reise in einen ruhigen, erquickenden Schlaf, begab mich am nächsten Morgen ins Bad, ließ meinen Bart frisch färben, Hände und Füße ausgiebigst mit Henna verschönern und konnte mir dann schmeicheln, meine Erscheinung sei ganz dazu angetan, das größte Wohlgefallen zu erregen.
Das Haus des Molla lag zwischen der königlichen Moschee und den Quartieren der Kamelartilleristen, dicht am Eingange des Basars, der beim Tore der besagten Moschee anfängt und dessen anderes Ende unmittelbar zu dem Graben vor des Schahs Palast führt. Die Straßenfront des Hauses war ärmlich. Allein, trat man durchs Tor in den zwar kleinen, doch reinlich gehaltenen und reichlich mit Wasser besprengten Hof und das Zimmer, dessen Fenster hier herausgingen, so war es freilich nur weiß getüncht, aber doch mit einer so erklecklichen Anzahl von Teppichen ausgeschmückt, die zwar keinen Reichtum verrieten, dennoch jede Armut ausschlossen.
In diesem Zimmer saß ein bleicher, kränklich scheinender Mann, den ich irrtümlicherweise für den Hausherrn hielt, der jedoch noch in seinem Enderun verweilte und in Bälde erscheinen sollte.
»Ihr seid wahrscheinlich erst seit ganz kurzer Zeit in Teheran angekommen?« fragte mich der Mann.
»Zu dienen, ja,« antwortete ich.
»Sicherlich habt Ihr die Absicht, einige Zeit hier zu bleiben?«
»Das ist noch unsicher,« erwiderte ich.
Nach einer Pause begann er abermals: »Allein zu leben, und wäre es nur eine Woche lang, ist doch, obgleich die Stadt Teheran gar viele Lustbarkeiten bietet, höchst langweilig. Wenn ich Euch darum in irgendeiner Weise dienlich sein könnte, so wäre ich, bei meinen Augen! gern dazu bereit«.
»Möge Eure Güte sich nie vermindern! doch ich habe mit dem Molla zu reden.«
»Ob Ihr mit ihm oder mit mir sprecht, macht keinen Unterschied,« sagte er. »Bei allen Euren Geschäften könnte ich Euch an die Hand gehen, und, Allah sei gepriesen! Ihr würdet zur vollsten Zufriedenheit bedient werden. Von jeder Sorte und zu jedem Preise haben wir auf Lager.«
»Ich bin kein Kaufmann,« antwortete ich.
»Es ist gar nicht nötig, ein Kaufmann zu sein,« sagte er. »Ihr seid ein Mann und ein Fremder, das genügt. Ob nun auf ein Jahr oder einen Monat, eine Woche oder einen Tag, ja selbst auf eine Stunde, Ihr könntet gut versorgt werden und Eure Zeit recht angenehm verbringen; bei meinem Kopfe! so ist es.«
Da mir der Sinn dieser Worte immer rätselhafter wurde, war ich gerade auf dem Punkte, ihn zu ersuchen, er möchte meinem Verständnisse zu Hülfe kommen, als der Molla Nadan ins Zimmer trat.
Dieser war ein schöner, hochgewachsener Mann von ungefähr vierzig Jahren, dessen frischgefärbter Bart im tiefsten Schwarz erglänzte, dessen dunkle Augen eine Umrandung von Antimonium noch leuchtender erstrahlen ließen. Ein ungeheurer Turban aus weißem Musselin umwand sein Haupt, über die Schultern hatte er einen ›Chirket‹ oder arabischen, weiß- und braungestreiften Mantel geworfen. Wenn seine athletische Figur sich auch wohl besser zum Soldaten als zum Gelehrten eignen mochte, so ermangelte doch der Ausdruck seiner Züge jedes kriegerischen Freimutes, verriet im Gegenteil Verschmitztheit und Verschlagenheit, die aber zu gleicher Zeit mit gutem Humor gepaart zu sein schienen.
Bei seinem Eintritt erhob ich mich, übergab ihm stracks den Brief des Mudschtähid und wagte nicht, mich wieder niederzusetzen.
Nachdem er den Brief aufgerollt hatte, blickte er zuerst diesen und dann wieder mich so aufmerksam an, als wollte er erraten, was mich herführe. Sobald er jedoch den Inhalt des Schreibens entziffert hatte, leuchtete sein Gesicht auf, und er bat mich, Platz zu nehmen.
»Du bist willkommen,« sagte er und richtete dann bezüglich des Wohlbefindens des heiligen Mannes eine Reihe von Fragen an mich, die ich so beantwortete, als stünde ich mit diesem auf dem intimsten Fuße.
Er entschuldigte sich hierauf, mir keinen Kalian anbieten zu können; »denn«, sagte er, »ich selbst rauche niemals. Unser heiliger Prophet (über dem Frieden und Heil sei!) hat seinen Nachfolgern alles verboten, was berauschend wirken könnte. Und wenn auch der Genuß des Tabaks in ganz Persien und der Türkei allgemein verbreitet ist, so enthalte ich mich dessen trotzdem, weil er bekanntermaßen auf den Verstand etwas benebelnd einwirkt.«
Er fuhr dann fort, so lange über sich selbst, sein strenges Fasten sowie seine Kasteiungen zu reden, bis ich zu fürchten begann, auch ich müßte meine Tage in Abtötung verbringen, von Wonnen hingegen, wie sie mir soeben noch der Priester in Aussicht gestellt hatte, wäre keine Rede. Doch Nadans gesundes, rosiges Aussehen, sein stattlicher, wohlgenährter Körper, die in so grellem Gegensatze zu der von ihm gepredigten, entsagungsvollen Lebensweise standen, ließen mich im stillen hoffen, mit der Zeit schon dahinterzukommen, wie große Freiheiten er sich in der Auslegung der Gesetze erlaube, daß sein äußeres Auftreten, ganz wie sein Haus, das private und öffentliche Gemächer aufwies, sich nur den Anforderungen der Welt anpasse und er im stillen Kämmerlein wohl ausgiebigst seinen persönlichen Freuden huldige.