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Dreizehntes Kapitel

Hadschi macht eine verhängnisvolle Bekanntschaft

Leichten Herzens verließ ich Semnan – mein Rücken war geheilt; ich war jung und wohlgestaltet, zwanzig ersparte Toman klimperten in meinem Beutel, auch hatte ich einige Erfahrungen gesammelt. Ich beschloß daher, nach meiner Ankunft in Teheran das Gewand des Derwisches abzulegen, mich vom Kopf bis zum Fuß schön zu kleiden und zu trachten, meinem ferneren Glücke höhere Ziele zu stecken. Etwa eine Stunde vor Teheran schritt ich dahin und sang aus voller Brust ein Liebeslied von Leila und Mädschnun, als mich ein Eilbote einholte, ein Gespräch mit mir begann und mich einlud, einige Erfrischungen mit ihm zu teilen. Da die Hitze des Tages überwältigend war, folgte ich der Aufforderung nur zu gerne, und am Rande eines Baches, nahe einem Kornfelde, setzten wir uns nieder. Der Eilbote nahm das Zaumzeug seines Pferdes ab und erlaubte diesem, in der jungen Saat zu weiden, zog dann aus den tiefen Falten seiner Beinkleider ein Taschentuch hervor, in das er verschiedene Klumpen kalten, gekochten Reises und einige Stücke Brot gewickelt hatte. Auf den Reis schüttelte er aus einem Sacke, der am Sattelbogen hing, etwas dicke, saure Milch. Wenig appetitlich ist der Anblick der sauren Milch, die in einem Zeugbeutel mitgeschleppt wird, der an dem Hinterschenkel des Pferdes herabhängt. Die durchträufelnde Flüssigkeit gibt dem Pferdeschenkel einen sehr widerlichen Anblick, der vor dem Genusse der so transportierten Milch abschreckt. Hat die Milch in dieser Weise ein gut Stück Weg hinter sich, so ist in dem Beutel eine käseartige Masse zurückgeblieben, die von den Persern unter dem Namen Ma gern zum Brote gegessen wird. (Brugsch, Reise nach Persien.) Aus denselben Beinkleidern, die seine Schuhe, einen Vorrat an Tabak, einen Trinkbecher und noch zahlreiche andere höchst nützliche Dinge enthielten, zog er zur Bereicherung des festlichen Mahles noch ein halbes Dutzend roher Zwiebeln hervor. Da wir mit dem größten Hunger alles nur zu bald vollständig aufaßen, sahen wir uns gezwungen, als Nachtisch melancholisch an unseren eigenen Fingern zu saugen. Das Ganze schwemmten wir mit Wasser aus dem Bache hinunter und waren so gefräßig gewesen, daß wir uns erst hinterher nach unseren beiderseitigen Reisezielen ausfragten. Mein Gewand verriet den Derwisch, und meine Geschichte war rasch erzählt. Er seinerseits war Eilbote des Gouverneurs von Asterabad und beauftragt, die frohe Nachricht von der Befreiung des Poeten Asker Khan, meines ehemaligen Gefährten bei den Turkmenen, zu überbringen. Ich ließ mir nicht anmerken, welchen Anteil ich an der Nachricht nahm. Meine Erfahrungen hatten mich gelehrt, wie weise es sei, sich in allen Lebenslagen die größte Zurückhaltung aufzuerlegen, und gab deshalb vor, selbst von der Existenz eines solchen Poeten niemals das mindeste vernommen zu haben.

Mein Begleiter erzählte mir ferner, daß es dem Poeten zwar gelungen wäre, zu entfliehen und Asterabad glücklich, indes von allem entblößt zu erreichen, und er deshalb vorausgeschickt worden sei, um der Familie von dieser mißlichen Lage Kenntnis zu geben. Er zeigte mir auch die ihm anvertrauten Briefe, die er, in ein Taschentuch gewickelt, auf der Brust verwahrte. Der fürchterlich neugierige, doch des Lesens unkundige Bursche war daher nur zu glücklich, in mir jemand zu finden, der ihm den Inhalt mitzuteilen vermochte.

Das erste Schreiben, das ich einer Prüfung unterwarf, war eine Denkschrift des Poeten an den König der Könige. In hochpoetischen Lauten schilderte er darin alles Elend und alle Qualen, die er unter der Herrschaft der Turkmenen hatte erdulden müssen, betonte aber, daß Hunger, Durst und die barbarisch grausame Behandlung, die er erlitten, nichts gewesen seien im Vergleiche mit den Qualen, die Nähe der allerhuldvollsten, strahlenden Gegenwart der Perle des Königtums, dem herrlichsten aller Kleinode, der Quintessenz aller irdischen Vollkommenheiten, des großen Königs aller Könige entbehren zu müssen. Da selbst dem elenden Wurme vergönnt sei, im warmen Glorienscheine der Sonne zu kriechen, so hoffe auch er, der niedrigste aller königlichen Untertanen dürfe sich einst wieder im Glanze königlicher Huld sonnen. Endlich bat er demütig, seine lange Abwesenheit möchte ihm nicht den Schatten des Thrones entzogen haben, es möge ihm vergönnt sein, seine frühere Stellung in der Nähe Seiner Majestät wieder einzunehmen, und diese neuerdings gestatten, daß er, mit den Nachtigallen wetteifernd, die Göttlichkeit der lieblichsten Rose besinge. Der nächste Brief war an den Großwesir gerichtet, einen abgelebten Mann von notorisch verruchten Sitten, den der Poet, um seine Gunst zu gewinnen, als einen Planeten unter den Sternen und den Rettungsanker des Reiches pries. Ein beinahe gleichlautender Brief war für seinen ehemaligen Feind, den Großschatzmeister, bestimmt. Dann las ich auch die Briefe an seine Frau, den Erzieher seines Sohnes und seinen Hausverwalter. Seiner Frau schrieb er über innere Angelegenheiten des Enderuns, Harem. hoffte, sie hätte nicht zu viel für Putz und Tand vertan und hätte die Sklavinnen in guter Zucht gehalten, schließlich bat er sie, im Vereine mit diesen, ihm, dem von allem Entblößten, neue Wäsche anzufertigen. Seinem Hausverwalter empfahl er, bei allen geschäftlichen Dingen und im Hause die größte Sparsamkeit walten zu lassen; auch solle er alle Tage zum Großwesir gehen und diesen bis in den Himmel loben, hielt ihn ferner an, seine Weiber und Sklavinnen zu überwachen, seine Frau das Bad nicht zu oft besuchen zu lassen und bei Ausflügen aufs Land seine Gattin und die Sklavinnen stets zu begleiten. Er hoffe auch, die Mauer, welche das Enderun umgäbe, sei immer gut imstande erhalten worden, um überflüssige Schwätzereien mit den Nachbarn auf den Dächern zu verhindern.

Sein schwarzer Sklave Johur, der nun bald mannbar wäre, sollte nicht länger freien Zutritt im Enderun haben, und käme je eine Vertraulichkeit mit den Sklavinnen vor, so sollten diese und er gepeitscht werden. Schließlich bat er den Hausverwalter, dem Eilboten, der für seine Familie eine so frohe Nachricht überbringe, eine ansehnliche Belohnung zu geben. Die Briefe faltete ich wieder zusammen, und jene, welche versiegelt gewesen, pappte ich wieder kunstvoll zu. Der Eilbote, der die erste Nachricht von der Befreiung des Poeten zu überbringen hatte und bestimmt auf eine schöne Belohnung rechnete, der Tag und Nacht gereist war in der Angst, ein anderer könnte ihm zuvorkommen, sagte mir auch, sein Pferd sei zusammengebrochen und er habe das Tier, das er jetzt reite, einem Bauern gewaltsam abgenommen. Nachdem wir noch ein bißchen geplaudert hatten, fiel der übermüdete, abgehetzte Eilbote in einen tiefen Schlaf. Wie ich den Schläfer im Grase betrachtete, sagte ich mir, wie leicht ich ihm zuvorkommen könne. Da ich jedoch die ganze Geschichte des Poeten so gut kannte, so viel mit ihm erlebt hatte, fühlte ich ein Recht daran, diese Geschichte zuallererst zu berichten.

Dem Taschentuche im Schoße des Kuriers entnahm ich den Brief an den Hausverwalter, schwang mich auf das Pferd, gab diesem die spitzen Sporen, war in kurzer Zeit weit vom Schläfer entfernt und galoppierte lustig auf der Straße der Hauptstadt zu.


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